OGH 8Ob72/15v

OGH8Ob72/15v25.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht und Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Wolfgang Kleibel, Rechtsanwalt in Salzburg, als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Anton Keuschnigg, Rechtsanwalt in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei G***** A*****, vertreten durch Dr. Anke Reisch, Rechtsanwältin in Kitzbühel, wegen 42.400 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs sowie über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen den Beschluss sowie gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht und als Berufungsgericht vom 19. Mai 2015, GZ 15 R 24/15g und 15 R 25/15d‑52, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00072.15V.0825.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

A) Zum außerordentlichen Revisionsrekurs:

1. Das Rekursgericht hat den Rekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Erstgerichts, mit dem die Prozesseinrede („Unzuständigkeitseinrede“ aufgrund einer angeblichen Schiedsvereinbarung) verworfen wurde, als verspätet zurückgewiesen.

Die Beklagte steht in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs auf dem Standpunkt, das Erstgericht habe die Einschränkung auf abgesonderte Verhandlung über die Prozesseinrede wieder aufgehoben, weil das Verfahren nach der Entscheidung über die „Unzuständigkeitseinrede“ fortgesetzt worden sei.

Damit zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf. Auch der behauptete Erörterungsmangel liegt nicht vor.

2.1 Das Erstgericht hat über die von der Beklagten erhobene Prozesseinrede abgesondert verhandelt und im Anschluss daran einen (gesonderten) Beschluss gefasst, mit dem die Prozesseinrede verworfen wurde. Dieser Beschluss wurde schriftlich ausgefertigt und den Parteien zugestellt.

In einem solchen Fall ist der die Prozesseinrede verwerfende Beschluss grundsätzlich abgesondert anfechtbar (RIS‑Justiz RS0040207; 2 Ob 35/04t). Hat das Gericht nach Verkündung dieses Beschlusses jedoch angeordnet, dass die Verhandlung zur Hauptsache sogleich aufgenommen wird (§ 261 Abs 2 ZPO), so ist die verkündete Entscheidung in die Hauptsachenentscheidung aufzunehmen und nur mit dem Rechtsmittel gegen diese Entscheidung anfechtbar (§ 261 Abs 3 ZPO).

2.2 Die Beklagte referiert auf den zuletzt erwähnten Fall.

Dafür ist vorausgesetzt, dass gleichzeitig mit der Verkündung des Beschlusses über die Verwerfung der Prozesseinrede der sofortige Eintritt bzw Übergang (§ 261 Abs 4 ZPO) in die Hauptsache angeordnet wird. Der Zweck dieser Anordnung besteht darin, den Parteien eine klare Vorgabe für ihre Rechtsmittelmöglichkeit zu geben (vgl dazu auch 8 Ob 108/09d; 10 Ob 76/14w). Auch diese Anordnung muss daher mit hinreichender Deutlichkeit und für die Parteien klar erkennbar erfolgen. Das Gericht muss daher bei Verkündung des Beschlusses, mit dem die Prozesseinrede nach abgesonderter Verhandlung verworfen wird, klar zu erkennen geben, dass es keine Vorabklärung über die Frage der Prozesseinrede wünscht und daher nicht die rechtskräftige Entscheidung darüber abwarten will. Wird über die Prozesseinrede abgesondert verhandelt und entschieden, so ist bei Zweifeln über die sofortige Weiterverhandlung in der Hauptsache von der selbständigen Anfechtbarkeit des Beschlusses über die Prozesseinrede auszugehen.

3. Hier hat das Erstgericht nach abgesonderter Verhandlung und Entscheidung über die Prozesseinrede die mündliche Streitverhandlung auf unbestimmte Zeit erstreckt. Darin ist keine klare Anordnung über den sofortigen Eintritt in die Hauptsache gelegen. Das Rekursgericht hat daher zutreffend beurteilt, dass der Beschluss des Erstgerichts, mit dem es die Prozesseinrede der Beklagten verworfen hat, gesondert anfechtbar war.

Dieses Ergebnis steht zwar in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Zweck der abgesonderten Anfechtbarkeit des Beschlusses, mit dem eine Prozesseinrede verworfen wird. Dieser besteht nämlich, was aus § 261 Abs 4 ZPO ableitbar ist, in der rechtskräftigen Entscheidung über die Prozesseinrede vor der Weiterverhandlung in der Hauptsache, wofür § 261 Abs 4 ZPO einen Parteienantrag vorsieht (vgl dazu 1 Ob 13/15s). Dieser Zweck hat aber gegenüber der Notwendigkeit, für die Parteien Klarheit über die Rechtsmittelmöglichkeiten zu verschaffen, zurückzutreten.

4. Das weitere Argument der Beklagten, die Klage hätte ungeachtet des Formgebots für eine Schiedsvereinbarung nach § 583 ZPO zurückgewiesen werden müssen, weil eine Schiedsgutachterklausel vorliege, ist nicht tragfähig.

Die Beklagte steht nunmehr offenbar auf dem Standpunkt, dass in Wirklichkeit gar keine Schiedsvereinbarung nach §§ 581 ff ZPO, sondern eine Schiedsgutachtervereinbarung (im Sinn einer Schiedsgutachterabrede: vgl 1 Ob 100/11d) vorliegen würde. Einer Schiedsgutachterabrede kommt aber keine prozesshindernde Wirkung zu (7 Ob 19/12p; vgl auch 2 Ob 209/10i). Entgegen der Ansicht der Beklagten führt eine Schiedsgutachterabrede daher nicht zur Zurückweisung der Klage.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten war mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

B) Zur außerordentlichen Revision:

5.1 Die von der Beklagten behauptete Nichtigkeit und die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen ‑ wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat ‑ nicht vor.

Die in der außerordentlichen Revision geltend gemachte Nichtigkeit und die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens waren bereits Gegenstand der Berufung. Der Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem eine wegen Nichtigkeit erhobene Berufung verworfen wurde, ist zufolge der Rechtsmittelbeschränkung des § 519 ZPO unanfechtbar (RIS‑Justiz RS0043405). Ebenso können Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht ausgehend von einer richtigen Rechtsansicht verneint hat, in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963; 8 Ob 83/13h; 8 ObA 46/14v). Darüber hinaus entspricht es der Rechtsprechung, dass der Rechtsmittelwerber in seiner Verfahrensrüge nachvollziehbar darlegen muss, welche für ihn günstigen Verfahrensergebnisse bei Unterbleiben des Verfahrensfehlers erzielt worden wären und wie sich diese auf die Sachverhaltsgrundlage ausgewirkt hätten (RIS‑Justiz RS0043039 [T4 und T5]).

Wenn hier das Berufungsgericht jedenfalls vertretbar ausführt, die Berufung lasse weitgehend offen, welche Beweise konkret aufzunehmen gewesen und welche Beweisergebnisse erzielt worden wären, und sie vermenge überdies die Verfahrensrüge mit der unberechtigten Beweisrüge, so kann diesem nicht die Behandlung der Mängelrüge aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht vorgeworfen werden. Entgegen der Ansicht der Beklagten geht es nicht um die „Dartuung der abstrakten Eignung des Verfahrensmangels“, sondern darum, dass aufgrund nur pauschaler Ausführungen in der Berufung nicht ausreichend deutlich erkennbar war, auf welche konkreten Beweismittel und Beweisergebnisse die Beklagte abzielt.

5.2 Außerdem basiert die Entscheidung der Vorinstanzen auf dem zutreffend als wirksam beurteilten außergerichtlichen Vergleich vom 10. 10. 2010. Den von der Beklagten vermissten Feststellungen zu den von ihr nur allgemein erwähnten Themenbereichen (anerkannte Baumängel, fehlende Bestandspläne, Abnahme des Bauwerks, Schlussrechnung, Skontoabzug) käme daher auch keine Erheblichkeit zu, gleichgültig, ob eine (angebliche) Unvollständigkeit der Tatsachengrundlage auf der Verletzung von Verfahrensvorschriften oder auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhen würde.

5.3 Zur Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Einwand mangelnder Fälligkeit nicht darauf gestützt, dass das (ursprünglich, also vor Abschluss des Vergleichs vereinbarte) Schiedsgutachterverfahren nicht eingehalten worden sei, und sie habe zudem in der Berufung diese Frage nicht thematisiert, wirft die außerordentliche Revision dem Berufungsgericht offenbar vor, gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen zu haben.

Abgesehen davon, dass die Beklagte ihre Rechtsansicht zu der in Rede stehenden Vertragsklausel dargelegt und sich entsprechend festgelegt hat, und die Erörterung der Rechtsfrage nicht dazu dienen kann, dem von der Partei eingenommenen rechtlichen Standpunkt eine neue Richtung zu geben, kommt auch diesem Aspekt aufgrund des außergerichtlichen Vergleichs keine Bedeutung zu.

6. Dem von den Vorinstanzen als wirksam qualifizierten Vergleichsabschluss (vom 10. 10. 2010) hält die Beklagte in der Rechtsrüge entgegen, dass ihr Ehegatte keine Vollmacht für Geldangelegenheiten gehabt habe und sie in solchen Angelegenheiten nicht hätte verpflichten können.

Nach den Feststellungen war der Ehegatte der Beklagten von Anfang an ihr „Gesprächsführer“ gegenüber den Vertretern des Bauunternehmens, und zwar mit ihrem Wissen und Willen, zumal sie bereits die in ihrer Anwesenheit erfolgte Beauftragung durch ihren Ehegatten akzeptierte. Das Erstgericht hat aber zudem ausdrücklich festgestellt, dass der Ehegatte der Beklagten für diese auch verbindliche Vereinbarungen treffen durfte.

Davon ausgehend kann kein Zweifel bestehen, dass der Ehegatte der Beklagten Vollmacht hatte, für sie die Verhandlungen mit dem Bauunternehmen zu führen, Vereinbarungen abzuschließen und die Beklagte rechtsgeschäftlich zu verpflichten. Ebenso kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Handeln des Ehegatten der Beklagten in deren Namen gegenüber dem Bauunternehmen offengelegt wurde. Auf das Rechtsinstitut der Anscheinsvollmacht oder auf eine nachträgliche Genehmigung des Rechtsgeschäfts durch die Beklagte muss nicht mehr zurückgegriffen werden (vgl dazu 8 Ob 45/14x).

Mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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