OGH 3Ob212/15w

OGH3Ob212/15w18.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Lovrek als Vorsitzende, den Hofrat Dr. Jensik, die Hofrätin Dr. Grohmann, den Hofrat Dr. Roch sowie die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Bollmann & Bollmann Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch DLA Piper Weiss‑Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 78.027,07 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse richtig 77.286,45 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juni 2015, GZ 5 R 45/15x‑22, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 27. November 2014, GZ 55 Cg 298/11a‑15, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der Kläger erwarb über seine Vermögensverwalterin am 10. 10. 2007 73,2785 Wertpapiere des Herald USA Segregated Portfolio One‑Fonds (im Folgenden: Herald) um 90.201,89 EUR. Herald ist eine Aktienklasse der Emittentin Herald Fund SPC (im Folgenden: Herald Fonds), einer Segregated Portfolio Company mit beschränkter Haftung nach dem Recht der Cayman Islands. In weiterer Folge verkaufte er im Jahr 2008 einen Teil seiner Anteile; er hält derzeit noch 61,3462 Stück der Wertpapiere.

Der Geschäftsführer der Vermögensverwalterin des Klägers traf die Investitionsentscheidung auf Basis des damals aktuellen Verkaufsprospekts vom 31. 7. 2005.

Die Beklagte war die österreichische Repräsentantin des Fonds und hat den genannten Emissionsprospekt als Prospektkontrollorin geprüft.

Der Herald Fonds hatte von Beginn an nur einen einzigen Manager, nämlich die Bernard L. M***** LLC (im Folgenden: BLMIS), die auch das gesamte Vermögen des Fonds im Rahmen eines managed account verwaltete.

Der Geschäftsführer der Vermögensverwalterin hätte die Wertpapiere nicht für den Kläger erworben, wenn er gewusst hätte, dass der einzige Manager des Herald Fonds die Verfügungsmacht über das gesamte Vermögen des Fonds hatte. Bei Vorbehalten seiner Vermögensverwalterin hätte der Kläger nicht in dieses Wertpapier investiert. Mit seiner hypothetischen Alternativanlage hätte er keinen Kapitalverlust erlitten und 3,7 % Zinsen (gemeint: jährlich) erwirtschaftet.

Im Dezember 2008 wurde Bernard L. M***** verhaftet. Es stellte sich heraus, dass er über Jahre hinweg die Investitionen der Anlegergelder nur vorgetäuscht und niemals durchgeführt hatte.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von 78.027,07 EUR sA Zug um Zug gegen die Abtretung seiner Rechte als „Underlying Shareholder“ an seinen (restlichen) 61,3462 Stück Herald‑Anteilen; weiters stellte er sechs Eventualbegehren. Er stützte sich insbesondere darauf, dass die Beklagte mit bedingtem Vorsatz, jedenfalls aber grob fahrlässig eine unrichtige Bestätigung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Emissionsprospekts ausgestellt habe. Sie habe gewusst, dass der Herald Fonds sein gesamtes Vermögen bei BLMIS veranlagt habe. Diese Veranlagung sei wegen der Identität von Verwahrung und Management, also Verwaltung der Anlage, und durch das Fehlen einer unabhängigen Kontrolle der Transaktionen extrem gefährlich gewesen. Im Prospekt sei eine Depotbank genannt worden, die das Vermögen des Fonds aber in Wahrheit nicht verwahrt habe. Die Risiken seien im Prospekt fehlerhaft und irreführend dargestellt worden.

Die Beklagte wendete ein, dem Emissionsprospekt des Herald Fonds sei klar und deutlich zu entnehmen gewesen, dass Veranlagungen nur durch einen Manager erfolgen könnten, der die auf sein managed account übertragenen Vermögenswerte diversifiziert veranlagen müsse. Der Manager des Herald Fonds sei BLMIS gewesen. Der Emissionsprospekt sei daher korrekt gewesen und habe die Investmentstrategie des Herald Fonds richtig und vollständig dargestellt. Diese Umstände hätten deshalb dem Berater des Klägers bei sorgfältigem Studium des Prospekts auffallen müssen. Allenfalls hätten der Kläger oder sein ihm zuzurechnender Berater zumindest nachfragen müssen. Bei gehöriger Sorgfalt hätte der Berater, wenn ihm die organisatorischen Vorschriften betreffend den managed account und die Depotbank tatsächlich so wichtig gewesen seien, von einem Investment in den Herald Fonds abraten müssen. Den Kläger treffe aus diesem Grund das alleinige, zumindest aber das weit überwiegende Verschulden an seinem Schaden.

Das Erstgericht wies sowohl das Klagehauptbegehren als auch sämtliche Eventualbegehren ab. Es traf dazu unter anderem folgende Feststellung: Die Beklagte wusste bereits lange vor den gegenständlichen Wertpapiererwerben, dass sich bei der BLMIS über Subvertragskonstruktionen das Management und die faktische Verwahrung des Fondsvermögens […] des Herald in einer Hand befanden. In rechtlicher Hinsicht folgte es den höchstgerichtlichen Entscheidungen zum Primeo Fonds sowie der (einzigen bis dahin zum Herald Fonds veröffentlichten) Entscheidung 2 Ob 41/14i, wonach in den Emissionsprospekten ausreichend über das durch die Tatsache, dass die gesamten Gelder des Fonds von der BLMIS in einem managed account verwaltet und gehalten worden seien, erhöhte Risiko aufgeklärt worden sei.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung des Klägers dahin ab, dass es dem Hauptklagebegehren ‑ abgesehen von der unbekämpft gebliebenen Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens - stattgab. Die oben wiedergegebene, von der Beklagten in ihrer Berufungsbeantwortung bekämpfte, zeitlich unpräzise Feststellung des Erstgerichts zur Frage der Kenntnis der Beklagten lange vor dem Wertpapiererwerb des Klägers (also vor dem 10. 10. 2007), sei unerheblich; zur Frage der Kenntnis der Beklagten vor bzw bei Prospektprüfung im Dezember 2005 habe das Erstgericht nichts festgestellt. Darauf komme es aber auch nicht an, weil die Beklagte dem Kläger gegenüber unabhängig davon hafte, ob sie vor bzw bei Prospektprüfung gewusst habe, dass BLMIS der einzige Manager des Herald Fonds sei und gleichzeitig auch dessen gesamtes Vermögen verwahre. Der von der Beklagten geprüfte und genehmigte Prospekt des Herald Fonds sei ‑ wie der Oberste Gerichtshof mittlerweile in den Entscheidungen 5 Ob 26/14f und 9 Ob 63/14a klargestellt habe ‑ nicht richtig und vollständig iSd § 26 Abs 2 InvFG 1993 gewesen, weil er nicht ausreichend deutlich auf den für die Beurteilung der Anteile an diesem Kapitalanlagefonds wesentlichen Umstand hingewiesen habe, dass das gesamte Fondsvermögen seit Auflage des Herald Fonds von einem einzigen Manager, der BLMIS, auf einem managed account verwaltet werde, wobei die Depotbank für das auf managed accounts gehaltene Fondsvermögen nicht hafte. Dies werde im Prospekt nicht nur nicht klargestellt, sondern es werde ganz im Gegenteil der Eindruck erweckt, dass mehrere Manager bestellt seien und dass durch die Depotbank das Fondsvermögen zumindest in einem weiten Umfang sichergestellt sei. Die Beklagte hätte den Prospekt, der die damals tatsächlich bestehenden Umstände nicht unmissverständlich dargestellt habe, nicht akzeptieren dürfen, sondern hätte gemäß § 8 Abs 2 KMG eine Ergänzung oder Berichtigung des Prospekts veranlassen müssen. Dass sie dies nicht getan habe, sei grob fahrlässig gewesen, und zwar unabhängig davon, ob ihr bekannt gewesen sei, dass BLMIS der einzige Verwalter des Fonds sei und auch noch das gesamte Fondsvermögen verwahre oder nicht. In letzterem Fall wäre es ihr nämlich als grobes Verschulden anzulasten, dass sie trotz der nicht eindeutigen Formulierungen des Prospekts nichts unternommen, also beispielsweise keine weiteren Unterlagen abgefordert habe, um zu überprüfen, wie der Fonds derzeit verwaltet werde. Nach der Darstellung der Beklagten in der Berufungsbeantwortung hätte sie einen Hinweis auf die tatsächliche Situation schon in den Rechenschaftsberichten finden können, die gemäß § 26 Abs 2 InvFG 1993 dem Prospekt beizufügen seien. Der Einwand der Beklagten, dem Kläger sei das Allein‑ oder zumindest ein überwiegendes Mitverschulden anzulasten, sei schon deshalb nicht berechtigt, weil der Kläger gegenüber der Beklagten nicht vertraglich verpflichtet gewesen sei, die Angaben in dem von der Beklagten geprüften Prospekt zu hinterfragen und zu überprüfen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision im Hinblick auf die einander widersprechenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zum Herald Fonds (einerseits 5 Ob 26/14f und 9 Ob 63/14a und andererseits 2 Ob 41/14i) zu.

Die Beklagte stützt sich in ihrer Revision insbesondere darauf, dass hier, anders als in den den Entscheidungen 5 Ob 26/14f und 9 Ob 63/14a zugrunde liegenden Fällen, gerade nicht feststehe, dass sie zum Zeitpunkt der Prospektkontrolle Kenntnis von der tatsächlichen Situation ‑ Verwahrung und Verwaltung des gesamten Fondsvermögens durch BLMIS unter Ausschaltung der Kontrolle der Depotbank ‑ gehabt habe. Sie begehrt die Abänderung des Berufungsurteils dahin, dass das gesamte Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, weil die Rechtslage durch die Entscheidungen 5 Ob 26/14f und 9 Ob 63/14a bereits hinreichend geklärt sei, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in den vom Berufungsgericht zitierten, ebenfalls den Emissionsprospekt vom 31. 7. 2005 betreffenden Vorentscheidungen 5 Ob 26/14f und 9 Ob 63/14a dargelegt, dass ein entscheidender Unterschied zwischen dem Prospekt des Primeo Fonds, der jenes massive Risiko, das sich letztlich verwirklicht hat, (noch) ausreichend darlegte, und jenem des Herald Fonds besteht, weil der den Herald Fonds betreffende Prospekt dieses Risiko durch die gewählten Formulierungen offenbar bewusst verschleiern wollte. Dieser Auffassung schließt sich auch der erkennende Senat an.

2. Die vor diesem Hintergrund relevante Haftung der Beklagten wegen mangelhafter Prospektkontrolle setzt gemäß § 11 Abs 1 Z 2a KMG grobe Fahrlässigkeit voraus (3 Ob 108/13y), die in den genannten Vorentscheidungen damit begründet wurde, dass der Beklagten zum Zeitpunkt der Prospektprüfung positiv bekannt war, dass BLMIS auch Verwahrerin des gesamten Fondsvermögens war, und dass eine Großbank wie die Beklagte wissen muss, dass es sich dabei um einen zentral risikoerhöhenden Umstand handelt, der die letztlich hervorgekommenen Malversationen des M***** überhaupt erst ermöglichte, sodass sie als Prospektkontrollorin darauf hinwirken hätte müssen, dass der Verkaufsprospekt diesen zentral risikoerhöhenden Umstand in ausreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringt.

3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist diese positive Kenntnis der Beklagten für die Bejahung ihrer groben Fahrlässigkeit bei der Prospektkontrolle von ausschlaggebender Bedeutung: Nur das positive Wissen um die tatsächlichen Gegebenheiten begründet das grobe Verschulden der Beklagten, während die bloße Unkenntnis dieser Umstände jedenfalls ohne Hinzutreten weiterer Aspekte höchstens als leicht fahrlässig zu qualifizieren wäre.

Soweit das Berufungsgericht seine gegenteilige Ansicht allenfalls aus der Formulierung des letzten Satzes in Punkt 4.2. der Entscheidung 9 Ob 63/14a („Entscheidend ist nämlich nicht, was Mitarbeitern der Beklagten tatsächlich [nicht] aufgefallen ist, sondern vielmehr, was ihnen bei gehöriger Aufmerksamkeit auffallen hätte müssen.“) abgeleitet haben sollte, ist festzuhalten, dass sich der zitierte Satz darauf bezog, was den Mitarbeitern der Beklagten unter Zugrundelegung der positiven Kenntnis von den tatsächlichen Gegebenheiten bei der Prospektprüfung aufgefallen ist bzw auffallen hätte müssen.

4. Die oben zitierte Feststellung des Erstgerichts zur Kenntnis der Beklagten sagt zwar vordergründig tatsächlich nichts darüber aus, ob diese Kenntnis auch schon zum allein entscheidenden Zeitpunkt der Prospektkontrolle bestand; in Zusammenhalt mit den zu ihrer Begründung angeführten Beweismitteln und den Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung (S 21 des Ersturteils) kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass das Erstgericht davon ausging, dass der Beklagten bereits zum Zeitpunkt der Prospektkontrolle im Jahr 2005 positiv bekannt war, dass das Vermögen des Herald Fonds nicht bei der Depotbank verwahrt, sondern zur Gänze von BLMIS gehalten wurde.

5. Das Berufungsgericht wird deshalb im fortgesetzten Verfahren die bisher nicht behandelte Beweisrüge der Beklagten zu erledigen und anschließend neuerlich zu entscheiden haben. Übernimmt es die bekämpfte Feststellung, ist das Ersturteil abzuändern. Trifft das Berufungsgericht hingegen nach Beweiswiederholung eine neue Feststellung in dem von der Beklagten gewünschten Sinn, wäre das Ersturteil zu bestätigen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte