OGH 8Ob115/13i

OGH8Ob115/13i29.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Mag. Dr. I***** G*****, vertreten durch Dr. Andrea Wukovits, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei Univ. Prof. Dr. H***** G*****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, über die außerordentlichen Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 20. Juni 2013, GZ 43 R 115/13z‑86, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hietzing vom 30. November 2012, GZ 1 C 7/10p‑80, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen der Streitteile werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Die Ehe der Streitteile wurde aufgrund von Klage und Widerklage geschieden.

Das Erstgericht kam zu dem Ergebnis, dass den Beklagten (Widerkläger) das alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe, weil er die Ehe gebrochen, seine Unterhaltspflicht und die Verpflichtung zum anständigen Umgang gegenüber seiner Gattin verletzt habe; der Klägerin (Widerbeklagten) seien keine Eheverfehlungen vorzuwerfen.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung teilweise dahin ab, dass es das überwiegende Verschulden des Beklagten aussprach. Der Klägerin sei es als Eheverfehlung anzurechnen, dass sie zur Gewinnung von Beweisen für die Untreue des Beklagten, eines Facharztes, eine Tonbandüberwachung an seinem Arbeitsplatz in der Klinik eingerichtet und selbst nach erlangter Gewissheit über die Affäre aufrecht erhalten habe. Ihr Verschulden trete aber gegenüber den Eheverfehlungen des Beklagten in den Hintergrund.

Rechtliche Beurteilung

Beide Streitteile haben gegen diese Entscheidung eine außerordentliche Revision erhoben. Die Klägerin strebt die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung an, der Beklagte den Ausspruch eines gleichteiligen Verschuldens.

Beide Rechtsmittel sind mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO)

1. Revision des Beklagten (Widerklägers):

Beweiswürdigung und Feststellungen der Tatsacheninstanzen sind im Revisionsverfahren nicht mehr anfechtbar (RIS‑Justiz RS0069246). Ein Berufungsverfahren wäre nur dann mangelhaft, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge überhaupt nicht befasst hätte, was hier nicht zutrifft.

Welchem Ehepartner Eheverfehlungen zur Last fallen, wann die unheilbare Zerrüttung der Ehe eintrat und welchen Teil das überwiegende Verschulden trifft, sind irrevisible Fragen des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0119414). Für die beiderseitige Verschuldensabwägung ist das Gesamtverhalten beider Ehegatten maßgebend (RIS‑Justiz RS0057303 [T3]).

Wenn die Revision meint, der Ehebruch des Beklagten sei im Zeitpunkt der Klagseinbringung bereits nach § 57 Abs 1 EheG als Scheidungsgrund verwirkt gewesen, setzt sie sich in Widerspruch zu den nicht mehr anfechtbaren Sachverhaltsgrundlagen. Eine die Klagefrist auslösende Beendigung des außerehelichen Verhältnisses des Beklagten konnte überhaupt nicht festgestellt werden (RIS‑Justiz RS0057240). Die Klägerin brauchte die Einhaltung der Frist des § 57 Abs 1 EheG nicht zu beweisen, weil Eheverfehlungen im Zweifel nicht als verwirkt gelten (RIS‑Justiz RS0057279). Auf die in der Revision bemängelten, aber in dritter Instanz unanfechtbaren Feststellungen zum Beginn der ehewidrigen Beziehung des Beklagten kommt es für das rechtliche Ergebnis nicht an.

Auch in der Frage der Unterhaltsverletzung vermag die Revision den Vorinstanzen keine unvertretbare Rechtsansicht nachzuweisen. Zwar ist die Bereitstellung der ehelichen Wohnung durch den unterhaltspflichtigen Teil auf den Unterhaltsanspruch des anderen Ehegatten anzurechnen, allerdings nur in angemessener Weise (RIS‑Justiz RS0047457 [T13]). Die Höhe eines darüber hinaus zustehenden Geldunterhalts ist einzelfallabhängig, wobei im vorliegenden Fall auf das Ergebnis des zwischen den Streitteilen geführten Provisorialverfahrens verwiesen werden kann (7 Ob 226/11b). Von einer völlig unbedeutenden und zu vernachlässigenden Differenz kann nach den Feststellungen keine Rede sein.

2. Revision der Klägerin (Widerbeklagten):

Ein Ehegatte, dessen Ehe durch ehewidrige Beziehungen seines Partners zu einer dritten Person gestört wird, hat ein von der ständigen Rechtsprechung grundsätzlich gebilligtes Interesse daran, sich Klarheit über den Sachverhalt zu verschaffen (4 Ob 166/02v; 7 Ob 195/02f; RIS‑Justiz RS0022959; RS0110711 [T3]; RS0022943). Das Nachforschungsrecht findet seine Grenze erst dort, wo die Überwachung des Partners offenkundig überflüssig, von vornherein aussichtslos, erkennbar unzweckmäßig oder rechtsmissbräuchlich ist (2 Ob 102/03v; 1 Ob 516/82; RIS‑Justiz RS0057503).

Ob durch konkrete Überwachungsmaßnahmen die Grenze zwischen legitimer Informationsbeschaffung und ehewidrigem Verhalten überschritten wurde, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0118125). Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass systematische, verdeckte, identifizierende technische Überwachung wegen des damit erzeugten „permanenten Überwachungsdrucks“ und der lückenlosen Konservierbarkeit der Ergebnisse schwerer wiegt als die bloße Beobachtung durch einen dafür abgestellten Detektiv (8 Ob 108/05y). Zur Aufdeckung eines ehestörenden Verhaltens kann sie nur ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn es sich um das schonendste Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks handelt (RIS‑Justiz RS0120422 [T1]).

Der Revisionswerberin war nach den Feststellungen zwar ein erheblicher Beweisnotstand zuzubilligen, allerdings musste sie von vornherein damit rechnen, dass das von ihr im Dienstzimmer des Beklagten an der Universitätsklinik installierte Tonbandgerät nicht nur Privates, sondern auch vertrauliche Patienteninformationen aufzeichnen würde, die auf diese Weise an unbefugte Dritte ‑ zu denen auch die Klägerin selbst zählt ‑ gelangen konnten.

Selbst nach einer bereits eingetretenen unheilbaren Zerrüttung der Ehe kann die Verletzung von weiterhin und unabhängig davon schutzwürdigen Interessen des Ehepartners (hier: der beruflichen Integrität) bei der Verschuldensabwägung nicht immer völlig unberücksichtigt bleiben (vgl Schwimann/Weitzenböck in Schwimann , ABGB I § 49 EheG Rz 6 aE; RIS‑Justiz RS0126889). Die unangefochtene Feststellung, dass der Beklagte subjektiv schon lange vor dem Bekanntwerden der Abhöraktion jeden Ehewillen verloren hatte, begründet daher noch keinen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifenden krassen Rechtsirrtum des Berufungsgerichts. Die Möglichkeit, dass auch eine andere Beurteilung vertretbar gewesen wäre, genügt nicht.

Der Verschuldensausspruch des Berufungsgerichts berücksichtigt aber auch, dass die festgestellten Eheverfehlungen des Beklagten an Zahl und Gewicht jene der Klägerin weit überwogen haben. Das überwiegende Verschulden eines Ehegatten ist (an Stelle eines gleichteiligen) nämlich nur dann auszusprechen, wenn sein Verschulden erheblich schwerwiegender ist und das des anderen Ehegatten dagegen fast völlig in den Hintergrund tritt (§ 60 Abs 2 Satz 2 ABGB; RIS‑Justiz RS0057325; Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth , Ehe‑ und Partnerschaftsrecht, § 60 EheG Rz 19).

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