OGH 11Os146/14a

OGH11Os146/14a10.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. März 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bachl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hakob A***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Gayane A***** gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 23. September 2014, GZ 11 Hv 56/14k‑33, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00146.14A.0310.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch ‑ von der Staatsanwaltschaft unbekämpft ‑ einen Freispruch der Gayane A***** von weiteren Taten sowie Freisprüche zweier weiterer Angeklagter enthält, wurde Gayane A***** - abweichend von der auf §§ 146, 147 Abs 1 „Z 2“ (gemeint: Z 1) vierter Fall, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB abzielenden Anklageschrift - des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 „Z 1“, Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie am 9. Dezember 2012 in J***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Verantwortliche des Finanzamts J***** durch Täuschung über Tatsachen „unter Benützung falscher Daten zu nachangeführten Handlungen“ (US 6: zur Nachzahlung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen über den gesetzlich bestimmten Zeitraum hinaus) verleitet, welche „die Genannten“ (gemeint: die Republik Österreich) in einem jedenfalls 3.000 Euro, nicht aber 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, indem sie unter dem Alias‑Namen „Hera C*****, geboren am 3. Juli 1968 in Karakert“ für ihre Kinder Saro A*****, geboren am 28. Juli 1987, unter dem Alias‑Namen „Saro C*****, geboren 28. Juli 1990“, für ihren Sohn Vasgen A*****, geboren am 26. August 1991, unter dem Alias‑Namen „Wazgen C*****, geboren am 26. August 1993“, sowie Mariam A*****, geboren am 22. Juli 1989, unter dem Alias‑Namen „Mariam C*****, geboren am 22. Juli 1992“, die Gewährung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen über den gesetzlich bestimmten Zeitraum hinaus beantragte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die von der Angeklagten Gayane A***** aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde.

Soweit die Mängelrüge unter Hinweis auf die von der Zeugin Mag. Simone P***** (einer informierten Vertreterin des Finanzamts) dargelegten Voraussetzungen einer (nachträglichen oder rückwirkenden) Gewährung von Kinderbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen und Hervorhebung einzelner Passagen der Aussagen der juristisch und steuerlich unkundigen Angeklagten für die Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit deren Verantwortung eintritt, sie habe ohne deliktsspezifischen Vorsatz gehandelt, bekämpft sie die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld, ohne - der Beschwerdebehauptung zuwider - eine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall; RIS-Justiz RS0118316) oder offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall; RIS-Justiz RS0099413) aufzeigen zu können. Denn das Erstgericht hat sich mit der Frage redlicher Antragstellung unter Berücksichtigung der Depositionen der Angeklagten (sie sei der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig gewesen, sie habe Angst vor der Preisgabe der wahren Identität der Familie gehabt, sie habe das Gesetz nicht gekannt, sie habe sich keine großen Gedanken gemacht) auseinandergesetzt, diese Angaben jedoch mit Blick auf den zum Zeitpunkt des Antrags bereits zehnjährigen Aufenthalt in Österreich und auf die Aussage des Sohnes der Angeklagten, wonach der zur Antragstellung beigezogene Steuerberater ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass in Österreich Kinder grundsätzlich nur „bis zum 18. Lebensjahr“ Familienbeihilfe bekommen können, als Schutzbehauptung verworfen (US 9 ff).

Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird keine Nichtigkeit dargetan (RIS-Justiz RS0117561, RS0102162).

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810).

Diesen Kriterien wird die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht gerecht, indem sie unter Verweis auf das „abgeführte Beweisverfahren“ und auf die Ausführungen zur Mängelrüge ein tatbestandsmäßiges, insbesondere vorsätzliches Handeln der Angeklagten bestreitet, ohne sich an den gerade gegenteiligen Konstatierungen des Erstgerichts - auch zum bedingten Vorsatz - (US 6 f) zu orientieren.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass „falsche“ (unechte) Daten iSd § 147 Abs 1 Z 1 dritter Fall StGB solche (zur automationsunterstützten Datenverarbeitung aufbereitete) Daten (wie etwa e-Mails oder Online-Eingaben durch Softwareübermittlung) sind, die nicht von der Person stammen, die als Hersteller bzw Aussteller angegeben ist (RIS-Justiz RS0122091; vgl auch Kirchbacher in WK 2 StGB § 147 Rz 28b ff; Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 147 RN 39 ff; Reindl in WK 2 StGB § 225a Rz 3 ff, 7, 28; Jerabek in WK 2 StGB § 74 Rz 65). Anhaltspunkte für die Benützung solcher „Daten“ zur Täuschung der Verantwortlichen des Finanzamtes bietet das Urteil nicht, sodass die Subsumtion unter die Qualifikation nach § 147 Abs 1 „Z 1“ (dritter Fall) StGB zu Unrecht erfolgte. Selbst nach der Aktenlage (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 19 wurde die Eingabe vom Steuerberater im konventionellen [schriftlichen] Weg beim Finanzamt eingebracht (ON 24). Dass diesem Antrag zu Täuschungszwecken etwa inhaltlich unrichtige Urkunden mit Beweiswert (Lugurkunden) im Sinn von falschen oder verfälschten Beweismitteln (§ 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall StGB) beigelegt gewesen wären, wird im Urteil gleichermaßen nicht dargetan. Nach den Urteilsgründen war ausschließlich die Angabe von falschen Geburtsdaten der Kinder im Antrag kausal für den Irrtum der Finanzbeamten über das Ausmaß der zu gewährenden Nachzahlung (US 7). Die durch die verfehlte Annahme der Qualifikation (auch) nach § 147 Abs 1 „Z 1“ StGB begründete, von der Angeklagten nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) bietet mangels konkreten Nachteils keinen Anlass für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO, zumal ohnedies die Qualifikation des § 147 Abs 2 StGB erfüllt ist (RIS-Justiz RS0113957, RS0090885). Bei seiner Entscheidung über die Berufung besteht auf Grund dieses Hinweises insoweit keine Bindung des Oberlandesgerichts an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz (RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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