OGH 14Os51/16f

OGH14Os51/16f14.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Valentin N***** wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10. März 2016, GZ 071 Hv 45/15d‑50, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00051.16F.0914.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. August 2015 (ON 36) wurde Valentin N***** – im ersten Rechtsgang – der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs 1 Z 5 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG schuldig erkannt.

Danach hat er am 28. April 2015 in W***** vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigenden Menge, nämlich 207,2 Gramm Kokain (Reinheitsgehalt zumindest 31,2 % Cocain, Reinsubstanz zumindest 64 Gramm Cocain), einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts zu einem Kaufpreis von 10.000 Euro zu überlassen versucht, wobei er die Straftat gewerbsmäßig begangen hat und schon einmal, und zwar mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. August 2012, AZ 142 Hv 95/12z, wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden war.

Mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 26. Jänner 2016, AZ 14 Os 113/15x, wurde in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten das Urteil, das im Übrigen (im Schuldspruch wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG sowie im – das sichergestellte Suchtgift, nämlich 207,2 Gramm Kokain brutto betreffenden – Einziehungserkenntnis) unberührt blieb, in der rechtlichen Unterstellung des Täterverhaltens nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Valentin N***** im zweiten Rechtsgang – unter verfehlter Wiederholung des im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO; zudem unter irriger abweichender Annahme bloß eines Verbrechens; vgl demgegenüber US 8; vgl auch RIS‑Justiz RS0117463; Schwaighofer in WK² SMG § 28a Rz 10 f) und des Einziehungserkenntnisses (RIS‑Justiz RS0100041, RS0098685; Lendl , WK‑StPO § 260 Rz 33; Ratz , WK‑StPO § 289 Rz 12) – erneut gewerbsmäßiger Tatbegehung nach § 28a Abs 2 Z 1

SMG schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit b, 10 und 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der – soweit sie die Annahme der Qualifikation des § 28a Abs 2 Z 1

SMG bekämpft – Berechtigung zukommt.

Voranzustellen ist, dass die Rechtsrüge (Z 9 lit b) mit ihrer erneuten Behauptung des Vorliegens eines prozessualen Verfolgungshindernisses zufolge unzulässiger (staatlicher) Tatprovokation zum Grunddelikt – wie sie selbst einräumt – einen bereits rechtskräftigen Schuldspruch kritisiert und damit mangels Anfechtungslegitimation unbeachtlich ist (für viele: 14 Os 38/12p). Gleiches gilt für die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall), soweit sie sich gegen die – überflüssige, aber ersichtlich bloß deklarative (US 2 f) und damit nicht nichtigkeitsbewehrte (vgl erneut RIS‑Justiz RS0100041) – Wiederholung des (gleichfalls bereits rechtskräftigen) Einziehungserkenntnisses wendet (zum Ganzen: Ratz, WK‑StPO § 293 Rz 4 ff).

Im Recht ist demgegenüber die Mängelrüge, die die Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit als offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) kritisiert.

Nach der durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2015 (BGBl I 2015/112) geänderten – nach

Aufhebung des Urteils im dargelegten Umfang aufgrund des

Günstigkeitsvergleichs nach § 

61 StGB anzuwendenden (§ 323 Abs 2 StGB) – Bestimmung des § 70 StGB setzt die Annahme von Gewerbsmäßigkeit nunmehr (soweit hier wesentlich) voraus, dass der Täter innerhalb der in § 70 Abs 3 StGB genannten Zeitspanne bereits zwei „solche Taten“ begangen hat oder einmal wegen einer „solchen Tat“ verurteilt worden ist (Abs 1 Z 3).

Durch die konjunktive Verknüpfung in § 28a Abs 2 Z 1 SMG („und“) wird angeordnet, dass für die Subsumtion des Täterverhaltens nach dieser Bestimmung auch die Voraussetzungen des § 70 StGB vorliegen müssen, wobei eine (bereits rechtskräftige) „Verurteilung wegen einer Tat nach Abs 1“ (vgl dazu auch Litzka/Matzka/Zeder, SMG2 § 28a Rz 18; 13 Os 151/07s) nur dann sowohl den Kriterien des § 28a Abs 2 Z 1 letzter Halbsatz SMG als auch jenen des § 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StGB entspricht, wenn seit ihrer Rechtskraft bis zur folgenden Tat – abzüglich Zeiten behördlicher Anhaltung – nicht mehr als ein Jahr vergangen ist (§ 70 Abs 3 StGB). Für die Annahme, eine einzige Vorverurteilung nach § 28a Abs 1 SMG dürfe insoweit „nicht doppelt … verwertet“ werden (so Schwaighofer, Fragen zur neuen Gewerbsmäßigkeit – was sind „solche“ Taten?, in JSt 2016/4 [330 f] unter Bezugnahme auf den Einführungserlass zu den Änderungen des Suchtmittelgesetzes durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2015 und das Budgetbegleitgesetz 2016; BMJ‑S703.034/0014-IV 2/2015, 6) bieten weder das Gesetz noch die Materialien zum StRÄG 2015 (EBRV 689 BlgNR 25. GP , 53) Anhaltspunkte.

Wenngleich § 70 Abs 1 Z 3 StGB – wie übrigens auch Abs 1 erster Halbsatz dieser Bestimmung - auf „Taten“ (nicht strafbare Handlungen, also rechtliche Kategorien) abstellt (vgl dazu 98/ME 25. GP , 11) und die Gesetzesmaterialien nur klarstellen, dass unter dem Begriff „solche Taten“ die Verwirklichung „gleichartiger“ (nicht notwendigerweise „erwerbsmäßig“ begangener) Taten zu verstehen sind (EBRV 689 BlgNR 25. GP , 14), würde die Auslegung, es kämen für die Annahme gewerbsmäßiger Begehung eines qualifizierten Verbrechens oder Vergehens als Vortaten auch solche in Frage, durch die bloß das jeweilige (gleichartige) Grunddelikt begründet wurde, der erklärten Intention des Gesetzgebers widersprechen, die subjektive Tendenz des Täters durch objektive Zusatzvoraussetzungen, die auf diese besondere spezifische kriminelle Tendenz hinweisen, zu untermauern (EBRV 689 BlgNR 25. GP , 13; sowie Schwaighofer, Fragen zur neuen Gewerbsmäßigkeit – was sind „solche“ Taten?, in JSt 2016/4 [326 f]).

„Solche Taten“ in § 70 Abs 1 Z 3 StGB meint vielmehr die Verwirklichung jenes Tatbestands in objektiver und subjektiver Hinsicht, dessen gewerbsmäßige Begehung geprüft wird. Es muss also eine Subsumtion nach dem jeweiligen – nach gedanklicher Eliminierung des Wortes „gewerbsmäßig“ verbleibenden – Tatbestand möglich sein (Jerabek/Ropper in WK² StGB § 70 Rz 13/5 [im Druck]; vgl auch 12 Os 37/16g). Im Fall des § 28a Abs 2 Z 1 SMG können demnach als (innerhalb Jahresfrist zwei Mal begangene oder bereits verurteilte) Vortaten nur solche herangezogen werden, die alle Tatbestandsmerkmale des § 28a Abs 1 SMG aufweisen, wobei der Vollständigkeit halber anzumerken bleibt, dass es – wie für die Absicht auf „ihre“ wiederkehrende Begehung – nicht auf die jeweilige Begehungsweise innerhalb des § 28a Abs 1 SMG ankommt (vgl erneut Schwaighofer, Fragen zur neuen Gewerbsmäßigkeit – was sind „solche“ Taten?, in JSt 2016/4 [331]).

Daraus folgt weiters, dass es für die Subsumtion nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG erforderlich ist, im Urteil Feststellungen dazu zu treffen, ob die Vortaten in Bezug auf eine die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Suchtgiftmenge begangen wurden. Im Fall des § 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StGB reicht die bloße Bezugnahme auf ein Vorurteil nur dann aus, wenn diesem derartige Konstatierungen mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sind (vgl 11 Os 30/14t, 15 Os 7/14i).

Nach den hier wesentlichen Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts wurde der Angeklagte mit – seit 17. August 2012 rechtskräftigem – Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. August 2012, AZ 142 Hv 95/12z, (unter anderem) des – von Jänner 2011 bis Jänner 2012 begangenen – Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von 25 Monaten verurteilt. Zeiten behördlicher Anhaltung bis zur aktuell am 28. April 2015 begangenen Tat sind den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen (vgl im Übrigen ON 379 im bezughabenden Vorakt). Damit entspricht die Verurteilung zwar den Kriterien des § 28a Abs 2 Z 1 letzter Halbsatz SMG. Mit Blick auf den hier aktuellen Tatzeitpunkt (28. April 2015) hat sie jedoch – ebenso wie die ihr zugrunde liegenden Taten – bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 70 Abs 1 Z 3 StGB außer Betracht zu bleiben.

Mit – seit 8. August 2014 rechtskräftigem – Urteil des Amtsgerichts Kleve vom 17. Dezember 2013, AZ 13 Ls‑105 Js 530/13-150/13, wurde der Beschwerdeführer nach den weiteren Urteilskonstatierungen darüber hinaus wegen „Unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, die er von 18. September 2013 bis 4. Februar 2015 verbüßte. Diesem Urteil liegt zugrunde, dass er am 18. September 2013 als Fahrer mit einem Pkw (richtig:) 199,4 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 154,1 Gramm Kokainhydrochlorid, versteckt unter der Abdeckung der Handbremse, zwecks Weitergabe an den Auftraggeber „Toni“ in Wien aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt hat.

Nach § 2 SGV beziehen sich die Grenzmengen (§§ 28b, 28a Abs 1, Abs 2 Z 3, Abs 4 Z 3 SMG), sofern hinsichtlich des betreffenden Suchtgifts das Bestehen von Salzen möglich ist, auf die Base des jeweiligen Suchtgifts.

Ihre Überzeugung, dass die im deutschen Urteil tatverfangene Suchtgiftmenge die Grenzmenge des § 28b SMG (15 Gramm Kokainbase) überstieg (US 3), leiteten die Tatrichter aus dem dort konstatierten Mindestwirkstoffgehalt an Kokainhydrochlorid im Verein mit einer Gerichtsnotorietät betreffend das Verhältnis des Gewichts von Hydrochloriden zur Base von Kokain ab (US 5). Der dazu im Urteil genannte Umrechnungsfaktor war aber – worauf die Nichtigkeitsbeschwerde mit Recht verweist – in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen, womit die entsprechenden Feststellungen mit einem Begründungsmangel nach Z 5 vierter Fall behaftet sind.

Der Angeklagte hat nämlich ein aus dem fair‑trial‑Gebot des Art 6 MRK erfließendes Recht darauf, nicht von einer ihm unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich überrascht zu werden. Auch das, was gerichtskundig ist, muss in der Hauptverhandlung vorkommen, um zur Grundlage von Feststellungen werden zu können. Im Sinn eines den Garantien des Art 6 MRK entsprechenden Verfahrens ist daher das erkennende Gericht verpflichtet, den Angeklagten in der Hauptverhandlung über das, was es als gerichtsnotorisch und im jeweils gegebenen Fall erheblich ansieht, in Kenntnis zu setzen und ihm Gelegenheit zu geben, seine Verteidigung danach einrichten zu können (RIS-Justiz RS0119094; Kirchbacher, WK‑StPO § 246 Rz 34; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 463).

Der aufgezeigte Begründungsmangel erfordert – entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Urteils (soweit es sich nicht auf die Wiederholung bereits rechtskräftiger Teile des Urteils aus dem ersten Rechtsgang beschränkt, demnach in der rechtlichen Unterstellung der Taten nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG sowie im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung) bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO), die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und die Verweisung der Sache an das Erstgericht. Einer Erörterung der (weiteren) Argumente der Subsumtions- und der Sanktionsrüge bedurfte es daher nicht.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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