OGH 4Ob157/14p

OGH4Ob157/14p21.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Dr. Andreas Frauenberger, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Gheneff Rami Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren 34.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. Juli 2014, GZ 4 R 132/14g‑9, womit die einstweilige Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 28. Mai 2014, GZ 29 Cg 72/14d‑4, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Vorinstanzen verboten der Beklagten, auch nur sinngemäß einen Anstieg der Leserzahlen eigener Medien zu behaupten und/oder zu verbreiten, wenn der angebliche Zuwachs gemäß der zugrundeliegenden Datenquelle mangels Überschreitung der bei der Reichweitenermittlung jeweils relevanten Schwankungsbreite statistisch nicht signifikant ist.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte vermag keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

1. Es entspricht ständiger und von der überwiegenden Lehre gebilligter Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass lauterkeitsrechtliche (ebenso wie urheber‑ und markenrechtliche) einstweilige Verfügungen gemäß § 24 UWG zur Sicherung entsprechender Ansprüche auch dann erlassen werden können, wenn die in § 381 EO bezeichneten Voraussetzungen nicht zutreffen, was eine Befreiung von der Anspruchsvoraussetzung bedeutet und deshalb auch dem Antragsgegner eine Gegenbescheinigung (im Einzelfall fehlende Anspruchsgefährdung) nicht ermöglicht (4 Ob 122/08g; 4 Ob 108/08y; 4 Ob 8/91; König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren4, Rz 10/59 f, 77; Gumpoldberger/Baumann in Duursma‑Képplinger, UWG, § 24 Rz 9, 23; Kodek in Angst 2, § 381 EO Rz 21; Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek, UWG2 § 24 Rz 8; Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wettbewerbsrecht3, § 35 Rz 12 ff; aA lediglich Hagen, Die Regelungsfunktion der einstweiligen Verfügung, JBl 1971, 337, 341; Konecny, Der Anwendungsbereich der einstweiligen Verfügung [1992], 235).

Die von der Beklagten ins Treffen geführte Entscheidung 8 Ob 108/13k betrifft die mit lauterkeits‑(urheber‑ und marken‑)rechtlichen einstweiligen Verfügungen grundsätzlich nicht vergleichbaren Sicherungsanträge nach § 382h EO (Sicherung von Wohnversorgungs‑[Folge‑]Ansprüchen im Zusammenhang mit Scheidungsverfahren). Dort bejaht die Rechtsprechung eine bloß widerlegliche Vermutung einer Gefahr (vgl 1 Ob 67/11a; 6 Ob 84/11p). Überdies besteht bei lauterkeitsrechtlichen (und vergleichbaren) Ansprüchen nicht in demselben Ausmaß die Gefahr rechtsmissbräuchlicher Verwendung, weil auch die Wiederholungsgefahr Anspruchsvoraussetzung ist. Bei der Gefahr des Zuwiderhandelns ist zu unterscheiden, ob der zu einer bestimmten Unterlassung Verpflichtete bereits einmal zuwider gehandelt oder ob er sich bisher rechtmäßig verhalten hat. Im ersten Fall wird vermutet, dass er neuerlich zuwiderhandeln werde (Wiederholungsgefahr); es ist daher Sache des Beklagten, Umstände zu behaupten und zu beweisen, denen gewichtige Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass er ernstlich gewillt sei, von künftigen Störungen Abstand zu nehmen; im zweiten Fall muss das Zuwiderhandeln unmittelbar drohend bevorstehen (Erstbegehungsgefahr). Nur dann ist eine (vorbeugende) Unterlassungsklage gerechtfertigt (RIS‑Justiz RS0037661, RS0077249). Diese Anspruchsvoraussetzung ist auch im Sicherungsverfahren zu bescheinigen.

2. Wird mit scheinbar genauen Leserzahlen geworben, so entsteht der unrichtige Eindruck, diese Zahlen seien präzise festgestellt und nicht bloß das Ergebnis statistischer Verfahren, die Schwankungsbreiten aufweisen. Daher ist damit ein werbendes Medienunternehmen zu einer entsprechenden Aufklärung verpflichtet (4 Ob 184/08z; vgl RIS‑Justiz RS0113425). Bei einem Reichweitenvergleich muss die Relativierung eindeutig sein (etwa durch Angabe der Schwankungsbreiten; 4 Ob 21/06a).

Es bildet keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung, wenn die Vorinstanzen im Hinblick auf den fehlenden aufklärenden Hinweis zur Schwankungsbreite der zugrunde gelegten Mediaanalyse für die beanstandeten Leserwerte für Nieder‑ und Oberösterreich die zur Vermeidung einer Irreführung erforderliche Aufklärung vermissten. Die Vorinstanzen konnten vertretbar davon ausgehen, dass der durchschnittliche angesprochene Leser oder Inserent nicht erkennt, dass die behauptete Steigerung der Leseranzahl in den beiden Bundesländer möglicherweiser statistisch gar nicht relevant ist.

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