European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00229.15T.0223.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Der Kläger erwarb am 23. 2. 2007 über den Vermögensberater R***** D***** um 49.999,97 EUR Anteile am Herald USA Segregated Portfolio One (kurz Herald Fonds), die von der Herald Fund SPC, einer nach dem Recht der Cayman Islands gegründeten Portfolio‑Gesellschaft, begeben wurden. Depotbank war die HSBC Securities Services (Luxemburg) S.A. Als Investmentmanager fungierte laut dem Verkaufsprospekt die Herald Asset Management Ltd. Die Beklagte war die Repräsentantin und Prospektkontrollorin in Österreich. Das gesamte Vermögen des Herald Fonds wurde über ein Managed account von der Bernard L. Madoff Investment Securities LLC (kurz BLMIS) verwaltet und verwahrt.
Hätte der Vermögensberater des Klägers gewusst, dass beim Herald Fonds die Verwahrung und Verwaltung des Fondsvermögens bei einem Manager zusammenfallen, hätte er den Herald Fonds nicht vermittelt. Diesfalls hätte der Kläger diese Anteile nicht erworben. Stattdessen hätte er Anteile am Real Invest Austria erworben und keinen Kapitalverlust erlitten.
Im Dezember 2008 wurde Bernard L. Madoff verhaftet. Es stellte sich heraus, dass er über Jahre hinweg die Investitionen der Anlagegelder nur vorgetäuscht und niemals durchgeführt hatte.
Der Kläger begehrt mit seinem Hauptbegehren die Zahlung von 49.999,97 EUR sA Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte an im Einzelnen näher bezeichneten Herald‑Anteilen. Weiters stellt der Kläger fünf Eventualbegehren.
Die Beklagte habe die Anleger mit zumindest bedingtem Vorsatz, jedenfalls aber grob fahrlässig zur Erzielung von Einkünften als Gesellschafterin der Bank Medici AG getäuscht, und zwar insbesondere als Prüferin des Herald Fonds, und zwar durch die unrichtige Bestätigung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts des Herald Fonds und durch Duldung und mittelbare Verwendung wichtiger Werbeunterlagen im Zusammenhang mit diesem Fonds. Die Beklagte habe gewusst, dass der Herald Fonds sein gesamtes Vermögen bei BLMIS veranlagt habe. Die Veranlagung bei BLMIS sei wegen der Identität von Verwahrung und Management und durch das Fehlen einer unabhängigen Kontrolle der Transaktionen extrem gefährlich gewesen.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren. Sie sei selbst durch Bernard L. Madoff geschädigt worden, weil sie, wie auch andere große Banken, BLMIS mit der Veranlagung von Geldern beauftragt habe. Die Beklagte sei in das Investment des Klägers überhaupt nicht involviert gewesen; sie habe mit dem Kläger nie einen Vertrag abgeschlossen. Ihrer Verpflichtung als Prospektkontrollorin habe sie entsprochen. Dem Emissionsprospekt des Herald Fonds habe klar und deutlich entnommen werden können, dass Veranlagungen durch nur einen Manager erfolgen könnten, der die auf sein Managed account übertragenen Vermögenswerte diversifiziert veranlagen müsse.
Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren - abgesehen von der unbekämpft gebliebenen Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens ‑ statt. Dabei ging das Erstgericht davon aus, dass der beklagten Partei das Zusammenfallen von Subdepot und Verwaltung des Fondsvermögens bei der BLMIS und somit der Zugriff des Managers Madoff auf das gesamte Fondsvermögen des Primeo und Herald Fonds bekannt war.
Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass sich die Formulierungen im Emissionsprospekt des Herald Fonds von denjenigen beim Primeo Fonds grundlegend unterschieden. Dies führe zu einer Haftung der Beklagten für eine nicht ausreichende Kontrolle des Herald Prospekts.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Auf die Richtigkeit der Feststellungen zur positiven Kenntnis der beklagten Partei vom Zusammenfallen von Management und Verwahrung des Fondsvermögens komme es rechtlich nicht an. Der Prospekt, der auf die Möglichkeit der Durchbrechung des Trennungsprinzips nicht ausreichend erkennbar hingewiesen habe, hätte von der Beklagten nicht akzeptiert werden dürfen; sie hätte im Sinne des § 8 Abs 2 KMG eine Ergänzung oder Berichtigung des Prospekts veranlassen müssen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Richtigkeit und Vollständigkeit des Emissionsprospekts des Herald Fonds nicht einheitlich sei.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Die Revision ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Wenngleich der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 41/14i eine Haftung der beklagten Partei für den Prospekt des Herald Fonds noch verneint hat, hat der Oberste Gerichtshof mittlerweile in neueren Entscheidungen diese erste Entscheidung ausdrücklich abgelehnt und die Haftung bejaht (5 Ob 26/14f; 9 Ob 63/14a). In diesen Entscheidungen hat der Oberste Gerichtshof dargelegt, dass ein entscheidender Unterschied zwischen dem Prospekt des Primeo Fonds, der jenes massive Risiko, das sich letztlich verwirklicht hat, (noch) ausreichend darlegte, und jenem des Herald Fonds bestehe, weil der den Herald Fonds betreffende Prospekt dieses Risiko durch die gewählten Formulierungen offenbar bewusst verschleiern wollte. Von diesen Entscheidungen abzugehen besteht kein Anlass.
2.1. Die vor diesem Hintergrund relevante Haftung der beklagten Partei wegen mangelhafter Prospektkontrolle setzt gemäß § 11 Abs 1 Z 2a KMG grobe Fahrlässigkeit voraus (3 Ob 108/13y; 3 Ob 212/15w; 5 Ob 26/14f), die in den Entscheidungen 5 Ob 26/14f und 9 Ob 63/14a damit begründet wurde, dass der Beklagten zum Zeitpunkt der Prospektprüfung positiv bekannt war, dass BLMIS auch Verwahrerin des gesamten Fondsvermögens war, und dass eine Großbank wie die Beklagte wissen müsse, dass es sich dabei um einen zentral risikoerhöhenden Umstand handle, der die letztlich hervorgekommenen Malversationen des Madoff überhaupt erst ermöglichte, sodass sie als Prospektkontrollorin darauf hinweisen hätte müssen, dass der Verkaufsprospekt diesen zentral risikoerhöhenden Umstand in ausreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringe.
2.2. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist diese positive Kenntnis der Beklagten für die Bejahung ihrer groben Fahrlässigkeit bei der Prospektkontrolle von ausschlaggebender Bedeutung: nur das positive Wissen um die tatsächlichen Gegebenheiten begründete das grobe Verschulden der Beklagten, während die bloße Unkenntnis dieser Umstände jedenfalls ohne Hinzutreten weiterer Aspekte höchstens als leicht fahrlässig zu qualifizieren wäre (3 Ob 212/15w).
2.3. Soweit das Berufungsgericht seine gegenteilige Ansicht allenfalls aus der Formulierung des letzten Satzes in Punkt 4.2 der Entscheidung 9 Ob 63/14a („Entscheidend ist nämlich nicht, was Mitarbeitern der Beklagten tatsächlich [nicht] aufgefallen ist, sondern vielmehr, was ihnen bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte auffallen müssen.“) abgeleitet haben sollte, ist festzuhalten, dass der zitierte Satz sich darauf bezog, was den Mitarbeitern der Beklagten unter Zugrundelegung der positiven Kenntnis von den tatsächlichen Gegebenheiten bei der Prospektprüfung aufgefallen ist bzw auffallen hätte müssen.
3. Das Berufungsgericht wird sich deshalb im fortgesetzten Verfahren mit der bisher nicht behandelten Beweisrüge der beklagten Partei zu befassen und anschließend neuerlich zu entscheiden haben. Übernimmt es die bekämpfte Feststellung, ist das Ersturteil zu bestätigen; trifft das Berufungsgericht hingegen nach Beweiswiederholung eine neue Feststellung in dem von der Beklagten gewünschten Sinn, wäre das Ersturteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern.
4. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf zu verweisen, dass aufgrund des Ergebnisses einer Mehrzahl gleichartiger Entscheidungen eine ursprünglich beweisbedürftige Tatsache gerichtsbekannt im Sinne des § 269 ZPO werden kann, sodass diese in der Folge keiner neuerlichen Beweisaufnahme bedarf (6 Ob 111/15i; 6 Ob 98/15b). In diesem Sinne kann auch der Inhalt früherer Entscheidungen verwertet werden (vgl RIS‑Justiz RS0040158), wobei offenkundige Tatsachen nicht einmal behauptet werden müssten (RIS‑Justiz RS0040240; 6 Ob 111/15i). Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall zutreffen, obliegt der Beurteilung der Tatsacheninstanzen ebenso wie die Beurteilung der Stichhaltigkeit allenfalls angebotener Gegenbeweise (Rechberger in Rechberger ZPO4 § 264 Rz 4; Rechberger in Fasching/Konecny 2 III § 269 ZPO Rz 13 ff; 7 Ob 799/81 SZ 55/116).
5. Da das Berufungsgericht sohin von einer vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht ausging, war der Revision im Sinne des Aufhebungsantrags Folge zu geben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen.
6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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