European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBS00007.14H.0123.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Revisionsbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom 1. 1. 2011 bis 16. 12. 2012 bei der Schuldnerin, über deren Vermögen am 27. 7. 2012 ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet wurde, als Angestellter beschäftigt. Er bezog ein Bruttomonatsgehalt von 6.500 EUR zuzüglich mehrerer Prämien. Unter Einrechnung (nur) der laufend ausbezahlten Prämienanteile überstieg sein Monatsbezug die zweifache Höchstbeitragsgrundlage nach § 45 Abs 1 ASVG.
Das Dienstverhältnis des Klägers endete durch seinen vorzeitigen Austritt gemäß § 25 IO. Sein aliquotes Gehalt samt laufenden Prämien für den Zeitraum vom 1. bis 16. 12. 2012, insgesamt 4.960 EUR brutto, wurde ihm aus der Masse bezahlt. Darüber hinaus erhielt er mit der Dezemberabrechnung 2012 Jahres‑ und Abschlussprämien ausbezahlt, sodass sich seine Bruttoeinkünfte in diesem Monat insgesamt auf 16.116,40 EUR beliefen.
Gegenstand des Verfahrens ist der von der Beklagten mit Bescheid abgelehnte Anspruch des Klägers auf Insolvenz‑Entgelt für Schadenersatz nach § 25 Abs 2 IO vom 17. 12. bis 31. 12. 2012, den er in Höhe des aliquoten (Netto‑)Grenzbetrags nach § 1 Abs 4 Z 1 IESG von 3.160 EUR geltend macht.
Die Beklagte wandte ein, der Kläger habe unter Anrechnung der im laufenden Monat bzw Quartal aus der Masse erhaltenen, nach § 1 Abs 4 letzter Satz IESG auf die gesicherten Forderungen anzurechnenden Gehalts‑ und Prämienzahlungen den Grenzbetrag bereits überschritten. Bei der Berechnung der nach § 1 Abs 3 Z 4 IESG höchstens gesicherten Forderung sei nicht zwischen laufendem Gehalt und Schadenersatz nach § 25 Abs 2 IO zu differenzieren, um eine ungerechtfertigte Besserstellung jener Arbeitnehmer zu vermeiden, die noch einen Teil ihrer Forderung vom Arbeitgeber lukrieren können. Der Kläger habe sich daher die vom Insolvenzverwalter für Dezember 2012 bezahlten Beträge auf den Grenzbetrag anrechnen zu lassen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Für die Berechnung des gesicherten Grenzbetrags komme es nicht darauf an, ob die innerhalb eines Kalendermonats zusammentreffenden Ansprüche arbeitsrechtlich als Entgelt oder als Kündigungsentschädigung bzw Schadenersatzanspruch nach § 25 Abs 2 IO zu qualifizieren seien und ob es sich insolvenzrechtlich um Masse‑ oder Insolvenzforderungen handle. Die gesetzliche Begrenzung der gesicherten Ansprüche entspreche dem Zweck des Insolvenz‑Ausfallgeldes als sozialversicherungsrechtlicher Mindestabsicherung.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.
Wesentlich sei im vorliegenden Fall, ob die bis 16. 12. 2012 aus der Masse gezahlten Entgeltbeträge nach § 1 Abs 4 letzter Satz IESG auf den ab 17. 12. gebührenden Schadenersatz gemäß § 25 IO anzurechnen seien. Bei der auf laufendes Entgelt und Prämien bis zum Austrittstag gewidmeten Zahlung des Insolvenzverwalters handle es sich aber zweifellos um keine Zahlung auf den „Einzelanspruch Kündigungsentschädigung“. Dieser Schadenersatzanspruch müsse daher wiederum bis zum aliquoten Grenzbetrag gesichert sein. Die Klagsstattgebung bewirke keine Besserstellung des Klägers, weil er ohne Austritt noch eine voll zu befriedigende Masseforderung für den gegenständlichen Zeitraum erworben hätte.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei, mit der sie die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung anstrebt, ist im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichts zulässig, weil die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Anrechnung des bis zum Austrittstag gezahlten laufenden Entgelts auf den Grenzbetrag nach § 1 Abs 4 IESG für die im selben Kalendermonat gebührende Kündigungsentschädigung einer Klarstellung bedarf.
Die Beantwortung der dem Klagevertreter am 23. 6. 2014 zugestellten Revision wurde nach Ablauf der vierwöchigen Frist, am 23. 7. 2014, eingebracht und war als verspätet zurückzuweisen.
Die Revision ist berechtigt.
1. Der Zweck der Insolvenzsicherung besteht darin, die von einer Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmer vor dem von ihnen nicht selbst abwendbaren und absicherbaren Risiko des gänzlichen oder teilweisen Verlustes jener Entgeltansprüche zu bewahren, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes sowie des Lebensunterhaltes ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RIS‑Justiz RS0076409). Das IESG gewährt aber keinen Anspruch auf lückenlose Sicherung. Die Herausnahme bestimmter Arbeitnehmeransprüche aus der Sicherung und die Einführung von Grenzbeträgen (sofern sie eine mit der sozialen Zielsetzung der Insolvenzrichtlinie zu vereinbarende soziale Schwelle nicht unterschreiten: Art 4 Abs 3 RL 2008/94/EG; vgl Gahleitner in ZellKomm² § 1 IESG Rz 66) steht mit dem auf einen Mindestschutz beschränkten Regelungszweck im Einklang.
2. Gemäß § 1 Abs 3 Z 4 IESG sind Entgeltansprüche von der Sicherung ausgeschlossen, wenn der als Insolvenz‑Ausfallgeld begehrte Bruttobetrag im Zeitpunkt der bedungenen Zahlung den Grenzbetrag nach Maßgabe des Abs 4 übersteigt. Als dieser gilt gemäß § 1 Abs 4 IESG der zweifache Betrag der Höchstbeitragsgrundlage nach § 45 Abs 1 ASVG, der bei Entgeltansprüchen, die nach Zeiträumen bemessen werden, mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Entlohnungszeitraumes zu vervielfachen ist.
Bei der Bemessung des Insolvenz‑Ausfallgeldes für pro Kalendermonat gebührende Entgeltformen (ausgenommen Sonderzahlungen) ist daher für die Ermittlung des Grenzbetrags nicht von einzelnen Tagen, sondern von der monatlichen Höchstbeitragsgrundlage auszugehen (RIS‑Justiz RS0113713; 9 ObS 26/89; 8 ObS 2/03g).
3. Nach § 1 Abs 4 IESG ist der jeweilige Grenzbetrag um die vom Arbeitgeber bzw der Masse auf den Einzelanspruch geleisteten Zahlungen zu vermindern, und zwar ungeachtet allfälliger abweichender Widmungen (RIS‑Justiz RS0076422; 8 ObS 235/01v = RIS‑Justiz RS0115913). Auch Entgeltzahlungen für einen datumsmäßig begrenzten Teil eines Entlohnungszeitraums sind auf den Monatsgrenzbetrag anzurechnen, sofern die Ansprüche ohne die Arbeitgeberzahlung der Insolvenzsicherung unterlegen wären (8 ObS 2/03g [vor bzw nach Ausgleichseröffnung]).
Durch die Anrechnung soll eine sachlich nicht begründete Besserstellung jener Arbeitnehmer verhindert werden, die ohnehin einen Teil ihrer Ansprüche vom Arbeitgeber hereinbringen konnten, dennoch aber die restlichen Ansprüche im Rahmen der Sicherungsmöglichkeiten des IESG ersetzt erhielten (RIS‑Justiz RS0076422), gegenüber jenen Arbeitnehmern, die mit ihren Ansprüchen zur Gänze auf den Insolvenzfonds angewiesen und höchstens bis zum Grenzbetrag abgesichert sind.
Die Überlegung des Berufungsgerichts, der Kläger wäre durch die Klagsstattgebung nicht bessergestellt, weil er ohne Austritt eine ungekürzte Masseforderung für den gesamten Dezemberbezug erworben hätte, ist daher nicht zielführend, sondern vermengt den arbeitsrechtlichen Anspruch mit dem Anspruch gegen die Sicherungseinrichtung. Es steht außer Frage, dass eine Vollzahlung des Entgelts durch den Arbeitgeber für den Arbeitnehmer immer günstiger ist als die Notwendigkeit, Ansprüche nach dem IESG geltend zu machen. Auf einen Vergleich zwischen arbeitsrechtlichem und gesichertem Anspruch kommt es aber nicht an, sondern auf den Vergleich zwischen dem gesichertem Anspruch bei völligem und jenem bei nur teilweisem Zahlungsausfall des Arbeitgebers.
Aus dem Blickwinkel der vom Gesetz bezweckten Existenzsicherung und der gebotenen Gleichbehandlung soll in beiden Fällen insgesamt nicht weniger, aber auch nicht mehr als der Grenzbetrag der Insolvenzsicherung unterliegen. Eine Nichtanrechnung der Arbeitgeberzahlung würde bei entsprechend hohen Bezügen bewirken, dass einem bereits teilweise lohnbefriedigten Arbeitnehmer auch ein überhaupt nicht gesicherter Anspruchsteil ersetzt werden müsste (vgl 8 ObS 292/00z [freiwillige Abfertigung]).
4. Weder die Widmung des vom Insolvenzverwalter an den Kläger im Dezember 2012 ausbezahlten laufenden Entgelts, noch dessen insolvenzrechtliche Qualifikation als Masseforderung stehen nach den dargelegten Grundsätzen einer Anrechnung nach § 1 Abs 4 IESG entgegen.
Innerhalb desselben Entlohnungszeitraums ist für die Anwendung des Grenzbetrags nicht zwischen verschiedenen periodenbezogenen gesicherten Entgeltansprüchen zu differenzieren. Ein solches Zusammentreffen liegt hier vor, weil nicht nur der Schadenersatz nach § 25 IO, sondern auch der Anspruch auf laufendes Entgelt nach der Berichtstagsatzung bzw nach Ablauf des Zeitraums nach § 3a Abs 5 und 6 IESG gemäß § 3a Abs 4 IESG zu den gesicherten Ansprüchen zählt; dass dafür nur eine Ausfallshaftung des Fonds besteht, ist ‑ vom maßgeblichen Standpunkt des durch die Regelung begünstigten Arbeitnehmers aus betrachtet ‑ nicht relevant.
5. Der Anspruch auf Schadenersatz nach § 25 Abs 2 IO entspricht der arbeitsrechtlichen Kündigungsentschädigung. Er unterliegt wie diese der Pflichtversicherung nach dem ASVG und erfüllt den Zweck, dem Arbeitnehmer das entgangene laufende, zur Bestreitung des Lebensunterhalts notwendige Entgelt zu ersetzen. Nach dem für das IESG maßgeblichen sozialversicherungsrechtlichen Entgeltbegriff handelt es sich bei einer Kündigungsentschädigung um einen Entgeltanspruch (vgl § 1 Abs 2 Z 1 IESG), der nach ständiger Rechtsprechung auch der Betragsbeschränkung des § 1 Abs 3 Z 4 IESG unterliegt (RIS‑Justiz RS0105988; 8 ObS 2291/96m; 8 ObS 2001/96i).
Das Argument, es gehe bei Entgelt und Schadenersatz nach § 25 IO um völlig unterschiedliche Ansprüche, die nichts miteinander zu tun hätten, sodass Zahlungen auf den einen nicht gegen den anderen aufgerechnet werden dürften, vermengt zivilrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Beurteilung.
Ein nach IESG durch den Fonds gesicherter Anspruch setzt zwar einen arbeitsrechtlichen Anspruch voraus, ist aber nicht mit diesem ident. Die Anrechnung der Zahlung des Insolvenzverwalters nach § 1 Abs 4 IESG erfolgt nicht auf den (arbeitsrechtlichen) Schadenersatzanspruch, der als ursprüngliche Forderung gegen den Arbeitgeber bzw die Masse völlig unberührt bleibt, sondern gemäß § 1 Abs 4 IESG auf den Grenzbetrag nach § 1 Abs 3 Z 4, der das Höchstmaß der zu gewährenden Sozialversicherungsleistung bestimmt.
6. Zusammenfassend ist festzuhalten:
Fallen bei Austritt innerhalb eines laufenden Entlohnungzeitraums Ansprüche auf laufendes Entgelt und Kündigungsentschädigung zusammen, dann ist die Sicherung beider Ansprüche insgesamt mit dem Grenzbetrag nach § 1 Abs 4 IESG beschränkt. Vom Dienstgeber bzw Insolvenzverwalter auf den laufenden Entgeltanspruch gezahlte Beträge sind auf den gemeinsamen Grenzbetrag anzurechnen.
Der berechtigten Revision der beklagten Partei war daher Folge zu geben und die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden weder behauptet, noch sind Anhaltspunkte dafür aus dem Akt zu erkennen.
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