European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00081.15G.0222.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei hat ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Die 1972 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 9. 2007) als Kellnerin (57 Beitragsmonate), als EDV‑Angestellte (27 Beitragsmonate) und als Hilfsarbeiterin (9 Beitragsmonate) tätig. Seit Mai 2005 besteht kein aufrechtes Dienstverhältnis mehr. Seit 1. 9. 2007 bezog die Klägerin eine befristete Invaliditätspension.
Mit Bescheid vom 1. 4. 2011 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin vom 4. 1. 2011 auf Weitergewährung der bis 31. 1. 2011 befristeten Invaliditätspension ab.
In ihrer dagegen erhobenen und auf die Weitergewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß über den 31. 1. 2011 hinaus gerichteten Klage brachte die Klägerin vor, sie sei aufgrund des jahrelangen therapieresistenten Reizhustens, der sich trotz laufender medizinischer Behandlung nicht gebessert habe, nicht in der Lage, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, der Klägerin seien noch verschiedene Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich.
Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren ab. Es stellte im Wesentlichen fest, dass die Klägerin neben anderen Gesundheitsstörungen an einem Hustenreiz ungeklärter Ursache leidet. Sie muss deswegen ungefähr alle drei Minuten für 30 Sekunden ihre Arbeit „unterbrechen“, sich die Hand vorhalten, den Mund mit einem Taschentuch reinigen und die Hände abwischen. Sie kann nur mehr leichte und halbzeitig mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen, Gehen und Stehen, im Freien und in geschlossenen Räumen verrichten. Es sind ihr Arbeiten mit Parteienverkehr, mit häufigem Wechsel zwischen kalt/warm und feucht/trocken, mit überdurchschnittlicher Belastung durch Staub, Rauch, Dampf und reizenden Gasen, in Gefahrensituationen sowie Akkord‑ und Fließbandarbeiten nicht mehr möglich. Das Raumklima sollte konstant sein. Die Einordenbarkeit (mit Ausnahme von Fabriksmilieu), die Unterweisbarkeit, Anlernbarkeit und Umschulbarkeit sind gegeben. Die Fingerfertigkeit unterliegt keinen Einschränkungen. Die Klägerin kann sämtliche Arbeiten unter durchschnittlichem Zeit‑ und Leistungsdruck erbringen. Aufgrund einer erhöhten Infektanfälligkeit sind Krankenstände im Ausmaß von vier Wochen pro Jahr prognostizierbar. Die Anmarschwege zum und vom Arbeitsplatz unterliegen keiner Einschränkung.
Weiters stellte das Erstgericht fest, dass dieses medizinische Leistungskalkül der Klägerin durch Tätigkeiten als Bürohilfskraft (als Poststellenmitarbeiterin) und/oder als Bürobotin sowie als Hilfskraft für Aufsichtstätigkeiten (wie Tagportier) nicht überschritten werde. Bei diesen Tätigkeiten führe der Hustenreiz der Klägerin nicht zu Pausen im Sinne von notwendigen Unterbrechungen eines durchgehenden Arbeitsflusses, weil der Kernbereich dieser Berufstätigkeiten teilbar bzw unterbrechbar sei und diese Tätigkeiten daher auch während der Beeinträchtigung durch den häufigen Hustenreiz durchgeführt werden könnten.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht daher zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch die genannten, am allgemeinen Arbeitsmarkt nachgefragten Tätigkeiten ausüben könne, weshalb kein Anspruch auf Weitergewährung der Invaliditätspension bestehe.
Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin Berufung wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger und fehlender Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung. In ihrer Tatsachen‑ und Beweisrüge bekämpfte die Klägerin im Wesentlichen die Feststellungen des Erstgerichts, wonach sie weiterhin die Tätigkeit einer Bürohilfskraft als Poststellenmitarbeiterin bzw Bürobotin sowie einer Hilfskraft für Aufsichtstätigkeiten durchführen könne, da auch die Anforderungen in diesen Berufen das festgestellte medizinische Leistungskalkül der Klägerin überstiegen. In ihrer Mängelrüge machte die Klägerin geltend, dass der im Vorverfahren beigezogene berufskundliche Sachverständige im Gegensatz zu dem im vorliegenden Verfahren bestellten berufskundlichen Sachverständigen eine Arbeitsfähigkeit der Klägerin verneint habe. Das erstinstanzliche Verfahren sei daher mangelhaft geblieben, weil das Erstgericht kein weiteres berufskundliches Gutachten eingeholt habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin auch über den 31. 1. 2011 hinaus eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, dem Grunde nach zu Recht bestehe. Weiters trug es der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von 750 EUR monatlich ab 1. 2. 2011 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides auf.
Das Berufungsgericht traf aufgrund eines eingeholten weiteren berufskundlichen Sachverständigen-gutachtens folgende „ergänzende Feststellungen“:
„Die Klägerin wäre aufgrund ihres bestehenden Leistungskalküls ‑ ohne Berücksichtigung der Einschränkung der 30‑Sekunden‑Arbeitsunterbrechung alle drei Minuten aufgrund des Hüstelns ‑ auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch in der Lage, die Tätigkeit einer Bedienerin auszuüben. Die Tätigkeiten stellen sich rein fachbezogen als leichte bis fallweise/drittelzeitig mittelschwere körperliche Arbeiten im Gehen und Stehen, ohne Arbeiten mit Parteienverkehr, ohne Arbeiten mit Exposition gegenüber häufigem Wechsel zwischen kalt/warm und feucht/trocken, ohne Arbeiten mit jeder überdurchschnittlichen Belastung mit Staub, Rauch, Dampf und reizenden Gasen, ohne Arbeiten in Gefahrensituationen, ohne Arbeiten im Fabriksmilieu, ohne Arbeiten, bei denen Auskünfte erteilt oder Telefonate geführt werden, ohne Akkord‑ und Fließbandarbeiten, unter durchschnittlichem Zeitdruck zu den üblichen Arbeitszeiten mit vermehrten Arbeitspausen im vorliegenden notwendigen Ausmaß (maximal 40 Minuten pro Arbeitstag) ohne Erfordernis eines besonderen Entgegenkommens des Dienstgebers dar.
Aufgrund des chronischen Hüstelns ist die Klägerin allerdings auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr verweisbar. Im Hinblick auf den 'Hüstelzyklus' der Klägerin (etwa alle drei Minuten 30 Sekunden) können für die Klägerin keine kalkülsgemäßen Berufstätigkeiten im Hilfskraftbereich namhaft gemacht werden. Schon ein Vorstellungsgespräch, das von ständigem Hüsteln unterbrochen wird, führt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zum Erfolg. Unabhängig von der Frage der Pausennotwendigkeit bzw der Frage der Möglichkeit der Weiterverrichtung von Tätigkeiten während des Hüstelns ('abgeschwächte Arbeitspausen'), ist die Klägerin rein aufgrund des Faktums des Hüstelns stets auf das besondere Entgegenkommen des Dienstgebers und der Arbeitskollegen angewiesen. Durch das regelmäßige, hochfrequente Hüsteln der Klägerin kommt es zu Beeinträchtigungen des gesamten Umfelds, die letztlich sogar in einem Mobbing der Klägerin resultieren könnten, weil die Mitarbeiter durch ihr Hüsteln gestresst werden. Es kommt durch das Hüsteln nicht nur zu einem gewissen Zeitverlust bei der Klägerin, sondern es würde dadurch auch die Arbeitsleistung der anderen Mitarbeiter sinken (Anspannung, gestörte Konzentration etc).
Der Zustand der Klägerin hinsichtlich des Hustenreizes ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr besserbar. Eine Besserung wäre nur in Form einer ‑ nicht wahrscheinlichen und nicht vorhersehbaren ‑ Spontanheilung möglich.“
Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, dass die Klägerin nach ihrem Leistungskalkül noch Verweisungstätigkeiten wie die Tätigkeit einer Bürobedienerin verrichten könne. Sie könnte diese Tätigkeiten aber aufgrund des „Dauerhüstelns“ nur unter besonderem Entgegenkommen ihres Arbeitgebers und ihrer Arbeitskollegen verrichten. Ein Versicherter dürfe jedoch auf eine Berufstätigkeit dann nicht verwiesen werden, wenn er diese nur unter der Voraussetzung eines besonderen Entgegenkommens des Arbeitgebers verrichten könne. Da dies bei der Klägerin der Fall sei, lägen die Voraussetzungen für die Weitergewährung einer Invaliditätspension vor. Da eine Besserung des Zustands der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sei, sei nach § 256 ASVG in der zum maßgebenden Stichtag (1. 9. 2007) anzuwendenden Fassung eine unbefristete Invaliditätspension zuzuerkennen. Da somit der Berufung der Klägerin bereits aufgrund der Ergebnisse des vom Berufungsgericht ergänzten Beweisverfahrens Berechtigung zukomme, erübrige sich ein Eingehen auf die weiteren Ausführungen in der Berufung der Klägerin.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragte in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und auch berechtigt.
Die beklagte Partei macht im Wesentlichen geltend, die Frage der Verweisbarkeit eines Versicherten stelle keine Tatsachenbeurteilung, sondern eine Rechtsfrage dar. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sei die Klägerin gesundheitlich in der Lage, als Bedienerin tätig zu sein. Von einem besonderen Entgegenkommen des Arbeitgebers, welches eine Verweisbarkeit des Versicherten ausschließe, könne nur dort gesprochen werden, wo der Versicherte aufgrund der bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigung die konkrete Verweisungs-tätigkeit nicht im regulären Umfang oder nur unter besonderen Bedingungen wie etwa zusätzlichen Arbeitspausen, die im üblichen Arbeitsalltag nicht toleriert würden, ausüben könne. Beides liege hier nicht vor. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit solle Schutz vor den Auswirkungen einer körperlich oder geistig bedingten Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit bieten. Die Chancen einen Arbeitsplatz zu finden, sei dem Bereich der Arbeitslosenversicherung zuzuordnen. Dass die Klägerin allenfalls keine Anstellung finden werde, begründe nicht den Versicherungsfall der Invalidität.
Auch die Frage der Notwendigkeit eines besonderen Entgegenkommens der Arbeitskollegen sei danach zu beurteilen, ob ein bestimmtes arbeitsbezogenes Verhalten typischerweise akzeptiert werde. Dass die Konzentration von Arbeitskollegen, mit denen der Kontakt nach den Ausführungen des Berufungsgerichts bloß nicht vermieden werden könne, durch das Husten der Klägerin gestört werden könnte, begründe nicht die Notwendigkeit für ein besonderes Entgegenkommen der Arbeitskollegen.
Dazu ist Folgendes auszuführen:
1. Wurde die Invaliditätspension ‑ wie im Fall der Klägerin ‑ befristet gewährt, so hängt der Anspruch auf Weitergewährung davon ab, ob die Versicherte nach Ablauf der Frist (noch, erstmals oder wieder) invalid ist. Dabei ist ein Vergleich mit den im Zeitpunkt der Zuerkennung vorliegenden Verhältnissen nicht durchzuführen (RIS‑Justiz RS0085134).
2. Unstrittig ist eine Invalidität der Klägerin nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Danach liegt Invalidität vor, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.
Das Verweisungsfeld ist dabei mit dem Arbeitsmarkt ident (RIS‑Justiz RS0084505). Eine Verweisung ist auf alle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch bewerteten ‑ unselbständigen ‑ Tätigkeiten zulässig, die der Versicherte infolge seines körperlichen und geistigen Zustands noch ausüben kann, wobei grundsätzlich bereits ein einziger Verweisungsberuf, der noch ohne Einschränkung ausgeübt werden kann, für die Verneinung des Anspruchs auf Invaliditätspension ausreicht (RIS‑Justiz RS0084983, RS0108306).
3. Die Frage, auf welche Tätigkeiten ein Versicherter verwiesen werden darf, ist eine Rechtsfrage. Zu ihrer Lösung bedarf es zunächst der Feststellung des medizinischen Leistungskalküls sowie der Anforderungen, die mit einem bestimmten Verweisungsberuf verbunden sind. Durch Vergleich des medizinischen Leistungskalküls mit den Feststellungen über die psychischen und physischen Anforderungen, die die Verweisungstätigkeiten stellen, ist sodann die Frage zu lösen, ob der Versicherte im Hinblick auf die Ergebnisse des medizinischen Leistungskalküls zur Verrichtung der in Frage kommenden Verweisungstätigkeiten in der Lage ist (RIS‑Justiz RS0043194 [T3]).
4. Grundsätzlich darf ein Versicherter auf eine Berufstätigkeit dann nicht verwiesen werden, wenn er diese nur unter der Voraussetzung eines besonderen Entgegenkommens seines Arbeitgebers verrichten kann (10 ObS 125/13z, SSV‑NF 27/73 ua). Auch dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage. Die objektive Beweislast dafür, dass ein Versicherter in einem Verweisungsberuf auf ein solches besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen wäre, trifft den Versicherten (10 ObS 201/01h, SSV‑NF 15/96).
4.1 Von einem solchen besonderen Entgegenkommen des Arbeitgebers ist insbesondere dann auszugehen, wenn die aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen notwendigen Arbeitsbedingungen und Anforderungen am konkreten Arbeitsplatz des Versicherten nicht denjenigen am allgemeinen Arbeitsplatz in diesem Beruf entsprechen (vgl 10 ObS 186/99x, SSV‑NF 13/98), der Versicherte daher die Verweisungstätigkeit nicht mehr in dem am allgemeinen Arbeitsmarkt erwarteten regulären Umfang oder zu den dort üblichen Bedingungen ausüben kann.
4.2 Benötigt ein Versicherter über die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen hinaus zusätzliche Arbeitspausen, so ist eine Verweisung auf den Arbeitsmarkt nur möglich, wenn eine entsprechende Zahl von Arbeitsplätzen besteht, bei denen die Einhaltung dieser Pausen gewährleistet ist (RIS‑Justiz RS0043613). So werden behinderungsbedingte zusätzliche Kurzpausen in einer täglichen Gesamtdauer bis zu etwa 20 Minuten im Allgemeinen in der Wirtschaft toleriert, sodass diese Gruppe von Arbeitnehmern nicht auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und deshalb nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist (RIS‑Justiz RS0084414). Zusätzliche Pausen beeinflussen im Hinblick auf deren Länge, zeitliche Lagerung, Vorhersehbarkeit usw den Arbeitsablauf in ganz unterschiedlicher Weise und stellen an die Toleranz des Arbeitgebers ganz unterschiedliche Anforderungen (10 ObS 124/99d, SSV‑NF 13/113), weshalb jeweils auf die konkrete Verweisungstätigkeit abzustellen ist (10 ObS 125/13z, SSV‑NF 27/73).
4.3 Auch entstellende oder abscheuerregende Krankheiten können unter Umständen eine Eingliederung in den Arbeitsprozess verhindern, wenn sie eine Intensität erreichen, dass es die Mitmenschen ablehnen, mit dem Betroffenen zusammenzuarbeiten oder ihn ständig verspotten (vgl 10 ObS 30/05t; OLG Wien 31 R 131/85, ZAS 1986/24, 175 [ R. Müller ]).
4.4 Eine Verweisbarkeit ist auch dann ausgeschlossen, wenn der Versicherte auf ein besonderes Entgegenkommen anderer Arbeitskollegen angewiesen ist. Bedarf er etwa zur Durchführung von mit dem Verweisungsberuf verbundener Teiltätigkeiten der Hilfe anderer Arbeitnehmer, ist eine Verweisung nur zulässig, wenn ein solches Ersuchen nicht ungewöhnlich wäre (10 ObS 57/91, SSV‑NF 5/40). Auch hier ist darauf abzustellen, inwieweit dem Versicherten trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit in der am Arbeitsmarkt üblichen Weise ‑ auch in der Interaktion mit den anderen Arbeitnehmern ‑ noch möglich ist.
5. In keinem Fall der Verweisung ist zu berücksichtigen, ob der Versicherte im Verweisungsberuf auch tatsächlich einen Arbeitsplatz finden wird, da für den Fall der Arbeitslosigkeit die Leistungszuständigkeit der Arbeitslosenversicherung besteht (RIS‑Justiz RS0084833). Dass manche Arbeitnehmer ‑ aus unterschiedlichsten Gründen ‑ gegenüber anderen Mitbewerbern auf dem Arbeitsmarkt weniger Chancen haben, schließt sie noch nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt aus.
Ist der Versicherte im Hinblick auf das erhobene Leistungskalkül imstande, eine Tätigkeit zu verrichten, für die am Arbeitsmarkt eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung steht, ist er jedoch nicht in der Lage, einen konkreten Arbeitsplatz zu erlangen, so ist der Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit, nicht jedoch der der Invalidität gegeben (RIS‑Justiz RS0084863).
6. Nach den vom Berufungsgericht aufgrund der vorgenommenen Beweisergänzung getroffenen ergänzenden „Feststellungen“ ist davon auszugehen, dass die Klägerin gesundheitlich in der Lage ist, den Verweisungsberuf einer Bürobedienerin zu verrichten. Zutreffend verweist die beklagte Partei in ihrer Revision darauf, dass den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht entnommen werden kann, dass der Klägerin die Tätigkeit als Bedienerin gesundheitlich nicht im vollen Umfang möglich wäre und es daher von Seiten eines Arbeitgebers erforderlich wäre, ihr bloß leichtere Teilbereiche dieser Tätigkeit zu übertragen. Das Berufungsgericht führt im Rahmen seiner Beweiswürdigung weiters aus, dass ein ‑ von ihm angenommener ‑ Ausschluss der Klägerin vom Arbeitsmarkt auch nicht entscheidend auf einer allfälligen vermehrten Pausennotwendigkeit beruhe. Der vom Berufungsgericht beigezogene berufskundliche Sachverständige hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass es sich bei den von ihm hochgerechneten 72 Minuten „Arbeitsunterbrechung“ pro Arbeitstag um keine echten Arbeitspausen, sondern um abgeschwächte Formen der Arbeitsunterbrechung handle, weil es der Klägerin während dieser Zeit weiterhin möglich sei, gewisse Tätigkeiten zu verrichten. Der Beweis für die Notwendigkeit vermehrter Arbeitspausen, die einen Ausschluss der Klägerin vom Arbeitsmarkt bedeuten würde, wurde von der dafür beweispflichtigen Klägerin daher nicht erbracht.
6.1 Das Berufungsgericht begründete einen ‑ von ihm angenommenen ‑ Ausschluss der Klägerin vom allgemeinen Arbeitsmarkt damit, dass ihr beständiges Hüsteln ihr Arbeitsumfeld derart belaste, dass sie bei der Verrichtung jeglicher Tätigkeit auf ein besonderes Entgegenkommen sowohl des Arbeitgebers als auch der Arbeitskollegen angewiesen sei. Die Feststellung des Berufungsgerichts, „schon ein Vorstellungsgespräch, das von ständigem Hüsteln unterbrochen wird, führe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zum Erfolg“, betrifft die Frage der Vermittelbarkeit der Klägerin, nämlich die Chancen der Klägerin, einen konkreten Arbeitsplatz als Bedienerin zu erlangen. Nach der ständigen Rechtsprechung gehört aber die Möglichkeit, einen konkreten Arbeitsplatz zu erlangen, nicht zu den Tatbestandsmerkmalen der geminderten Arbeitsfähigkeit (RIS‑Justiz RS0084720 [T1]).
6.2 Es kann nach den Feststellungen bei der Klägerin auch nicht vom Vorliegen einer entstellenden oder abscheueerregenden Krankheit, welche eine Eingliederung in den Arbeitsprozess verhindern könnte, die Rede sein.
6.3 Soweit das Berufungsgericht davon ausgeht, dass der Leidenszustand der Klägerin eine Beeinträchtigung ihrer Arbeitskollegen darstelle, deren Arbeitsleistung dadurch sinke, und es durch das regelmäßige, hochfrequente Hüsteln der Klägerin zu Beeinträchtigungen ihres gesamten Umfelds komme, die letztlich sogar in einem Mobbing der Klägerin resultieren könnten, und diese Umstände dementsprechend ein besonderes Entgegenkommen der Arbeitskollegen erforderten, ist darauf hinzuweisen, dass die der Klägerin nach wie vor mögliche Tätigkeit einer Bedienerin nicht mit Parteienverkehr verbunden ist und nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch im Wesentlichen allein ausgeführt wird. Der Umstand, dass Kontakte mit Arbeitskollegen und allenfalls länger arbeitenden Personen nicht vermieden werden können, reicht auch unter Berücksichtigung der Art der Beeinträchtigung der Klägerin nicht aus, um von einem Ausschluss vom Arbeitsmarkt ausgehen zu können.
6.4. Auf die Frage, ob ein mögliches Mobbing der Klägerin durch Arbeitskollegen aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung zu einem Ausschluss vom Arbeitsmarkt führen könnte, muss hier nicht weiter eingegangen werden. Die bloße Möglichkeit, dass es im Fall von mit dem Husten der Klägerin verbundenen Konzentrationsstörungen anderer Arbeitnehmer, die etwa bei einer Bedienerin jeweils nur kurzfristig bei vorübergehendem Aufenthalt im selben Raum auftreten werden, zu einem Mobbing kommen könnte, reicht dafür jedenfalls nicht aus. Soweit die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung das Fehlen von Feststellungen dazu rügt, dass ihr ständiges Husten für andere Mitarbeiter unerträglich wird und es zu Mobbing kommt, so ist sie darauf zu verweisen, dass das Berufungsgericht zu diesem Thema ausreichende Feststellungen getroffen hat. Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich auch keine rechtlichen Feststellungsmängeln geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0053317 [T1]).
7. Zusammenfassend zeigt sich somit, dass es sich bei den vom Berufungsgericht getroffenen „Feststellungen“, wonach „die Klägerin aufgrund des chronischen Hüstelns auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr verweisbar sei“, „im Hinblick auf den Hüstelzyklus der Klägerin für sie keine kalkülsgemäßen Berufstätigkeiten im Hilfskraftbereich namhaft gemacht werden können“ und „die Klägerin rein aufgrund des Faktums des Hüstelns stets auf das besondere Entgegenkommen des Arbeitgebers und der Arbeitskollegen angewiesen sei“, im Ergebnis um eine vom Obersten Gerichtshof nicht geteilte Beurteilung der Rechtsfrage, ob die Klägerin bei einer Verweisung auf die Tätigkeit als Bedienerin auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers und/oder der Arbeitskollegen angewiesen sei, handelt. Da diese Rechtsfrage nach den dargelegten Ausführungen des erkennenden Senats zu verneinen ist und bereits das Vorliegen eines einzigen möglichen Verweisungsberufs eine Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG ausschließt, erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren vom Erstgericht als zumutbar angesehenen Verweisungsberufe.
Es war daher in Stattgebung der Revision der beklagten Partei das klageabweisende Ersturteil wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung für das Rechtsmittelverfahren beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse der Klägerin, die einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.
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