OGH 8ObA9/15d

OGH8ObA9/15d28.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Mag. Matthias Schachner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** B*****, vertreten durch Dr. Clemens Pichler, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 70.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 2014, GZ 7 Ra 51/14w‑50, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 14. April 2014, GZ 43 Cga 206/12d‑41, bestätigt wurde (Revisionsinteresse 42.700 EUR sA), in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der Kläger führte neun Jahre lang als Pächter eine A*****-Tankstelle der Beklagten in F*****. In den letzten Jahren wurde die Tankstelle als Selbstbedienungstankstelle betrieben, und zwar auf einem Grundstück, das die Beklagte gepachtet hatte. Rund 290 m von dieser Tankstelle entfernt befindet sich eine O*****‑Tankstelle der Beklagten. Den Kläger traf aufgrund des Tankstellenpachtvertrags eine Betriebspflicht. Der Verkauf der Treibstoffe erfolgte im Agenturverhältnis im Namen und auf Rechnung der Beklagten. Den angeschlossenen Shop‑, Gastro- und Waschbereich betrieb der Kläger im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Schmierstoffe, Mineralölprodukte, Bremsflüssigkeit und Autopflegemittel musste der Kläger von der Beklagten beziehen. Die Verkaufspreise dafür setzte die Beklagte fest. 90 bis 95 % der übrigen Shop‑Waren musste der Kläger aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Beklagten von der Firma L***** beziehen. Auch in dieser Hinsicht war er an eine Preisliste der Beklagten gebunden. Aktionswaren wurden dem Kläger ohne gesonderte Bestellung automatisch geliefert. Auch für das Waschgeschäft traf den Kläger eine Betriebspflicht. Die Preise wurden ebenfalls von der Beklagten festgesetzt; sie gab auch die zu verwendende Waschchemie vor. Der Kläger hatte eine umsatzabhängige Pacht an die Beklagte zu zahlen.

Mit Schreiben vom 23. 12. 2011 kündigte die Beklagte den Tankstellenpachtvertrag mit dem Kläger zum 30. 9. 2012 auf; die vom Kläger betriebene Tankstelle wurde geschlossen. Gründe für die Schließung waren strategische Überlegungen der Beklagten; notwendige Investitionen wurden nicht mehr als rentabel erachtet. Der Kläger bewarb die nahegelegene O*****‑Tankstelle der Beklagten und empfahl seinen Stammkunden, in Zukunft zu dieser Tankstelle zu wechseln. Er hatte bei Vertragsende einen 60%igen umsatzbezogenen Stammkundenanteil. Davon führte er durch seine Tätigkeit 70 % der Beklagten neu zu. Umsatzbezogen wechselten 36 % der zuletzt vorhandenen Stammkunden des Klägers im Treibstoff-Bereich, 11 % im Shop-Bereich und 15 % im Car‑Wash-Bereich zur nahegelegenen O*****‑Tankstelle der Beklagten. In diesem Umfang erzielt die Beklagte weiterhin erhebliche Vorteile aus den vom Kläger aufgebauten Geschäftsbeziehungen.

Der Kläger begehrte 70.000 EUR sA als Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG. Er habe der Beklagten neue Kunden zugeführt und bestehende Geschäftsverbindungen erweitert. Die Einstellung des Tankstellenbetriebs durch die Beklagte sei missbräuchlich und willkürlich erfolgt. Für den Ausgleichsanspruch sei die potentielle Nutzungsmöglichkeit der aufgebauten Geschäftsverbindungen maßgebend. Sein Stammkundenanteil sei mit 80 % anzusetzen.

Die Beklagte entgegnete, dass sie die vom Beklagten betriebene Tankstelle eingestellt und vom Netz genommen habe. Aus dem Vertragsverhältnis zum Kläger beziehe sie daher keine Vorteile mehr. Die Stammkunden habe der Kläger wegen der Lage der Tankstelle und der Sogwirkung der Marke gewonnen.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 27.300 EUR sA zu; das Mehrbegehren von 42.700 EUR sA wies es ab. Nicht nur im Treibstoff-Bereich, sondern auch im Shop- und Car‑Wash-Bereich sei der Kläger ähnlich einem Handelsvertreter in die Absatzorganisation der Beklagten eingegliedert gewesen. Aufgrund des Umstands, dass Stammkunden des Klägers zur nahegelegenen Tankstelle der Beklagten gewechselt seien, könne die Beklagte nach wie vor erhebliche Vorteile aus dem Vertragsverhältnis zum Kläger ziehen. Die Höhe des dem Kläger gebührenden Ausgleichsanspruchs richte sich nach dem Rohausgleich, sofern dieser den Höchstbetrag (eine Jahresvergütung) nicht übersteige. Für die Höhe des Rohausgleichs sei beim Tankstellenpächter ein vierjähriger Prognosezeitraum anzusetzen. Dabei sei eine degressive Abwanderungsquote zu berücksichtigen; zudem sei bei der Ermittlung des Rohausgleichs eine jährliche Abzinsung vorzunehmen. Da die Sogwirkung der Marke im konkreten Fall eine untergeordnete Rolle spiele, sei ein Billigkeitsabschlag von maximal 5 % gerechtfertigt. Die Lage der Tankstelle rechtfertige keinen Billigkeitsabschlag. Für die verwaltende Tätigkeit werde bei Ermittlung des Rohausgleichs schließlich in sämtlichen Bereichen ein 10%iger Anteil abgezogen. Ausgehend von diesen Parametern errechne sich der Rohausgleich für den Treibstoff-Bereich mit 15.740 EUR, jener für den Shop- und den Car‑Wash‑Bereich mit 7.000 EUR; insgesamt ergebe sich ein Betrag von 22.750 EUR netto.

Das Berufungsgericht bestätigte in der Hauptsache diese Entscheidung. Dem Argument des Klägers, dass bei Ermittlung des Ausgleichsanspruchs nur auf die potentielle Möglichkeit der der Beklagten verbleibenden Vorteile bei gehörigem Weiterbetrieb der Tankstelle abzustellen sei, komme keine Berechtigung zu. Das Erstgericht habe bei Ermittlung des Ausgleichsanspruchs zutreffend auf jene Vorteile Bedacht genommen, die die Beklagte dadurch lukriere, dass ein Teil der Stammkunden des Klägers zur nahegelegenen O*****‑Tankstelle der Beklagten gewechselt sei. Es handle sich dabei um die einzige Möglichkeit der Beklagten, Vorteile aus den vom Kläger zugeführten Stammkunden zu ziehen. Überhaupt sei die Billigkeitsentscheidung des Erstgerichts nicht zu beanstanden. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Ermittlung des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls abhänge.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung in der Weise abzuändern, dass ihm der weitere Betrag von 42.700 EUR sA zugesprochen werde.

Mit ihrer ‑ durch den Obersten Gerichtshof freigestellten ‑ Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil das Berufungsgericht die Tatfrage nicht abschließend geklärt hat. Die Revision ist dementsprechend im Sinn des subsidiären Aufhebungsantrags berechtigt.

1.1 Das Erstgericht hat zur Frage, ob und in welcher Höhe die Beklagte am (Netto‑Einkaufs‑)Umsatz des Klägers aus den bei der Firma L***** bezogenen Waren im Shop-Bereich beteiligt war, eine Negativfeststellung getroffen.

1.2 Der Kläger bestreitet nicht, dass nach den allgemeinen Beweislastregeln jede Partei die Beweislast für das Vorliegen aller tatsächlichen Voraussetzungen der für sie günstigen Rechtsnorm zu tragen hat (RIS‑Justiz RS0037797). Dementsprechend trägt der Handelsvertreter (bzw der handelsvertretergleiche Vertragshändler) die Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen, nämlich die Zuführung neuer Kunden und die getätigten Geschäftsabschlüsse. Den Unternehmer trifft die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die ihm durch den Handelsvertreter geschaffenen Verdienstchancen im Einzelfall über die Beendigung des Vertragsverhältnisses hinaus keinen Bestand haben (3 Ob 222/12m; 9 Ob 21/13y). Der Kläger steht allerdings auf dem Standpunkt, dass es hinsichtlich der von ihm behaupteten Bonuszahlungen der Systemlieferanten (hier L*****) nach dem Grundsatz der Nähe zum Beweis zu einer Beweislastumkehr komme, weil sich diese Unternehmensvorteile ausschließlich in der Sphäre der Beklagten realisieren würden.

1.3 Allein durch die Nähe zum Beweis oder durch ‑ wenn auch erhebliche ‑ Beweisschwierigkeiten ist eine Verschiebung der Beweislast nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht gerechtfertigt. Der Anscheinsbeweis wird in diesem Zusammenhang unter Umständen nur in jenen Fällen als sachgerecht angesehen, in denen konkrete Beweise (zu konkret behaupteten Umständen) vom Beweispflichtigen billigerweise nicht erwartet werden können und gleichsam ein allgemeiner, für jedermann in vergleichbarer Weise bestehender Beweisnotstand gegeben ist (2 Ob 67/12k; 8 Ob 53/14y). In der Regel ist dies der Fall, wenn es sich um Umstände handelt, die allein in der Sphäre des Gegners liegen und daher nur ihm bekannt und auch nur durch ihn beweisbar sind (RIS‑Justiz RS0040182; RS0123919). Zum Beweisnotstand des Beweispflichtigen muss allerdings hinzukommen, dass nur dem Gegner die genauen Kenntnisse der Tatumstände bzw die Beweise zur Verfügung stehen und es ihm nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben (2 Ob 262/07d; 10 Ob 21/08y). Es darf somit nicht so weit kommen, dass der Beweisnotstand einer Partei vom Gegner in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Art und Weise ausgenützt wird (1 Ob 88/05f). Außerdem muss die nach den allgemeinen Grundsätzen beweispflichtige Partei ihrer eigenen Behauptungs- und Beweispflicht im zumutbaren Maß nachgekommen sein (10 Ob 21/08y; 4 Ob 169/13a).

1.4 Im Anlassfall sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Aufgrund der möglichen Beweismittel (etwa die Vernehmung eines informierten Vertreters des Systemlieferanten) ist ein Beweisnotstand des Klägers nicht anzunehmen. Außerdem hat sich der Kläger im gegebenen Zusammenhang auf die konkrete Provisionsvereinbarung (Rahmenverträge) zwischen der Beklagten und der Firma L***** berufen und behauptet, dass derartige Provisionsvereinbarungen über Bonuszahlungen in Höhe von 10 % der Shop‑Umsätze branchenüblich seien.

Der Kläger stützt sich demnach auf das Vorhandensein eines konkreten Beweismittels. Zu klären bleibt damit, ob dieses Beweismittel im Prozess verfügbar gemacht werden kann. Ein allgemeiner Beweisnotstand liegt allerdings nicht vor.

2.1 Die Zivilprozessordnung kennt gewisse prozessuale Mitwirkungspflichten der Parteien. Dazu gehört vor allem auch die von der Beweislastsituation unabhängige Verpflichtung, dem Gericht in den Händen der jeweiligen Partei befindliche und für die Beweisführung des Verfahrensgegners erhebliche Urkunden vorzulegen (§§ 303 ff ZPO).

Nach § 303 Abs 1 ZPO kann das Gericht dem Gegner über Antrag die Vorlage einer bestimmten Urkunde auftragen, wenn die andere Partei behauptet, dass sich eine für ihre Beweisführung erhebliche Urkunde in dessen Händen befindet. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung setzt voraus, dass sich der Beweisführer auf den konkreten Inhalt und damit auch auf die Existenz einer bestimmten Urkunde beruft. Die in der in Rede stehenden Bestimmung statuierte Mitwirkungspflicht des Gegners zielt auf die Ermöglichung der Beweisführung ab. Sie greift daher erst dann ein, wenn der Beweisbelastete schlüssige Behauptungen aufgestellt hat, die durch den Inhalt der Urkunde bewiesen werden sollen. Das Editionsverfahren ist jedoch nicht dazu geschaffen, um dem Beweisführer einen Erkundungsbeweis zu ermöglichen.

Aus diesen Grundsätzen folgt, dass sich die formelle Vorlagepflicht nach § 303 Abs 1 ZPO nur auf eine bestimmte, nach der Behauptung des Beweisführers existente Urkunde bezieht, aus der er konkrete, für seine Beweisführung erhebliche und beweisbedürftige Tatsachen ableitet.

Nach § 307 Abs 2 ZPO unterliegt eine ungerechtfertigte Vorlageverweigerung der freien Beweiswürdigung des Gerichts in Bezug auf die Frage, ob die Angaben des Beweisführers über den Urkundeninhalt als erwiesen anzusehen sind (siehe dazu 2 Ob 2382/96z; Rechberger in Rechberger 4 § 307 ZPO Rz 2; Kodek in Fasching/Konecny 2 § 303 Rz 21 ff und § 307 Rz 16).

2.2 Das Erstgericht hat, was die Beklagte auch gar nicht bestreitet (siehe Berufungsbeantwortung ON 48, S 5), einen Vorlagebeschluss im Editionsverfahren gefällt und der Beklagten aufgetragen, die Provisionsvereinbarung (bzw die Rahmenverträge) mit dem Systemlieferanten L*****, aus der sich allfällige Bonuszahlungen zugunsten der Beklagten aus den (Netto‑Einkauf‑)Umsätzen des Klägers ergeben, vorzulegen.

Bei einem solchen Vorlagebeschluss handelt es sich um eine prozessleitende Verfügung, die gemäß § 319 Abs 2 ZPO nicht abgesondert angefochten werden kann (Kodek in Fasching/Konecny 2 § 303 ZPO Rz 28). Die Überprüfung des Vorlagebeschlusses kann daher entweder zusammen mit der nächstfolgenden anfechtbaren Entscheidung (§ 515 ZPO) oder zusammen mit der prozessbeendenden Entscheidung verlangt werden (RIS‑Justiz RS0041614; 4 Ob 156/06d). Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der mündlichen Verhandlung gefasste Beschlüsse, die nicht gesondert anfechtbar sind, nach § 426 ZPO, § 79 Abs 4 GOG nur mündlich zu verkünden sind. Sie werden mit der Verkündung wirksam. Auch wenn § 79 Abs 4 GOG für solche (nicht amtswegig zuzustellende Beschlüsse) den Parteien ein Antragsrecht auf Ausfertigung einräumt, berührt dies die bereits eingetretene rechtliche Wirksamkeit nicht (1 Ob 153/99b; Bydlinski in Fasching/Konecny 2 § 426 ZPO Rz 4 und 6).

2.3 Für den Anlassfall ergibt sich, dass die Beklagte den Vorlagebeschluss nach § 303 ZPO (Protokoll ON 36, S 12) nicht, auch nicht mit einer Mängelrüge im Rahmen ihrer Berufung gegen das Urteil erster Instanz, bekämpft hat. Der Vorlagebeschluss ist daher in Rechtskraft erwachsen. Daraus folgt, dass Überlegungen dazu, ob die Voraussetzungen für den Vorlageauftrag gegeben waren, und ob sich die Beklagte allenfalls auf Geschäftsgeheimnisse berufen könnte, nicht mehr anzustellen sind.

Die Beklagte ist dem (rechtskräftigen) Vorlageauftrag nicht nachgekommen. Das Erstgericht hat diesen Umstand in seinem Urteil nicht berücksichtigt, sondern ohne Bedachtnahme auf den Vorlagebeschluss eine Negativfeststellung zu den vom Kläger behaupteten Bonuszahlungen des Systemlieferanten L***** getroffen. Das Berufungsgericht beanstandete diese Negativfeststellung nicht und führte aus, dass der Kläger seiner Beweispflicht nicht nachgekommen sei, weshalb das Erstgericht den Ausgleichsanspruch zutreffend ohne Berücksichtigung der behaupteten Umsatzbeteiligung der Beklagten berechnet habe. Der Kläger verkenne, dass die Beklagte nicht einen gerichtlichen Auftrag, die Provisionsvereinbarung mit L***** vorzulegen, missachtet habe. Ein solcher Auftrag sei vom Erstgericht nicht erteilt, sondern in der Tagsatzung vom 25. 3. 2014 nur mit dem Vertreter der Beklagten erörtert worden.

Die prozessualen Aufklärungsobliegenheiten, wie auch ein Vorlageauftrag nach § 303 ZPO, dient der Sachverhaltsaufklärung. Die Verletzung dieser Pflicht wirkt sich daher auf die Sachverhaltsfeststellung aus. Dementsprechend hätte das Berufungsgericht in Behandlung der Tatsachenrüge, also im Rahmen seiner Beweiswürdigung, die Rechtsfolgen der Missachtung des Vorlagebeschlusses nach § 303 ZPO durch die Beklagte beurteilen müssen. Seine Ausführungen, wonach der Beklagten eine Vorlage der Provisionsvereinbarung mit der Firma L***** gar nicht aufgetragen worden sei, erweisen sich als aktenwidrig. Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann daher keinen Bestand haben.

3.1 Materiell‑rechtlich vertritt der Kläger in der Revision die Ansicht, dass für die Ermittlung des Ausgleichsanspruchs die potentiell erzielbaren Unternehmervorteile zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung relevant seien. Es komme auf die potentielle Nutzbarkeit des neu zugeführten Stammkundenstocks und nicht auf den tatsächlich eingetretenen Nutzen an. Daraus leitet der Kläger ab, dass der Ausgleichsanspruch unter der Annahme zu berechnen sei, dass die A*****-Tankstelle von der Beklagten weiterbetrieben werde, bzw dass sämtliche neu geworbenen Stammkunden für die in unmittelbarer Nähe befindliche O*****‑Tankstelle der Beklagten nutzbar gewesen seien, sodass keine Abwanderungsquote zu berücksichtigen sei. Der Kläger beruft sich in dieser Hinsicht auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 9 Ob 21/13y.

3.2 Mit der Formulierung, „es komme nicht nur auf tatsächlich erzielte, sondern auch auf potentiell erzielbare Vorteile des Geschäftsherrn oder seines Rechtsnachfolgers aus den vom Handelsvertreter akquirierten oder erweiterten Geschäftsverbindungen an“, soll nach der Judikatur ausgedrückt werden, dass für die Annahme eines Unternehmervorteils aus dem Stammkundenstock des Handelsvertreters nicht eine Veräußerung des Kundenstocks erforderlich ist, sondern etwa auch bei Veräußerung eines Unternehmens oder Unternehmensteils (auch im Konkurs) ein Unternehmervorteil denkbar ist (8 ObS 183/99s). Der Hinweis auf die maßgebende „Möglichkeit“, die vom Handelsvertreter neu aufgebauten Geschäftsverbindungen nutzen zu können (arg: „Vorteile ziehen kann“), bedeutet, dass es nicht darauf ankommt, dass der Unternehmer diese Geschäftsverbindungen auch wirklich nutzbringend verwertet (RIS‑Justiz RS0122237; 6 Ob 83/03k; 9 Ob 32/11p).

Auch die in der außerordentlichen Revision zitierte Entscheidung 9 Ob 21/13y besagt nichts anderes, sondern verweist bei Wiedergabe der Rechtssätze auf RIS‑Justiz RS0112456 und führt dazu ebenso aus, dass nur die bloße Möglichkeit relevant sei, die vom Handelsvertreter neu aufgebauten Geschäftsverbindungen nutzen zu können, nicht jedoch, dass der Unternehmer diese auch wirklich nutzbringend verwendet (richtig: verwertet). Der Ausgleichsanspruch solle das Vertragsverhältnis überdauernde Vorteile abgelten, die dem Unternehmer aus der vom Handelsvertreter zugeführten Kundschaft bleiben (RIS‑Justiz RS0109283).

3.3 Diese Grundsätze bedeuten, dass prinzipiell (unbeschadet der nachträglichen Berücksichtigung allfälliger Abschläge) jene Stammkunden des Handelsvertreters zu berücksichtigen sind, die bereit sind, beim veräußerten Nachfolgeunternehmen zu bleiben oder zu einem gleichartigen anderen Unternehmen des Unternehmers zu wechseln, und es für den Ausgleichsanspruch daher nicht schädlich ist, wenn der Unternehmer auf diese (potentiellen) Kunden freiwillig verzichtet, indem er deren Übernahme ablehnt oder sie durch eine nunmehr geänderte Preispolitik abschreckt.

Derartige Umstände spielen im Anlassfall keine Rolle.

4.1 Aus der Entscheidung 9 Ob 21/13y ergibt sich für den Anlassfall weiters, dass es dem Unternehmer unbenommen bleibt, seine Geschäftstätigkeit strategischen Änderungen zu unterziehen.

Diese Aussage bezieht sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht nur auf den (Beispiels-)Fall, dass der Unternehmer bereits einige Monate vor Beendigung des Handelsvertretervertrags seine Geschäftstätigkeit vollständig eingestellt hat. In der zitierten Entscheidung wurde vielmehr klargestellt, dass dem Handelsvertreter dann kein Ausgleichsanspruch gebührt, wenn der den Betrieb veräußernde Unternehmer tatsächlich keinen Vorteil aus dem geschaffenen Kundenstamm bei Veräußerung des Unternehmens ziehen kann, weil etwa der Erwerber auf diesen Kundenstamm keinen Wert legt und dieser daher auch nicht in die Bemessung des Kaufpreises einfließt, weil der Erwerber nur an den Betriebsmitteln interessiert ist. Relevant sei, dass die Beklagte den Tankstellenbetrieb nicht willkürlich, sondern aus wirtschaftlichen (strategischen) Gründen ohne Abgeltung des Kundenstocks veräußert habe.

Die Überlegungen sind gleichermaßen für den Fall der Schließung des Tankstellenbetriebs maßgebend.

4.2 Im Anlassfall hat die Beklagte den Tankstellenbetrieb keineswegs willkürlich eingestellt. Vielmehr hat das Erstgericht ausdrücklich die dafür maßgebenden strategischen Überlegungen festgestellt. Danach entschloss sich die Beklagte, jene Tankstellenstandorte zu schließen, bei denen sie notwendige Investitionen nicht mehr als rentabel erachtete. Im Anlassfall bestand zudem die Besonderheit, dass die Beklagte die Standortliegenschaft selbst nur befristet gepachtet hatte.

4.3 Für die Forderung des Klägers, der Ausgleichsanspruch sei so zu berechnen, als ob die Beklagte die A*****-Tankstelle weiterbetreiben würde, bieten Gesetz und Rechtsprechung somit keine Grundlage.

5.1 Die Entscheidung 9 Ob 21/13y nimmt schließlich noch zum Umstand Stellung, dass vom bisherigen Tankstellenpächter geworbene Stammkunden zu einer nahegelegenen anderen Tankstelle der Beklagten wechseln. Dazu führt die Entscheidung aus: „Notorisch ist zwar, dass bei Schließung einer Tankstelle Kunden notgedrungen auf andere Tankstellen ausweichen. Für die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Entscheidung der Kunden, zu welcher Tankstelle sie wechseln, würde in aller Regel von der Sogwirkung der Marke, dem Preis-Leistungs-Verhältnis, der Lage der Tankstelle, wie diese betrieben werde und ausgestattet sei, sowie allenfalls über die im Tankstellenshop angebotenen Produkte, nicht aber davon abhängen, wie die Kunden an der ehemaligen Tankstelle betreut worden seien, fehlt es am erforderlichen Tatsachensubstrat. [...] Über die weiterhin zu erwartenden erheblichen Unternehmervorteile iSd § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG 1993 ist daher ‑ grundsätzlich zum Zeitpunkt des Endes des Handelsver-treterverhältnisses ‑ eine Prognose über die voraussichtliche weitere Entwicklung der Geschäftsbeziehungen mit den zugeführten Kunden bzw intensivierten Altkunden anzustellen. Der Einwand der Beklagten, ein Wechsel von Stammkunden der veräußerten und geschlossenen Tankstelle zu anderen in ihrem Eigentum stehenden umliegenden Tankstellen komme lediglich bei markentreuen Kunden und Tankkartenkunden in Frage, ist nicht von vornherein geeignet, den Vorteil der Beklagten, den sie aus dem vom Kläger geworbenen Kundenstamm auch nach Beendigung des Handelsvertretervertrags noch erzielen kann, zu beseitigen. Die Sogwirkung der Marke rechtfertigt allenfalls aus Billigkeitsgesichtspunkten eine Minderung des Ausgleichsanspruchs. Ähnliche Überlegungen gelten für Tankkartenkunden.“

5.2 Aus diesen Grundsätzen lässt sich auch der zweite Standpunkt des Klägers, wonach die Berücksichtigung einer Abwanderungsquote nicht in Betracht komme, nicht ableiten. Vielmehr ist maßgeblich, inwieweit Stammkunden zur nahegelegenen anderen Tankstelle der Beklagten gewechselt sind und dies nicht auf die Sogwirkung der Marke oder auf andere reine Unternehmensfaktoren zurückzuführen ist.

6. Insgesamt ergibt sich somit, dass das Berufungsgericht die Tatfrage zu den vom Kläger behaupteten Bonuszahlungen der Firma L***** an die Beklagte keiner ordnungsgemäßen Überprüfung unterzogen hat und seine Beweiswürdigung mangelhaft geblieben ist. Aus diesem Grund war das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur Nachholung einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung zurückzuverweisen.

Zu den übrigen Rechtsfragen sind die Vorinstanzen hingegen von zutreffenden Grundsätzen ausgegangen. Dabei handelt es sich um endgültig erledigte Streitpunkte, auf die im weiteren Verfahren nicht mehr einzugehen ist.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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