OGH 1Ob203/15g

OGH1Ob203/15g24.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj L***** H*****, vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OG, Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17‑19, wegen 4.000 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 12. August 2015, GZ 5 R 4/15w‑16, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 7. November 2014, GZ 20 Cg 26/14d‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00203.15G.1124.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 373,32 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Der Kläger, damals ein Schüler der zweiten Klasse eines Gymnasiums, nahm im Jänner 2014 am Schulschikurs teil. Mit der vorliegenden Klage begehrt er gestützt auf das Amtshaftungsgesetz (AHG) Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung für die bei der Ausstiegsstelle eines Schlepplifts erlittene Verletzung.

Er brachte dazu vor, es habe sich der Bügel des Schlepplifts in seinem Anorak verhakt gehabt. Weil der Schlepplift von den Mitarbeitern der Liftbetreiberin zu spät angehalten worden sei, sei er über die Ausstiegsstelle hinaus und letztlich in die Luft gezogen worden. Durch den nachfolgenden Sturz habe er beide Schneidezähne verloren, es seien nun umfangreiche kieferorthopädische Behandlungen erforderlich. Die Mitarbeiter der Liftbetreiberin seien funktionell als Organe des Bundes im Rahmen einer Schulveranstaltung tätig geworden, da über den Kauf der Liftkarte ein Vertragsverhältnis zu Ausbildungs‑ und daher hoheitlichen Zwecken abgeschlossen worden sei. Die Beförderung der Schulkinder sei denklogische Voraussetzung der Ausübung des Schisports und damit ein Teil der Ausbildung.

Die Vorinstanzen verneinten die Organstellung des Liftwarts und wiesen die Klage ab.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn ein Streitfall trotz neuer Sachverhaltselemente bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann (Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 70 mwN; RIS‑Justiz RS0042656 [T48]). Ein solcher Fall liegt hier vor:

2. Für die Begründung einer Organstellung kommt es darauf an, ob eine Person (auch eine juristische Person [vgl RIS‑Justiz RS0124590]) hoheitliche Aufgaben zu besorgen hat. Dann ist sie Organ, gleichviel, ob sie dauernd oder vorübergehend oder für den einzelnen Fall bestellt, gewählt, ernannt oder sonst wie herangezogen wurde und ob ihr Verhältnis zum Rechtsträger nach öffentlichem oder privatem Recht zu beurteilen ist (vgl 1 Ob 49/95 [1 Ob 54/95] = SZ 68/220; RIS‑Justiz RS0087679). Auf den zugewiesenen Verantwortungsgrad, eine Entscheidungsbefugnis oder Leitungsbefugnis oder gar auf den hierarchischen Rang, den eine Person in der Organisation des Rechtsträgers oder bei Besorgung einer hoheitlichen Aufgabe einnimmt, kommt es nicht an (RIS‑Justiz RS0087675). Ist eine Aufgabe ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur, sind auch alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen als in Vollziehung der Gesetze erfolgt anzusehen, wenn sie nur einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen (RIS‑Justiz RS0049948; vgl auch RS0049897). Private handeln daher auch dann als Organe, wenn sie selbst keine Hoheitsakte zu setzen haben, sondern ihre Tätigkeit nur in der unterstützenden Mitwirkung bei der Besorgung hoheitlicher Aufgaben und Zielsetzungen besteht und sie in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingebunden werden, um andere Organe bei Besorgung hoheitlicher Aufgaben zu unterstützen oder zu entlasten (RIS‑Justiz RS0104351; vgl RS0049972 [T2]).

3. Die Erteilung des Unterrichts wird nach ständiger Rechtsprechung und einhelliger Lehre hoheitlich ausgeübt (1 Ob 4/88 = SZ 61/62 uva; Schragel, AHG3 Rz 78 mwN; Ziehensack, AHG § 1 Rz 1735 ff). Lehrer werden in ihrer eigentlichen Funktion, der Unterrichts- und Erziehungsarbeit, zu der auch die Beaufsichtigung gehört, hoheitlich tätig (so schon Loebenstein/Kaniak,AHG Nachtrag [1957] 13 Nr 7 unter Verweis auf 1 Ob 802/51 [nicht veröffentlicht]; RIS‑Justiz RS0049933; RS0022978; vgl auch RS0050061). Für „andere geeignete Personen“, die gemäß § 44a Abs 1 Schulunterrichtsgesetz (SchUG) für die Aufsicht herangezogen werden, wie zB Erziehungsberechtigte, qualifizierte Personen aus den Bereichen Sport, Musik ua, normiert § 44a Abs 2 SchUG, dass diese insoweit als Bundesorgane tätig werden.

In der Rechtsprechung wurde die Organstellung eines bei einer Schulsportwoche eingesetzten Tennislehrers (1 Ob 5/88; RIS‑Justiz RS0050188) und bei einer Betreiberin eines Kajakcenters bejaht, weil der dabei geschlossene Vertrag der Ausbildung und damit hoheitlichen Zwecken diente (1 Ob 296/03s = SZ 2004/145 = RIS‑Justiz RS0119444). Ebenso wurde die Durchführung der individuellen Berufs‑(bildungs‑)orientierung durch eine juristische Person als Unternehmensträger als Mitwirkung an der hoheitlich zu verrichtenden Aufgabe der Erteilung des Unterrichts im Pflichtfach Berufsorientierung an einer Polytechnischen Schule beurteilt (1 Ob 75/15h = RIS‑Justiz RS0130191).

4. Es geht aber nicht schon die Ausführung jeder bloß in „denklogischer“ Voraussetzung zur (späteren) Verrichtung einer hoheitlichen Aufgabe stehende Tätigkeit ‑ welcher Art auch immer ‑ mit einer Organstellung einher. Der Kläger kann keinen ausreichenden engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe der Erteilung des Unterrichts darlegen, wenn er lediglich ausführt, der Liftwart eines Schlepplifts habe die Liftspur zu überwachen und gegebenenfalls beim Ein‑ und Aussteigen zu helfen. Seine Rechtsansicht, es seien bereits diese dem Liftwart übertragenen Aufgaben, die die Organstellung im gegenständlichen Fall bewirkten, übergeht, dass sich die Aufgaben eines Liftwarts nicht auf die Ausbildung der Schüler im Schisport bezieht und eine Form der organisatorischen Einbindung von Liftwarten oder Liftbetreibern in die Ausbildung während der Wintersportwoche einer (Pflicht‑)Schule fehlt.

Der vom Revisionswerber für seinen Standpunkt ins Treffen geführten, schon erwähnten Entscheidung 1 Ob 296/03s [Betreiber eines Kajakcenters] lag zu Grunde, dass diesem Unternehmen mit Bescheid des Amtes der zuständigen Landesregierung bestätigt worden war, dass es die für die Durchführung von Schulveranstaltungen mit leibeserzieherischen Schwerpunkt vorgesehenen Auflagen erfüllt habe, und es war mittels Vertrag mit der Durchführung einer Kajak‑Woche beauftragt worden, daher mit der Ausbildung der Schüler in der Handhabung eines Kajaks.

Mit dem Lösen einer Liftkarte wird ein Beförderungsvertrag abgeschlossen, der die entgeltliche Benützung des Schlepplifts beinhaltet. Zweck der Aufsicht des Liftwarts (über alle zu befördernden Personen) ist die Gewährleistung der Sicherheit des Liftbetriebs, wofür zu sorgen der Liftbetreiber aus dem Beförderungsvertrag verpflichtet ist. Liftwarte „beaufsichtigen“ die Schüler nicht, um an einem Ausbildungsziel im Rahmen einer Schulveranstaltung mitzuwirken.

5. Schon anhand der vorhandenen Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung lässt sich zweifelsfrei ableiten, dass die entgeltliche Beförderung von Schülern (sei es täglich zur Schule, zu einem Ausflugsziel oder einem Museumsbesuch im Rahmen einer Schulveranstaltung) nicht eine Organstellung der Mitarbeiter des jeweiligen Transportunternehmens nach sich zieht, weil der Transport ‑ auch bei Seilbahnen oder Schiliften ‑ keinen ausreichend engen inneren oder äußeren Zusammenhang zu einer etwa nach dem Transport anschließenden (sportlichen) Ausbildung, dem Unterricht, hat.

6. Rechtsfragen von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO werden im Rechtsmittel des Klägers insgesamt nicht angesprochen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

7. Der beklagten Partei, die in ihrer Revisionsbeantwortung auf die fehlende Zulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, gebührt gemäß § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO der Ersatz der Kosten der von ihr erstatteten Revisionsbeantwortung.

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