OGH 5Ob41/14m

OGH5Ob41/14m23.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Lovrek, den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** K*****, vertreten durch Mag. Leo Thun‑Hohenstein, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M***** S*****, vertreten durch Dr. Thomas Jappel, Rechtsanwalt in Wien, 2. O***** O*****, vertreten durch Dr. Peter Schober, Rechtsanwalt in Wien, wegen Erteilung einer Zustimmung (Streitwert 34.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. Jänner 2014, GZ 12 R 182/13t‑81, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0050OB00041.14M.0423.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin ist Miteigentümerin der Liegenschaft EZ 834 GB *****. Sie bewohnt das in ihrem Wohnungseigentum stehende Objekt Top 7, das im Dachgeschoss des auf dieser Liegenschaft errichteten Wohnhauses liegt, und beabsichtigt die Errichtung einer im Innenhof gelegenen Aufzugsanlage. Diese sei insbesondere deshalb erforderlich, weil ihr Lebensgefährte an einer Herzerkrankung leide. Die Errichtung des Außenlifts sei nur in Unterschreitung des Abstands von 3 m zur Nachbarliegenschaft möglich, weswegen die Zustimmung der Nachbarn erforderlich sei.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten, der von der Klägerin beabsichtigten Baumaßnahme zuzustimmen. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zum Ergebnis, dass die Verweigerung der Zustimmung schikanös sei, weil die Nachteile der Zweitbeklagten in einem krassen Missverhältnis zu den Interessen der Klägerin stünden. Der Erstbeklagte werde durch eine solche Aufzugsanlage überhaupt nicht beeinträchtigt.

Gegen dieses Urteil erhob lediglich die Zweitbeklagte Berufung, der das Gericht zweiter Instanz Folge gab und ihr gegenüber das Haupt‑ sowie das Eventualbegehren abwies. In rechtlicher Hinsicht verneinte es eine rechtsmissbräuchliche Zustimmungsverweigerung durch die Zweitbeklagte.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die keine Fragen von der Erheblichkeit des § 502 Abs 1 ZPO geltend macht.

Rechtliche Beurteilung

1. Das Erstgericht hat seine in die rechtliche Beurteilung aufgenommene Folgerung, es bestünde lediglich eine an wenigen Tagen im Jahr um kurze Zeit verringerte Sonneneinstrahlung, erkennbar auf den von ihm festgestellten und vom Berufungsgericht gebilligten Sachverhalt gestützt, ohne dass damit eine weitere, aus Erfahrungsschlüssen gewonnene Tatsachenfeststellung getroffen worden wäre (vgl dazu RIS‑Justiz RS0043521). Es begründet daher weder einen Verfahrensmangel noch eine Aktenwidrigkeit, wenn das Berufungsgericht erklärte, diese Folgerung „als aktenwidrig“ nicht zu übernehmen (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Nach Art V Abs 4 der Bauordnung für Wien sind für 2005 bereits bestehende Gebäude Baubewilligungen für Aufzugsbauten auch dann zu erteilen, wenn sie Baufluchtlinien überschreiten, durch sie die Bestimmungen über die flächenmäßige Ausnützbarkeit nicht eingehalten werden oder sie in Abstandsflächen ragen. Dabei ist ein Abstand von 3 m von den Nachbargrenzen einzuhalten, sofern ein Nachbar nicht einem geringeren Abstand zustimmt und der gesetzliche Lichteinfall für die Nachbarliegenschaft nicht beeinträchtigt wird. Die Bestimmungen über den Mindestabstand eines Bauwerks gewähren den Nachbarn ein subjektives öffentliches Recht auf deren Einhaltung (vgl RIS‑Justiz RS0107965). Auch ein subjektives öffentliches Recht kann schikanös ausgeübt werden (RIS‑Justiz RS0026601 [T3]).

3. Die Klägerin beruft sich auf eine schikanöse Verweigerung der Zustimmung durch die Zweitbeklagte zur Errichtung einer Außenliftanlage in Unterschreitung des Mindestabstands zur Nachbarliegenschaft und bezieht sich damit auf den zweiten Tatbestand des § 1295 Abs 2 ABGB. Danach liegt eine missbräuchliche Rechtsausübung vor, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (2 Ob 111/07y; RIS‑Justiz RS0026265; Karner in KBB³ § 1295 ABGB Rz 22). Dabei geben im Allgemeinen selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zu Gunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag, weil diesem grundsätzlich zugestanden werden muss, dass er innerhalb der Schranken des ihm eingeräumten Rechts handelt (RIS‑Justiz RS0026205). Besteht ein begründetes Interesse des Rechtsausübenden, einen seinem Recht entsprechenden Zustand herzustellen oder ‑ wie hier ‑ beizubehalten, ist die Rechtsausübung selbst dann nicht missbräuchlich, wenn der sein Recht Ausübende unter anderem die Absicht verfolgt, mit der Rechtsausübung dem anderen Schaden zuzufügen (RIS‑Justiz RS0026271). Beweispflichtig für die Schikane bzw den Rechtsmissbrauch ist derjenige, der sich auf diese Beschränkungen des ausgeübten Rechts beruft (RIS‑Justiz RS0026265). Ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, ist dabei jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0110900; RS0026265).

4. Entgegen den Ausführungen der Klägerin in ihrem außerordentlichen Rechtsmittel lag der Entscheidung 1 Ob 215/97t (RZ 1998/3) zugrunde, dass nach den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts ‑ abgesehen von einer geringfügigen Verringerung des baulichen Mindestabstands ‑ mit der Errichtung des Außenlifts überhaupt keine über die Bauzeit hinaus reichende Beeinträchtigung von Interessen der Eigentümer der Nachbarliegenschaft zu befürchten waren. Daher hat der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung auch ausgesprochen, dass, sollte das Berufungsgericht im fortgesetzten Verfahren die Feststellungen des Erstgerichts übernehmen, die Zustimmung zur Errichtung einer solchen Anlage nicht verweigert werden könne. Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall schon dadurch, dass die Errichtung der geplanten Aufzugsanlage durch die Klägerin eine Verringerung der Sonnenbestrahlung der hofseitigen Fenster zur Wohnung der Zweitbeklagten ‑ abhängig von der Jahreszeit ‑ von bis zu einer halben Stunde pro Tag und eine ‑ wenn auch sehr geringe ‑ Geräuschbeeinträchtigung zur Folge hätte. Damit lässt sich entgegen der Ansicht der Klägerin die Entscheidung 1 Ob 215/97t nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen, weswegen auch das von ihr als erhebliche Rechtsfrage geltend gemachte Abweichen des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht vorliegt. Berücksichtigt man, worauf bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat, dass der Dachbodenausbau zu einem Zeitpunkt geschaffen wurde, als die Zustimmung der Eigentümer der Nachbarliegenschaft zur Errichtung eines Außenaufzugs bei Unterschreitung des Mindestabstands bereits erforderlich war, und der Lebensgefährte der Klägerin erst 2010 und in Kenntnis des Umstands, dass diese barrierefrei nicht erreicht werden kann, in die Wohnung der Klägerin übersiedelte, ist in der der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde liegenden Interessensabwägung auch keine im Einzelfall vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung zu sehen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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