OGH 8Ob52/15b

OGH8Ob52/15b27.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr.

 Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** E*****, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei A***** R*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Jantscher, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung und Einverleibung einer Dienstbarkeit, Beseitigung und Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 20. November 2014, GZ 3 R 143/14t‑19, berichtigt durch den Beschluss vom 12. Februar 2015 (ON 21), mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 19. Mai 2014, GZ 256 C 168/13i‑13, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00052.15B.0527.000

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Zuerkennung der persönlichen Dienstbarkeit des Gehens zugunsten der Klägerin über das im Alleineigentum der beklagten Partei stehende Grundstück ***** in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen, somit auch im Kostenpunkt, aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Klägerin ist Alleineigentümerin des Grundstücks ***** mit der Grundstücksadresse *****. Die Beklagte ist Alleineigentümerin (unter anderem) des Grundstücks *****. Bei den Streitteilen handelt es sich um Schwestern. Über den Hof der Beklagten auf dem Grundstück ***** verläuft ein Weg („Hofdurchfahrt“), der zu einer Brücke über den D*****bach führt; von dort aus gelangt man nach H*****.

Im November 1979 zog die Klägerin aus dem Elternhaus aus. Bereits vor 1980 hat sie das Baugrundstück in der ***** erworben; seit 1991 wohnt sie dort. Auch nach ihrem Auszug aus dem Elternhaus benützte die Klägerin die in Rede stehende Hofdurchfahrt regelmäßig, um den D*****bach zu überqueren, und zwar auch mit dem Rad. Sie benützte den Weg über den Hof der Beklagten zudem, wenn sie zu ihrem Baugrundstück wollte. Ca 14‑tägig fuhr sie mit dem PKW durch. Die Klägerin nutzte solche Anlässe auch meistens dazu, um nach ihrer Mutter zu sehen. Im November 2012 errichtete die Beklagte am südlichen Ende der Hofdurchfahrt ein versperrbares Tor. Der Schlüssel bzw der Code zum Öffnen dieses Tores wurde nicht an die Klägerin herausgegeben.

Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass ihr als Alleineigentümerin des Grundstücks ***** und ihren Rechtsnachfolgern im Eigentum dieses Grundstücks an dem im Alleineigentum der Beklagten stehenden Grundstück ***** die Dienstbarkeit des Fahrens und Gehens zustehe. Zudem begehrte sie, die Beklagte schuldig zu erkennen, in der Einverleibung der genannten Dienstbarkeit einzuwilligen. Weiters erhob die Klägerin ein Beseitigungs- und Unterlassungsbegehren. Sie habe auch nach ihrem Auszug aus dem Elternhaus die in Rede stehende Hofdurchfahrt über das Grundstück ***** der Beklagten benützt, um den D*****bach zu überqueren und nach H***** zu gelangen. Aufgrund einer mehr als 30‑jährigen redlichen Nutzung habe sie die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens ersessen.

Die Beklagte entgegnete, dass die Klägerin die Hofdurchfahrt nur begangen und befahren habe, wenn sie auf der Liegenschaft der Beklagten zu Besuch gewesen sei. Ihr sei daher nur im Einzelfall und als Ausnahme das Privileg der Benützung der Hofdurchfahrt eingeräumt worden. Zumindest seit 1991 habe die Klägerin die Hofdurchfahrt jeweils nur nach Einholung einer ausdrücklichen Zustimmung der Beklagten benützt. Die Ersitzungsvoraussetzungen für die beanspruchte Grunddienstbarkeit seien nicht gegeben.

Das Erstgericht erkannte der Klägerin die persönliche Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens auf dem Grundstück ***** der Beklagten zu; insoweit wurde auch den Folgebegehren stattgegeben. Die Klägerin habe über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren die in Rede stehende Hofdurchfahrt im Wesentlichen gleichbleibend zum Gehen und Fahren benützt, um auf die andere Seite des D*****bachs zu gelangen. Diese Benützung sei jedoch nur als Familienmitglied erfolgt, weshalb die Klägerin die unregelmäßige (persönliche) Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens am Grundstück ***** der Beklagten ersessen habe. Ausgehend vom Grundsatz der möglichst schonenden Ausübung der Dienstbarkeit sei das Beseitigungsbegehren insoweit einzuschränken, als es genüge, dass der Klägerin ein Schlüssel oder der Zugangscode für das versperrte Tor ausgehändigt werde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht, jener der Beklagten hingegen Folge und wies das auf Zuerkennung der Grunddienstbarkeit des Gehens und Fahrens über das Grundstück ***** der Beklagten gerichtete Klagebegehren (samt den Folgebegehren) ab. Gleichzeitig wiederholte es den von der Beklagten unbekämpft gebliebenen Zuspruch des Erstgerichts, wonach der Klägerin die persönliche Dienstbarkeit des Gehens über das Grundstück ***** zusteht. Die Benützung der Hofdurchfahrt habe der Klägerin nur einen persönlichen Vorteil verschafft, weil die Inanspruchnahme des Wegerechts von der Beklagten und deren Rechtsvorgängern nur aufgrund der Stellung der Klägerin als Familienmitglied geduldet worden sei. Zumindest vor 1991 sei ein Besitzwille der Klägerin auch zur vorteilhafteren Benützung ihres Baugrundstücks objektiv nicht erkennbar gewesen. Eine Grunddienstbarkeit stehe der Klägerin daher nicht zu. Im erstinstanzlichen Verfahren habe die Klägerin ihr Klagebegehren nicht auf den Erwerb einer persönlichen Dienstbarkeit, sondern ausschließlich auf die Ersitzung einer Grunddienstbarkeit gestützt. Insoweit liege nicht nur ein Minus, sondern ein Aliud vor. Der Ausspruch des Erstgerichts zur persönlichen Dienstbarkeit des Gehens sei von der Beklagten nicht bekämpft worden. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliege.

Über Antrag der Klägerin nach § 508 ZPO sprach das Berufungsgericht nachträglich aus, dass die ordentliche Revision zur Anleitungspflicht hinsichtlich eines Eventualbegehrens doch zulässig sei. Im Übrigen könne nicht ausgeschlossen werden, dass dem Berufungsgericht eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlaufen sei.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des gesamten Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf und ein relevanter sekundärer Feststellungsmangel vorliegt. Dementsprechend ist die Revision der Klägerin auch (teilweise) berechtigt.

1. Das Erstgericht hat die Erfüllung der Voraussetzungen für eine Ersitzung der persönlichen Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens durch die Klägerin bejaht. Die Beklagte hat nur die Feststellung der persönlichen Dienstbarkeit des Fahrens (nicht auch des Gehens) bekämpft. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Feststellung einer persönlichen Dienstbarkeit vom Klagebegehren nicht umfasst sei.

2.1 Richtig ist, dass die Zuerkennung einer persönlichen Dienstbarkeit im Verhältnis zu einer begehrten Grunddienstbarkeit ein Aliud darstellen würde (RIS‑Justiz RS0011604 [T2]; RS0041058).

In der Rechtsprechung ist im gegebenen Zusammenhang nun anerkannt, dass bei konfessorischen Feststellungsbegehren und Unterlassungsbegehren in Bezug auf Dienstbarkeiten einen Teilzuspruch (Minderzuspruch bzw Minus) ohne weiteres zulässig ist (8 Ob 13/14s; 10 Ob 5/14d). Wird aber nicht nur ein Minus, sondern ein Aliud zugesprochen, so stellt dies einen Verstoß gegen die Bestimmung des § 405 ZPO dar (10 Ob 5/14d; vgl auch 4 Ob 140/14p). Ein solcher Verstoß begründet allerdings (nur) einen Verfahrensmangel (RIS‑Justiz RS0041089). Da die Beklagte diesen Umstand in ihrer Berufung nicht gerügt hat, hätte das Berufungsgericht nur den von der Beklagten in der Berufung geltend gemachten sekundären Feststellungsmangel aufgreifen und aus Anlass der Aufhebung der Entscheidung des Erstgerichts diesem auftragen dürfen, das Klagebegehren mit der Klägerin zu erörtern.

2.2 Von diesen Erwägungen abgesehen, kann ‑ entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ‑ auch nicht gesagt werden, die Klägerin hätte nur eine Grunddienstbarkeit geltend gemacht.

Die Grenzen der Entscheidungsbefugnis werden durch den Verfahrensgegenstand, also nicht nur durch den Inhalt des Sachantrags, sondern auch durch das begründende Tatsachenvorbringen abgesteckt (RIS‑Justiz RS0124048). In diesem Sinn ist das Gericht nicht nur an die Sachanträge des Klägers, sondern auch an den geltend gemachten Anspruch gebunden (RIS‑Justiz RS0124048; RS0037610).

Die Klägerin hat schon in der Klage vorgebracht, dass sie seit jeher, auch schon in der Zeit, als sie den elterlichen Hof bewohnt habe, und auch nach dem Auszug aus dem Elternhaus im Jahr 1981, die in Rede stehende Hofdurchfahrt benützt habe, um den D*****bach zu überqueren. Damit hat sie sich, zumindest subsidiär, auch auf eine persönliche Dienstbarkeit berufen.

Hat der Kläger im Rahmen des von ihm erhobenen Anspruchs ein verfehltes Klagebegehren gestellt und kann dieser Mangel nicht durch eine amtswegige Modifikation des Begehrens behoben werden (vgl dazu RIS‑Justiz RS0039357; RS0041254), so ist er darüber zu belehren (RIS‑Justiz RS0108818; RS0037119; RS0037127).

Nach diesen Grundsätzen wäre auch die Mängelrüge der Klägerin in ihrer Berufung, wonach das Klagebegehren in Bezug auf eine unregelmäßige (persönliche) Dienstbarkeit hätte erörtert werden müssen, berechtigt gewesen.

3.1 Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat die Klägerin schon vor 1991 den Weg über den Hof der Beklagten auch benützt, wenn sie (immer wieder) auf ihren Baugrund in der ***** wollte.

An sich kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine derartige Besitzausübung durch die Klägerin auf dem dienenden Grundstück im Interesse der vorteilhafteren Benützung ihres (dann herrschenden) Baugrundstücks erfolgt ist (vgl RIS‑Justiz RS0011597; RS0034213). Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich bei einer Grunddienstbarkeit das Erfordernis der Nützlichkeit und Bequemlichkeit immer auf das Grundstück selbst und nicht auf persönliche Vorteile seines Eigentümers beziehen muss, widrigenfalls die Dienstbarkeit nur eine persönliche ist (RIS‑Justiz RS0011593; 2 Ob 124/09p; 2 Ob 115/12v).

3.2 Das Berufungsgericht hat im gegebenen Zusammenhang beurteilt, dass die Inanspruchnahme der in Rede stehenden Hofdurchfahrt durch die Klägerin von der Beklagten und deren Rechtsvorgängern nur aufgrund der Stellung als Familienmitglied geduldet worden sei. Ein darüber hinausgehender Besitzwille sei (zumindest vor 1991) objektiv nicht erkennbar gewesen.

Zur erfolgreichen Geltendmachung einer Grunddienstbarkeit hätte die Klägerin dieser Beurteilung jedenfalls inhaltlich entgegentreten und darlegen müssen, warum in der konkreten Situation auch vor 1991 im Sinn des Utilitätserfordernisses von einer vorteilhafteren Benützung ihres (Bau‑)Grundstücks auszugehen sei. Demgegenüber greift die Klägerin in ihrer Revision die dargelegte Beurteilung des Berufungsgerichts nur allgemein an, indem sie ohne weitere Begründung ausführt, die Benützung des Hofes der Beklagten, um zu ihrem Baugrund zu gelangen, sei liegenschaftsbezogen gewesen.

Das bloße Aufsuchen eines Baugrundstücks stellt im Allgemeinen noch keine Maßnahme dar, deren erleichterte Vornahme (durch die Inanspruchnahme der Hofdurchfahrt) der vorteilhafteren (nützlichen oder bequemen) Benützung des Grundstücks der Klägerin gedient hat. Auf die Ersitzung einer Grunddienstbarkeit kann sich die Klägerin daher ‑ auch im fortgesetzten Verfahren ‑ nicht mehr berufen.

4.1 Insgesamt ist das Berufungsgericht in mehrfacher Hinsicht von unzutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen, weshalb seine Entscheidung einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht standhält. Aufgrund relevanter sekundärer Feststellungsmängel zur Frage, seit wann die Klägerin die Hofdurchfahrt auch zum Fahren mit dem Rad und/oder einem PKW benützt hat, müssen die Entscheidungen der Vorinstanzen in (teilweiser) Stattgebung der Revision der Klägerin aufgehoben werden. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat die Klägerin die Hofdurchfahrt mit dem Rad benützt. Zudem fuhr sie ca 14‑tägig ‑ zumindest seit sie einen Führerschein besitzt - auch mit dem PKW über den Weg auf dem Grundstück der Beklagten. Hinsichtlich der (persönlichen) Dienstbarkeit des Fahrens ist entscheidend, in welchen Zeiträumen und in welchen Zeitabständen mit welchen ein- und/oder mehrspurigen Fahrzeugen und/oder Kraftfahrzeugen die Klägerin die in Rede stehende Hofdurchfahrt über das Grundstück ***** auch zum Fahren benützt hat. Unter der Voraussetzung, dass die Klägerin die in Rede stehende Hofdurchfahrt über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren regelmäßig bzw wiederkehrend auch zum Fahren benützt hat, wäre dem Klagebegehren auch im Umfang der persönlichen Servitut des Fahrens stattzugeben.

4.2 Nach seiner Formulierung bezieht sich das Klagebegehren nur auf eine Grunddienstbarkeit. Da die Klägerin (mit ihrem Vorbringen) auch eine persönliche Dienstbarkeit geltend gemacht hat und das Klagebegehren mit ihr erörtert werden muss, kann über das Klagebegehren noch nicht endgültig entschieden und das auf eine Grunddienstbarkeit gerichtete Klagebegehren auch noch nicht abgewiesen werden.

5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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