OGH 6Ob207/15g

OGH6Ob207/15g23.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** s.s., *****, vertreten durch Mag. Dr. Philipp Leitner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Mag. W*****, vertreten durch Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. September 2015, GZ 2 R 153/15k‑19, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 29. Mai 2015, GZ 69 Cg 35/14f‑15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00207.15G.0223.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der beklagte Notar errichtete den Notariatsakt vom 10. 6. 2011, mit dem die Klägerin ihren Geschäftsanteil an einer im Firmenbuch eingetragenen Gesellschaft mbH abtrat.

Zwischen der Klägerin und dem Erwerber ihres Geschäftsanteils ist beim Landesgericht Klagenfurt ein Prozess wegen Zahlung des Abtretungspreises anhängig.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche künftige finanzielle Schäden, die ihr aus dem Abschluss des vom Beklagten verfassten und beurkundeten Abtretungsvertrags vom 10. 6. 2011 insbesondere im Fall des Unterliegens in dem vor dem Landesgericht Klagenfurt anhängigen Verfahren entstehen, weil der Beklagte bei der Errichtung des Abtretungsvertrags gegen die §§ 52, 53 und 63 NO verstoßen habe.

Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte das Berufungsgericht die klagsstattgebende Entscheidung des Erstgerichts.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Beklagten zeigt keine die Zulässigkeit des Rechtsmittels begründende Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf:

1.1. Der Beklagte brachte im Verfahren erster Instanz vor, die Klägerin sei nicht aktiv legitimiert, weil schon die Gründung der Gesellschaft mbH wegen Verstoßes gegen § 63 NO formungültig gewesen sei, sodass die Gesellschaft mbH nicht existent geworden sei und der Kaufgegenstand nicht existiere.

1.2. Das Berufungsgericht hielt der Rechtsrüge der Berufung des Beklagten in diesem Punkt entgegen, dass eine Gesellschaft mbH mit der Eintragung in das Firmenbuch als juristische Person entstehe. Dies gelte auch bei einer Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrags. Allfällige Formmängel bei der Gründung der Gesellschaft mbH hätten daher keine Auswirkungen auf die Schadenersatzpflicht des Beklagten.

1.3. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers ist die „spärliche und lange zurückreichende“ Rechtsprechung zur Frage, ob ein Formmangel des Gesellschaftsvertrags einer Gesellschaft mbH durch die Eintragung in das Firmenbuch als geheilt anzusehen ist, nicht uneinheitlich.

1.4. Der Gesellschaftsvertrag einer Gesellschaft mbH bedarf nach der Anordnung des § 4 Abs 3 Satz 1 GmbHG der Form eines Notariatsakts (§§ 52 ff NO). Einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Beiziehung eines Dolmetschers gemäß § 63 Abs 1 NO führt gemäß § 66 NO zur Unwirksamkeit des Notariatsakts (6 Ob 49/11s; 4 Ob 99/99h). Die Formunwirksamkeit (Nichtigkeit) des Gesellschaftsvertrags ist ein Eintragungshindernis (OLG Wien 6 R 146/91 NZ 1992, 299). Sie wird durch die (irrtümliche) Eintragung geheilt (vgl 1 Ob 676, 677/84 SZ 57/174; 6 Ob 35/14m GesRZ 2015, 203 [ Heidinger ]; RIS‑Justiz RS0049494; U. Torggler in U. Torggler , GmbHG § 4 Rz 16; Aicher/Feltl in Straube , GmbHG § 4 Rz 66; Koppensteiner/Rüffler , GmbHG 3 § 4 Rz 26; Reich‑Rohrwig , GmbHR I 2 Rz 1/31; Schmidsberger/Duursma in Gruber/Harrer , GmbHG § 4 Rz 144; Gellis/Feil , GmbHG 7 § 4 Rz 11).

1.5. In den Entscheidungen 6 Ob 35/14m und 1 Ob 676, 677/84 (vgl auch RIS‑Justiz RS0103897) sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass Formmängel der notariellen Beurkundung einer Erhöhung des Stammkapitals einer GmbH und des Notariatsakts über die rechtsgeschäftliche Übernahme der neuen Stammeinlagen durch die rechtskräftige Eintragung in das Firmenbuch jedem gegenüber heilen. Die Entscheidung 1 Ob 676, 677/84 hält darüber hinaus allgemein fest, dass durch die rechtskräftige Eintragung von der äußeren Form entsprechenden Notariatsurkunden im Handelsregister Formmängel heilen.

1.6. Für einen Formmangel des Gesellschaftsvertrags einer Gesellschaft mbH kann nach rechtskräftiger Eintragung der Gesellschaft in das Firmenbuch nichts anderes gelten, trifft doch hier ebenso zu, dass die Formvorschrift auch den Schutz des Rechtsverkehrs bezweckt. Der Rechtsverkehr wäre entscheidend gestört, wenn auch Jahre nach der Eintragung der Gesellschaft die Wirksamkeit des Gesellschaftsvertrags mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, weil die Beurkundungen über vom Notar bei Errichtung der Urkunden einzuhaltende Formvorschriften unrichtig waren.

1.7. Schließlich sieht bei gleicher Schutzzwecklage § 225a Abs 3 Z 4 AktG ausdrücklich vor, dass der Mangel der notariellen Beurkundung des Verschmelzungsvertrags (§ 222 AktG; unter „notarieller Beurkundung“ ist ein Notariatsakt zu verstehen [ Szep in Jabornegg/Strasser , AktG 5 § 222 Rz 3]) durch die Eintragung der Verschmelzung in das Firmenbuch geheilt wird.

1.8. In der Entscheidung 6 Ob 96/73 (SZ 46/46) führte der Oberste Gerichtshof aus, dass nach § 144 FGG eine in das Handelsregister eingetragene Gesellschaft mbH als nichtig gelöscht werden kann, wenn der Gesellschaftsvertrag der notariellen Beurkundung entbehrt. § 144 FGG gehört seit mehr als 25 Jahren nicht mehr zum österreichischen Rechtsbestand. Die Entscheidung hält auch fest, dass eine in das Handelsregister eingetragene Gesellschaft mbH von Amts wegen nicht mehr als nichtig gelöscht werden kann. Auch diese Entscheidung bietet daher keine Grundlage für die Ansicht des Revisionswerbers, der von der Klägerin abgetretene Geschäftsanteil an der Gesellschaft mbH habe nicht existiert, weil der Gesellschaftsvertrag mit einem Formmangel behaftet gewesen sei.

1.9. § 10 Abs 3 FBG schränkt den Katalog der in Frage kommenden Nichtigkeitsgründe gegenüber dem früheren § 144 Abs 1 FGG ein. Diese Bestimmung gestattet eine amtswegige Beendigung einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mbH nur noch aus den Gründen des § 216 Abs 1 AktG. Beurkundungsmängel der Satzung einer Aktiengesellschaft nennt § 216 AktG nicht als Grund einer Klage auf Nichtigerklärung der Gesellschaft. Die Nichtigkeitsgründe sind in § 10 Abs 3 FBG iVm § 216 AktG abschließend geregelt ( Zib in Zib / Dellinger , Großkomm UGB § 10 FBG Rz 55; Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer , FBG § 10 Rz 65 mwN). Da § 216 AktG die fehlende Notariatsaktsform der Satzungsfeststellung der Aktiengesellschaft (§ 16 AktG) nicht als Grund für die Nichtigkeitsklage nennt, wird abgeleitet, dass die unterbliebene Wahrnehmung des Formmangels im Eintragungsverfahrens durch die rechtskräftige Eintragung im Firmenbuch heilt ( Heidinger/Schneider in Jabornegg/Strasser 5 , AktG § 16 Rz 13; EGruber in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG § 16 Rz 52). Für die Gesellschaft mbH kann im Hinblick auf die in § 10 Abs 3 FBG angeordnete sinngemäße Geltung des § 216 Abs 1 AktG nichts anderes gelten.

2.1. Das Berufungsgericht führte aus, wenn der Beklagte (Berufungswerber) geltend mache, die Abtretungsverträge vom 14. 5. 2007 und vom 12. 12. 2007 seien unwirksam, so müsse dies am Neuerungsverbot (§ 482 ZPO) scheitern. Ein konkretes Vorbringen dahin, welche Abtretungsverträge von welchen Personen mit welchen Sprachkenntnissen unterfertigt worden seien und dass diese Verträge aufgrund von Verstößen gegen § 63 NO nichtig seien, habe er in erster Instanz nicht erstattet.

2.2. Fragen der Auslegung des Parteienvorbringens sind stets einzelfallbezogen zu lösen und bilden daher regelmäßig keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Der Beklagte brachte in der Verhandlungstagsatzung am 23. 1. 2015 vor, dass sämtliche im Zusammenhang mit der [Gesellschaft mbH] zu errichtenden Verträge in deutscher Sprache abgefasst worden seien, ohne dass bei der Vertragserrichtung ein Dolmetsch beigezogen worden sei. Daraus sei zu folgern, dass „der Kläger“ der deutschen Sprache mächtig sei (ON 12, AS 139). Im Zusammenhang damit legte er unter anderem die beiden Abtretungsverträge vor. Dass die Klägerin aufgrund der angeblich nichtigen Abtretungsverträge nicht Gesellschafterin der Gesellschaft mbH geworden sei, hat der Beklagte in erster Instanz nicht ausdrücklich vorgebracht. Die Auslegung des Berufungsgerichts ist nicht korrekturbedürftig.

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