OGH 7Ob225/14k

OGH7Ob225/14k18.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** P*****, vertreten durch Niederbichler Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Dr. Edwin A. Payr, Rechtsanwalt in Graz, wegen 5.625 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 25. September 2014, GZ 3 R 117/14v‑12, womit das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 27. März 2014, GZ 208 C 777/13w‑8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Streitteile haben einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen. Die Tochter des Klägers ist Mitversicherte. Diesem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung 2010 (AUVB) zugrunde. Art 7. AUVB lautet:

„Dauernde Invalidität

1. Wann besteht ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität?

Ergibt sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet, dass als Folge des Unfalls eine dauernde Invalidität (Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit auf Lebenszeit) zurückbleibt, wird ‑ unbeschadet der Bestimmungen des Art 7.5. ‑ aus der hiefür versicherten Summe der dem Grade der Invalidität entsprechende Betrag gezahlt.

Ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität ist innerhalb von 15 Monaten vom Unfallstag an schriftlich geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichts, aus dem Art und Umfang der Gesundheitsschädigung und die Möglichkeit einer auf Lebenszeit dauernden Invalidität hervorgeht, zu begründen.

[...]“

Am 25. 1. 2012 stürzte die Tochter des Klägers beim Schifahren und zog sich eine Knieverletzung zu.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 5.625 EUR sA. Seine mitversicherte Tochter habe sich am 25. 1. 2012 anlässlich eines Sturzes beim Schifahren eine Teilläsion des vorderen Kreuzbandes mit Meniskusbeteiligung zugezogen. Die genannte Verletzung bringe eine dauernde Invalidität von 10 % des Beinwertes mit sich. Nach erfolgter Schadensmeldung habe die Beklagte darauf verwiesen, dass etwaige Leistungsansprüche aus dem Titel der bleibenden Invalidität mittels Vorlage eines ärztlichen Befundberichts fristgerecht innerhalb von 15 Monaten zu stellen seien. Auf Grund der nachfolgenden Korrespondenz habe der Kläger davon ausgehen können, dass er den Anspruch seiner Tochter aus dem Titel der dauernden Invalidität jedenfalls ausreichend geltend gemacht habe. Die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfrist des Art 7.1. AUVB sei treuwidrig.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Infolge verspäteter und nicht vertragskonformer Anspruchstellung bestünde keine Leistungspflicht gemäß Art 7.1. AUVB.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf folgende Feststellungen:

Am 1. 2. 2012 meldete die Versicherungsmaklerin des Klägers der Beklagten den Unfall. In ihrem Antwortschreiben vom 2. 2. 2012 wies die Beklagte ausdrücklich darauf hin, dass etwaige Leistungsansprüche aus dem Titel der bleibenden Invalidität mittels Vorlage eines ärztlichen Befundberichts innerhalb von 15 Monaten zu stellen seien. Am 11. 2. 2013 übermittelte die Versicherungsmaklerin des Klägers einen Arztbrief vom 1. 2. 2013 an die Beklagte mit der Bitte um weitere Bearbeitung. Am 14. 2. 2013 ersuchte die Beklagte die Versicherungsmaklerin um Übermittlung weiterer Unterlagen, woraufhin ihr am 6. 3. 2013 ein Befund vom 6. 2. 2013 übermittelt wurde. In keinem der an die Beklagte übermittelten Schreiben und Schriftstücke ist explizit vom etwaigen Bestehen bzw der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Titel der dauernden Invalidität die Rede. Aus den Meldungen und Unterlagen ergibt sich ein Riss des vorderen Kreuzbandes.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass der Kläger einen Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität nicht explizit geltend gemacht habe und sich den Befunden keine Mitteilung einer dauernden Invalidität entnehmen lasse, weshalb der Anspruch verfristet sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Auf Grund der Anführung der Verletzungsfolge sei den vom Kläger vorgelegten Unterlagen eine ärztlich begründete Wahrscheinlichkeit einer dauernden Invalidität entnehmbar, sodass der in Art 7.1. AUVB geforderten „Vorlage eines ärztlichen Befundberichts“ Genüge getan werde. Da in der bloßen Übermittlung von Befunden, verbunden mit dem „Ersuchen um Bearbeitung und Rückmeldung“, keine Geltendmachung eines Anspruchs auf Leistung aus dauernder Invalidität zu erblicken sei, berufe sich die Beklagte zu Recht auf die Ausschlussfrist des Art 7.1. AUVB. Ein Verstoß der Beklagten gegen Treu und Glauben liege nicht vor, weil sie nach der Schadensmeldung in ihrem Antwortschreiben vom 2. 2. 2012 ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass allfällige Leistungsansprüche aus dem Titel der bleibenden Invalidität erlöschen, wenn diese nicht binnen 15 Monaten geltend gemacht würden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Fragen fehle, ob im Ersuchen um „Bearbeitung und Rückmeldung“ unter gleichzeitiger Mitteilung einer schweren, in der Regel eine dauernde Invalidität nach sich ziehenden Verletzung im Zusammenhang mit dem Nachweis des Umfangs der erlittenen Verletzung eine Anspruchserhebung iSd Art 7.1. AUVB 2010 zu erblicken sei und ob der Versicherer nach dem Grundsatz von Treu und Glauben in einem solchen Fall nachfragepflichtig werde.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Mit Art 7.1. zweiter Satz AUVB 2010 wortgleiche oder vergleichbare Klauseln waren bereits Gegenstand zahlreicher oberstgerichtlicher Entscheidungen. Zur 15‑Monatsfrist wird in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass es sich dabei um eine Ausschlussfrist handelt, bei deren ‑ auch unverschuldeter (vgl RIS‑Justiz RS0034591) ‑ Versäumung der Entschädi-gungsanspruch des Unfallversicherten erlischt (RIS‑Justiz RS0082292). Die Zweckrichtung der Regelung liegt in der Herstellung von möglichst rascher Rechtssicherheit und Rechtsfrieden. Es soll der später in Anspruch genommene Versicherer vor Beweisschwierigkeiten infolge Zeitablaufs geschützt und eine alsbaldige Klärung der Ansprüche herbeigeführt werden. Die durch Setzung einer Ausschlussfrist vorgenommene Risikobegrenzung soll damit im Versicherungsrecht (in aller Regel) eine Ab‑ und Ausgrenzung schwer aufklärbarer und unübersehbarer (Spät‑)Schäden bewirken (7 Ob 63/07a, 7 Ob 9/11s, je mwN; RIS‑Justiz RS0082216).

2. Die Geltendmachung der Invalidität setzt nach der Bedingungslage weder die Nennung eines Invaliditätsgrades noch eines bestimmten Anspruchs voraus; erforderlich ist die Behauptung, es sei Invalidität dem Grunde nach eingetreten. Bei der Geltendmachung der Invalidität handelt es sich um eine Willenserklärung, auf die die allgemeinen Grundsätze des ABGB (§§ 859 ff ABGB) anwendbar sind. Das heißt, sowohl die Frage, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt, als auch für die Bestimmung ihres Inhalts ist nicht der wahre Wille des Erklärenden, sondern auf Grund der Vertrauenstheorie der Empfängerhorizont maßgeblich. Die Erklärung gilt so, wie sie ein redlicher Empfänger verstehen durfte (RIS‑Justiz RS0014160, RS0113932).

3. Die bloße Mitteilung des Unfalls und der unmittelbaren Verletzungsfolge genügt grundsätzlich noch nicht für die Geltendmachung des Ersatzanspruchs für Dauerfolgen; die Schadensmeldung kann für sich allein noch nicht als Geltendmachung der Leistung für dauernde Invalidität gewertet werden (RIS‑Justiz RS0082222 [T1]).

4. Vom Obersten Gerichtshof wurde aber im Einklang mit deutscher Judikatur und Lehre bereits mehrfach betont, dass auch ein Versicherungsverhältnis im besonderen Maße von Treu und Glauben beherrscht wird (7 Ob 12/86; 7 Ob 57/05s, 7 Ob 230/06h; RIS‑Justiz RS0018055), welchen Grundsatz der Versicherungsnehmer ebenso gegen sich gelten lassen muss wie der Versicherer. Diese starke Betonung von Treu und Glauben soll der Tatsache Rechnung tragen, dass jeder der beiden Vertragspartner auf die Unterstützung durch den jeweils anderen angewiesen ist, weil er dem jeweils anderen in der einen oder anderen Weise unterlegen ist: Der Versicherungsnehmer verfügt zB allein über die Kenntnis wesentlicher Umstände für den Vertragsschluss und die Schadensabwicklung; der Versicherer ist dem Versicherungsnehmer überlegen durch die Beherrschung der Versicherungstechnik, seiner Geschäftskunde, seinen umfangreichen Erfahrungen und wegen der Sachverständigen, deren er sich bedienen kann. Treu und Glauben beeinflussen daher das Versicherungsverhältnis in vielfacher Weise und können nach herrschender Meinung ergänzende Leistungs‑ oder Verhaltenspflichten schaffen (7 Ob 230/06h mwN).

So judizierte der Oberste Gerichtshof auch schon zu Art 7.1. AUVB 2010 vergleichbaren Klauseln, dass ohne den Hinweis, dass der Versicherer in der erstatteten Schadensmeldung weder die Geltendmachung eines Anspruchs auf Leistung für dauernde Invalidität noch einen ärztlichen Befundbericht erblickt und die Geltendmachung des Anspruchs und die Vorlage eines Befundberichts innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an zu erfolgen hat, die Berufung des Versicherers auf den Fristablauf gegen Treu und Glauben verstößt (RIS‑Justiz RS0082222; 7 Ob 37/05z mwN).

5. Der Inhalt der Korrespondenz zwischen den Parteien wurde zwar vom Erstgericht nur kursorisch festgestellt, er ist aber unstrittig.

Vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur erweist sich die Schadensmeldung vom 1. 2. 2012, die lediglich den durch keinen ärztlichen Befund untermauerten Hinweis auf eine auch bloß vermutete Verletzungsfolge (Kreuzbandriss) enthielt, noch nicht als klare Geltendmachung einer Leistung für dauernde Invalidität.

Das Ersuchen um Bearbeitung und Rückmeldung vom 1. 2. 2013 im Zusammenhang mit dem vorgelegten Arztbrief, dem sich die durch den Sturz verursachte Verletzung (Kreuzbandriss) und auch die immer noch anhaltenden Kniebeschwerden entnehmen ließen, gaben aber nunmehr ausreichend deutlich zu erkennen, dass der Kläger Dauerfolgen dem Grunde nach behauptet und damit Leistungen für eine dauernde Invalidität beansprucht. Die Beklagte lehnte auch ihre Leistungspflicht ausschließlich unter dem Hinweis auf das Fehlen eines entsprechenden ärztlichen Befundberichts ab, woraus ersichtlich ist, dass sie offenbar selbst eine ausreichende Geltendmachung des Anspruchs zugrunde legte.

Im vorgelegten Arztbrief fehlt ein ausdrücklicher ärztlicher Ausspruch über eine wahrscheinlich dauernde Invalidität. Ohne Hinweis darauf, dass die Beklagte aus der hier vorliegenden Verletzung an sich nicht auf eine dauernde Invalidität schließen könne, forderte sie nur weitere Unterlagen, insbesondere die OP‑Berichte an.

Dieser Aufforderung kam der Kläger nach. Er übermittelte mit dem Hinweis, dass keine Operation erfolgt sei, einen weiteren ärztlichen Befund, dem ebenfalls die Diagnose Kreuzbandriss und die immer noch anhaltenden Kniebeschwerden zu entnehmen waren, der aber auch keinen ärztlich begründeten Ausspruch über eine wahrscheinlich dauernde Invalidität enthielt. Auch jetzt erfolgte kein Hinweis der Beklagten, dass sie darin immer noch keinen ärztlichen Befundbericht nach Art 7.1. AUVB erblickte. Vielmehr setzte sie vorerst überhaupt keine Reaktion und lehnte ihre Leistungspflicht erst nach Ablauf der Frist wegen Fehlens eines Befundberichts ab. Damit verstößt ihre Berufung auf den Fristablauf gegen Treu und Glauben. Sie hätte nämlich den Kläger im Sinn der Judikatur darauf hinweisen müssen, dass sie den vorliegenden Befunden noch immer keine dauernde Invalidität entnehmen könne, sodass es dem Kläger möglich gewesen wäre, fristgerecht eine Ergänzung der Befunde vorzunehmen.

6. Da ausgehend von der von den Vorinstanzen vertretenen Rechtsansicht, der Anspruch sei verfristet, keine Feststellungen zu dessen (Nicht‑)Bestehen und zu den von der Beklagten erhobenen Einwendungen getroffen wurden, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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