OGH 16Ok9/16h

OGH16Ok9/16h12.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schramm und Univ.‑Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragsteller 1. Bundeskartellanwalt, 1011 Wien, Schmerlingplatz 11, sowie 2. Bundeswettbewerbsbehörde, 1020 Wien, Praterstraße 31, gegen die Antragsgegnerin N***** AG, *****, vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, über die Rekurse der Bundeswettbewerbsbehörde und der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 8. Juli 2016, GZ 24 Kt 3/16w‑36, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst :

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0160OK00009.16H.1012.000

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Gegenstand des vorliegenden Zusammenschluss-kontrollverfahrens ist der Erwerb einer 25 % übersteigenden Beteiligung (unter anderem) an der C***** AG (in der Folge: Zielunternehmen) durch die Antragsgegnerin. Das Verfahren wurde auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde eingeleitet. Das Kartellgericht holte ein Gutachten ein.

Das Zielunternehmen beantragte die Akteneinsicht. Es sei materielle Verfahrenspartei und deshalb zur Einsichtnahme berechtigt.

Sowohl die Antragsgegnerin als auch die Bundeswettbewerbsbehörde, nicht jedoch der Bundes-kartellanwalt sprachen sich gegen die Gewährung von Akteneinsicht mit der Begründung aus, dem Zielunternehmen komme keine Parteistellung zu.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Kartellgericht dem Antrag eingeschränkt auf das vorliegende Gutachten und mit Wirksamkeit ab Rechtskraft des Beschlusses statt. Das Zielunternehmen sei materielle Verfahrenspartei, weshalb ihm das Recht auf Akteneinsicht zukomme.

Gegen diesen Beschluss richten sich die rechtzeitigen Rekurse der Bundeswettbewerbsbehörde und der Antragsgegnerin. Zusammengefasst argumentieren beide Rechtsmittel, dem Zielunternehmen komme weder Parteistellung noch sonst ein Recht auf Akteneinsicht zu.

Das Zielunternehmen hat eine Rekursbeantwortung erstattet, in der es beantragt, den Rekursen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse sind nicht berechtigt.

1. Dadurch, dass das Erstgericht Spruch und Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht deutlich trennte, wurde die Überprüfbarkeit des angefochtenen Beschlusses in keiner Weise beeinträchtigt. Ungeachtet eines allfälligen Verstoßes gegen § 39 Abs 2 AußStrG führen nach § 57 Z 1 AußStrG Beschlussmängel nur dann zur Aufhebung, wenn die Fassung des Beschlusses so mangelhaft ist, dass dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, der Beschluss mit sich selbst in Widerspruch steht oder – außer in den Fällen des § 39 Abs 4 AußStrG – keine Begründung enthält und diesen Mängeln durch eine Berichtigung des Beschlusses nicht abgeholfen werden kann. Ein Verfahrensmangel liegt danach jedenfalls dann nicht vor, wenn durch den geltend gemachten Begründungsmangel die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht gehindert wird (RIS‑Justiz RS012171 [T1]; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 57 Rz 15; zur Trennung sämtlicher anderer Beschlussteile vgl auch 16 Ok 5/11).

2. Unzweifelhaft kommt dem Zielunternehmen im vorliegenden Verfahren keine formelle Parteistellung zu, weil der Zusammenschluss ausschließlich von der N***** AG angezeigt wurde. In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass auch im Kartellverfahren der materielle Parteibegriff des subsidiär anwendbaren § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG zur Anwendung kommt (16 Ok 3/11).

3.1. Materielle Parteistellung genießt nach § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG jede Person, soweit ihre rechtlich geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung oder durch eine sonstige gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde. Die Bestimmung des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG ist eng auszulegen (RIS‑Justiz RS0123029). Ob eine rechtlich geschützte Stellung beeinflusst wird, ergibt sich aus dem materiellen Recht (RIS‑Justiz RS0123027). Unmittelbar beeinflusst ist eine Person dann, wenn die in Aussicht genommene Entscheidung Rechte oder Pflichten dieser Person ändert, ohne dass noch eine andere Entscheidung gefällt werden muss. Reflexwirkungen allein reichen demgegenüber nicht aus, eine materielle Parteistellung zu begründen (RIS‑Justiz RS0123028). Für eine Parteistellung reicht aber nicht jede Rechtsstellung oder jegliches rechtliches Interesse aus, sondern es ist auf den jeweiligen Verfahrenszweck Bedacht zu nehmen (RIS‑Justiz RS0128451; weitere Nachweise bei Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 2 FN 139).

3.2. Gegenstand der kartellrechtlichen Zusammenschlusskontrolle ist das externe Unternehmens-wachstum. Erfasst werden sollen Vorgänge mit (potentiell) konzentrativem Effekt, an denen mindestens zwei Unternehmen beteiligt sind. Zielrichtung der Fusionskontrolle ist es, wettbewerblich strukturierte Märkte mit einer möglichst großen Anzahl „selbstständiger“ Marktteilnehmer zu erhalten und zu fördern und zu verhindern, dass eine marktbeherrschende Stellung entstehen oder verstärkt werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0121884; RS0117535; 16 Ok 1/07). Es geht also um strukturpolitische Ziele und nicht um den Schutz einzelner Mitbewerber vor missbräuchlichem Verhalten. Die Fusionskontrolle hat damit den Charakter einer ordnungspolitischen Maßnahme, für die ausschließlich gesamtwirtschaftliche Gesichtspunkte maßgeblich sind (16 Ok 6/97).

3.3. Daraus wird im Schrifttum überwiegend abgeleitet, dass der Zielgesellschaft materielle Parteistellung zukommt. Dazu vertritt Solé (Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 82), die Frage der Eigentümerschaft wirke sich auf die Marktstellung des erworbenen Unternehmens aus und sei daher geeignet, dessen Rechtsstellung zu verändern. Die Prüfung der neuen Marktstellung sei zudem gerade Zweck der Zusammenschlusskontrolle, so dass nicht von einer bloßen Reflexwirkung auszugehen sei. Lukaschek (in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 20052 § 10 Rz 8) hält die Zuerkennung materieller Parteistellung für erwägenswert, weil auch die Zielgesellschaft nach § 10 Abs 1 Satz 1 KartG zur Anmeldung des Zusammenschlusses berechtigt ist und ihre rechtlich geschützte Stellung unmittelbar beeinflusst werde. Aus denselben Erwägungen erkennt Hoffer (Kartellgesetz § 10, S 158 f) sogar dem Veräußerer materielle Parteistellung zu (vgl aber 16 Ok 6/97). Wessely (Das Recht der Fusionskontrolle und Medienfusionskontrolle 10 FN 51) lässt diese Frage im Ergebnis offen, tendiert jedoch ebenfalls dazu, Parteistellung zu gewähren. Demgegenüber stellen Reidlinger/Hartung (Das österreichische Kartellrecht³ 191) für die Parteistellung auf die formelle Anmeldung des Zusammenschlusses ab, ohne dabei jedoch gesondert auf den materiellen Parteibegriff einzugehen.

4.1. Der Oberste Gerichtshof schließt sich der überwiegenden Auffassung im Schrifttum aus den dort genannten überzeugenden Gründen an.

4.2. Die Zuerkennung von Partei‑ bzw „Beteiligtenstellung“ an alle am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen entspricht im Übrigen auch der herrschenden Auffassung in Deutschland. Dort wird von Rechtsprechung und Lehre zu § 54 Abs 2 Z 2 GWB (welche Bestimmung nach herrschender Auffassung – ebenso wie § 2 Abs 1 Z 3AußStrG – unmittelbare Betroffenheit verlangt) die Auffassung vertreten, dass alle am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen in diesem Sinne „betroffen“ seien (Klees in Kölner Kommentar zum Kartellrecht § 54 GRB Rz 31; Bach in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht5 § 54 GWB Rz 26; Quellmatz in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht3 § 54 GWB Rz 10; Schneider in Langen/Bunte, Kartellrecht12 § 54 GWB Rz 14; BGH KVR 3/84 – Edelstahlbecken = GRUR 1986, 180).

4.3. Gegen diese Auffassung spricht auch die von den Rekurswerbern herangezogene Rechtsprechung zu § 42a Abs 3a KartG aF nicht, wonach der Gesetzgeber durch das eingeschränkte Äußerungsrecht von Mitbewerbern zum Ausdruck gebracht habe, diesen keine Parteistellung zuerkennen zu wollen (RIS‑Justiz RS0118601; 16 Ok 21/03). Diese Regelung findet sich nunmehr in § 11 Abs 3 KartG und lautet: „Jeder Unternehmer, dessen rechtliche oder wirtschaftliche Interessen durch den Zusammenschluss berührt werden, kann im Prüfungsverfahren gegenüber dem Kartellgericht schriftliche Äußerungen abgeben; darauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. Der Einschreiter erlangt hiedurch keine Parteistellung.“ Damit knüpfen die Äußerungsrechte und der damit verbundene, klarstellende Hinweis auf den Ausschluss der Parteistellung daran an, dass rechtliche oder auch nur wirtschaftliche Interessen „berührt“ werden. Demgegenüber verlangt der materielle Parteibegriff eine unmittelbare Beeinflussung der rechtlich geschützten Stellung. Insoweit schließt § 11 Abs 3 KartG die Parteistellung der Zielgesellschaft daher nicht aus, weil § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG weitergehende Voraussetzungen enthält.

4.4. Zutreffend verweist die Rekursbeantwortung darauf, dass die Frage, wer Gesellschafter des Zielunternehmens ist, unmittelbare Auswirkungen auf die zukünftigen Möglichkeiten des Zielunternehmens vor dem Hintergrund der (neuen) Marktstellung mit oder ohne Durchführung des Zusammenschlusses hat. Das Zielunternehmen ist nicht bloß passiver Zuseher in einem Zusammenschlussverfahren. Vielmehr hängt die künftige Stellung des Zielunternehmens wesentlich vom Ausgang des Zusammenschlussverfahrens und der Frage, ob der Anmelder eine kontrollierende Beteiligung erwerben darf, ab.

4.5. Der Vollständigkeit halber ist auch darauf zu verweisen, dass die materielle Parteistellung der Zielgesellschaft nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten mit sich bringt, besteht im Zusammenschlusskontrollverfahren doch eine Mitwirkungspflicht nur für Parteien, nicht aber für außenstehende Personen (vgl Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 203).

5. Kommt dem Zielunternehmen demnach materielle Parteistellung zu, so stand der Bewilligung der Akteneinsicht durch das Erstgericht die fehlende Zustimmung der Bundeswettbewerbsbehörde und der Antragsgegnerin nicht entgegen. Ebenso wenig kommt es für die Akteneinsicht auf eine Interessenabwägung an.

6. Der angefochtene Beschluss erweist sich daher als frei von Rechtsirrtum, sodass den unbegründeten Rekursen ein Erfolg zu versagen war.

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