OGH 4Ob97/15s

OGH4Ob97/15s16.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Ebert Huber Swoboda Oswald & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H***** S***** e.U., *****, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. April 2015, GZ 2 R 52/15b‑21, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00097.15S.0616.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung des Senats zur Prüfung der allfälligen Unionsrechswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols richtig wiedergegeben (4 Ob 200/14m ua; RIS-Justiz RS0129945). Danach ist die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht grundsätzlich als Rechtsfrage von Amts wegen zu prüfen. Können aber bei Regelungen, bei denen - wie hier - sowohl der Wortlaut und als auch die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers gegen die Annahme eines Unionsrechtsverstoßes sprechen, ausnahmsweise tatsächliche Umstände zu einem anderen Ergebnis führen, so hat sich diese Prüfung grundsätzlich an diesbezüglichen Parteienbehauptungen zu orientieren. Dabei trifft hier den Beklagten die Verpflichtung zur Behauptung entsprechender Tatsachen, weil es sich beim Einwand der Unionsrechtswidrigkeit um eine anspruchsvernichtende Einwendung handelt.

2. Einen tragfähigen Grund für ein Abgehen von der Auffassung, dass Wortlaut und erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers gegen die Annahme einer Unionsrechswidrigkeit des Glücksspielmonopols sprechen, zeigt die Revision nicht auf. Soweit sie auf die Regelung für das „kleine Glücksspiel“ Bezug nimmt (§ 5 GSpG), greift sie einzelne Punkte heraus, ohne die ihnen gegenüberstehenden spielerschützenden Regelungen zu berücksichtigen. § 25 Abs 3 GSpG enthält in seiner geltenden Fassung keine betragsmäßige Beschränkung der Haftung; auf frühere Fassungen ist bei der Kohärenzprüfung nicht abzustellen. § 56 Abs 1 GSpG (Ausschluss von lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen in Bezug auf die Werbung von Konzessionären und Bewilligungsinhabern) mag zwar unter Bedachtnahme auf Art 7 B-VG bedenklich sein; allein aus dieser Regelung kann aber noch nicht die mangelnde Kohärenz des Gesamtsystems abgeleitet werden. Dass sich im GSpG keine Jugendschutzbestimmungen fänden, trifft nicht zu (§ 5 Abs 4 lit a Z 1 und Abs 4 lit b Z 1 GSpG; § 25 Abs 1 GSpG).

3. Ein transnationales Element liegt nach den Feststellungen nicht vor. Wenn überhaupt, könnte sich der Beklagte daher nur darauf stützen, dass das Glücksspielmonopol wegen Inländerdiskriminierung verfassungswidrig sei; die behauptete Unionsrechswidrigkeit ist insofern nur Vorfrage (4 Ob 200/14m, 4 Ob 251/14m ua). Das vom Beklagten in diesem Zusammenhang angeregte Vorabentscheidungsersuchen ist nicht erforderlich: Zu den Voraussetzungen für die unionsrechtliche Zulässigkeit eines Gewinnspielmonopols und zu den Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor (2 Ob 243/12t; 4 Ob 251/14m; jeweils mwN); die Frage, ob sich die Ermittlung von für die Unionsrechtswidrigkeit maßgeblichen tatsächlichen Umständen im Zivilprozess (zunächst) an den Behauptungen der Parteien zu orientieren hat, ist jedenfalls dann dem nationalen Recht zuzuordnen, wenn ‑ wie hier ‑ im konkreten Fall von vornherein kein Unionsrechtsverstoß vorliegen kann.

4. Wie Feststellungen des Erstgerichts zu verstehen sind, begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSv § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0118891); eine aufgrund eines außerordentlichen Rechtsmittels aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt nicht vor. Gleiches gilt für die Frage, ob aufgrund konkreter Anhaltspunkte Zweifel an der Unionsrechtskonformität des Glücksspielmonopols bestehen, die zu einer amtswegigen Sachverhaltsermittlung führen müssten (4 Ob 200/14m, 4 Ob 251/14m).

5. Ein vom Berufungsgericht verneinter Mangel des Verfahrens erster Instanz („Überraschungsentscheidung“) kann im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963; RS0106371; RS0043172; Zechner in Fasching/Konecny ² § 528 Rz 44). Ein Recht auf Wiedereröffnung der Verhandlung besteht jedenfalls nicht (RIS-Justiz RS0036979). Soweit das Berufungsgericht aufgrund sekundärer Feststellungsmängel ergänzende (Negativ-)Feststellungen getroffen hat, ist seine Beweiswürdigung wegen der erschöpfenden Aufzählung der Revisionsgründe in § 503 ZPO nicht revisibel ( E. Kodek in Rechberger 4 § 503 Rz 1; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 503 Rz 6).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte