OGH 6Ob30/08t

OGH6Ob30/08t8.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Sarah M*****, geboren am 7. Jänner 2001, und Larissa M*****, geboren am 24. Mai 2003, beide *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Mag. Alexis D*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. September 2007, GZ 42 R 301/07m-S46, mit dem die Amtsbestätigung des Bezirksgerichts Josefstadt vom 20. März 2007, GZ 16 P 91/03k-S7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Die am 7. 1. 2001 geborene Sarah M***** und ihre am 24. 5. 2003 geborene Schwester Larissa M***** sind die außerehelichen Kinder der Maureen M***** und des Mag. Alexis D*****, der seine Vaterschaft jeweils anerkannt hat. Sie leben bei ihrer Mutter in Wien und sind kanadische Staatsangehörige. Die Mutter ist ebenfalls kanadische Staatsangehörige und stammt aus der kanadischen Provinz Saskatchewan; der Vater ist Österreicher.

Die Mutter beantragte mit Schreiben vom 27. 11. 2006 (beim Erstgericht am 29. 11. 2006 eingelangt) die Ausstellung eines „document that states the children are under Austrian law, and that under this law I have full custody rights". Sie habe mit dem Vater der Minderjährigen zwar in einer Lebensgemeinschaft gelebt, diese sei aber vor der Geburt von Larissa zerbrochen; sie lebe nach wie vor mit den Minderjährigen in Österreich und sei auch bereit, weiterhin hier zu bleiben.

Das Erstgericht stellte eine Amtsbestätigung aus, wonach das Recht, die Minderjährigen zu pflegen und zu erziehen, ihr Vermögen zu verwalten und sie zu vertreten, nur der Mutter alleine zukomme (alleinige Obsorge).

Der Vater erhob zum einen Rekurs gegen diese Amtsbestätigung, zum anderen beantragte er, die Obsorge hinsichtlich beider Minderjähriger der Mutter zu entziehen und auf ihn allein zu übertragen sowie ihm die Obsorge vorläufig zu übertragen. Der Antrag auf vorläufige Obsorgeübertragung wurde zwischenzeitig rechtskräftig abgewiesen, im Übrigen ist das Obsorgeverfahren noch anhängig; am 17. 7. 2007 stellte das Erstgericht gemäß § 186 AußStrG eine (weitere) Amtsbestätigung aus, wonach zwischen den Eltern ein Obsorgestreit bestehe, der noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. In der Sache selbst vertrat es die Auffassung, das Erstgericht habe eine Bestätigung nach § 107 Abs 1 Z 1 AußStrG ausgestellt; der Vater sei durch ihren Inhalt beschwert und damit rekurslegitimiert. Allerdings komme der Mutter tatsächlich die alleinige Obsorge zu, weil nach dem anzuwendenden Recht der kanadischen Provinz Saskatchewan das Wahldomizil der Mutter, von der die Minderjährigen ihr Domizil ableiten, maßgeblich sei; die Mutter und die Minderjährigen hätten zum Zeitpunkt der Ausstellung der Amtsbestätigung ständigen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt in Österreich, womit österreichisches Recht anzuwenden sei, das wiederum die alleinige Obsorge der Mutter für ihre außerehelichen Kinder vorsehe.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig; er ist auch berechtigt.

Der Vater meint, die Amtsbestätigung des Erstgerichts sei inhaltlich unrichtig; nach dem auf die beiden Minderjährigen anzuwendenden „The Children's Law Act, 1997" der kanadischen Provinz Saskatchewan komme den Eltern die Obsorge gemeinsam zu.

1. Nach § 107 Abs 1 Z 1 AußStrG ist den Parteien (unter anderem) in einem Verfahren über die Obsorge auf Antrag eine Ausfertigung der Entscheidung ohne Begründung (1. Fall) oder eine Urkunde auszustellen, in der der Umfang der Betrauung mit der Obsorge umschrieben ist (2. Fall). Die Frage, ob im konkreten Fall eine solche begründungslose Entscheidungsausfertigung oder ein „Obsorgedekret" (Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] § 107 Rz 1) auszustellen ist, ist eine solche des Verfahrensrechts und unterliegt damit jedenfalls der lex fori (ebenso Verschraegen in Rummel, ABGB³ [2004] § 27 IPRG Rz 10 [„verfahrenstechnisch-formaler Charakter"]), hier also österreichischem Recht.

Internationale Zuständigkeit

2.1. Österreich ist Vertragsstaat des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (BGBl 1975/446; Haager Minderjährigenschutzübereinkommen; MSA). Dieses findet nach seinem Art 13 räumlich-persönlich Anwendung auf alle Minderjährigen mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Vertragsstaat, und zwar seit der Zurückziehung des österreichischen Vorbehalts zu Art 13 Abs 3 (BGBl 1990/439) in Österreich auch auf Minderjährige, die nicht Staatsangehörige eines Vertragsstaats sind (stRsp, s 7 Ob 181/98p = EFSlg 87.913 mwN). Seine Anwendbarkeit im vorliegenden Fall erscheint damit trotz kanadischer Staatsangehörigkeit der beiden Minderjährigen im Hinblick darauf nicht von vornherein ausgeschlossen, dass diese derzeit in Österreich leben und damit hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Allerdings macht das MSA in seinem Art 1 die Zuständigkeit der Aufenthaltsbehörden davon abhängig, dass diese „Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens des Minderjährigen zu treffen" haben. Unter einer derartigen Schutzmaßnahme sind individuelle staatliche Akte - welcher Art (privater oder öffentlich-rechtlicher Natur) auch immer und unabhängig von ihrer Sachbezeichnung (8 Ob 515/81 = EFSlg 39.799 mwN; Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht [2007] Rz 08.12) - zu verstehen, die den Minderjährigen in seinem Interesse und soweit erforderlich vor den spezifischen mit der Minderjährigkeit verbundenen Gefahren bewahren, wie dies sonst Aufgabe der Eltern ist (Schwimann, Das Haager Minderjährigenschutzabkommen und seine Anwendung in Österreich, JBl 1976, 233; Allinger, Das Haager Minderjährigenschutzabkommen [1988] 50; Schwind, Internationales Privatrecht [1990] Rz 345; Boric, Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht [1999] 71 FN 1; Anzinger in Burgstaller, Internationales Zivilverfahrensrecht [2000] Rz 5.78; Nademleinsky/Neumayr, aaO; LGZ Wien EFSlg 82.018). Voraussetzung ist also ein Gestaltungs- und Regelungscharakter der Schutzmaßnahme; es muss sich um einen schützenden Eingriff oder um eine regelnde Maßnahme mit Gestaltungscharakter zur Wahrung und Förderung des Kindeswohls handeln (Schwimann, Grundriss des internationalen Privatrechts [1993] 238; ders, Internationales Privatrecht² [1999] 130; vgl auch 7 Ob 724/82 = IPRE 1/147), zumindest aber um eine gerichtliche Kontrolle der elterlichen Sorge (Verschraegen in Rummel, ABGB³ [2004] § 24 IPRG Rz 9; aA allerdings Heldrich in Palandt, dBGB65 [2006] Anh zu EGBGB [IPR] Rz 14).

Nicht erfasst vom MSA sind daher Maßnahmen, die nicht an sich dem Schutz des Minderjährigen dienen (Nademleinsky/Neumayr aaO Rz 08.15), wie etwa lediglich deklaratorisch wirkende Maßnahmen, die also eine kraft Gesetzes eingetretene Rechtsfolge feststellen (Kropholler in Staudinger, EGBGB12 [1979] Vorbem zu Art 18 Rz 273; siehe auch die weiteren Nachweise bei Krah, Das Haager Kinderschutzübereinkommen [2003] 54 FN 357; vgl Nademleinsky/Neumayr aaO Rz 08.15; Kropholler aaO Rz 287 unter Hinweis auf deutsche Rechtsprechung [Feststellung des Ruhens der elterlichen Gewalt aus Rechtsgründen gemäß § 1673 dBGB]; aA allerdings Allinger aaO 60; Krah aaO 54).

Da im vorliegenden Fall ein die gesetzliche Obsorge lediglich feststellendes „Obsorgedekret" zu beurteilen ist, durch welches gerade nicht in die Eltern-Kind-Rechte oder in sonstige Rechte gestaltend oder regelnd eingegriffen werden soll und bei dem es sich auch nicht um eine Maßnahme der gerichtlichen Kontrolle der elterlichen Obsorge handelt (siehe dazu unter 5.), liegt keine Schutzmaßnahme im Sinne des Art 1 MSA vor.

2.2. Im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Minderjährigen in Österreich stützt sich die - von den Vorinstanzen implicite anerkannte - inländische (Pflegschafts-)Gerichtsbarkeit daher auf § 110 Abs 1 Z 2 iVm § 109 Abs 1 JN (Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht [2007] Rz 08.25 mwN in FN 55).

Obsorgedekrete

3. Nach den Materialien (zit bei Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] 349 f) soll § 107 Abs 1 Z 1 1. Fall AußStrG die Vorlage von (Obsorge-)Entscheidungen mittels begründungsloser Entscheidungsausfertigung, also ohne kompromittierende Details, bei Dritten erleichtern (vgl auch Deixler-Hübner in Rechberger, AußStrG [2006] § 107 Rz 2, die auf die Notwendigkeit der Vorlage etwa bei Schulbehörden verweist). Insofern entspricht diese Bestimmung § 96 Abs 5 AußStrG, wonach den Parteien eines außerstreitigen Scheidungsverfahrens auf Antrag eine Ausfertigung des Scheidungsbeschlusses ohne Begründung auszustellen ist. Das Pflegschaftsgericht trifft in diesen Fällen keine eigene Entscheidung; es wird lediglich eine von deren Urschrift - durch Weglassen der Begründung - abweichende Beschlussausfertigung hergestellt.

Eine Obsorgeentscheidung ist im vorliegenden Verfahren (noch) nicht ergangen; damit ist aber auch kein Anwendungsfall des § 107 Abs 1 Z 1 1. Fall AußStrG gegeben.

4. Mit § 107 Abs 1 Z 1 2. Fall AußStrG hat der Gesetzgeber zunächst auf jene Fälle Bedacht genommen, in denen es zwar eine gerichtliche Obsorgeentscheidung gibt, diese jedoch lediglich in der Genehmigung einer zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarung besteht; eine begründungslose Ausfertigung eines solchen Beschlusses wäre dann aber nicht ausreichend, um die Vertretungsverhältnisse klarzulegen (vgl wiederum die Mat, zit bei Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] 350; ebenso Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] § 107 Rz 1; Deixler-Hübner in Rechberger, AußStrG [2006] § 107 Rz 3). Diese Variante des „Obsorgedekrets" entspricht einer Amtsbestätigung nach § 186 AußStrG und ist damit im Hinblick auf § 149 Abs 3 Geo ein Beschluss (vgl 6 Ob 22/08s zu Amtsbestätigungen nach § 178 Abs 7 bzw § 186 AußStrG).

Auch eine derartige Sachverhaltskonstellation ist im vorliegenden Verfahren nicht gegeben. Im Akt erliegt zwar ein Schreiben des Vaters vom 17. 6. 2004, wonach „vorerst, unter anderem auch durch Mediation, eine friedliche Lösung gefunden werden" konnte; zu einer pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vereinbarung der Parteien ist es aber nicht gekommen. Ob eine derartige Amtsbestätigung überhaupt anfechtbar wäre, kann somit dahin gestellt bleiben.

5.1. Nach den Materialien (zit bei Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] 350) soll § 107 Abs 1 Z 1 2. Fall AußStrG schließlich auch jene Fälle erfassen, in denen ein ex lege mit der Obsorge betrauter Elternteil das Bedürfnis nach einer die Obsorgebetrauung belegenden Urkunde hat; auch für solche Fälle sei die Ausstellung einer eigenen Urkunde erforderlich. Die Bestimmung entspricht damit § 185a Abs 1 AußStrG 1854 idF KindRÄG 2001 (vgl dazu Deixler-Hübner in Ferrari/Hopf, Reform des Kindschaftsrechts [2001] 124), nach dessen Materialien wiederum der mit der Obsorge betraute Elternteil die Ausstellung einer derartigen Urkunde begehren können sollte, „um allfällige Unklarheiten zu beseitigen und die neu verliehenen oder verbleibenden Befugnisse Dritten gegenüber jederzeit nachweisen zu können".

Deixler-Hübner (in Rechberger, AußStrG [2006] § 107 Rz 3) vertritt daher auch zu § 107 Abs 1 Z 1 2. Fall AußStrG die Auffassung, dem ex lege mit der Obsorge betrauten Elternteil sei (allenfalls) eine Urkunde auszustellen, mit der „explizit über den genauen Umfang seiner Obsorgebetrauung entschieden wird"; Feil/Marent (AußStrG [2004] § 107 Rz 3) meinen, eine derartige Urkunde könne „einen wichtigen Beitrag zur Rechtsklarheit liefern".

Diese Überlegungen überzeugen, weil sie auch den offensichtlichen Willen des historischen Gesetzgebers berücksichtigen. Dieser hat ja zur nahezu wortgleichen Vorläuferbestimmung (§ 185a Abs 1 AußStrG 1854) ausdrücklich auf die allfällige Beseitigung von Unklarheiten in den Obsorgeverhältnissen durch eine derartige Urkunde hingewiesen.

5.2. Das „Obsorgedekret" nach § 107 Abs 1 Z 1 2. Fall AußStrG stellt in dieser Variante aber nur dann eine - dem § 186 Abs 1 AußStrG vergleichbare - Amtsbestätigung über aktenmäßig bei Gericht bekannte Tatsachen dar, wenn die Obsorgeverteilung zwischen den Eltern unstrittig ist. Nach dieser Bestimmung, die § 281 AußStrG 1854 entspricht, hat nämlich zwar der Antragsteller ein über das bloße Informationsbedürfnis hinaus gehendes rechtliches Interesse an der Ausstellung einer derartigen Amtsbestätigung zu behaupten und zu bescheinigen (1 Ob 553/92 = EvBl 1992/153); durch sie kann aber ein der Rechtskraft fähiger Ausspruch über einen strittigen Rechtsschutzantrag nicht erfolgen (7 Ob 505/85).

Damit wäre zwar die Abweisung eines Antrags auf Ausstellung eines derartigen „Obsorgedekrets" anfechtbar (vgl 1 Ob 510/91 = NRsp 1991/112 [zu einer Amtsbestätigung nach § 281 AußStrG 1854]), dessen Ausstellung jedoch nicht, wenn die Frage der ex lege bestehenden Obsorgeverteilung tatsächlich unstrittig ist.

5.3. Soll hingegen eine ex lege bestehende Obsorgeverteilung in einem Fall urkundlich bestätigt werden, in dem die Eltern unterschiedlicher Auffassung sind und jeder Elternteil für sich ein bestehendes (Teil- bzw Mit-)Obsorgeverhältnis in Anspruch nimmt (dies wird hauptsächlich in Fällen gegeben sein, an denen Personen mit ausländischem Personalstatut beteiligt sind und in denen noch keine Obsorgeentscheidung getroffen worden ist), kann nicht mehr lediglich von einer Amtsbestätigung gesprochen werden. Inhaltlich wird hier ja letztlich über einen Rechtsschutzantrag entschieden, der dahin lautet festzustellen, wer von den Elternteilen - allenfalls in welchem Ausmaß - tatsächlich ex lege mit der Obsorge betraut ist. Dabei wird die Entscheidung zwar regelmäßig von der Beurteilung von Rechtsfragen abhängen, bisweilen können aber auch Tatfragen eine Rolle spielen.

Auch wenn ein derartiges feststellendes „Obsorgedekret" nicht mit einer (rechtsgestaltenden) Entscheidung über die Regelung der Obsorge (Entziehung und Übertragung gemäß § 176 ABGB, Zuweisung gemäß § 177a ABGB, Genehmigung gemäß § 177 ABGB) verwechselt werden darf, sind aber doch regelmäßig die diese Obsorgeverfahren regelnden Bestimmungen, insbesondere die Anfechtungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Demjenigen Elternteil, der die Obsorge (ebenfalls) für sich in Anspruch nimmt, muss also im Hinblick auf § 45 AußStrG die Möglichkeit der Anfechtung eines seinen Standpunkt nicht teilenden „Obsorgedekrets" bzw - wie im vorliegenden Verfahren - einer „Amtsbestätigung" zu Gunsten des anderen Elternteils eingeräumt werden.

6. In einem von den Eltern im Jahr 2003/2004 geführten - allerdings nur Sarah betreffenden und ohne gerichtliche Entscheidung endenden - Obsorgeverfahren gingen diese übereinstimmend von der alleinigen Obsorge der Mutter aus (vgl etwa ON 2 [„ich habe die alleinige Obsorge bezüglich meiner beiden Kinder"], was vom Vater damals nicht bestritten wurde; vgl auch ON 22). Dennoch lehnte das Erstgericht am 22. 7. 2004 einen Antrag der Mutter vom 14. 4. 2004 auf Ausstellung einer Bestätigung, wonach sie die alleinige Obsorge hinsichtlich der beiden Minderjährigen habe, jedenfalls hinsichtlich Sarah mit der Begründung ab, diese sei kanadische Staatsangehörige, wobei das Recht der kanadischen Provinz Saskatchewan anzuwenden sei; nach diesem übten jedoch auch die Eltern unehelich geborener Kinder die Obsorge gemeinsam aus.

Nunmehr stellte das Erstgericht allerdings die am 27. 11. 2006 von der Mutter neuerlich beantragte Bestätigung aus, wonach dieser die alleinige Obsorge hinsichtlich beider Minderjähriger zukomme, ohne eine Begründung für diese Änderung der Rechtsauffassung offen zu legen und ohne den Vater vorher zu hören. Dieser wies sowohl in seinem Rekurs als auch in dem - noch nicht rechtskräftig beendeten - Obsorge-(und Besuchsrechts-)verfahren, in dem er unter anderem den Antrag gestellt hat, ihm die Obsorge hinsichtlich beider Minderjähriger alleine zu übertragen (ON S 16), darauf hin, dass nach dem maßgeblichen Recht der kanadischen Provinz Saskatchewan die Obsorge beiden Elternteilen zukomme.

Damit kann aber im vorliegenden Verfahren nicht davon ausgegangen werden, dass mit der Amtsbestätigung des Erstgerichts lediglich eine - zwischen den Beteiligten unstrittige - ex lege bestehende Obsorgeverteilung bestätigt werden sollte; tatsächlich ist die Frage der Obsorgeverteilung zwischen den Eltern strittig, was im Übrigen das Erstgericht mit seiner weiteren Amtsbestätigung vom 17. 7. 2007 zwischenzeitig auch selbst bestätigt hat.

Die „Amtsbestätigung" des Erstgerichts erweist sich daher als anfechtbar, weil sie inhaltlich über einen strittigen Rechtsschutzanspruch abspricht; der Vater ist durch die „Feststellung" der alleinigen Obsorge der Mutter auch beschwert, was keiner weiteren Erörterung bedarf und im Revisionsrekursverfahren auch nicht in Frage gestellt wird. Dass zum Zeitpunkt der Ausstellung der „Amtsbestätigung" durch das Erstgericht der Vater der Auffassung der Mutter, allein obsorgeberechtigt zu sein, noch nicht entgegen getreten war, ändert daran nichts. Das Erstgericht hatte ja ursprünglich selbst die Problematik der allfälligen gemeinsamen Obsorge der Eltern aufgeworfen. Im Übrigen ist in Obsorgeverfahren unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung abzustellen (stRsp, s 4 Ob 2/07h = EF-Z 2007/104).

Anzuwendendes materielles Recht

7.1. Sowohl die Wirkungen der Unehelichkeit eines Kindes (§ 25 Abs 2 IPRG) als auch dessen Obsorge (§ 27 Abs 1 IPRG) sind nach dem Personalstatut des Kindes zu beurteilen (Verschraegen in Rummel, ABGB³ [2004] § 27 Rz 1; vgl auch Schwimann, Internationales Privatrecht² [1999] 126). Gemäß Art 3 MSA ist ein Gewaltverhältnis, das nach dem innerstaatlichen Recht des Staats, dem der Minderjährige angehört, kraft Gesetzes besteht, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen. So ist die kraft Gesetzes bestehende elterliche Obsorge nach den Sachnormen des Heimatrechts des Kindes zu beurteilen (Schwimann aaO 129).

7.2. Trotz dieses Gleichlaufs bedarf es aus folgenden Gründen einer näheren Auseinandersetzung mit der auch im deutschen Sprachraum unterschiedlich beantworteten Frage, ob bei der Feststellung der ex lege bestehenden Obsorgeverhältnisse der beiden Minderjährigen das anzuwendende materielle Familienrecht aufgrund der Bestimmungen des IPR-Gesetzes oder aufgrund Art 3 MSA zu ermitteln ist:

Die Verweisung auf eine fremde Rechtsordnung umfasst gemäß § 5 Abs 1 IPRG auch deren Verweisungsnormen; nach Abs 2 sind dann die österreichischen Sachnormen (Rechtsnormen mit Ausnahme der Verweisungsnormen) anzuwenden, wenn die fremde Rechtsordnung ins österreichische Recht zurückverweist („renvoi"); nach Art 3 MSA sind hingegen gesetzliche Gewaltsverhältnisse grundsätzlich - also unter Ausschluss einer Rückverweisung auf das Recht des Aufenthaltsorts des Minderjährigen (Kropholler, Einige deutsche Erfahrungen mit dem Haager Minderjährigenschutzabkommen, ZfRV 1975, 207 unter Hinweis auf den „ständigen Sprachgebrauch der Konferenz"; Heldrich in Palandt, dBGB65 [2006] Anh zu EGBGB [IPR] Rz 22; Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht [2007] Rz 08.78 FN 150) - nach dessen Heimatrecht zu beurteilen (genau auf diese Problemstellung hinweisend bereits Duchek/Schwind, IPR [1979] 148 Anm 9).

Es ist daher zu prüfen, ob Art 3 MSA erst bei der Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen für Minderjährige eingreift („Vorfragenfunktion") oder ob er eine selbstständige Sonderanknüpfung des Tatbestands des gesetzlichen Gewaltverhältnisses darstellt:

7.2.1. Schon Schwimann (aaO 238) hat auf den französischen authentischen Text des Art 3 MSA hingewiesen; „... est reconnu ..." sei im Sinn unmittelbarer Wirksamkeit oder Geltung in den Vertragsstaaten zu verstehen. Auch Siehr (in Zürcher Kommentar zum IPRG² [2004] Art 85 Rz 61 mwN) macht darauf aufmerksam, dass nach französischem Sprachverständnis „Anerkennung" im Sinne des Art 3 MSA ohnehin bedeutet, dass eine kraft Gesetzes entstandene Situation überall zu honorieren sei; deshalb werde Art 3 auch in Frankreich wie eine normale Verweisungsnorm angewendet; lediglich außerhalb von Frankreich habe die wörtliche, aber unkorrekte Übersetzung des Art 3 aus dem Französischen dazu geführt, dass dieser auf eine „Störfunktion" bei Art 1 reduziert ist.

7.2.2. Schwimann (JBl 1976, 233 [238]) vertritt die Auffassung, eine Beschränkung des Art 3 MSA auf die Vorfragenfunktion würde weder dem Sinn noch dem Text des Übereinkommens entsprechen. Die Anerkennung von gesetzlichen Gewaltverhältnissen durch Art 3 bilde schon gesetzestechnisch eine selbständige Vorschrift und keineswegs einen bloßen Vorbehalt für die Maßnahmenanordnung. Das Übereinkommen habe sich laut Titel und Präambel ausdrücklich auch die Vereinheitlichung der Rechtsanwendung auf dem umfassenden „Gebiet des Schutzes von Minderjährigen" zum Ziel gesetzt; jedes Minderjährigenschutzsystem müsse aber sinnvollerweise Maßnahmen als subsidiäres Mittel ansehen und primär die Beachtung bereits unmittelbar kraft Gesetzes bestehender Schutzverhältnisse zur Grundlage haben. Unter diesem Gesichtspunkt erweise sich Art 3 als die eigentliche Grundregel des MSA. Sie bedeute eine selbständige Sonderanknüpfung des Tatbestands „gesetzliches Gewaltverhältnis über Minderjährige", die freilich auf den räumlichen und persönlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens (Art 13) beschränkt bleibe. Das MSA greife demnach nicht erst bei der Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen über Minderjährige ein, sondern regle bereits die Anknüpfung für elterliche Gewalt und gesetzliche Vertretung.

Diesen Ausführungen schlossen sich Duchek/Schwind (IPR [1979] 148 Anm 9) an (in diesem Sinn auch Schwind, Internationales Privatrecht [1990] Rz 342; Neumayr in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB² [2007] § 24 IPRG Rz 2; Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht [2007] Rz 08.78).

7.2.3. In Deutschland, das ebenfalls Vertragsstaat des MSA ist (BGBl 1975/446), ist es in diesem Zusammenhang nunmehr herrschende Auffassung (vgl Heldrich in Palandt, dBGB65 [2006] Anh zu EGBGB [IPR] Rz 20, 21; aA Kropholler in Staudinger, EGBGB13 [1994] Vorbem zu Art 19 Rz 280 mwN), dass das Heimatrecht des Minderjährigen von Art 3 MSA nur bei der Beurteilung der Vorfrage zur Anwendung berufen ist, ob die internationale Zuständigkeit des Aufenthaltsstaats zur Anordnung einer Schutzmaßnahme durch ein gesetzliches Gewaltverhältnis eingeschränkt wird; Art 3 sei nämlich keine selbstständige Kollisionsnorm, die auch unabhängig von einer Schutzmaßnahme das Bestehen eines gesetzlichen Gewaltverhältnisses dem Heimatrecht des Minderjährigen unterstellt; insoweit blieben die autonomen Kollisionsnormen des Aufenthaltsstaats maßgebend, was durchaus eine gespaltene kollisionsrechtliche Beurteilung gesetzlicher Gewaltverhältnisse zur Folge haben könne; solange keine Schutzmaßnahme getroffen werden soll, sei etwa über Bestehen und Umfang der Obsorge nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Minderjährigen zu entscheiden; erst wenn sich aufgrund der Umstände des Einzelfalls das Bedürfnis nach einer Schutzmaßnahme ergebe, sei das MSA anzuwenden. Dem hat sich - neben verschiedenen Oberlandesgerichten (vgl die Nachweise bei Heldrich aaO) - zwischenzeitig auch der deutsche Bundesgerichtshof angeschlossen (BGHZ 111, 199 = NJW 1990, 3073).

7.2.4. Auch in der Schweiz, die ebenfalls Vertragsstaat des MSA ist (BGBl 1975/446), wird Art 3 Haager Minderjährigenschutzübereinkommen auf eine „Störfunktion" des Art 1 reduziert (Siehr in Zürcher Kommentar zum IPRG² [2004] Art 85 Rz 61), worunter die Vorfragenfunktion im Sinne der Ausführungen zu 7.2. zu verstehen ist (vgl Siehr aaO Rz 31).

7.2.5. Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung 5 Ob 503/90 den Ausführungen von Duchek/Schwind (aaO) angeschlossen und ausgeführt, Art 3 MSA sei eine „materiell-rechtliche Kollisionsnorm", die mit der „Gründung der Zuständigkeit der Gerichte des einen oder anderen Vertragsstaats [im Sinne des Art 1] überhaupt nichts zu tun" habe.

7.2.6. Der erkennende Senat hält an diesen Überlegungen fest. Das MSA hat sich unter anderem die Vereinheitlichung der Rechtsanwendung auf dem umfassenden „Gebiet des Schutzes von Minderjährigen" zum Ziel gesetzt (Schwimann aaO 238). Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es aber wenig verständlich, über Bestehen und Umfang der Obsorge nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Minderjährigen zu entscheiden, solange keine Schutzmaßnahme getroffen werden soll, und das Übereinkommen anzuwenden, wenn sich aufgrund der Umstände des Einzelfalls das Bedürfnis nach einer Schutzmaßnahme ergibt. Gesetzliche „Gewaltverhältnisse" (etwa kraft Gesetzes bestehende Obsorgeverhältnisse) richten sich gemäß Art 3 MSA nach den Sachnormen des Heimatrechts des Kindes, und zwar unabhängig davon, ob die Anordnung von Schutzmaßnahmen notwendig ist.

Kanadisches Recht

7.3. Die beiden Minderjährigen sind kanadische Staatsangehörige; die Frage, welchem Elternteil die Obsorge beziehungsweise ob den Eltern die Obsorge gemeinsam zukommt, richtet sich daher gemäß Art 3 MSA, das die Anwendung des IPR-Gesetzes verdrängt (Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht [2007] Rz 08.08 mwN), nach kanadischem Recht.

8.1. Der Vater macht geltend, die Mutter stamme aus der kanadischen Provinz Saskatchewan, und verweist auf deren „The Children's Law Act, 1997"; dieser sehe grundsätzlich gemeinsame Obsorge der Eltern - auch bei unehelicher Geburt des Kindes - vor.

Besteht eine fremde Rechtsordnung aus mehreren Teilrechtsordnungen, so ist - in analoger Anwendung des § 5 Abs 3 IPRG, das Haager Minderjährigenschutzübereinkommen sieht diesbezüglich keine Sonderregelung vor - die Teilrechtsordnung anzuwenden, auf die die in der fremden Rechtsordnung bestehenden Regeln verweisen; mangels solcher Regeln ist die Teilrechtsordnung maßgebend, zu der die stärkste Beziehung besteht. Das Erstgericht hat (gemäß § 4 Abs 1 IPRG) die Auskunft des Bundesministeriums für Justiz vom 25. 1. 2007 eingeholt, „dass das internationale Privatrecht aller kanadischen Provinzen für das Kindschaftsrecht dem Domizilprinzip folgt, die Staatsangehörigkeit der Person spielt also keine Rolle (Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Kanada6 [1988] 22). Das Domizil eines Minderjährigen kann jedoch nicht ohne weiteres mit seinem gewöhnlichen Aufenthalt gleichgesetzt werden; Minderjährige haben in der Regel ein vom gesetzlichen Vertreter abgeleitetes Domizil".

8.2. Dieser - dem englischen Recht entnommene - Domizilbegriff ist dabei nicht identisch mit dem österreichischen Wohnsitzbegriff. Domizil bedeutet vielmehr die Zugehörigkeit zu einem Rechtsgebiet. Es gibt also keinen Domizilort, sondern nur ein Domizilgebiet. Jede Person muss ein Domizil, kann aber nur ein einziges Domizil haben. Mit der Geburt erwirbt sie ihr Ursprungsdomizil („domicile of origin"; 1 Ob 189/72 = SZ 45/116).

Da die Mutter selbst ausführt (vgl ON S1), sie sei in der kanadischen Provinz Saskatchewan geboren und auch aufgewachsen, liegt dort ihr Ursprungsdomizil, was sie auch nicht bestreitet, sondern in ihrer Revisionsrekursbeantwortung sogar ausdrücklich zugesteht.

8.3. Kinder teilen das Domizil ihrer Eltern („domicile of dependency"); das Ursprungsdomizil unehelicher Kinder ist jenes der Mutter (Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Großbritannien [2007] 46 f). Damit sind im vorliegenden Verfahren die Sachnormen der kanadischen Provinz Saskatchewan anzuwenden.

8.4. Der Entscheidung über den Antrag der Mutter auf Ausstellung eines „Obsorgedekrets" ist somit der „The Children's Law Act, 1997" zugrunde zu legen, der dem Erstgericht mit einer Auskunft der Justizbehörde von Saskatchewan vom 28. 6. 2004 übermittelt wurde. Nach dessen Part II 3 (1) „the parents of a child are joint legal custodians of the child with equal rights, powers and duties". Dies entspricht der Obsorge beider Eltern im Sinne des § 177 Abs 1 ABGB („gemeinsame Obsorge") und damit dem Rechtsstandpunkt des Vaters; der Antrag der Mutter auf Ausstellung eines „Obsorgedekrets", mit dem ihre alleinige Obsorge festgestellt wird, wäre damit abzuweisen.

Allerdings hat das Erstgericht mit den Parteien weder erörtert noch in diesem Sinn Feststellungen zur Frage getroffen, ob „the parents ... have never cohabited after the birth of the child", in welchem Fall nämlich „the parent with whom the child resides is sole legal custodian of the child" (Part II 3 [3]); dies entspräche wiederum § 166 ABGB und damit dem Rechtsstandpunkt der Mutter. Nach deren Ausführungen sollen die Eltern nämlich zwar noch nach der Geburt von Sarah, nicht mehr jedoch nach jener von Larissa zusammengelebt haben.

9. Damit bedarf eine Entscheidung über den Antrag der Mutter aber einer Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage. Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren mit den Parteien die Rechtslage nach dem Recht der kanadischen Provinz Saskatchewan zu erörtern und sodann festzustellen haben, ob die Eltern nach der Geburt der beiden Minderjährigen jemals zusammen gelebt haben, wobei diese Frage hinsichtlich jeder einzelnen Minderjährigen gesondert zu beurteilen sein wird.

Sollte das Erstgericht (neuerlich) zur Feststellung gelangen, dass die Obsorge hinsichtlich einer der beiden Minderjährigen oder hinsichtlich beider der Mutter allein zukommt, wird es zweckmäßig sein, im Hinblick auf den derzeitigen Verfahrensstand in diese Entscheidung einen Hinweis auf das anhängige Obsorgeverfahren aufzunehmen, um Rechtsunsicherheiten und eine - allenfalls - missbräuchliche Verwendung der Bestätigung zu vermeiden.

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