Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird ‑ soweit darin das Klagebegehren im Umfang von 16.873,92 EUR samt 8 % Zinsen seit 12. 5. 2010 abgewiesen wurde ‑ als Teilurteil bestätigt.
Die hierauf entfallende Kostenentscheidung wird dem Endurteil vorbehalten.
Im Übrigen, nämlich hinsichtlich des weiteren Klagebegehrens von 51.556,54 EUR samt 8 % Zinsen seit 12. 5. 2010 werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger betrieb als selbständiger Unternehmer aufgrund des am 5./16. 6. 2003 mit Wirksamkeit vom 1. 7. 2003 abgeschlossenen Tankstellenunternehmensvertrags eine Tankstelle der Beklagten am Standort *****. Der Kläger verkaufte Treibstoffe und bis Oktober 2005 auch Ofenheizöl im Namen und auf Rechnung der Beklagten. Im eigenen Namen und auf eigene Rechnung führte der Kläger die der Tankstelle angeschlossenen Nebenbetriebe („Non-*****-Shop“, Bistro, Autowaschanlage) und als Eigenhändler verkaufte er auch ab Oktober 2005 Ofenheizöl.
Mit Wirkung vom 31. 3. 2010 kündigte die Beklagte den Tankstellenunternehmensvertrag mit dem Kläger auf. Sie verkaufte die Tankstelle an die Nebenintervenientin, die jedoch kein Interesse an der Fortführung des Tankstellenbetriebs hatte und daher diesen schloss.
In der Umgebung des Standorts der vom Kläger geführten Tankstelle befindet sich ca 4 km entfernt eine weitere Tankstelle der Beklagten mit einem „*****‑Shop“, eine weitere Tankstelle befindet sich etwas weiter entfernt. Diese Standorte bestanden schon Jahre vor der Vertragsbeendigung.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs von 68.430,46 EUR, und zwar 51.556,54 EUR für den Treibstoffvertrieb und 16.873,92 EUR für den Folgemarkt. Er habe der Beklagten durch seinen vorbildlichen Betrieb der Tankstelle und des darin integrierten Folgemarkts sowohl Neukunden zugeführt, wie auch bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich ausgebaut und erweitert. Dieser Vorteil habe für die Beklagte auch nach der Vertragsbeendigung weiter bestanden. Daran ändere auch die Weiterveräußerung der Tankstelle an die Nebenintervenientin, eine andere Mineralölgesellschaft, nichts. Gegenstand des Verkaufs zwischen der Beklagten und der Nebenintervenientin sei ein zu diesem Zeitpunkt lebendes Unternehmen gewesen. Dadurch habe die Beklagte einen dementsprechend höheren Erlös erzielen können. Der Kläger könne seines Ausgleichsanspruchs nicht deshalb verlustig gehen, nur weil die Beklagte nicht mehr gewillt gewesen sei, die wirtschaftlich gut florierende Tankstelle weiter zu betreiben. Abzustellen sei auf die abstrakte Möglichkeit der der Beklagten bleibenden Vorteile bei gehörigem Weiterbetrieb der Tankstelle. Im Übrigen sei der Ausgleichsanspruch nicht davon abhängig, dass die Beklagte nach Vertragsbeendigung Vorteile nur am „alten“ Standort erzielen könne. Vielmehr komme es darauf an, ob der Unternehmer aus den geknüpften Kundenbeziehungen generell Vorteile erlangen könne. Diese Vorteile könnte er auch an einem anderen Standort erzielen. Die vom Kläger geworbenen Stammkunden würden auf andere in der Nähe des alten Standorts befindliche Tankstellen der Beklagten ausweichen.
Dem Kläger gebühre aber nicht nur ein Ausgleichsanspruch für die Agenturware, sondern analog § 24 HVertrG auch für den Folgemarkt (Shop‑Geschäft, Bistro und Waschgeschäft), weil er hinsichtlich der Führung des Folgemarkts einem Handelsvertreter ähnlich eng in die Vertriebsorganisation der Beklagten eingebunden gewesen sei. So sei er sowohl bei der Wahl seiner Bezugsquellen als auch bei der Sortimentsauswahl durch die Eingliederung in das „*****‑Shop‑Konzept“ an die Vorgaben der Beklagten gebunden gewesen. Sowohl aufgrund rechtlicher als auch faktischer Bindungen an die Beklagte habe er nicht frei von Vorgaben der Beklagten hinsichtlich der zu verwendenden Produkte, der Werbung etc agieren können.
Der Kläger erstattete auch ein umfangreiches Vorbringen zur Höhe des Ausgleichsanspruchs.
Die Beklagte und ihre Nebenintervenientin bestritten das Klagebegehren, beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, dass dem Kläger kein Ausgleichsanspruch zustehe, weil die Beklagte aus allfälligen vom Kläger neu zugeführten Kunden oder der wesentlichen Erweiterung bereits bestehender Geschäftsverbindungen nach Auflösung des Vertragsverhältnisses keine erheblichen Vorteile mehr ziehen habe können. Die Beklagte habe die Tankstelle bewusst zum selben Stichtag, als auch das Vertragsverhältnis mit dem Kläger geendet habe, an die Nebenintervenientin veräußert. Diese sei an der Fortführung des Tankstellenbetriebs und damit an einer Nutzung des Kundenstamms nicht interessiert gewesen. Der Verkauf an die Nebenintervenientin sei erfolgt, weil es sich um ein „Paket“ von mehreren (insgesamt neun) Tankstellen gehandelt habe und die Nebenintervenientin nur entweder alle oder keine Tankstellen erwerben habe können. Die Schließung der gegenständlichen Tankstelle sei somit bereits im Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Kläger festgestanden. Ein allfälliger Kundenstock sei durch den Kaufpreis nicht abgegolten worden und sei für die Nebenintervenientin auch ohne Nutzen gewesen. Ein „Umlenken“ von Kunden der vom Kläger betriebenen Tankstelle auf andere in der Nähe befindliche Tankstellen der Beklagten sei nicht erfolgt. Dies käme lediglich bei markentreuen Kunden und Tankkartenkunden, die grundsätzlich nur bei Tankstellen der Beklagten tanken würden, in Frage. Dabei handle es sich jedoch ausschließlich um Kunden, die von der Beklagten und nicht vom Kläger geworben worden seien.
Eine analoge Anwendung des § 24 HVertrG auf den Folgemarkt käme nicht in Betracht, weil hinsichtlich des Folgemarkts weder rechtliche noch faktische Bezugsverpflichtungen des Klägers bestanden hätten und er daher nicht handelsvertretergleich in die Betriebs‑ und Vertriebsorganisation der Beklagten eingebunden gewesen sei.
Auch die Beklagte erstattete umfangreiche Einwendungen zur Höhe des geltend gemachten Ausgleichsanspruchs.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein Ausgleichsanspruch für den Folgemarkt stehe dem Kläger schon deshalb nicht zu, weil er in diesem Bereich mangels rechtlicher Bezugsverpflichtungen nicht handelsvertretergleich in die Verkaufsorganisation der Beklagten eingegliedert gewesen sei. Aber auch für die Agenturware gebühre dem Kläger kein Ausgleichsanspruch. Da die Beklagte die vom Kläger geführte Tankstelle an die Nebenintervenientin verkauft, diese aber den Betrieb geschlossen habe, habe die Beklagte aus dem vorhandenen Kundenstock keine zukünftigen Vorteile erzielen können.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Ob im Einzelfall einem Tankstellenpächter dann, wenn die von ihm betriebene Tankstelle nach Beendigung des Handelsvertretervertrags geschlossen werde, ein Ausgleichsanspruch zustehen könne, wenn er konkret nachweise, dass bzw in welchem Umfang der Unternehmer, für den er tätig gewesen sei, durch die von ihm geschaffenen Geschäftsverbindungen oder zugeführten Kunden noch an anderen Betriebsstandorten erhebliche Vorteile erzielen könne, brauche hier nicht abschließend beantwortet zu werden. Werde eine Tankstelle geschlossen, sei zu erwarten, dass die Kunden dieser Tankstelle zu einer anderen Tankstelle wechseln würden. Für welche Tankstellen sich die Kunden entscheiden, hänge ‑ abgesehen von der Sogwirkung einer Marke ‑ von verschiedenen Faktoren, wie dem Preis‑Leistungs‑Verhältnis und der Lage der Tankstelle, aber auch davon ab, wie die in Frage kommenden Tankstellen betrieben werden und ausgestattet seien. Diese Entscheidung der Kunden hänge daher in aller Regel nicht davon ab, wie sie an der geschlossenen Tankstelle betreut worden seien. Schon aus diesem Grund sei grundsätzlich nicht zu erwarten, dass der Unternehmer aus den Geschäftsverbindungen mit Stammkunden einer nunmehr geschlossenen Tankstelle weiterhin die nach § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG erforderlichen erheblichen Vorteile ziehen könne. Da sich der Kläger mit seinem Ausgleichsanspruch ausschließlich auf Vorteile stütze, die die Beklagte aus der Abwanderung von Kunden an andere Betriebsstandorte erziele, sei auch nicht näher darauf einzugehen, dass der Kundenstock der vom Kläger betriebenen Tankstelle für die Nebenintervenientin als Erwerberin der Tankstelle nicht von Interesse gewesen sei.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu, ob der Pächter einer nach Vertragsbeendigung geschlossenen Tankstelle einen Ausgleichsanspruch geltend mache könne, wenn die Möglichkeit bestehe, dass Kunden (auch) zu anderen Tankstellen desselben Unternehmens abwandern würden und bejahendenfalls, ob in diesen Fällen die Beweiserleichterung für den Tankstellenpächter zum Tragen komme, nicht vorliege.
Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben. In eventu wird ein Aufhebungs‑ und Rückverweisungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Umfang von 51.556,54 EUR sA im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Die vom Kläger zunächst ebenfalls bezeichneten Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung werden in der Revision nicht ausgeführt.
2. Nach Ausführung einer gesetzmäßigen Rechtsrüge ist der Oberste Gerichtshof zwar nicht auf die Nachprüfung des angefochtenen Urteils im Rahmen der vom Revisionswerber ausdrücklich aufgeworfenen Rechtsfragen beschränkt, sondern es ist dann die Berechtigung der Rechtsrüge allseitig zu prüfen (RIS‑Justiz RS0043352). Dieser Grundsatz ist jedoch insoweit eingeschränkt, als der Rechtsmittelwerber Rechtsgründe, denen in sich geschlossene ‑ also selbständige rechtserzeugende, rechtshemmende oder rechtsvernichtende ‑ Tatsachen zugrundeliegen, behandeln muss, damit sie nicht aus dem Nachprüfungsrahmen herausfallen (vgl RIS‑Justiz RS0043338; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 503 ZPO Rz 189 f mwN). Kommt daher der Revisionswerber in seiner Revision auf bestimmte Rechtsgründe oder selbständige Einwendungen nicht mehr zurück, so sind diese damit aus der ansonsten umfassenden Beurteilungspflicht des Obersten Gerichtshofs ausgeschieden (RIS‑Justiz RS0043352 [T35] mwN).
In der Revision des Klägers wird das selbständige Thema der vom Erstgericht verneinten analogen Anwendung des § 24 HVertrG 1993 in Bezug auf den Folgemarkt nicht mehr aufgegriffen. Der Revision war daher im Umfang von 16.873,92 EUR sA nicht Folge zu geben und die Berufungsentscheidung in diesem Umfang als Teilurteil zu bestätigen.
3. Zu der im Revisionsverfahren ausschließlich strittigen Rechtsfrage, ob der Kläger gegenüber der Beklagten einen Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG 1993 hat, obwohl die Beklagte den vom Kläger geführten Tankstellenbetrieb nach Beendigung des Handelsvertretervertrags an die Nebenintervenientin verkauft und diese den Betrieb eingestellt hat, ist Folgendes auszuführen:
3.1. Gemäß § 24 Abs 1 HVertrG 1993 gebührt dem Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ein angemessener Ausgleichsanspruch, wenn und soweit
1. er dem Unternehmen neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat,
2. zu erwarten ist, dass der Unternehmer oder dessen Rechtsnachfolger aus diesen Geschäftsverbindungen auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen kann, und
3. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der den Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.
3.2. Das HVertrG 1993 diente der Umsetzung der EG-Richtlinie des Rates vom 18. 12. 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl Nr L 382/17. Der österreichische Gesetzgeber hat dabei von der in Art 17 und 18 der Richtlinie eingeräumten Wahlmöglichkeit Gebrauch gemacht und sich für die deutsche Regelung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b dHGB entschieden. § 24 Abs 1 Z 1 bis 3 HVertrG 1993 weicht im Wesentlichen nur insoweit von der deutschen Regelung ab, als der Eintritt von Provisionsverlusten des Handelsvertreters - anders als in § 89b Abs 1 dHGB ‑ nicht als eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern im Rahmen der Billigkeitserwägungen zu berücksichtigen ist. Bei Bemessung des Ausgleichs ist dieser Unterschied jedoch nicht entscheidend, weil die Billigkeitsüberlegungen nach § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG 1993 ohnehin von der Frage beherrscht werden, ob dem Handelsvertreter Provisionen entgehen (6 Ob 170/02x). Zur Beantwortung der sich aus § 24 HVertrG 1993 ergebenden Rechtsfragen kann daher auch auf die deutsche Judikatur und Literatur zurückgegriffen werden.
3.3. Dazu wurde in 4 Ob 188/11t näher und anschaulich ausgeführt: „Ein vom Handelsvertreter erweiterter Kundenstamm sorgt beim Unternehmer für erhöhten Absatz. Ebenso wie der Handelsvertreter zieht er seinen Nutzen hieraus. Es liegt also eine Doppelnutzung vor: Der Absatz des Unternehmers garantiert die Provision des Handelsvertreters. An dem vom Handelsvertreter geschaffenen Kundenstamm entsteht ein doppeltes Nutzungsverhältnis. Rechtlich gehört dieses weder dem Unternehmer noch dem Handelsvertreter, aber beide ziehen Vorteile daraus. Wenn nun der Vertrag endet, zerbricht dieses doppelte Nutzungsverhältnis; sein Gleichgewicht ist zerstört. Da die Kunden regelmäßig beim Unternehmer verbleiben, hat nur dieser noch den Gewinn, er profitiert allein, unter Umständen verdoppelt, da er sich die Provision für den Handelsvertreter erspart. Zieht der Unternehmer aber tatsächlich noch Vorteile aus Verbindungen zu den vom Handelsvertreter geworbenen Kunden, so zeigt sich ein noch höherer Wert der Handelsvertretertätigkeit, der unvergütet ist. Der Handelsvertreter dagegen verliert seine Existenzgrundlage. Es ist in hohem Maße ein Gebot der Gerechtigkeit, dies auszugleichen. Der Handelsvertreter muss für den Nutzen, den der Unternehmer aus der Überlassung des Kundenstamms zieht, vergütet werden (Foth, Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers 91 mwN). Entscheidender Gesichtspunkt dabei ist die Kontinuität des Kundenstamms (Foth aaO 163 im Anschluss an Schmidt).“
3.4. Aus der Anspruchsvoraussetzung des § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG 1993, dass dem Unternehmer auch nach der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses „erhebliche Vorteile“ erwachsen müssen, folgt, dass mit den neu zugeführten Kunden eine Geschäftsverbindung entstanden sein muss, wobei Geschäftsverbindung die Aussicht auf weitere Geschäftsabschlüsse innerhalb eines überschaubaren Zeitraums bedeutet (RIS‑Justiz RS0124681). Dem Geschäftsherrn sind durch die Neuzuführung von Kunden Vorteile dann erwachsen, wenn eine Wertsteigerung seines Unternehmens durch die Chance, den neuen Kundenstamm zu nützen, eingetreten ist (RIS‑Justiz RS0062649; Emde in Staub, dHGB5 § 89b Rz 88). Aus den im § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG 1993 gebrauchten Worten „ziehen kann“ ergibt sich, dass es nicht nur auf tatsächlich erzielte, sondern auch auf potentiell erzielbare Vorteile des Geschäftsherrn oder seines Rechtsnachfolgers aus den vom Handelsvertreter akquirierten oder erweiterten Geschäftsverbindungen ankommt (RIS‑Justiz RS0112456). Relevant ist also nur die bloße Möglichkeit, die vom Handelsvertreter neu aufgebauten Geschäftsverbindungen nutzen zu können, nicht jedoch, dass der Unternehmer diese auch wirklich nutzbringend verwendet (9 Ob 32/11p; 6 Ob 83/03d ua; Nocker, HVertrG 1993 § 24 Rz 517, 519). Der Ausgleichsanspruch soll das Vertragsverhältnis überdauernde Vorteile, die dem Unternehmer aus der vom Handelsvertreter zugeführten Kundschaft bleiben, abgelten (RIS‑Justiz RS0109283).
3.5. Dem Unternehmer bleibt es aber unbenommen, seine Geschäftstätigkeit strategischen Änderungen zu unterziehen. Hatte der Unternehmer zum Zeitpunkt der Beendigung des Handelsvertretervertrags gar keine vernünftige Möglichkeit mehr, die vom Handelsvertreter geschaffenen Verdienstchancen zu nutzen, weil er etwa bereits einige Monate vor Beendigung des Handelsvertretervertrags seine Geschäftstätigkeit vollständig einstellte, kann davon, dass iSd § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG 1993 zu erwarten wäre, dass der Unternehmer aus den Geschäftsverbindungen auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen könnte, keine Rede sein (9 Ob 32/11p; RIS‑Justiz RS0122237).
3.6. Anders als bei der Einstellung des Betriebs seines Unternehmens wird der Unternehmer bei einer Veräußerung unter Umständen schon einen erheblichen Vorteil ziehen können. In welcher Form der Unternehmer diesen Vorteil aus dem ihm überlassenen Kundenstamm zieht, ist ‑ wie oben bereits dargestellt ‑ letztlich unerheblich. Das Gesetz verlangt nicht, dass der Vorteil nur in der Nutzung der vom Handelsvertreter geschaffenen Geschäftsverbindungen durch den Unternehmer selbst liegen muss. Der Unternehmer kann den Vorteil daher auch dadurch erzielen, dass er die mit ihm bestehenden Geschäftsverbindungen an einen Dritten ‑ in der Regel entgeltlich ‑ überlässt. Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn der Erwerber des Unternehmens (Betriebs) den Kundenstamm selbst weiter nützen möchte und deshalb bereit ist, dem Veräußerer den überlassenen Kundenstamm ‑ und sei es auch nur im Rahmen der Bewertung des good‑will ‑ finanziell abzugelten (Nocker, HVertrG § 24 Rz 545; von Hoyningen/Huene in Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch³ § 89b Rz 77 je mwN auf die Judikatur des BGH und das deutsche Schrifttum). Der Vorteil für den Unternehmer liegt bei der Veräußerung daher grundsätzlich schon in der Übertragungsmöglichkeit seines Kundenstamms (Nocker, HVertrG § 24 Rz 545; Schröder, Zum Begriff der Unternehmervorteile im Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b dHGB, DB 1973, 217 [219]; ders, Zum Begriff „Unternehmervorteile“ im Ausgleichsrecht nach § 89b Abs 1 Nr 1 dHGB, DB 1976, 1897). Dabei spielt es auch keine Rolle, ob der Wert des Kundenstamms im Kaufpreis gesondert ausgewiesen ist, da bekanntermaßen bestehende Kundenbeziehungen einen ganz beträchtlichen Teil des Unternehmenswerts ausmachen (Nocker, HVertrG § 24 Rz 545 unter Hinweis auf BGH VIII ZR 116/95). Nach von Westphalen, Handbuch des Handelsvertreterrechts in EU‑Staaten und der Schweiz, § 89b dHGB Rz 645, spricht die Lebenserfahrung und damit eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Wert des Kundenstamms bei der Vereinbarung des Kaufpreises berücksichtigt wurde, wenn der Käufer die Absicht hat, den Kundenstamm weiterhin zu nutzen. Es wäre willkürlich, den Kundenstamm grundlos ohne Gegenwert aus der Hand zu geben (Emde in Staub, dHGB5 § 89b Rz 102; Petsche/Petsche‑Demmel, HandelsvertreterG § 24 Rz 77).
3.6. Somit sind die Grenzen, dem Handelsvertreter trotz Übertragung eines von ihm geworbenen Kundenstamms an den Unternehmer nach Beendigung des Handelsvertretervertrags einen Ausgleichsanspruch zu verwehren, schon angesichts des bereits erwähnten Gebots der Gerechtigkeit (vgl 4 Ob 188/11t) eng zu ziehen. Kein Ausgleichsanspruch gebührt dem Handelsvertreter, wenn der den Betrieb veräußernde Unternehmer tatsächlich keinen Vorteil aus dem neu geschaffenen Kundenstamm bei Veräußerung seines Unternehmens/Betriebs ziehen kann, weil etwa der Erwerber auf diesen Kundenstamm keinen Wert legt und dieser daher auch nicht in die Bemessung des Kaufpreises einfließt, weil der Erwerber nur an den Betriebsmitteln interessiert ist (Nocker, HVertrG § 24 Rz 546; Tschuk, Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses 46; Schmitz, Handelsvertreter-ausgleichsansprüche bei Asset Deals, ZIP 2/2003, 59).
Genau darauf hat sich die Beklagte bereits im erstinstanzlichen Verfahren berufen. Sie brachte vor, dass der Kundenstock für die den Betrieb erwerbende Nebenintervenientin ohne Nutzen gewesen sei, weil diese an der Fortführung des Tankstellenbetriebs nicht interessiert gewesen sei. Der Kläger hielt dem ‑ entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ‑ auch entgegen, dass die Beklagte durch den Verkauf des Tankstellenbetriebs, eines zum Zeitpunkt des Verkaufs lebenden Unternehmens, an die Nebenintervenientin einen dementsprechend höheren Erlös und damit erhebliche Vorteile aus seiner Tätigkeit erzielen habe können. Zu diesem widerstreitenden Vorbringen der Parteien fehlen aber die entscheidungswesentlichen Feststellungen.
3.7. Sollte sich im ergänzend durchzuführenden Verfahren ergeben, dass die Beklagte nicht willkürlich, sondern aus wirtschaftlichen („strategischen“) Gründen den Tankstellenbetrieb an die Nebenintervenientin ohne Abgeltung des Kundenstocks veräußerte, dann ist noch folgendes ‑ den Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG 1993 begründendes ‑ Vorbringen des Klägers zu prüfen: Der Kläger stützte die Berechtigung seines Ausgleichsanspruchs auch darauf, dass die Beklagte dadurch Vorteile aus den von ihm geworbenen Stammkunden (und intensivierten Altkunden) erzielen habe können, dass diese auf die beiden in der Nähe des ehemaligen Betriebsstandorts in *****, gelegenen weiteren Tankstellen der Beklagten abgewandert (ausgewichen) seien. Die Beklagte erziele daher trotz Verkaufs der vormals vom Kläger betriebenen Tankstelle und Einstellung des Tankstellenbetriebs durch die Nebenintervenientin nach wie vor erhebliche Vorteile iSd § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG 1993.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist dieses Vorbringen des Klägers nicht von vornherein ungeeignet, einen Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs 1 HVertrG 1993 zu begründen. Notorisch ist zwar, dass bei Schließung einer Tankstelle Kunden notgedrungen auf andere Tankstellen ausweichen. Für die weitere (Rechts‑)Ansicht des Berufungsgerichts, die Entscheidung der Kunden, zu welcher Tankstelle sie wechseln, würde in aller Regel von der Sogwirkung der Marke, dem Preis‑Leistungs‑Verhältnis, der Lage der Tankstelle, wie diese betrieben werde und ausgestattet sei, sowie allenfalls über die im Tankstellenshop angebotenen Produkte, nicht aber davon, wie die Kunden an der ehemaligen Tankstelle betreut worden seien, fehlt es am erforderlichen Tatsachensubstrat.
Auch das Argument des Berufungsgerichts, die Bejahung eines Ausgleichsanspruchs in diesen Fällen führe zu einer vom HVertrG 1993 nicht intendierten Kollision mit den Provisions‑ und Ausgleichsansprüchen des Tankstellenpächters, der jene andere Tankstelle betreibe und offen halte, zu der allenfalls ehemalige Kunden der geschlossenen Tankstelle abwandern würden, überzeugt nicht. Der Ausgleichsanspruch soll, wie bereits erwähnt, dem ausgeschiedenen Handelsvertreter einen Ausgleich dafür gewähren, dass die bislang von ihm verdienten Provisionen seine erbrachten Leistungen ‑ namentlich die Schaffung eines Kundenstamms ‑ nicht vollständig abdecken. Sein Nachfolger kann dagegen Provisionen für die künftig von ihm vermittelten Geschäfte verlangen. Beide Ansprüche bestehen nach den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 8, 9, 24 HVertrG 1993 nebeneinander. Dass ein Unternehmer „doppelt belastet“ wird, wenn er für die Umsätze mit Stammkunden nicht nur dem Handelsvertreter einen Ausgleich, sondern auch dessen Nachfolgern Provisionen zahlen muss, ist eine Folge dieses Anspruchssystems. Dieser Umstand kann daher nicht zum Wegfall eines Ausgleichsanspruchs führen (vgl BGH VIII ZR 209/07; BGH VIII ZR 210/07; BGH VIII ZR 25/08 ua).
3.8. Über die weiterhin zu erwartenden erheblichen Unternehmervorteile iSd § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG 1993 ist daher ‑ und zwar grundsätzlich zum Zeitpunkt des Endes des Handelsvertreterverhältnisses ‑ eine Prognose über die voraussichtliche weitere Entwicklung der Geschäftsbeziehungen mit den zugeführten Kunden bzw intensivierten Altkunden anzustellen (Nocker, HVertrG § 24 Rz 525 mwN).
3.9. Die Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des Ausgleichs trägt der Handelsvertreter. Gelingt ihm der Beweis für die Zuführung neuer Kunden und der Nachweis der getätigten Geschäftsabschlüsse, trifft ihn für die restlichen Anspruchsvoraussetzungen eine Beweiserleichterung. Den Unternehmer wiederum trifft die Behauptungslast und Beweislast dafür, dass die ihm durch den Handelsvertreter geschaffenen Verdienstchancen im Einzelfall über die Beendigung des Vertragsverhältnisses hinaus keinen Bestand haben oder haben werden (RIS‑Justiz RS0106003; Nocker, HVertrG § 24 Rz 527). Den Unternehmer trifft auch die Behauptungslast und Beweislast dafür, dass im Zusammenhang mit der Vertragsbeendigung stehende Umstände die Nachteile des Handelsvertreters mindern (6 Ob 260/00d mwN).
Diese Beweislastregeln kommen auch im vorliegenden Fall zum Tragen.
Der Einwand der Beklagten, ein Wechsel von Stammkunden der veräußerten und geschlossenen Tankstelle zu anderen in ihrem Eigentum stehenden umliegenden Tankstellen komme lediglich bei markentreuen Kunden und Tankkartenkunden in Frage, ist nicht von vornherein geeignet, den Vorteil der Beklagten, den sie aus dem vom Kläger geworbenen Kundenstamm auch nach Beendigung des Handelsvertretervertrags noch erzielen kann, zu beseitigen. Die Sogwirkung der Marke rechtfertigt allenfalls aus Billigkeitsgesichtspunkten eine Minderung des Ausgleichsanspruchs (8 ObA 45/08p; 8 ObA 299/01f mwN ua). Ähnliche Überlegungen gelten für Tankkartenkunden (vgl BGH VIII ZR 130/01 ua).
4. Da zusammenfassend Sachverhaltsfest-stellungen über entscheidungswesentliche, von den Parteien bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Umstände fehlen, ist eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Umfang von 51.556,54 EUR sA und die Zurückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz (Ausgleichsanspruch für den Treibstoffvertrieb) zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung unumgänglich.
5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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