OGH 4Ob77/14y

OGH4Ob77/14y20.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. H***** B*****, vertreten durch Dr. Michael Kowarz, Rechtsanwalt in Salzburg‑Wals, gegen die beklagte Partei E***** B*****, vertreten durch Dr. Franz Linsinger, Rechtsanwalt in St. Johann im Pongau, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau AZ 3 C 30/04m, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 13. Februar 2014, GZ 21 R 446/13d‑26, womit der Rekurs der klagenden Partei gegen den als Urteil bezeichneten Beschluss des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 23. Oktober 2013, GZ 3 C 71/12b‑22, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt mit auf § 530 Abs 1 Z 4 ZPO gestützter Wiederaufnahmsklage die Wiederaufnahme des vom Erstgericht zu AZ 3 C 40/04m geführten und rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens wegen Scheidung und Unterhalt. Der in erster Instanz entscheidende Richter sei nicht nur befangen gewesen sondern habe darüber hinaus Amtsmissbrauch begangen.

Das Erstgericht wies das Wiederaufnahmebegehren mit „Urteil“ ab. Es legte seiner Entscheidung zugrunde, dass das aufgrund der Anzeige des Klägers gegen den in erster Instanz entscheidenden Richter sowie den Rechtsvertreter der Gegenpartei wegen §§ 302 ua StGB eingeleitete Ermittlungsverfahren gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt wurde. Der vom Kläger erhobene Fortführungsantrag wurde überdies als unzulässig zurückgewiesen. Da das Strafverfahren gegen den erkennenden Richter eingestellt und der Fortführungsantrag als unzulässig zurückgewiesen worden sei, liege der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund nicht vor.

Das Rekursgericht wies den als Berufung bezeichneten Rekurs des Klägers wegen Verspätung zurück. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO unzulässig sei. Der vom Kläger geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 4 ZPO liege nicht vor, weil das Strafverfahren gegen den erkennenden Richter eingestellt worden sei. Die Wiederaufnahmsklage hätte daher gemäß § 539 Abs 2 ZPO mit Beschluss zurückgewiesen werden müssen. Das Vergreifen in der Entscheidungsform beeinflusse weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des gegen die Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Die außerhalb der 14‑tägigen Rekursfrist erhobene „Berufung“ sei daher verspätet.

Rechtliche Beurteilung

Der als Rekurs bezeichnete außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers, mit dem er die Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses sowie den Auftrag zur Fortsetzung des zweitinstanzlichen Verfahrens anstrebt, ist nicht zulässig.

Die Zurückweisung eines Rechtsmittels von der ersten oder zweiten Instanz kann durch Rekurs nur angefochten werden, wenn eine sachliche Überprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht stattgefunden hat. Nimmt das Gericht jedoch eine Sachprüfung vor, obgleich es zunächst seine Entscheidungsbefugnis verneint (etwa wegen Verspätung), so ist ein solcher Beschluss als Sachentscheidung anzusehen; der formale Teil ist dann unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0044232). Das Rekursgericht hat hier auch inhaltlich zum Vorliegen des behaupteten Wiederaufnahmsgrundes Stellung genommen, sodass inhaltlich übereinstimmende Zurückweisungsbeschlüsse beider Vorinstanzen vorliegen. Obgleich somit ein bestätigender Beschluss vorliegt, ist er gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO nicht absolut unanfechtbar, weil die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde (6 Ob 286/01d mwN).

Der Revisionsrekurswerber vermag aber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Gemäß § 539 Abs 2 ZPO ist eine auf § 530 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage als unzulässig zurückzuweisen, wenn das Strafverfahren mangels Beweisbarkeit oder Strafbarkeit eingestellt wurde. Die Wiederaufnahmsklage wäre im vorliegend zu beurteilenden Fall daher mit Beschluss zurückzuweisen gewesen. Die rekursgerichtliche Umdeutung der erstgerichtlichen Entscheidung bei Vergreifen in der Entscheidungsform ist grundsätzlich möglich (4 Ob 44/12t).

Die Zulässigkeit einer Anfechtung richtet sich allein nach der vom Gesetz vorgeschriebenen Entscheidungsform (RIS‑Justiz RS0041880). Das Vergreifen in der Entscheidungsform beeinflusst weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des Rechtsmittels; für die Beurteilung, ob ein Urteil oder ein Beschluss vorliegt, ist also nicht die tatsächlich gewählte, sondern die vom Gesetz vorgesehene Entscheidungsform maßgebend (RIS‑Justiz RS0036324). Nichts anderes gilt für die gegen die Entscheidung offenstehende Rechtsmittelfrist (8 ObS 8/10z). Rechtsmittelfristen sind Notfristen, die gemäß § 128 Abs 1 ZPO auch durch das Gericht nicht verlängert werden können (vgl RIS‑Justiz RS0036235). Auch Gerichtsfehler führen nicht zur Verlängerung von Rechtsmittelfristen (8 ObS 8/10z).

In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof bereits auch ausgesprochen, dass eine mit Analogie zu schließende planwidrige Lücke nicht vorliegt (8 ObS 8/10z).

Im Zivilprozess sind grundsätzlich die Interessen beider Prozessparteien im Auge zu behalten, weshalb dem vom Kläger in den Vordergrund gerückten Interesse an seiner Rechtsverteidigung und seinem Hinweis auf die im Verwaltungsverfahren geltende (vom Zivilprozessrecht abweichende) Bestimmung des § 61 Abs 3 AVG (verlängerte Rechtsmittelfrist bei Fehlgriff der Behörde) entgegenzuhalten ist, dass durch verlängerte Rechtsmittelfristen regelmäßig das Interesse der Gegenpartei am Verfahrensabschluss bzw Erhalt der bereits erlangten Rechtsposition gefährdet wäre.

Da dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Zivilverfahrensrechts aus grundrechtlicher Sicht ein weiter Spielraum eingeräumt ist, kann in der Normierung einer Rechtsmittelfrist im Ausmaß von 14 Tagen schon im Ansatz kein Verstoß gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK gesehen werden (vgl EGMR 28. 10. 1998, 116/1997/900/1112, Pérez de Rada Cavanilles gegen Spanien).

Die Beklagte hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen, zumal ihr die Beantwortung des außerordentlichen Rechtsmittels nicht freigestellt worden war.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte