European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00079.15P.1022.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Der beklagte Verein ist seit 1999 Mieter eines Schulgebäudes samt Freiflächen und betreibt darin eine Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht. Die Vermietung erfolgte zur Führung einer Schule. Ordentliche Mitglieder des Vereins können nur jene Erziehungsberechtigten sein, die für mindestens ein in der Schule eingeschriebenes Kind die im Elternvertrag bzw durch Generalversammlungsbeschlüsse festgesetzten Kosten zu tragen haben. Allein den ordentlichen Mitgliedern kommt das Stimmrecht in der Generalversammlung zu. 2008 begehrten die klagenden Liegenschaftseigentümer eine Anhebung des Mietzinses nach § 12a Abs 3, § 46a MRG. Seit dem Abschluss des Mietvertrags hatte bis dahin die Mehrheit der ordentlichen Vereinsmitglieder gewechselt.
Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des auf Zahlung von Mietzins und Räumung nach Auflösungserklärung gemäß § 1118 ABGB gerichteten Klagebegehrens. Ein „Machtwechsel“ im Sinn des § 12a Abs 3 MRG sei nicht eingetreten, weil ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts ‑ anderes sei insoweit von den Klägern auch nicht behauptet worden ‑ nicht ersichtlich sei, warum einzelne Vereinsmitglieder in der Lage sein sollten, aufgrund ihrer gesellschaftrechtlichen Position die Geschicke der Gesellschaft faktisch zu bestimmen, weil die rechtlichen Strukturen des Vereins keine Handhabe bieten, sie daran zu hindern.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Kläger zeigt keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf:
1. Die Revisionswerber machen im Ergebnis geltend, dass in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für Vereine seit jeher die Auffassung vertreten werde, der Wechsel der Mitglieder führe zu einem Machtwechsel im Sinn des § 12a Abs 3 MRG. Sie beziehen sich auf die Entscheidungen 5 Ob 284/97v; 5 Ob 69/99d und 5 Ob 166/08k.
2. Seit der Entscheidung 1 Ob 226/98m (SZ 71/157; RIS-Justiz RS0108983, RS0111167) ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des § 12a Abs 3 MRG im Anschluss an Schauer in GesRZ 1994, 19 die „Machtwechseltheorie“ verankert. Sie besagt, dass eine entscheidende Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten (§ 12a Abs 3 1. Halbsatz MRG) nur dann vorliegt, wenn der Erwerber eine Rechtsstellung erlangt, die es erlaubt, mit gesellschaftsrechtlichen Mitteln die Geschicke der Gesellschaft so zu bestimmen, als hätte er das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen selbst erworben (vgl RIS-Justiz RS0111297; Schauer , ecolex 2005, 26).
3. In der Entscheidung 5 Ob 284/97v (SZ 71/17 = wobl 1998/199, 303 [zust Würth ]; RIS‑Justiz RS0109649) vertrat der Oberste Gerichtshof die Auffassung, bei Vereinen sei zur Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der entscheidenden Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten in der mietenden juristischen Person oder unternehmerisch tätigen Personengesellschaft „zunächst“ auf den Wechsel der Mehrheit der Vereinsmitglieder abzustellen. Die Vereinsmitglieder übten nämlich den Einfluss im Wege der Wahl des Vorstands und der Grundlagenentscheidungen aus. Sie seien (zumindest indirekt) auch Nutznießer des billigen Mietzinses, weil sich der Verein bei der Finanzierung seiner Aktivitäten durch den billigen Mietzins erspare, von seinen Mitgliedern höhere Mitgliedsbeiträge einzuheben.
4. Die Entscheidungen 5 Ob 69/99d und 5 Ob 166/08k befassen sich nicht mit der Änderung der Einflussmöglichkeit, sondern lediglich mit dem zu § 46a MRG entwickelten Unternehmensbegriff.
5. Unter anderem auf die Entscheidung 5 Ob 284/97v bezog sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 5 Ob 262/02v (SZ 2004/23), in der der Fall einer Mietergesellschaft zu beurteilen war, an deren Grundkapital eine Aktiengesellschaft mit 99,9 % beteiligt war. An dieser Aktiengesellschaft waren zunächst acht Aktionäre beteiligt, von denen keiner die absolute Stimmenmehrheit hatte. Durch mehrere Veräußerungsvorgänge und eine Fruchtgenusseinräumung wurden mehr als 50 % der Aktien (Stimmrechte) an verschiedene Erwerber übertragen, wobei jeder dieser Aktionäre wiederum nur eine Minderheitsbeteiligung hielt. Die Stattgebung des Begehrens des Vermieters auf Mietzinserhöhung wurde damit begründet, dass nunmehr (unter Berücksichtigung des Fruchtnießers) die Mehrheit der Anteile anderen Personen als den bisherigen Gesellschaftern wirtschaftlich zuzurechnen sei und es damit keines eigentlichen „Machtwechsels“ in der Gesellschaft mehr bedürfe, weil sich in der Regel eine entscheidende Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten bei einer Anteilsverschiebung von mehr als 50 % ergebe.
6. Die Entscheidung 5 Ob 262/02v wurde durch mehrere Senate des Obersten Gerichtshofs ausdrücklich abgelehnt (6 Ob 88/06v, wobl 2007/12, 42 [zust Vonkilch ]; 1 Ob 180/07p; 6 Ob 15/07k; 3 Ob 78/07b) und in der Literatur kritisiert ( Schauer , ecolex 2005, 26; Vonkilch , GesRZ 2004, 121; ders in Hausmann/Vonkilch , Österreichisches Wohnrecht § 12a MRG Rz 42). Unter Bezugnahme auf die ablehnenden Entscheidungen und die Kritik der Lehre sowie die Entscheidungen 5 Ob 170/05v und 5 Ob 127/08z ging der 5. Senat in seiner Entscheidung 5 Ob 198/09t (wobl 2010/126, 274 [ Vonkilch ]) von der Entscheidung 5 Ob 262/02y im Sinn der neueren, einhelligen Rechtsprechung ab. Nach dieser liegt kein Machtwechsel vor, wenn auf oberster gesellschaftsrechtlicher Ebene der den entscheidenden Einfluss ausübende Gesellschafter gleich bleibt. Daher bedarf es der rechtlichen und wirtschaftlichen Änderung, um einen Machtwechsel zu bewirken und führt eine bloß rechtliche Änderung, mit der eine wirtschaftliche nicht verbunden ist, nicht zu einer Mietzinsanhebung (RIS-Justiz RS0069560). Durch die ausdrückliche Ablehnung der Entscheidung 5 Ob 262/02v wurde bereits implizit auch die in der Entscheidung 5 Ob 284/97v vertretene Auffassung abgelehnt.
7. In der jüngeren als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird nunmehr übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass ein Kippen der Mehrheitsverhältnisse den Machtwechsel zwar indiziert, die konkreten Auswirkungen aber jeweils im Einzelfall zu prüfen sind. Ergibt eine solche Prüfung, dass trotz Änderung der rechtlichen Verhältnisse keine wirtschaftliche Änderung eintritt, weil am Ende eines Vorgangs unveränderte Machtverhältnisse stehen, ist kein Anhebungsrecht bewirkt (RIS‑Justiz RS0125715). Die Umstände, die den Machtwechsel erfüllen, hat der Vermieter aber im Einzelfall darzulegen (RIS-Justiz RS0116941).
8. Das Berufungsgericht legte seiner Entscheidung die zitierte einheitliche, jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des § 12a Abs 3 MRG im Sinn der „Machtwechseltheorie“ zugrunde. Damit steht seine Beurteilung in Einklang, allein der Umstand, dass im entscheidungsrelevanten Zeitraum die Mehrheit der Vereinsmitglieder wechselte, führe nicht zu einem eine Mietzinsanhebung erlaubenden Machtwechsel. Denn auch bei einem Wechsel der Mehrzahl der Vereinsmitglieder wird niemand konkret in die Lage versetzt, aufgrund seiner mitgliedschaftlichen Rechte die Geschicke des Vereins so zu bestimmen, als hätte er das (Vereins-)Unternehmen selbst erworben ( Vonkilch in Hausmann/Vonkilch , Österreichisches Wohnrecht [2013] § 12a MRG Rz 50; vgl 3 Ob 114/00m [Begründung von Streubesitz]; aA Illedits-Lohr / Illedits, Der Machtwechsel beim Verein aus mietrechtlicher Sicht, in FS Melnizky 67 [74], die aber nicht ausführen wie ein einzelnes Vereinsmitglied einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen kann). Von einem einzelnen Mitglied kann zum Beispiel eine Änderung des Vorstands nicht herbeigeführt werden. Wie konkret ein entscheidender Einfluss des einzelnen Mitglieds auf den beklagten Verein erfolgen soll, führen die Kläger, die hiefür die Darlegungslast trifft, auch in der Revision nicht aus.
9. Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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