OGH 7Ob65/14f

OGH7Ob65/14f7.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** F*****, vertreten durch Hirtzberger Sacha Katzensteiner Rechtsanwälte GmbH in Krems, gegen die beklagte Partei B***** F*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloss und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 9. Jänner 2014, GZ 21 R 208/13s‑34, womit das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 15. Juli 2013, GZ 11 C 504/11f‑29, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00065.14F.0507.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, die Grundstücke ***** inneliegend der EZ *****, wobei es sich in der Natur um ein Wohngebäude mit der Adresse ***** und einen landwirtschaftlichen Betriebskomplex, bestehend aus einer landwirtschaftlichen Betriebshalle und einer Halle mit Weinpresse handelt, zu räumen und der klagenden Partei geräumt von ihren eigenen beweglichen Sachen zu übergeben, wird abgewiesen.

2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.820,16 EUR (darin enthalten 1.103,52 EUR an USt und 1.199 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist der Vater des Beklagten. Er ist alleiniger Eigentümer der Liegenschaft EZ ***** mit den Grundstücken *****, wobei es sich um einen landwirtschaftlichen Grundstückskomplex handelt, auf dem ein (altes) landwirtschaftliches Wohngebäude, eine landwirtschaftliche Betriebshalle und eine Halle mit Weinpresse errichtet sind.

Der Kläger führte an dieser Adresse einen Weinbaubetrieb. Das Haus wurde von ihm, seinen drei Kindern, darunter dem Beklagten, ursprünglich seiner in den 80iger Jahren verstorbenen ersten Ehefrau und ab 1986 seiner zweiten Ehefrau bewohnt. Die älteren Geschwister des Beklagten zogen in der Folge aus.

1991 ging der Kläger in Pension und übergab dem Beklagten den Weinbaubetrieb, den der Beklagte im eigenen Namen weiterführte. Der Kläger gestattete dem Beklagten, der auch weiterhin in dem Haus wohnen blieb, die Nutzung des landwirtschaftlichen Grundstückskomplexes. Der Beklagte übernahm mit dem Betrieb auch einen Weintank mit 90.000 Liter Wein, wobei die Streitteile vereinbarten, dass der Beklagte dem Kläger jährlich eine nach einem bestimmten ‑ nicht näher feststellbaren ‑ Schlüssel zu errechnende Menge Wein überlässt. Weiters lieferte der Kläger dem Beklagten auch Trauben aus anderen Weingärten zur Verarbeitung, wofür er wiederum eine vom Beklagten nach einem bestimmten Schlüssel errechnete Weinmenge bezog.

1995 heiratete der Beklagte, nunmehr zog auch seine Frau in das Wohngebäude. Als der Beklagte und seine Frau das zweite Kind erwarteten, erachteten sie einerseits die Räumlichkeiten des alten Wohnhauses als zu beengt und andererseits ein weiteres Zusammenwohnen der Generationen als zu konfliktträchtig. Daraufhin errichtete der Kläger in unmittelbarer Nähe des alten Wohnhauses auf dem Grundstück Nr ***** mit der Adresse ***** ein neues Haus, in das er 1997 mit seiner zweiten Frau zog. Das alte Wohnhaus verblieb dem Beklagten und seiner Familie zur alleinigen Nutzung.

Der Kläger begehrt die Räumung der vom Beklagten benützten Grundstücke. Diese seien dem Beklagten in den 90iger Jahren prekaristisch zur Nutzung überlassen worden. Mit Schreiben vom 21. 11. 2011 habe der Kläger das Prekarium widerrufen, weshalb sie der Beklagte nun titellos benutze. Das Räumungsbegehren bestehe daher für alle Grundstücke und Gebäude zu Recht; die einzelnen Objekte könnten kein eigenes prozessuales Schicksal erleiden.

Für den Fall, dass das Gericht zu dem Schluss kommen sollte, dass der Kläger dem Beklagten ein Fruchtgenussrecht eingeräumt habe, habe der Kläger ein solches analog zu den Regelungen für den Schenkungswiderruf zwischenzeitig widerrufen; dies gestützt auf den Umstand, dass der Beklagte mehrfach strafrechtlich relevante Handlungen gegenüber dem Kläger gesetzt habe.

Der Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Ihm sei hinsichtlich der Grundstücke samt dem Gebäudekomplex, auf denen der Beklagte den ihm vom Kläger übergebenen Weinbaubetrieb fortführe, ein lebenslanges Fruchtgenussrecht eingeräumt worden. Im Übrigen habe der Kläger zugesagt, dass der Beklagte durch letztwillige Verfügung Eigentum an den Grundstücken und Gebäuden erhalten werde.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Das vom Beklagten behauptete Fruchtgenussrecht sei ihm nicht eingeräumt worden. Aus einem ursprünglich familienrechtlichen Wohnverhältnis habe sich die Nutzung der Liegenschaft frei widerruflich und ohne Gegenleistung, somit nach den Regeln des Prekariums entwickelt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es ließ die ordentliche Revision zu. Einerseits könnte eine Fehlbeurteilung darin liegen, dass das familienrechtliche Naheverhältnis als ausschlaggebendes Kriterium angesehen und von einer Umgehung mietrechtlicher Vorschriften nicht ausgegangen worden sei. Andererseits habe der Kläger in seiner Räumungsklage nicht zwischen den einzelnen Grundstücken unterschieden, sondern stets die Räumung aller drei Grundstücke begehrt. An sich liege es auf der Hand, dass die Betriebshalle und auch die Weinpresse zum Betrieb eines Weinbauunternehmens gehörten. Es könnte daher fraglich sein, ob diese beiden Grundstücke nach dem Vorbringen des Klägers überhaupt zu räumen wären.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Beklagten mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

1. Bei der Bittleihe (Prekarium) handelt es sich um einen Leihvertrag, für den der Gebrauch der Sache gegen jederzeitigen Widerruf eingeräumt wird, sodass der Verleiher die Sache nach Willkür zurückfordern kann. Das kennzeichnende Merkmal einer Bittleihe im Sinn des § 974 ABGB, die nicht vermutet wird, sondern von dem nachzuweisen ist, der sich darauf beruft (RIS‑Justiz RS0019200, RS0020518 [T2, T3, T4]), besteht darin, dass keine Verbindlichkeit des Verleihers zur Gestattung des Gebrauchs besteht, weder die Dauer des Gebrauchs noch die Absicht des Gebrauchs bestimmt werden und die Überlassung im Wesentlichen unentgeltlich erfolgt (RIS‑Justiz RS0020524, RS0019083, RS0019221, RS0019196).

Der für das Prekarium wesentlichen Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs entspricht der Mangel der Bindung des Verleihers für die Zukunft (RIS‑Justiz RS0020524 [T3]; 1 Ob 121/04g, 2 Ob 194/05a). Mangels ausdrücklicher Vereinbarung der freien Widerruflichkeit müsste sich eine solche aus den Umständen des Falles ergeben. Grundsätzlich spricht die Unentgeltlichkeit für die Widerruflichkeit (RIS‑Justiz RS0019196). Aber auch bei Unentgeltlichkeit kann sich ein gegenteiliger Bindungswille für die Zukunft aus den Umständen ergeben (6 Ob 143/02a, 2 Ob 194/05a).

3. Der Kläger spricht davon, dass die Grundstücke samt den darauf befindlichen Gebäuden (Wohngebäude, Betriebshallen) einem zusammenhängenden landwirtschaftlichen Liegenschaftskomplex angehören. Damit geht er selbst davon aus, dass ‑ wie in der Landwirtschaft auch durchaus üblich ‑ die Grundstücke mit den Betriebsgebäuden und das Grundstück mit dem Wohngebäude als Einheit dem landwirtschaftlichen Betrieb (Weinbaubetrieb) dienten und dienen.

Die freie Widerruflichkeit wurde nicht ausdrücklich vereinbart, eine solche ergibt sich aber auch nicht aus den Umständen des Falles. Gegen die freie Widerrufsmöglichkeit spricht nämlich schon die Erwägung, dass der Kläger, der auf dem landwirtschaftlichen Liegenschaftskomplex ursprünglich selbst den Weinbaubetrieb führte, diesen unter Überlassung der Nutzung der darauf errichteten Gebäude dem Beklagten übergab. Daraus lässt sich vielmehr die Gebrauchsabsicht zumindest für die Dauer der Führung des Betriebs durch den Beklagten ableiten.

4. Nicht relevant ist in diesem Zusammenhang, ob der Beklagte den Betrieb auch woanders führen könnte. Dass der Beklagte den ihm übergebenen Weinbaubetrieb nicht mehr fortführt, wurde vom Kläger im erstgerichtlichen Verfahren nicht vorgebracht. Die nunmehrigen Ausführungen in der Revisionsbeantwortung widersprechen dem Neuerungsverbot.

5. Begründet der Kläger sein Räumungsbegehren mit dem Widerruf einer prekaristisch eingeräumten Benützung, so ist das Gericht an diesen ausdrücklich geltend gemachten Rechtsgrund gebunden (RIS‑Justiz RS0019055). Hier erweist sich der geltend gemachte Rechtsgrund als nicht gegeben, weil der Kläger das die Bittleihe kennzeichnende Merkmal der freien Widerruflichkeit nicht nachwies.

6. Der vom Beklagten geltend gemachte Verstoß gegen §§ 182, 182a ZPO muss nicht geprüft werden, weil bereits auf Grund des festgestellten Sachverhalts das Räumungsbegehren in Stattgebung der Revision abzuweisen war.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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