OGH 2Ob81/14x

OGH2Ob81/14x27.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der Kläger 1. Ing. Mag. M***** S*****, und 2. B***** S*****, vertreten durch Dr. Gerald Haas und andere Rechtsanwälte in Wels, gegen die Beklagten 1. W***** H*****, und 2. E***** H*****, vertreten durch Mag. Dr. Franz Hafner und Dr. Karl Bergthaler, Rechtsanwälte in Altmünster, wegen Unterlassung und Räumung (Streitwert 6.000 EUR) sA, über die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2014, GZ 22 R 360/13t‑41, womit das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 27. August 2013, GZ 2 C 1194/11h‑36, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00081.14X.0827.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, den Klägern die mit 642,70 EUR (darin enthalten 107,12 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind Grundstücksnachbarn. Die Kläger haben ihre Liegenschaft im Jahr 2007 gekauft, die Nachbarliegenschaft steht schon seit 1980 im Eigentum der Beklagten. Etwa vierzig Jahre vor dem Eigentumserwerb der Kläger wurden die Liegenschaften aus einem nicht feststellbaren Grund nicht entsprechend den Grenzen gemäß der Grundbuchsmappe ‑ mit einem Zaun bzw später zum Teil mit einer Mauer ‑ getrennt, sodass sich letztlich der Abstand zwischen Natur- und Mappengrenze bis auf rund 2 m erstreckt (die davon betroffene Fläche wird im Folgenden als „Fläche 1“ bezeichnet). Danach wurde die Liegenschaft der Kläger mehrmals verkauft, wobei man jeweils davon ausging, dass die Natur- mit der Mappengrenze übereinstimme. Im Jahr 2004 schenkte der Voreigentümer der Kläger den Beklagten eine auf seinem Grundstück gelegene Dreiecksfläche an der Grenze zur Liegenschaft der Beklagten, um ihnen die Einfahrt in ihre Garage zu erleichtern („Fläche 2“). Um die Übertragung dieser Fläche sicherzustellen, wurde ein Geometer mit ihrer Vermessung beauftragt. Dieser stellte Unstimmigkeiten mit der Mappengrenze fest und teilte dies den Beklagten und dem Voreigentümer der Kläger mit. Die genaue Festlegung der Grenze in Bezug auf die Flächen 1 und 2 wurde einer Grenzverhandlung vorbehalten, die jedoch ‑ ebenso wie eine Eintragung in das Grundbuch nach § 13 Liegenschaftsteilungsgesetz ‑ nicht stattfand. Als die Kläger im Jahr 2007 die Liegenschaft kauften, haben sie sie vor Unterfertigung des Kaufvertrags nur in der Form besichtigt, dass ihnen der Verkäufer die Liegenschaft einmal vom Wohnzimmerfenster und einmal von der Terrasse aus zeigte. Die Abweichung der Natur- von der Mappengrenze, ebenso wie die Fläche 2 (weil vom Wohnzimmer bzw von der Terrasse aus nicht einsehbar), blieben unentdeckt. Auf dem ihnen vom Verkäufer vorgelegten Grundbuchsauszug war die Gesamtflächenanzahl in Farbe markiert. In dem ebenfalls übergebenen Ausdruck aus dem digitalen oberösterreichischen Rauminformationssystem war die Grenze der kaufgegenständlichen Liegenschaft mit Farbe gekennzeichnet. Der Verkäufer wies die Kläger nicht darauf hin, dass die Naturgrenze nicht mit der Mappengrenze übereinstimmt bzw dass er den Beklagten die Fläche 2 geschenkt hatte. Alleine aus den ihnen vorgelegten Ausdrucken war dies für die Kläger auch nicht ersichtlich. Jedoch zumindest in Bezug auf die Fläche 2 wäre es ihnen leicht möglich gewesen, eine Abweichung von den vorgelegten Ausdrucken zu erkennen. Im Jahr 2010 begannen die Kläger damit, ihr Haus umzubauen. Dem Einreichplan lagen die Grenzen nach dem Grundsteuerkataster zugrunde. Nach den Baubestimmungen hat der Abstand des Gebäudes zur Grenze mindestens 3 m zu betragen. Laut Plan wurde ein Abstand von 3,10 m zur Mappengrenze eingehalten. Würde man die Naturgrenze zugrundelegen, wäre der Abstand mit rund 2 m nicht der oberösterreichischen Bauordnung entsprechend.

Die Kläger begehrten ‑ nach fruchtloser Vornahme von Vergleichsversuchen ‑ die Beklagten zu verpflichten, die Nutzung der (näher bezeichneten) grenznahen Teilflächen (Fläche 1 und 2) zu unterlassen sowie diese Flächen von sämtlichen Fahrnissen und Baulichkeiten geräumt an die Kläger zu übergeben. Die Beklagten würden eine Fläche im Ausmaß von etwa 55 m2 titellos benützen.

Die Beklagten wendeten ein, ihre Rechtsvorgänger hätten die Liegenschaft schon 1973 mit den heutigen Naturgrenzen erworben. Sie hätten die Fläche 1 daher ersessen. Die Fläche 2 sei ihnen vom Rechtsvorgänger der Kläger abgetreten worden. Die von ihnen vorgenommene Pflasterung und Errichtung einer Mauer sei im Einvernehmen mit diesem erfolgt. Die Kläger hätten die Besitzverhältnisse in Bezug auf die Fläche 2 bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen müssen. Aufgrund der außerbücherlichen Übergabe dieser Teilfläche durch den Rechtsvorgänger der Kläger seien die Beklagten diesbezüglich nicht zur Räumung verpflichtet.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Hinsichtlich der Fläche 1 sei zwar die Ersitzungszeit von 30 Jahren seitens der Beklagten erfüllt, die Kläger hätten jedoch gutgläubig im Vertrauen auf das Grundbuch Eigentum erworben (§ 1500 ABGB). Hinsichtlich der Fläche 2 hätten die Beklagten mangels grundbücherlicher Eintragung kein Eigentum erworben.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung im Wesentlichen und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteige, nicht aber 30.000 EUR, und dass die ordentliche Revision zulässig sei. Nach dem in den jeweiligen Kaufverträgen zum Ausdruck gebrachten Parteiwillen sollten jeweils die gesamten Grundstücke nach den den Voreigentümern zugestandenen rechtlichen Grenzen übergeben werden. Dass bei einem der zahlreichen Erwerbsvorgänge der Verlauf des Zauns und der Mauer ausdrücklich als Grenze zwischen den beiden Liegenschaften bezeichnet worden wäre, sei nicht festgestellt worden. Die Beklagten hätten die Ersitzung der Fläche 1 nicht vollendet, die Kläger seien daher deren Eigentümer. Hinsichtlich der Fläche 2 ändere die nicht verbücherte Schenkung nichts an den Eigentumsverhältnissen. Zwar genüge bei der Verletzung eines besitzverstärkten Forderungsrechts zur Durchsetzung eines schadenersatzrechtlichen Restitutionsanspruchs des Ersterwerbers einer Liegenschaft gegen den verbücherten Zweiterwerber bereits, dass der Zweiterwerber die obligatorische Position des Ersterwerbers gekannt habe oder bei gehöriger Aufmerksamkeit gekannt haben müsste bzw fahrlässig das durch den Besitz verstärkte Forderungsrecht des Ersterwerbers nicht erkannt habe. Habe aber der Ersterwerber die Liegenschaft aufgrund eines Schenkungsvertrags erworben, dann habe er keinen Restitutionsanspruch gegenüber dem bücherlich eingetragenen, durch § 440 ABGB geschützten Zweiterwerber, der nicht unentgeltlich erworben habe. Abgesehen davon würde auch ein derartiger Herausgabeanspruch der Beklagten gegen die Kläger nichts an ihrer Räumungs- und Unterlassungspflicht ändern, weil die Kläger jedenfalls derzeit Eigentümer auch der Fläche 2 seien.

Die Revision sei zuzulassen, weil der Oberste Gerichtshof in einem ähnlich gelagerten Fall zu 1 Ob 53/97v zu Lasten jener Parteien entschieden habe, die ein gegenüber der vermessenen Mappengrenze kleineres Grundstück erworben hätten. Außerdem finde sich zur Frage, ob bei einer Doppelveräußerung der ersterwerbende Geschenknehmer keinesfalls einen Herausgabeanspruch gegen den zweiterwerbenden Käufer habe, keine jüngere Entscheidung als jene zu 2 Ob 586/85. Gar keine höchstgerichtliche Entscheidung finde sich dazu, ob der schadenersatzrechtliche Herausgabeanspruch auch einem Unterlassungs- und Räumungsanspruch des Zweiterwerbers entgegenstehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Klage abzuweisen. Entscheidend für den Umfang des Eigentumserwerbs an einer Liegenschaft sei nicht die Grundbuchsmappe, sondern der Wille der Parteien, somit in welchem Umfang das verkaufte Grundstück tatsächlich übergeben wurde. Im vorliegenden Fall sei der jeweilige Wille der Parteien jener gewesen, die jeweils erworbenen Grundstücke im Umfang der durch den Zaun und die Mauer gebildeten Grenzen zu erwerben. Dieser Vertragsgestaltungswille habe sich im Umfang der tatsächlichen Übergabe manifestiert. Eigentum werde nur am wirklich gewollten Gegenstand erworben (1 Ob 53/97v). Der strittige Grundstreifen sei den Klägern nie übergeben worden. Sie hätten daher daran kein Eigentum erworben. Zur Fläche 2 führten die Revisionswerber aus, die körperliche Übergabe eines Grundstücks habe zwar nicht die Wirkung der Eigentumsübertragung, sei jedoch „wirkliche Übergabe“ im Sinn des § 943 ABGB; daher stehe dem Beschenkten auch ein obligatorisches Forderungsrecht gegen den Schenker zu. Habe sich ein Zweiterwerber des Grundstücks über solchen Besitz hinweggesetzt, sei er wegen der Beeinträchtigung eines fremden Forderungsrechts zur Naturalrestitution verpflichtet, wenn er die obligatorische Position des Beeinträchtigten gekannt habe oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte kennen müssen. Dem Geschenknehmer als Ersterwerber werde ein Restitutionsanspruch gegenüber dem bücherlich eingetragenen Zweiterwerber zugestanden (RIS‑Justiz RS0011118). Im vorliegenden Fall hätten die Beklagten einen beträchtlichen Aufwand auf die erworbene Sache getätigt, sodass ihnen schon deswegen Schutzwürdigkeit gegenüber den Klägern zukomme.

Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klärung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Bei Verkauf eines Grundstücks, das ausschließlich an fremde grenzt, ist dafür, ob an der gesamten in der Mappe veranschaulichten Fläche Eigentum übertragen und erworben werden sollte, der Inhalt des Kaufvertrags und, wenn dieser es deckt, der tatsächliche Grenzverlauf für den Umfang der Eigentumsübertragung entscheidend; unbeachtlich ist hingegen, ob Besitz des Voreigentümers und tatsächliche Übergabe hinter den wahren Eigentumsgrenzen zurückblieben (RIS‑Justiz RS0011332). Maßgeblich für den Umfang des erworbenen Grundstücks ist nicht die Grundbuchsmappe, sondern der Wille der Parteien (vgl 1 Ob 53/97v; RIS‑Justiz RS0011236). Mangels weiterer Absprachen äußert sich der maßgebliche Wille der Parteien über den Umfang des übergebenen Grundstücks im Titel (Kaufvertrag). Erstreckt sich der Titel auf das gesamte Grundstück nach den dem Voreigentümer zugestandenen rechtlichen Grenzen, so kommt einer bei Abschluss des Kaufvertrags vorgenommenen Grenzbegehung, bei der der Voreigentümer irrtümlich einen anderen als den wahren Grenzverlauf zeigte, keine selbstständige Bedeutung zu (1 Ob 13/99i).

2. Im vorliegenden Fall richtete sich der Parteiwille der Kläger und ihres Vertragspartners aufgrund der von diesem vorgelegten Unterlagen mit den Grenzverlaufsangaben (insbesondere des Ausdrucks aus dem Rauminformationssystem) auf die darin zum Ausdruck kommende „Papiergrenze“. Für den Umfang der Eigentumsübertragung ist daher hier dieser Grenzverlauf und nicht die „Naturgrenze“ ‑ der nach den Feststellungen kein besonderes Augenmerk geschenkt wurde ‑ maßgebend.

3. Diese Lösung steht nicht im Widerspruch mit dem Ergebnis der Entscheidung 1 Ob 53/97v, der ‑ anders als hier ‑ ein Sachverhalt zugrunde lag, bei dem der Wille beider Kaufvertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf den Erwerb des Grundstücks in den in der Natur ersichtlichen Grenzen, die von den beteiligten Liegenschaftseigentümern einvernehmlich festgelegt worden waren, gerichtet war.

4. Das Berufungsgericht hat die Ersitzung der Fläche 1 durch die Beklagten zutreffend verneint, weil zwischen 8. 4. 1974 und 26. 9. 1980 eine allenfalls ab 17. 10. 1973 begonnene Ersitzung gemäß § 1495 ABGB (Hemmung der Ersitzung ua zwischen Ehegatten) nicht fortgesetzt und bis zum Wegfall ihrer Redlichkeit im Juni 2005 nicht vollendet werden konnte.

Der von den Klägern geltend gemachte Unterlassungs- und Räumungsanspruch besteht daher hinsichtlich der Fläche 1 mangels eines Rechtstitels der Beklagten zu Recht.

5. Hinsichtlich der Fläche 2 berufen sich die Beklagten auf die (nicht verbücherte) Schenkung durch den Rechtsvorgänger der Kläger. Die Kläger hätten die Besitzverhältnisse in Bezug auf die Fläche 2 bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen müssen.

6. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten ‑ gestützt auf 2 Ob 586/85 ‑ mit der Begründung verneint, dass der ersterwerbende Geschenknehmer gegen den entgeltlich erwerbenden (verbücherten) Zweiterwerber nicht durchdringen könne. Die genannte Entscheidung hatte einen vergleichbaren Sachverhalt zum Inhalt. Sie kam zum Ergebnis, dass ein Restitutionsanspruch gegenüber dem bücherlich eingetragenen, durch § 440 ABGB geschützten Zweiterwerber grundsätzlich nur dann in Betracht kommen könne, wenn auch dieser gleichermaßen unentgeltlich erworben hatte und das besitzverstärkte Forderungsrecht des Ersterwerbers allgemein erkennbar war. Habe ein solcher, inzwischen verbücherter Zweiterwerber dagegen ein Entgelt geleistet, könne der ersterwerbende Geschenknehmer gegen ihn unter solchen Umständen nicht durchdringen (vgl auch Schilcher/Holzer JBl 1974, 445, 512; Hinteregger in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 440 Rz 18; Eccher/Riss in KBB, ABGB4 § 373 Rz 1; RIS‑Justiz RS0011224 [T6, T8]).

7. Auch die Entscheidung 8 Ob 715/89 erachtete bei der Doppelveräußerung unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 373 ABGB den unentgeltlichen Erwerber für weniger schutzwürdig als den entgeltlichen und verpflichtete den Rechtsnachfolger der Geschenknehmerin zur Herausgabe an die entgeltliche Ersterwerberin.

Es kommt daher nach dieser Rechtsprechung dem Umstand, dass die Beklagten unentgeltlich, die Kläger jedoch entgeltlich erworben haben, entscheidende Bedeutung zu. Wie aus § 373 ABGB folgt, hat der unentgeltliche Erwerber gegenüber dem entgeltlichen einen schwächeren Besitz. Diese Wertung ist auch bei schadenersatzrechtlicher Beurteilung nicht zu vernachlässigen.

Das Berufungsgericht hat daher einen Herausgabeanspruch der Beklagten zutreffend verneint. Der Unterlassungs- und Räumungsanspruch der Kläger besteht auch hinsichtlich der Fläche 2 zu Recht.

Der Revision der Beklagten ist somit nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO.

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