European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00193.13F.0217.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Im Übrigen werden die Akten dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war Pächterin einer Cafeteria im Museum der Klägerin.
Die Klägerin begehrte von den Beklagten Räumung, Feststellung, Zahlung einer Vertragsstrafe, Schadenersatz, Energie- und Bewirtschaftungskosten sowie Benützungsentgelt.
Die Beklagten bestritten sämtliche Begehren und die Erstbeklagte erhob eine Widerklage, mit der sie von der Klägerin die Zahlung von über 1 Mio EUR an Schadenersatz und an Ausgleichsanspruch gemäß § 24 HVG begehrt.
Die Parteien schlossen einen Teilvergleich über die Räumung des Bestandobjekts. Dies hatte die Einschränkung der Klage um das Räumungs- und Feststellungsbegehren zur Folge.
Das Erstgericht wies mit Teilurteil einen Teil des Klagebegehrens von 27.162,28 EUR (Pönale und Schadenersatz) sowie einen Teil des Widerklagebegehrens von 600.000 EUR (Ausgleichsanspruch) ab.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision jeweils für nicht zulässig. Hinsichtlich des von der Widerklägerin geltend gemachten Ausgleichsanspruchs führte es aus, dass zwischen den Streitteilen keine Rechtsbeziehungen bestanden hätten, die jenen zwischen Unternehmern und Handelsvertretern entsprächen.
Rechtliche Beurteilung
I. Zur außerordentlichen Revision der Erstbeklagten und Widerklägerin:
Die Erstbeklagte macht in ihrem Rechtsmittel geltend, das Berufungsgericht habe die Frage der analogen Anwendung der Bestimmungen des HVG fehlerhaft gelöst, aufgrund einer Verletzung tragender Verfahrensgrundsätze habe es eine Überraschungsentscheidung gefällt und überdies sei ihm eine Aktenwidrigkeit unterlaufen.
Damit zeigt die Erstbeklagte jedoch keine erheblichen Rechtsfragen auf:
1. Maßgebliche Kriterien für die analoge Anwendung des Handelsvertreterrechts sind vor allem, ob ein Wettbewerbsverbot, Weisungs- und Kontrollrechte, Abnahmeverpflichtungen und Preisbindungsvorschriften bestehen, der Händler eine entsprechende Verkaufs- und Kundendienstorganisation und ein angemessenes Lager zu unterhalten und sich an der Einführung neuer Modelle zu beteiligen hat. Das Fehlen einzelner Elemente führt nicht zum Verlust eines Ausgleichsanspruchs. Maßgeblich ist im Sinn eines beweglichen Systems das Überwiegen der Elemente des Handelsvertretervertrags. Die Beurteilung, ob diese Kriterien in Bezug auf das Vertragsverhältnis der Streitteile in ausreichendem Maß erfüllt waren, um den Ausgleichsanspruch nach § 24 HVG zu begründen, ist eine nicht revisible Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0018335 [T8-T10]).
2. Die Vorinstanzen haben (teilweise disloziert) festgestellt, dass kein Wettbewerbsverbot vereinbart wurde und keine Weisungs- und Kontrollrechte des Verpächters bestanden, sondern lediglich ein Gremium für Anregungen und Vorschläge hinsichtlich der Betriebsführung eingerichtet wurde, das aus jeweils einem Vertreter von Pächter und Verpächter bestehen sollte. Die Bestimmungen im Pachtvertrag, wonach das Personal durch den Pächter mit besonderer Sorgfalt ausgewählt werden müsse, das Personal die Museumsbesucher freundlich und höflich zu behandeln und fremdsprachenkundig zu sein habe, und der Verpächter das ausschließliche Recht haben soll, das Erscheinungsbild des Betriebs zu bestimmen, das jedoch mit der corporate identity des Pächters übereinstimmen müsse, beurteilten die Vorinstanzen als typische Kriterien für das Vorliegen eines Pachtvertrags (und nicht eines handelsvertreter-ähnlichen Vertragsverhältnisses). Diese Kriterien ergäben sich aus der besonderen Lage des Betriebs.
3. Diese Auffassung stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar, zumal aufgrund der festgestellten Vertragslage keine enge Eingliederung der Erstbeklagten in die Organisation des Dienstleistungsbetriebs der Klägerin erfolgte. Der Gastronomiebetrieb der Erstbeklagten steht in keinem ausreichend relevanten Zusammenhang mit dem Museumsbetrieb der Klägerin. Der Erstbeklagten stand die Auswahl und Präsentation der verkauften Produkte im Wesentlichen (nach Anhörung des Beratergremiums) frei (vgl im Unterschied dazu 1 Ob 10/09s ‑ Eingliederung in die Absatzorganisation, Berichtspflicht, Übermittlung des Verkaufsplans, Kontrollrecht). Sie vertrieb auch grundsätzlich andere Waren bzw Dienstleistungen als jene der Klägerin. Selbst unter der Annahme, dass die Erstbeklagte zusätzlich zu den eigenen Produkten auch (in Gutscheinen enthaltene) Museumseintrittskarten der Klägerin vertrieben hätte, wäre kein Überwiegen der Elemente des Handelsvertretervertrags anzunehmen. Die von der Erstbeklagten aufgezeigte Aktenwidrigkeit ist daher ohne Relevanz und es erübrigt sich daher auch ein Eingehen auf die in diesem Zusammenhang relevierte Frage der „Überraschungsentscheidung“.
Die außerordentliche Revision der Erstbeklagten ist daher zurückzuweisen.
II. Zur außerordentlichen Revision der Klägerin:
1. Nach § 502 Abs 5 Z 2 ZPO gelten die Absätze 2 und 3 nicht für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird. Der wesentliche Zweck der Ausnahmeregelung besteht darin, Entscheidungen in Fällen, in denen der Verlust des Bestandobjekts droht, unabhängig von der Bewertungsfrage bekämpfbar zu machen (RIS‑Justiz RS0120190).
2. Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor, wurde doch bereits in erster Instanz einvernehmlich die Räumung des Bestandobjekts vereinbart. Die Revisionsbeschränkung des § 502 Abs 3 ZPO kommt daher zum Tragen.
3. Nach § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision ‑ außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO ‑ jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand insgesamt zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann jedoch eine Partei nach § 508 Abs 1 und 2 ZPO binnen vier Wochen nach der Zustellung des Urteils des Berufungsgerichts den beim Erstgericht einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde (§ 508 Abs 2 erster Satz ZPO).
4. Das Rechtsmittel wäre daher, auch wenn es als „außerordentliches“ bezeichnet wird, dem Berufungsgericht und nicht dem Obersten Gerichtshof vorzulegen gewesen (§ 508 ZPO). Dieser darf über das Rechtsmittel nur entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz nach § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RIS‑Justiz RS0109623). Ob aufgrund des fehlenden ausdrücklichen Antrags auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens erforderlich ist, ist von den Vorinstanzen zu beurteilen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)