OGH 7Ob184/14f

OGH7Ob184/14f26.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** J*****, vertreten durch Mag. Gernot Faber, Mag. Christian Kühteubl, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei G***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Klaus Gossi, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Rekurse der klagenden und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2014, GZ 60 R 40/13g‑14, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 27. Februar 2013, GZ 18 C 938/12s‑10, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Streitteile haben einen Haushaltsversicherungsvertrag, der auch eine Privathaftpflichtversicherung umfasst, abgeschlossen. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen der G***** Aktiengesellschaft für die Haushaltsversicherung (ABH 2006/Stufe 2) zugrunde.

Diese lauten auszugsweise:

„Art 12

Sachlicher Umfang des Versicherungsschutzes

1. Die Versicherung erstreckt sich auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens mit Ausnahme der Gefahr einer betrieblichen, beruflichen oder gewerbsmäßigen Tätigkeit, insbesondere

[...]

1.6. aus dem erlaubten Besitz von Hieb‑, Stich-und Schusswaffen und aus deren Verwendung als Sportgerät und für Zwecke der Selbstverteidigung;

[…]

Art 13

Versicherte Personen

1. Die Versicherung erstreckt sich auch auf gleichartige Schadenersatzverpflichtungen

[...]

1.2. der minderjährigen Kinder (auch Enkel‑, Adoptiv‑, Pflege‑ und Stiefkinder) des Versicherungsnehmers, seines mitversicherten Ehegatten oder Lebensgefährten; diese Kinder bleiben darüber hinaus bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres versichert, sofern und solang sie über keinen eigenen Haushalt und kein eigenes regelmäßiges Einkommen verfügen;

[…]

Art 17

Ausschluss vom Versicherungsschutz

Nicht versichert sind:

[...]

3. Schadenersatzverpflichtungen der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt haben. Dem Vorsatz wird gleichgehalten eine Handlung oder Unterlassung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, jedoch in Kauf genommen wurde (zB im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise).

[…]

Art 18

Obliegenheiten; Vollmacht des Versicherers

1. Obliegenheiten

Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt

[...]

1.3.3. Der Versicherungsnehmer ist nicht berechtigt, ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Schadenersatzanspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen oder zu vergleichen [...].“

Der damals minderjährige, mit diesem im gemeinsamen Haushalt lebende Sohn des Klägers fügte im Zuge einer tätlichen Auseinandersetzung seinem Gegner C***** W***** Stichverletzungen zu. Dieser erlitt eine schwere Körperverletzung, auf Grund deren er Klage wegen Schmerzengeld in Höhe von 5.000 EUR gegen den Sohn des Klägers einbrachte. 2.000 EUR wurden anerkannt. Mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 17. 10. 2012 wurden dem Gegner weitere 750 EUR zugesprochen.

Die Kärntner Gebietskrankenkasse forderte vom Sohn des Klägers den Ersatz der Behandlungskosten von 3.602 EUR und behielt sich die Geltendmachung weiterer Folgekosten vor. Nachdem der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 16. 3. 2012 aufgefordert hatte, die Schadenersatzansprüche des Gegners seines Sohnes zu decken, lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 21. 3. 2012 die Versicherungsdeckung ab.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte auf Grund und im Umfang des Haushaltsversicherungsvertrages für Schadenersatzansprüche des C***** W***** und der Kärntner Gebietskrankenkasse auf Grund des Schadensfalls vom 21. 10. 2011 sowie für etwaige mit der Feststellung und Abwehr dieser Ansprüche verbundenen Kosten bis zu der zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungssumme Deckungsschutz zu gewähren habe. Der Versicherungsschutz erstrecke sich auch auf Schadenersatzverpflichtungen minderjähriger Kinder des Versicherungsnehmers. Der damals minderjährige Sohn des Klägers sei am 21. 10. 2011 tätlich angegriffen worden. Im Zuge einer Notwehrhandlung habe er seinen Angreifer mit Messerstichen in den Rücken verletzt. Gegen beide Beteiligte sei ein Strafverfahren eingeleitet worden. Das Verfahren wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung gegen den Sohn des Klägers sei nach einem außergerichtlichen Tatausgleich eingestellt worden. Das Messer habe der Sohn des Klägers nicht als Waffe, sondern als Gebrauchsgegenstand mitgeführt. Die Staatsanwaltschaft habe die Verwendung des Messers als Notwehrüberschreitung beurteilt. Der Sohn des Klägers habe weder rechtswidrig noch vorsätzlich gehandelt. Da ein Personenschaden bei Vorliegen einer Notwehrüberschreitung lediglich fahrlässig verursacht werde, sei die Beklagte zur Deckung verpflichtet.

Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Dem Kläger fehle die Aktivlegitimation, da sein mitversicherter Sohn selbst gegenüber der Beklagten anspruchsberechtigt sei. Der vom Kläger dargestellte Sachverhalt begründe keine Schadenersatzverpflichtung „aus den Gefahren des täglichen Lebens“ gemäß Art 12.1. ABH. Der Sohn des Klägers habe ‑ obwohl minderjährig ‑ ein Butterflymesser, sohin eine Waffe im Sinn des § 1 WaffG verwendet. Jugendlichen sei der Besitz dieser Waffe gemäß § 11 WaffG verboten, weshalb auch nach Art 12.1.6. ABH kein Versicherungsschutz bestehe. Selbst eine Notwehrüberschreitung wäre rechtswidrig. Das Verhalten des Sohnes des Klägers verstoße gegen Art 17.3. ABH. Dem Vorsatz werde gleichgehalten eine Handlung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden müsse, jedoch in Kauf genommen werde. Darüber hinaus stelle ein Anerkenntnis eine Obliegenheitsverletzung dar, die zur Leistungsfreiheit der Beklagten nach Art 18.1.3.3. ABH führe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Kläger sei als Versicherungsnehmer für seinen mitversicherten Sohn aktiv legitimiert. Bei einem Personenschaden anlässlich einer Rauferei handle es sich um die Folge einer Gefahr des täglichen Lebens. Ob der Sohn des Klägers eine verbotene Waffe mit sich geführt habe, sei ohne Bedeutung. Für den Ausschluss der Haftung müsse sich der zumindest bedingte Vorsatz des Täters nicht bloß auf die Handlungsweise, sondern auch auf die Schadenszufügung und damit auf die Schadensfolgen beziehen, was hier nicht zutreffe. Auf die Leistungsfreiheit auf Grund des Anerkenntnisses könne sich die Beklagte nicht stützen, weil sie mit ihrem Schreiben vom 21. 3. 2012 deutlich gemacht habe, nicht leistungsbereit zu sein. Im Übrigen sei die Vereinbarung, wonach die Beklagte im Fall eines Anerkenntnisses durch den Versicherungsnehmer leistungsfrei sei, gemäß § 154 Abs 2 VersVG unwirksam, weil dem Anerkenntnis im Hinblick auf das im Strafverfahren festgestellte Verschulden des Sohnes des Klägers keine offenbare Unbilligkeit entgegenstehe.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an dieses zurück. Dem Erstgericht sei nicht in dieser Allgemeinheit zu folgen, dass es sich bei einem Personenschaden anlässlich einer Rauferei in jedem Fall um die Folge einer Gefahr des täglichen Lebens handle. Beabsichtige der Schädiger lediglich die notwendige Verteidigung in einer Notwehrsituation, sei der dabei eingetretene Personenschaden eine Folge einer Gefahr des täglichen Lebens. Ein Risikoausschluss nach § 152 VersVG und Art 17.3. ABH komme nicht in Betracht, und zwar auch dann nicht, wenn eine Notwehrüberschreitung nach § 3 Abs 2 StGB vorliege. In einem solchen Fall sei ‑ wenn überhaupt - nur eine fahrlässige Schadenszufügung gegeben. Der Haftungsausschluss käme nur dann zum Tragen, wenn die Notwehrüberschreitung nicht aus einem sogenannten asthenischen Affekt, sondern aus anderen Gründen erfolgt sei, weil der Täter nur in einem solchen Fall vorsätzlich gehandelt hätte. Ob die Notwehrüberschreitung lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken geschehe, sei eine Rechtsfrage. Das Ersturteil enthalte jedoch keine ausreichenden Sachverhaltselemente, die eine diesbezügliche Beurteilung ermöglichten.

Nach Art 12.1.6. ABH sei der Versicherungsschutz aus der Verwendung einer Hieb‑ oder Stichwaffe zu Selbstverteidigungszwecken, wie sich aus dem Wort „deren“ klar ergebe, an die Voraussetzung geknüpft, dass der Besitz der Waffe durch den Versicherten erlaubt sei. Die Beklagte habe bereits im Verfahren erster Instanz behauptet, dass es sich bei dem vom Sohn des Klägers mitgeführten Messer um ein sogenanntes „Butterflymesser“ und daher um eine Waffe im Sinn des § 1 Z 1 WaffG gehandelt habe. Für die Beurteilung dieser Frage seien jedoch weitere Feststellungen zur Art des Messers erforderlich. § 11 Abs 1 WaffG verbiete Jugendlichen unter 18 Jahren den Besitz von Waffen. Sollte sich nach der Ergänzung des Beweisverfahrens ergeben, dass es sich um eine Waffe im Sinn des WaffG handelte, läge gemäß Art 12.1.6. ABH keine Versicherungsdeckung vor.

Art 18.1.3.3. ABH normiere eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirke. Nach ständiger Rechtsprechung sei die zu Unrecht erfolgte Deckungsverweigerung als Verzicht auf die Einhaltung des Anerkenntnis‑ und Befriedigungsverbots anzusehen. Lehne der Versicherer zu Unrecht den Versicherungsschutz ab, so begehe der Versicherungsnehmer keine Obliegenheitsverletzung, wenn er ohne Mitwirkung des Versicherers die Haftpflichtforderung des Geschädigten anerkenne. Unabhängig von der ‑ nicht festgestellten -zeitlichen Abfolge könne sich die Beklagte nicht auf die Leistungsfreiheit nach Art 18.1.3.3. der ABH berufen. Gemäß § 154 Abs 2 VersVG sei eine Vereinbarung, nach der der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei sein solle, wenn ohne seine Einwilligung der Versicherungsnehmer den Anspruch des Dritten anerkenne, unwirksam, falls nach den Umständen der Versicherungsnehmer die Anerkennung nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern habe können. Diese Voraussetzung sei ‑ unabhängig von der nicht bestehenden Bindungswirkung ‑ im Fall eines diversionellen Vorgehens der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts nach Durchführung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegeben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der ordentliche Rekurs zulässig sei, weil der Frage, ob die Erlaubtheit des Besitzes einer Waffe nach Art 12.1.6. ABH auch bei der Verwendung für Selbstverteidigungszwecke für die Versicherungsdeckung entscheidend sei, erhebliche Bedeutung zukomme.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluss wenden sich die Rekurse beider Parteien. Der Kläger beantragt, das klagsstattgebende Ersturteil wiederherzustellen, die Beklagte, das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

In ihren Rekursbeantwortungen beantragen die Parteien wechselweise die Zurückweisung des jeweils gegnerischen Rechtsmittels, hilfsweise diesem keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse sind zulässig, sie sind aber nicht berechtigt.

1. Die Aktivlegitimation des Klägers ‑ als Versicherungsnehmer ‑ auch bezüglich der Deckungspflicht der Beklagten gegenüber seinem Sohn ergibt sich aus §§ 75 f VersVG. Der Versicherungsnehmer hat bei einer Versicherung für fremde Rechnung im Sinn der §§ 75 ff VersVG das formelle Verfügungsrecht über die sachlich dem Versicherten zustehende Forderung; es handelt sich um eine Art gesetzliche Treuhandschaft. Der Versicherte hingegen kann nicht über seine Ansprüche verfügen oder sie gerichtlich geltend machen (RIS‑Justiz RS0035281 [T3], RS0080792).

2. Dem Erfordernis des § 226 ZPO hinsichtlich der Bestimmtheit des Klagebegehrens ist dann genüge getan, wenn man unter Berücksichtigung des Sprachgebrauchs und Ortsgebrauchs und nach den Regeln des Verkehrs daraus entnehmen kann, was begehrt ist (RIS‑Justiz RS0037874). Die Anforderungen nach einer entsprechenden Individualisierung dürfen nicht überspannt werden (RIS‑Justiz RS0037874 [T3]). Dem Klagebegehren ist zu entnehmen, aus welchem Versicherungsvertrag und aus welchem Schadensfall Deckung für Schadenersatzansprüche welches Dritten begehrt wird. Damit ist es ausreichend bestimmt.

3. Das Berufungsgericht billigte dem Sohn des Klägers ‑ offenbar auf Grundlage der getroffenen Feststellungen ‑ zu, in Notwehr gehandelt zu haben. Er habe aber deren gerechtfertigtes Maß überschritten.

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist dann gegeben, wenn es die Erledigung der Verfahrensrüge unterlassen hat (RIS‑Justiz RS0043144, RS0043086) und wenn es sich mit der Beweisrüge nicht oder nur so mangelhaft befasst hat, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (RIS‑Justiz RS0043150).

Die Beklagte rügte die Unterlassung der Einvernahme des Klägers. Weiters bekämpfte sie sämtliche ‑ ohnedies zu knappen ‑ Feststellungen im Zusammenhang mit dem Geschehensablauf. Weder die Verfahrens‑ noch die Beweisrüge wurden vom Berufungsgericht behandelt. Damit steht kein Sachverhalt zum strittigen Geschehensablauf fest, der einer rechtlichen Beurteilung zugeführt werden könnte.

Da das Erstgericht aber derart rudimentäre Feststellungen traf, dass selbst bei Verneinung der Verfahrens‑ und Beweisrüge durch das Berufungsgericht eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht möglich wäre, hat es bei dem ‑ aus den nachfolgenden Überlegungen im Ergebnis zutreffenden ‑ Aufhebungsbeschluss zu bleiben.

4. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063, RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregelung des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen daher zu Lasten der Partei, von der die diesbezüglichen Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901, 7 Ob 69/13t mwN).

5. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RIS‑Justiz RS0080166, RS0080068).

6.1 Nach der Systematik der ABH wird zunächst in Art 12 die primäre Risikoumschreibung vorgenommen. Art 12.1. ABH stellt den Risikobereich „Gefahren des täglichen Lebens“ unter Versicherungsschutz. Art 12.1.1. ABH bis Art 12.1.10. ABH ‑ so auch Art 12.1.6. ABH - definiert („insbesondere“) spezielle versicherte Gefahren als zu den „Gefahren des täglichen Lebens“ gehörend (vergleiche 7 Ob 171/14v).

6.2.1. Nach Art 12.1.6. ABH erstreckt sich der Versicherungsschutz auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus dem erlaubten Besitz von Hieb‑, Stich‑ und Schusswaffen und aus deren Verwendung als Sportgerät und für Zwecke der Selbstverteidigung. Der Versicherungsschutz aus der Verwendung einer der genannten Waffen ist jedoch, wie sich aus dem Wort „deren“ völlig klar ergibt, an die Voraussetzung geknüpft, dass der Besitz der Waffe durch den versicherten Verwender erlaubt ist. Letzteres ist im öffentlich‑rechtlichen Sinn zu verstehen (7 Ob 22/87) und daher hier nach den Bestimmungen des WaffG zu beurteilen. Waffen sind gemäß § 1 WaffG Gegenstände, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, (Z 1) die Angriffs‑ oder Abwehrfähigkeit von Menschen durch unmittelbare Einwirkungen zu beseitigen oder herabzusetzen oder (Z 2) bei der Jagd oder beim Schießsport zur Abgabe von Schüssen verwendet zu werden.

Dem technischen Waffenbegriff unterliegen neben normalen Schusswaffen insbesondere auch Hieb‑, Stich‑ und Stoßwaffen, wie zB Dolche, Degen, Schlagringe, Spring‑ und Fallmesser, nicht aber Küchen‑, Taschen-, Fahrten‑, Jagdmesser udgl (Eder‑Rieder in WK² StGB § 143, Rz 16; 15 Os 84/13m). Entscheidend ist, ob das Messer auf Grund seiner besonderen Beschaffenheit, wie einer im Bereich der Spitze dolchartig ausgebildeten Klinge und einer besonderen Öffnungsmechanik, als Waffe im Sinn des § 1 Z 1 WaffG anzusehen ist. Für die Qualifikation eines Gegenstands als Waffe im Sinn des WaffG ist nur deren objektive Zweckwidmung maßgeblich, die subjektive Zweckwidmung durch den Inhaber des Gegenstands spielt daher keine Rolle (11 Os 112/07s). Ein sogenanntes „Butterflymesser“ mit einer elf Zentimeter langen, im Bereich der Spitze dolchartig ausgebildeten Klinge wird in der Rechtsprechung als Waffe im technischen Sinn des § 1 Z 1 WaffG beurteilt (RIS‑Justiz RS0081914).

Nach § 11 Abs 1 WaffG ist Menschen unter 18 Jahren der Besitz von Waffen, Munition und Knallpatronen verboten. Das Waffenverbot für Jugendliche bezieht sich auf alle Waffen im Sinn des § 1 WaffG (Keplinger/Löff Waffengesetz 1996, § 11 Anm 4). Jugendliche weisen naturgemäß noch nicht jenes Maß an Reife und Verantwortungsbewusstsein auf, das für den Umgang mit Waffen unbedingt erforderlich ist. Dem Besitz von Waffen und Munition durch Jugendliche liegt daher ein besonderes Risiko inne, das über die sonst mit Waffen ohnehin verbundene Gefahr hinausgeht. Es ist von einem generellen Verbot auszugehen, sofern nicht besondere Gründe (Abs 2 und 3) anderes gebieten (Grosinger/Siegert/Szymanski Das neue österreichische Waffenrecht4, 51). Gerade das eben genannte Risiko besteht, wenn Jugendliche, die unerlaubt eine Waffe mit sich führen, diese bei einem Raufhandel einsetzen.

6.3. Der versicherungsrechtliche Begriff der „Gefahren des täglichen Lebens“ (Art 12.1. ABH) ist nach ständiger Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0081099) dahin auszulegen, dass der Versicherungsschutz für die Haftpflicht des Versicherungsnehmers jene Gefahren umfasst, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss. Die Gefahr, haftpflichtig zu werden, stellt im Leben eines Durchschnittsmenschen nach wie vor eine Ausnahme dar. Deshalb will die Privathaftpflichtversicherung prinzipiell Deckung auch für außergewöhnliche Situationen schaffen, in die auch ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann. Es sind damit nicht alle ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeiten mitabgedeckt (RIS‑Justiz RS0081276). Für das Vorliegen einer „Gefahr des täglichen Lebens“ ist nicht erforderlich, dass solche Gefahren nahezu täglich auftreten; vielmehr genügt es, wenn die Gefahr erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine geradezu ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit und Sorglosigkeit eines Verhaltens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nimmt. Voraussetzung für einen aus der Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall ist nämlich eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers (RIS‑Justiz RS0081070). Auch ein vernünftiger Durchschnittsmensch kann aus Unvorsichtigkeit eine außergewöhnliche Gefahrensituation schaffen und sich in einer solchen völlig falsch verhalten oder sich zu einer gefährlichen Tätigkeit, aus der die entsprechenden Folgen erwachsen, hinreißen lassen. Derartigen Fällen liegt eine falsche Einschätzung der jeweiligen Sachlage zugrunde.

Das Mitführen einer verbotenen Waffe schafft eine Situation, die gerade das Risiko mit sich bringt, sie auch einzusetzen. Dieses Verhalten birgt ein entsprechend hohes Gefahrenpotential für die körperliche Unversehrtheit Anderer. Die Gefahren, die solchen nach allgemeinem Bewusstsein nicht zu tolerierenden Akten entspringen, gehören nicht zum täglichen Leben.

6.4. Sollte es sich bei dem vom Sohn des Klägers mitgeführten Messer um ein Butterflymesser gehandelt haben, was obwohl (im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren objektiviert und vom Kläger, wenn auch nicht zugestanden, so doch nicht ausdrücklich bestritten wurde) keinen Eingang in die Feststellungen fand, dann wäre Versicherungsschutz weder nach Art 12.1. ABH noch nach Art 12.1.6. ABH gegeben. Dies unabhängig davon, ob sich der Sohn des Klägers in einer Notwehrsituation befand, deren Vorliegen ohnedies auf Grund des Fehlens entsprechend konkreter Feststellungen zum Geschehensablauf derzeit nicht bejaht werden kann.

Für Schadenersatzverpflichtungen des Versicherten, die aus der Körperverletzung mit einer vom Versicherten mitgeführten verbotenen Waffe (§§ 1, 11 Abs 1 WaffG) resultieren, besteht selbst bei Vorliegen einer Notwehrsituation kein Versicherungsschutz nach Art 12.1. und Art 12.1.6. ABH.

7. Da insbesondere mangels Feststellungen über die Art des vom Sohn des Klägers eingesetzten Messers nicht beurteilt werden kann, ob der Vorfall von der primären Risikoabgrenzung des Art 12 ABH umfasst ist, erübrigt sich derzeit ein Eingehen auf die Frage des Vorliegens eines Risikoausschlusses nach Art 17.3. ABH. Gleiches gilt für die von der Beklagten ins Treffen geführte Obliegenheitsverletzung.

8. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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