OGH 3Ob73/14b

OGH3Ob73/14b21.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Nicole Neugebauer‑Herl & Mag. Simone Maier‑Hülle, Rechtsanwältinnen in Wien, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch DDr. Harald Schröckenfuchs, Rechtsanwalt in Wien, wegen 213.300 EUR sA (AZ 4 C 81/13f) und 243.781,65 EUR sA (AZ 4 C 259/13g), zusammen 457.081,65 EUR sA und Räumung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2014, GZ 39 R 295/13s‑13, womit das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 1. Juli 2013, GZ 4 C 81/13f‑9, und das diesem vorangegangene Verfahren über Berufung der beklagten Partei als nichtig aufgehoben und die Klagen zurückgewiesen wurden, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.476,62 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (darin 412,77 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Klägerin hat der Beklagten eine Liegenschaft zum Betrieb eines Pflege‑ und Seniorenheims verpachtet.

Die Geschäftsanteile der 1990 gegründeten Klägerin standen zunächst je zur Hälfte im Eigentum zweier bestimmter Gesellschaften. Eine der beiden Gesellschaften veräußerte ihre Geschäftsanteile an eine andere Gesellschaft, die gleichzeitig bestimmenden Einfluss auf die Beklagte hat.

Aus Anlass dieses Gesellschafterwechsels bei der Klägerin schlossen die bisherige Gesellschafterin der Klägerin und die neue Gesellschafterin am 21. Dezember 2010 eine als Syndikatsvertrag bezeichnete Gesellschaftervereinbarung, welche für den Fall der Wirksamkeit des damals beabsichtigten, später auch durchgeführten Gesellschafterwechsels vorsah, dass beide Gesellschafter berechtigt sind, jeweils einen kollektivzeichnungsbefugten Geschäftsführer für die Klägerin zu benennen. In dem Zeitraum, in dem die andere Gesellschafterin der Klägerin nach wie vor bestimmenden Einfluss auf die Beklagte hat, „ist der von der ursprünglichen Gesellschafterin benannte Geschäftsführer berechtigt, sämtliche Maßnahmen zur Verfolgung von Ansprüchen aus dem Bestandverhältnis gegen die Beklagte selbständig zu verfolgen, so insbesondere fällige Beträge einzumahnen, Sicherheiten in Anspruch zu nehmen oder Ansprüche gerichtlich geltend zu machen“. Die neue Gesellschafterin und der von ihr benannte Geschäftsführer werden, „wo erforderlich, die entsprechenden Schritte setzen und Erklärungen abgeben, so insbesondere Ermächtigungen zwischen den Geschäftsführern aussprechen und in der Gesellschafterversammlung ihr Stimmrecht (so kein Ausschluss vom Stimmrecht besteht) entsprechend ausüben“.

Ein Gesellschafterbeschluss im Sinne der oben festgestellten Berechtigung des von der ursprünglichen Gesellschafterin bestellten Geschäftsführers scheint nicht auf.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung rückständigen Pachtzinses in Höhe von 457.081,65 EUR sowie infolge Auflösung des Pachtvertrags die geräumte Rückstellung des Bestandobjekts. Selbst bei Kollektivvertretung sei Einzelvertretung in den Fällen, in denen eine entsprechende Bevollmächtigung vorliege, möglich. Die zweite Gesellschafterin der Klägerin habe einer gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Pachtverhältnis durch den anderen Geschäftsführer der Klägerin zugestimmt. In der Gesellschaftervereinbarung vom 21. Dezember 2010 sei vereinbart worden, dass der von der ursprünglichen Gesellschafterin der Klägerin nominierte Geschäftsführer allein berechtigt sei, sämtliche Maßnahmen zur Verfolgung von Ansprüchen aus dem Bestandverhältnis gegen die Beklagte selbständig geltend zu machen.

Die Beklagte bestritt das Vorliegen des Pachtzinsrückstands nicht, wendete aber ein, die Klägerin sei aus verschiedenen Gründen nicht berechtigt, diesen Pachtzinsrückstand von der Beklagten gerichtlich zu fordern, insbesondere seien die Klagevertreter nicht wirksam bevollmächtigt worden, weil der Stimmrechtsbindungsvertrag vom 21. Dezember 2010 nur die beteiligten Gesellschafter und nicht die Gesellschaft selbst binde. Am Tag des Abschlusses des Stimmrechtsbindungsvertrags sei der Vertreter der neuen Gesellschafterin der Klägerin noch nicht deren Geschäftsführer gewesen. Seine Erklärungen seien daher nur für die Gesellschafterin und nicht für die Klägerin abgegeben worden.

Das Erstgericht gab der Bestandzins‑ und Räumungsklage zur Gänze statt. Es erachtete die Einwendungen der Beklagten als nicht stichhältig, insbesondere beurteilte es die Bevollmächtigung der Klagevertreter durch die Klägerin als wirksam. Beide Gesellschafter der Klägerin hätten gerade für den hier vorliegenden Fall mit der Gesellschaftervereinbarung vorsorgen wollen, und zwar so, dass ‑ abweichend von der ansonsten gegebenen Kollektivvertretungsbefugnis beider Geschäftsführer der Klägerin ‑ zur Geltendmachung der Ansprüche aus dem Pachtverhältnis gegenüber der Beklagten allein jener Geschäftsführer der Klägerin vertretungsbefugt sei, der von der ursprünglichen Gesellschafterin der Klägerin benannt worden sei. Nach dem Gesellschaftsvertrag bestimme die Generalversammlung der Gesellschaft die Vertretungsbefugnis. Eine Beteiligung der Gesellschaft an einem Beschluss ihrer Gesellschafter sei zur Wirksamkeit dieses Beschlusses nicht erforderlich.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der Beklagten das klagestattgebende Ersturteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Die Gesellschaftervereinbarung vom 21. Dezember 2010 habe den Gesellschaftsvertrag der Klägerin ergänzt, aber ohne unmittelbar in die gesellschaftliche Organisationsstruktur einzugreifen. Derartige Stimmrechtsbindungsverträge vermögen nur die beteiligten Gesellschafter, nicht aber die Gesellschaft zu binden, weil sie nicht zum Bestandteil der formgerechten, veröffentlichten und vom Firmenbuchrichter geprüften Satzung gemacht worden seien. Diese Vereinbarung hätte den von der neuen Gesellschafterin der Klägerin benannten Geschäftsführer dazu verpflichtet, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine Erklärung im Sinn dieser Vereinbarung zur Verfolgung der Ansprüche aus dem Pachtverhältnis abzugeben, die auch gerichtlich durchsetzbar gewesen wäre. Diese Vereinbarung hätte zur Wirksamkeit des lediglich von jenem Geschäftsführer, der von der ursprünglichen Gesellschafterin benannt worden sei, erteilten Klagsauftrags vorausgesetzt, dass nicht nur der damals beabsichtigte Gesellschafterwechsel wirksam wird, sondern darüber hinaus der von der neuen Gesellschafterin benannte Geschäftsführer die entsprechende Klageberechtigung erteile. Mangels Eintritts dieser zweiten Bedingung sei der andere Geschäftsführer aber nur kollektivvertretungsbefugter Geschäftsführer geblieben und als solcher nicht allein zur Erteilung des Klagsauftrags berechtigt gewesen. Die Klägerin sei daher nicht ausreichend vertreten, ein kollektivvertretungsbefugter Geschäftsführer einer GmbH könne die Gesellschaft nicht allein vor Gericht vertreten. Der Vollmachtsmangel sei ein Prozesshindernis und Nichtigkeitsgrund. Ein Sanierungsversuch habe unterbleiben können, weil dessen Erfolglosigkeit angesichts des Prozessstandpunkts der Beklagten auf der Hand liege, wovon auch die Klägerin in ihrem Vorbringen ausgehe.

Rechtliche Beurteilung

Der als Rekurs bezeichnete Revisionsrekurs der Klägerin, mit dem sie die Aufhebung der berufungsgerichtlichen Nichtigerklärung und die Wiederherstellung des klagestattgebenden Ersturteils anstrebt, ist nicht zulässig.

Das von der Klägerin erhobene Rechtsmittel ist entgegen ihrem Vorbringen kein Rekurs im Sinn des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO. Der Vollrekurs nach dieser Gesetzesbestimmung kommt nur in Betracht, wenn sich das Berufungsgericht mit dem zur Klagezurückweisung führenden Nichtigkeitsgrund erstmals auseinandergesetzt hat. War das (behauptete) Prozesshindernis aber bereits Gegenstand des Verfahrens erster Instanz und der erstgerichtlichen Entscheidung, so unterliegt ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof den Beschränkungen des § 528 Abs 2 ZPO (RIS‑Justiz RS0116348). § 519 Abs 1 Z 1 ZPO soll nach der Absicht des Gesetzgebers (nur) jene Fälle erfassen, in denen das Berufungsgericht funktionell gleichsam als erste Instanz abschließend entscheidet (RIS‑Justiz RS0102655). Um die Anfechtungsbeschränkung des § 528 Abs 2 ZPO anzuwenden, ist eine formelle (spruchmäßige) Entscheidung über den Nichtigkeitsgrund durch das Erstgericht nicht notwendig; es reicht aus, wenn das Erstgericht in den Entscheidungsgründen zu erkennen gegeben hat, die entsprechende Einrede verwerfen zu wollen (vgl 5 Ob 275/08i = SZ 2009/4; RIS‑Justiz RS0116348 [T6]). Die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels hindert nicht dessen Behandlung in einer dem Gesetz entsprechenden Weise (RIS‑Justiz RS0036258).

Die Wirksamkeit des Klageauftrags an die Klagevertreter war bereits Gegenstand des Verfahrens erster Instanz, die Beklagte behauptete die Unwirksamkeit dieser Bevollmächtigung mangels Klageauftrags beider kollektivvertretungsbefugter Geschäftsführer der Klägerin. Das Erstgericht hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt, die Bevollmächtigung der Klagevertreterinnen aber für wirksam angesehen und demgemäß über das Klagebegehren meritorisch entschieden. Das Berufungsgericht griff den von der Beklagten inhaltlich bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten und in der Berufung wiederholten Nichtigkeitsgrund auf und hob das Ersturteil sowie das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf. Das Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist daher als Revisionsrekurs aufzufassen, der den Anfechtungsbeschränkungen des § 528 ZPO unterliegt.

Die Klägerin vermag aber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Der (bloß) kollektivvertretungsbefugte Geschäftsführer einer GmbH bedarf zur Prozessführung einer besonderen Vollmacht (RIS‑Justiz RS0059870); aufgrund der nur von einem der kollektivvertretungsbefugten Geschäftsführer erteilten Vollmacht ist der einschreitende Rechtsanwalt daher nicht berechtigt, namens der Gesellschaft Prozesshandlungen vorzunehmen (9 ObA 145/91).

Die vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegte Auffassung, die Gesellschaftervereinbarung vom 21. Dezember 2010 sei als bloß schuldrechtliche Regelung des Stimmverhaltens einzelner Gesellschafter anzusehen und binde daher nur die Gesellschafter und nicht die Gesellschaft selbst, steht im Einklang mit den Grundsätzen der Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0059854, RS0049389, RS0022482). Vertragsgegenstand von Syndikatsverträgen ist die Ausübung des Stimmrechts in der Gesellschaft. Sie sind eine sinnvolle Ergänzung des Gesellschaftsvertrags, ohne jedoch unmittelbar in die gesellschaftliche Organisation einzugreifen. Die bindungswidrig abgegebene Stimme ist wirksam (RIS‑Justiz RS0079236).

Die Auslegung eines Vertrags im Einzelfall wirft ‑ von hier nicht vorliegender krasser Fehlbeurteilung abgesehen ‑ keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bzw § 528 Abs 1 ZPO auf. Es ist jedenfalls vertretbar, die einzelnen Absätze der hier zur beurteilenden Vereinbarung als Ganzes aufzufassen und die Verpflichtung des zweiten Geschäftsführers, die Ermächtigung des ersten Geschäftsführers zur Verfolgung der Ansprüche aus dem Bestandvertrag der Streitteile zu erteilen, als zwischen den Gesellschaftern vereinbarte und auch allenfalls gerichtlich durchsetzbare Verpflichtung zu sehen, nicht aber als den Gesellschaftsvertrag ändernde und die Gesellschaft bereits vorweg bindende Vertretungsregelung. Dafür spricht nicht nur der Wortlaut der Vereinbarung, sondern auch der Grundsatz, dass im Zweifel Vereinbarungen so auszulegen sind, dass sie nicht teilweise gegenstandslos würden (RIS‑Justiz RS0017787).

Mangels Behauptung eines vom Inhalt der Urkunde abweichenden Parteiwillens erübrigte sich auch die von der Klägerin vermisste Erforschung einer vom allfällig zu unterstellenden Wortsinn abweichende Parteienabsicht (RIS‑Justiz RS0017834). Im Übrigen würde gerade das von der Klägerin gewünschte Verständnis der Gesellschaftervereinbarung vom 21. Dezember 2010 im Sinn eines Generalversammlungsbeschlusses bzw einer Änderung des Gesellschaftsvertrags im Hinblick auf die mögliche Beeinträchtigung der Rechte dritter Gesellschafter und der Wirkung auch für die Zukunft ein am Wortsinn orientiertes normatives Verständnis der auszulegenden Vertragsbestimmungen erfordern (vgl RIS‑Justiz RS0108891).

Ein Eingehen auf die von der Klägerin darüber hinaus ins Treffen geführten Argumente gegen die Berücksichtigung der unwirksamen Erteilung von Prozessvollmacht bzw des Klagsauftrags (Schikane, Treuwidrigkeit etc) erübrigt sich im Hinblick darauf, dass Nichtigkeitsgründe in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen aufzugreifen sind, es daher nicht darauf ankommt, ob sie die Beklagte geltend macht.

Der von der Beklagten überdies erhobenen Rüge der berufungsgerichtlichen Kostenentscheidung steht die Unanfechtbarkeit der berufungsgerichtlichen Kostenentscheidung entgegen (§ 528 Abs 2 Z 1 ZPO; RIS‑Justiz RS0044228, RS0044233).

Da die Beklagte die Zurückweisung des gegnerischen (Revisions‑)Rekurses beantragte, hat ihr die Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Kosten der Revisionsrekursbeantwortung gemäß §§ 41 und 50 ZPO zu ersetzen.

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