Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 11. 9. 2007 erteilte die zuständige Bezirkshauptmannschaft der Klägerin die Betriebsanlagengenehmigung und die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb einer Betriebsanlage für das Handelsgewerbe. Laut Baubeschreibung handelte es sich bei dem Projekt um einen Fachmarkt für Textilien mit einer Bruttogeschoßfläche von 999,84 m2, beinhaltend Nutzflächen von 949,10 m2 und eine Verkaufsfläche von 780,23 m2. Nach dem Bauansuchen sollte in dem für drei Geschäftslokale geplanten Fachmarkt auch ein Lebensmittelmarkt eingerichtet werden.
Die niederösterreichische Landesregierung erklärte mit Bescheid vom 9. 4. 2008 die Baubewilligung zur Errichtung der Betriebsanlage für nichtig. Dagegen erhob die klagende Partei eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser hob mit seinem Erkenntnis vom 27. 2. 2009 die niederösterreichische Warengruppenverordnung als gesetzwidrig auf. Er wertete die Beschwerde als Anlassfall gemäß Art 139 Abs 6 B-VG und hob mit Erkenntnis vom 2. 3. 2009 auch den Bescheid vom 9. 4. 2008 auf.
Die Klägerin begehrt Schadenersatz nach dem Amtshaftungsgesetz (AHG). Die Vorinstanzen erachteten ihr Begehren für nicht gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
1. Die Aufhebung einer Verordnung wirkt zufolge Art 139 Abs 6 B-VG auf den Anlassfall zurück. Es ist so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des einem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Dem Anlassfall im engeren Sinn, anlässlich dessen das Normprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (VfGH vom 2. 3. 2009, B 979/08; vgl VfSlg 11.711/1988, je mwN) all jene Beschwerdefälle gleich zu halten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren.
1.1. Diese erweiterte Anlassfallwirkung kam der klagenden Partei im konkreten Fall zugute. Der Verfassungsgerichtshof hob den nach ihrem Vorbringen den eingeklagten Schaden verursachenden Bescheid als rechtswidrig auf, weil dessen Begründung zu zentrumsrelevanten Warengruppen an die als gesetzwidrig aufgehobene Niederösterreichische Warengruppen-verordnung der beklagten Partei angeknüpft habe. An diese Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist das Amtshaftungsgericht gebunden (vgl RIS-Justiz RS0049819; vgl Schragel, AHG³ Rz 265 mwN). Es hat aber sowohl die Kausalität als auch das Verschulden (Vertretbarkeit der unrichtigen Rechtsanwendung) des Organs des Rechtsträgers nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl RIS-Justiz RS0050237; 1 Ob 16/97b mwN) selbständig zu prüfen.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat die NÖ Warengruppenverordnung ausschließlich deshalb als gesetzwidrig aufgehoben, weil in der Aufzählung nicht zentrumsrelevanter Warengruppen „Möbel“ nicht enthalten gewesen waren. Das Projekt der klagenden Bauwerberin bezog sich ausschließlich auf den Handel mit Lebensmitteln und Textilien. Die vom Verfassungsgerichtshof beanstandete Gesetzwidrigkeit der Verordnung - das rechtswidrige Verhalten des beklagten Landes - hätte sich auf die Frage einer Zulässigkeit der Baubewilligung der klagenden Partei nicht ausgewirkt. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, war diese Rechtswidrigkeit nicht kausal für die eingeklagten Schäden (insbesondere entgangene Einnahmen als Folge des verzögerten Baubeginns), die der klagenden Partei durch die Aufhebung der rechtskräftigen Baubewilligung mit dem aufgrund der erweiterten Anlassfallwirkung in der Folge als rechtswidrig aufgehobenen Bescheid entstanden sind.
2. Die klagende Partei sieht den Bescheid auch aus anderen Gründen als rechtswidrig an. Im vorliegenden Amtshaftungsprozess war aber nach ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0049955 [T8]) nicht wie in einem Rechtsmittelverfahren zu prüfen, ob der Bescheid richtig war, sondern ob die Entscheidung auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte. Das Abweichen von einer klaren Gesetzeslage oder ständigen Rechtsprechung, das nicht erkennen ließe, dass es auf einer sorgfältigen Beurteilung beruhte, könnte ein Verschulden von Organen der beklagten Partei begründen. Die Revisionswerberin zeigt allerdings auch zu dieser, nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilenden (RIS-Justiz RS0049955 [T10]), Frage kein vom Obersten Gerichtshof zu korrigierendes Ergebnis auf.
2.1. Die Landesregierung hatte die der klagenden Partei rechtskräftige erteilte Baubewilligung mit Bescheid vom 9. 4. 2008 nach § 68 Abs 4 Z 4 AVG für nichtig erklärt. Die Anwendung dieser Bestimmung setzt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (VwSlg 16.316 A/2004 mwN) voraus, dass der Bescheid an einem durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leidet. Unbestritten ist, dass sich dem Wortlaut der im Bescheid herangezogenen landesgesetzlichen Bestimmung eine solche Nichtigkeitssanktion nicht entnehmen lässt. Das erkannte die Behörde auch, sie argumentierte aber in der Begründung ausführlich und nachvollziehbar mit einem Redaktionsversehen des Landesgesetzgebers anlässlich der in diesem Fall maßgeblichen Novellierung. Die Vertretbarkeit der Rechtsauffassung der Behörde, wonach es sich um einen reinen, vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Zitatfehler handle, wird auch dadurch gestützt, dass dieser mit der folgenden Novellierung beseitigt wurde.
2.2. Dass der Oberste Gerichtshof zur Auslegung des § 17 Abs 4 Niederösterreichisches Raumordnungsgesetz (NÖ ROG) 1976 noch nicht ausdrücklich Stellung bezogen hat, begründet entgegen der Auffassung die Revisionswerberin keine erhebliche Rechtsfrage bei der Beurteilung der Vertretbarkeit des Organverhaltens. Nach dem ersten Satz der zitierten Bestimmung darf die Summe der Bruttogeschoß- oder Verkaufsflächen jeweils bestimmte Flächenausmaße nicht überschreiten, wenn mehrere Handelsbetriebe (unter anderem) eine funktionelle Einheit bilden. Eine funktionelle Einheit ist nach Satz 2 leg cit gegeben, wenn im umgebenden Bereich die Gebäude ausschließlich oder dominierend für Handelseinrichtungen genutzt werden und mehrheitlich über private (eigene oder gemeinsame) Abstelleinrichtungen für die Kraftfahrzeuge der Kunden verfügen.
2.3. Die Überschreitung der in § 17 Abs 4 Satz 1 NÖ ROG 1976 genannten Flächenausmaße als Folge der Errichtung des geplanten Fachmarkts bezweifelt die Revisionswerberin nicht. Sie sieht aber in der Annahme einer funktionellen Einheit eine unvertretbare Rechtsansicht der Behörde. Nach den dem Bescheid zu Grunde liegenden Feststellungen befanden sich auf einem an das Baugrundstück der klagenden Partei unmittelbar angrenzenden Grundstück bereits sieben (großteils Textil-)Fachmärkte. Die für diese Handelsbetriebe erforderlichen privaten Stellplätze waren jeweils an der dem Baugrundstück zugewandten Seite angeordnet (S 2 f des ins Ersturteil aufgenommenen Bescheids). Das Argument der Revisionswerberin, sie sei aufgrund der Errichtung des Gebäudes nach der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 verpflichtet, eine Mindestanzahl von Abstellplätzen für Kraftfahrzeuge herzustellen, weshalb dies alleine zu einer funktionellen Einheit nach § 17 Abs 4 Satz 2 NÖ ROG 1976 führen könne, ist schwer verständlich. Nach dieser Norm setzt das Bestehen einer funktionellen Einheit ja nur voraus, dass die Gebäude zumindest mehrheitlich über private (eigene oder gemeinsame) Abstelleinrichtungen für die Kraftfahrzeuge der Kunden verfügen. Ob diese freiwillig oder wegen einer gesetzlichen Verpflichtung errichtet wurden, spielt dafür keine Rolle.
2.4. Die Revisionswerberin wirft der Behörde noch vor, diese habe den Bescheid erlassen, ohne ihr ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat die Behörde die beabsichtigte Aufhebung des Baubewilligungsbescheids als nichtig wegen des Verstoßes gegen § 17 Abs 4 NÖ ROG 1976 angekündigt und der klagenden Partei eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme eingeräumt. Dass diese Frist offenbar nicht zu knapp bemessen war, zeigt sich schon darin, dass die klagende Partei in ihrer 18-seitigen Stellungnahme, die einen Teil der erstgerichtlichen Feststellungen bildet, ihren Standpunkt zur Anwendbarkeit des § 17 Abs 4 NÖ ROG 1976 und des § 68 Abs 4 AVG in diesem konkreten Fall ausführlich darlegte.
3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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