OGH 2Ob189/14d

OGH2Ob189/14d18.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Musger, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen S***** R*****, geboren am ***** 2003, vertreten durch die Mutter S***** R*****, vertreten durch Dr. Wolf Günter Auer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, über den Revisionsrekurs des Vaters M***** C*****, vertreten durch Dr. Andrea Wukovits, Rechtsanwältin GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 20. August 2014, GZ 4 R 242/14a‑29, womit infolge Rekurses der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 13. Juni 2014, GZ 3 Ps 178/12v‑25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00189.14D.0218.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Im Ausspruch über die Aufhebung des Beschlusses betreffend die Beteiligung des Vaters an der Obsorge zur Minderjährigen wird der angefochtene Beschluss bestätigt.

Im Übrigen wird in der Sache selbst erkannt, dass der Antrag des Vaters auf Ausstellung einer Amtsbestätigung, dass ihm die Obsorge über die Minderjährige zukommt, abgewiesen wird.

 

Begründung:

Die elfjährige S***** ist das außereheliche Kind einer Österreicherin und eines Italieners. Sie kam in Wien als österreichisch/italienische Doppelstaatsbürgerin zur Welt und lebte in der Folge mit beiden Eltern in Deutschland. Der Vater hat die Vaterschaft anerkannt. Die Lebensgemeinschaft der Eltern wurde 2006 aufgehoben. Der Vater hielt seither Wochenend‑ und Ferienbesuchskontakte ein. Seit Juni 2012 leben Mutter und Kind wieder in Österreich.

Der Vater beantragte nun einerseits, ihm neben der Mutter die Obsorge einzuräumen, andererseits ihm eine Amtsbestätigung darüber auszustellen, dass ihm die Obsorge (nach italienischem Recht) zukomme.

Die Mutter sprach sich gegen die Anträge aus. Eine tragfähige Kommunikation zwischen den Eltern sei nicht möglich. Das gemeinsame Sorgerecht würde zu weiteren Konflikten zwischen ihnen führen, und die sich daraus für das Kind ergebenden Belastungen wären mit dessen Wohl nicht vereinbar. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Ausstellung einer Amtsbestätigung lägen nicht vor.

Das Erstgericht sprach aus, dass dem Vater ebenso wie der Mutter die Obsorge zur Minderjährigen zukomme. Nach Art 261 des italienischen Zivilgesetzbuchs habe der Vater mit seiner Anerkennung der Vaterschaft alle elterlichen Rechte und Pflichten erworben. Dieses gesetzliche Gewaltverhältnis müsse Österreich nach Art 3 Minderjährigenschutzabkommen (MSA) anerkennen.

Das Rekursgericht hob infolge Rekurses der Mutter den Beschluss des Erstgerichts auf und verwies die Pflegschaftssache an dieses zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Bei Mehrstaatlern sei die „effektive“ Staatsangehörigkeit entscheidend. Als Heimatrecht sei das Recht jenes Landes heranzuziehen, zu dem das Kind die engste Beziehung aufweise. Dies sei hier das österreichische Recht, weil sich der Lebensmittelpunkt der Minderjährigen nach ihrem Aufenthalt in Deutschland seit Juni 2012 ausschließlich in Österreich befinde. Damit komme die Obsorge der Mutter alleine zu. Ob eine gemeinsame Obsorge der Eltern dem Wohl des Kindes entspreche, könne mangels entsprechender Erhebungen und Feststellungen derzeit nicht beurteilt werden. Mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt sei der ordentliche Revisionsrekurs zuzulassen.

Der Vater macht in seinem Revisionsrekurs unrichtige rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts geltend und beantragt die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts. Das Rekursgericht habe das effektive Heimatrecht des Kindes falsch ermittelt, zumal dieses immer wieder Urlaube in Italien verbracht habe. Die Entscheidung des Rekursgerichts verletze verfassungsmäßige Rechte des Vaters und des Kindes und verstoße gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Art 14 iVm Art 8 EMRK.

Die Mutter beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben und den Antrag des Vaters auf Übertragung der gemeinsamen Obsorge abzuweisen, in eventu den Beschluss des Rekursgerichts zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klärung der Rechtslage zulässig; er ist aber nur teilweise berechtigt.

1. Aufgrund der nicht erfolgten Ratifizierung des Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996, BGBl III 2011/49 (KSÜ) durch Italien (siehehttps://treatydatabase.overheid.nl/en/Verdrag/Details/007396 vom 16. 2. 2015) bleibt im Verhältnis zwischen Österreich und Italien weiterhin das Haager Minderjährigenschutz- übereinkommen (BGBl 1975/446, MSA) in Geltung (vgl Art 51 KSÜ; Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 112‑116 Rz 73).

2.1. Nach Art 3 MSA ist ein Gewaltverhältnis, das nach dem innerstaatlichen Recht des Staates, dem der Minderjährige angehört, kraft Gesetzes besteht, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen.

2.2. Art 3 MSA ist eine materiellrechtliche Kollisionsnorm und berührt Zuständigkeitsfragen nicht (RIS‑Justiz RS0074279, 6 Ob 30/08t). Es geht in seinem Anwendungsbereich dem österreichischen Kollisionsrecht vor (RIS‑Justiz RS0117610 [T1]).

3.1. Grundsätzlich werden nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs Mehrstaatler, die auch Österreicher sind, zwar ebenfalls als Inländer behandelt, das inländische Recht darf dann jedoch nicht jedenfalls bevorzugt angewendet werden; entscheidend ist vielmehr die jeweils „effektive“ Staatsangehörigkeit des Kindes (RIS‑Justiz RS0074312).

3.2. In dem der Entscheidung 3 Ob 89/05t (JBl 2005, 793) zugrundeliegenden Fall, bei dem es um Kindesentführung ging, ließ der Oberste Gerichtshof offen, ob das Kriterium der effektiven Staatsangehörigkeit auch auf die Frage des Heimatrechts des Art 3 MSA wirkt.

4.1. In der Lehre spricht sich Kropholler (Das Haager Abkommen über den Schutz Minderjähriger2 [1977] 22 f; derselbe in Staudinger, BGB13 [1994] Vor Art 19 EGBGB Rn 339) dafür aus, auch zu Art 3 MSA auf die effektive Staatsangehörigkeit abzustellen.

4.2. Allinger (Das Haager Minderjährigenschutz- übereinkommen ‑ Probleme, Tendenzen und Perspektiven 62 f) plädiert ebenso für die Berücksichtigung der effektiven Staatsangehörigkeit in den Fällen der mehrfachen Staatsangehörigkeit ua im Zusammenhang mit der Anwendung von Art 3 MSA und wendet sich gegen eine Kumulierung der Rechtsordnungen. Die Heranziehung des Effektivitäts-kriteriums zur Lösung von Konflikten, die aus der Kumulierung von Anknüpfungspunkten resultierten, finde eine Stütze auch im Abkommen selbst. Dort werde in Art 14 für die entsprechende Problematik der Uneinheitlichkeit der zur Anwendung berufenen Rechtsordnung ebenfalls darauf abgestellt, zu welcher der Teilrechtsordnungen die engste Beziehung bestehe.

4.3. Nach Nademleinsky/Neumayr (Inter-nationales Familienrecht [2007] Rz 01.30 mwN) kann ‑ anders als im autonomen IPR ‑ zur Lösung des Problems mehrfacher Staatsangehörigkeit bei Anwendung internationaler Instrumente als Heimatstaat nur jener angesehen werden, dem die betroffene Person „effektiv“ angehört (vgl auch Oberloskamp, Haager Minderjährigenschutzabkommen, Erläuterungen für die Praxis Rn 68; Mansel, IPrax 1985, 209 f; Rauscher, IPrax 1985, 214 f).

4.4. Schließlich führt selbst Schwimann ‑ auf den sich der Vater beruft (Internationales Privatrecht2 [1999] 129 f) im Zusammenhang mit Art 3 MSA aus, dass bei Mehrstaatlern allein die „effektive“ Staatsangehörigkeit den Ausschlag gibt.

5. Im vorliegenden Fall kann kein Zweifel daran bestehen, dass die engste Beziehung der Minderjährigen zum Wohnsitzstaat Österreich, in dem sie auch geboren wurde, besteht. (Auch mehrmalige) Urlaube in Italien vermögen daran nichts zu ändern. Als Heimatrecht ist daher österreichisches Recht heranzuziehen. Der Vater kann sich nicht auf das nach italienischem Recht bestehende gesetzliche Obsorgerecht berufen. Hiegegen bestehen entgegen seinen Ausführungen auch keine verfassungsmäßigen (EMRK) Bedenken.

6.1. Nach § 180 Abs 1 Z 2 ABGB steht es jedem Elternteil frei, ua seine Beteiligung an der Obsorge zu beantragen. Die Entscheidung des Gerichts hat nach Maßgabe des Kindeswohls zu erfolgen (§ 107 Abs 2 AußStrG).

6.2. Das Rekursgericht hat zutreffend ausgeführt, dass derzeit noch nicht beurteilt werden kann, welche Regelung dem Wohl des Kindes am besten entspricht, und dem Erstgericht entsprechende Erhebungen bzw Feststellungen aufgetragen. Dem Revisionsrekurs des Vaters war daher insoweit nicht Folge zu geben. Es hat diesbezüglich bei der Zurückverweisung an das Erstgericht zu verbleiben.

Sein Antrag auf Ausstellung einer Amtsbestätigung, dass ihm die Obsorge zur Minderjährigen zukomme, ist hingegen mangels gesetzlicher Grundlage abzuweisen. Da auch im Außerstreitverfahren das Verbot der reformatio in peius bei der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gemäß § 70 Abs 2 AußStrG nicht gilt (RIS‑Justiz RS0123359), war dem Revisionsrekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts daher bloß insoweit Folge zu geben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte