OGH 10ObS160/13x

OGH10ObS160/13x19.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung eines Überbezugs, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. September 2013, GZ 25 Rs 77/13d-13, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.1 Gemäß § 107 Abs 1 ASVG hat der Versicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger bzw Leistungsempfänger den Bezug durch bewusst unwahre Angaben, bewusste Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

1.2 Gemäß § 103 Abs 1 ASVG dürfen die Versicherungsträger auf die von ihnen zu erbringenden Geldleistungen im einzelnen genannte Gegenforderungen aufrechnen, ua dürfen vom Versicherungsträger mit Bescheid nach § 368 Abs 2 ASVG gewährte Vorschüsse aufgerechnet werden (§ 103 Abs 1 Z 3 ASVG; RIS-Justiz RS0083612).

2. Zwischen der Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen und der Aufrechnung ist streng zu unterscheiden. Während in § 107 ASVG dem Versicherungsträger unter den dort normierten Voraussetzungen das Recht eingeräumt wird, mit dem Rückforderungsbescheid eine Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der zu Unrecht erbrachten Leistung zu schaffen, wird dem Versicherungsträger in § 103 ASVG bloß die Möglichkeit der Aufrechnung auf die von ihm zu erbringenden Geldleistungen eingeräumt (RIS-Justiz RS0112063).

3.1 Im gegenständlichen Fall gewährte die beklagte Partei dem Kläger im Hinblick auf dessen Antrag auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer mit einer (bloßen) Verständigung vom 24. 1. 2011 ab 1. 1. 2011 eine vorläufige Leistung in Höhe von monatlich 2.580,08 EUR. Mit Bescheid vom 28. 8. 2012 sprach die beklagte Partei dann aus, dass der Anspruch auf vorzeitige Alterspension erst ab dem 1. 6. 2011 anerkannt werde. Der Überbezug an vorzeitiger Alterspension für die Zeit vom 1. 1. 2011 bis 31. 5. 2011 in Höhe von 10.285,57 EUR werde wegen Vorliegens einer Pflichtversicherung nach dem GSVG rückgefordert und sei mittels Erlagschein zurückzuzahlen.

Es wurde somit eindeutig eine Rückforderung des Überbezugs begehrt, nicht aber eine Rückforderung des Überbezugs durch Aufrechnung, sodass die darauf bezugnehmenden Ausführungen gegenstandslos sind.

3.2 Die beklagte Partei vertritt in ihrer Revision den Standpunkt, dennoch müsse kein Rückforderungstatbestand nach § 107 Abs 1 ASVG vorliegen, weil es sich bei der von ihr für den Zeitraum 1. 1. 2011 bis 30. 5. 2011 erbrachten Leistung um eine (nicht mit Bescheid gewährte) Vorschussleistung gehandelt habe, deren Provisorialcharakter für den Kläger aus den in der Verständigung enthaltenen Hinweisen auf die Gewährung ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs, die jederzeitige Widerrufsmöglichkeit und die nachträgliche Verrechnung eindeutig erkennbar gewesen sei.

4.1 Wie bereits das Berufungsgericht dargelegt hat, besteht die Möglichkeit der Aufrechnung nach § 103 Abs 1 Z 3 ASVG für Vorschüsse nach § 104 Abs 1 letzter Satz ASVG (laufende Geldleistungen aus der Krankenversicherung) oder nach § 368 Abs 2 ASVG (Vorschuss auf eine Leistung, wenn die Leistungspflicht des Versicherungsträgers dem Grunde nach feststeht). Vorschüsse iSd § 103 Abs 1 Z 3 ASVG können demnach ohne Vorliegen eines Rückforderungstatbestands nach § 107 ASVG, ohne Aufrechnungsbeschränkung nach § 103 Abs 2 ASVG und zeitlich unbeschränkt aufgerechnet werden. Es handelt sich um eine erleichterte Möglichkeit der Aufrechnung, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (10 ObS 243/99d, SSV‑NF 13/119; Fellinger in SV-Kommentar § 103 ASVG Rz 17). Im gegenständlichen Fall wird aber ‑ wie bereits dargelegt ‑ eine Aufrechnung gar nicht begehrt.

4.2 Es liegt somit eine andere vom Versicherungsträger als „Vorschuss“ bezeichnete Zahlung vor, die jedoch nur bei Erfüllung eines Rückforderungstatbestands iSd § 107 Abs 1 ASVG (va Erkennenmüssen eines unberechtigten Bezugs) und nicht erfolgter Verjährung zurückgefordert werden kann (Atria in Sonntag, ASVG4 § 107 Rz 5).

4.3 Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Rückforderung des Überbezugs könne somit nicht mit Erfolg allein auf die im Verständigungsschreiben enthaltenen Formulierungen bzw die auf die Bestimmung des § 103 Abs 1 Z 3 ASVG gestützt werden, stimmt mit diesen Grundsätzen überein (10 ObS 68/99v, SSV-NF 13/46). Aus der von der Revisionswerberin zitierten Entscheidung 10 ObS 128/12i, die sich mit der Frage der Zulässigkeit der Aufrechnung nach § 103 Abs 1 ASVG umfassend befasst, lässt sich nichts anderes ableiten. Auch in den Fällen, in denen die Leistung ohne Erlassung eines Bescheids erbracht wurde, kann die erbrachte Leistung nur zurückgefordert werden, wenn ein Rückforderungstatbestand nach § 107 Abs 1 ASVG erfüllt ist (Gründler, Verfahrensrechtliche Voraussetzungen der Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialversicherung, ZAS 1980, 123).

5.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist der dritte Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 ASVG dann erfüllt, wenn dem Leistungsempfänger bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Aufmerksamkeit auffallen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte, wobei weder der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit überspannt noch ‑ ganz allgemein ‑ überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen (vgl 10 ObS 329/90, SSV-NF 4/127; 10 ObS 333/90, SSV-NF 4/141 mwN ua). Dabei ist auch denkbar, dass bereits die Gewährungsentscheidung materiell unrichtig ist und diese Unrichtigkeit dem Leistungsempfänger auffallen musste.

5.2 Auch das Vorliegen dieses Rückforderungstatbestands kann aber immer nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden (10 ObS 369/01i, SSV-NF 16/13). Diese sind dadurch charakterisiert, dass der Kläger als Architekt in einem Angestelltenverhältnis beschäftigt und nebenbei selbstständig als gerichtlich beeideter Sachverständiger tätig gewesen war. Er war deshalb auch bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft versichert, hatte allerdings wegen der im Angestelltenverhältnis von der Höchstbei-tragsgrundlage entrichteten Sozialversicherungsbeiträge keine Beitragsvorschreibungen erhalten. Bei Antragstellung legte er seine Sachverständigentätigkeit in korrekter Weise offen. Der Ansicht des Berufungsgerichts, im Hinblick auf diese Umstände und die weiters getroffenen Feststellungen habe dem Kläger nicht bekannt sein müssen, dass sein Pensionsanspruch wegen des Vorliegens einer Pflichtversicherung nach dem GSVG dem Grunde nach nicht bereits ab Jänner 2011, sondern erst ab Juni 2011 zu Recht bestehe, setzt die Revisionswerberin entgegen, der Kläger hätte schon aufgrund des Provisorialcharakters der ihm gewährten vorläufigen Leistung damit zu rechnen gehabt, dass die Höhe der Leistung „allenfalls auch Null betragen könnte“. Mit diesem Vorbringen zeigt die Revisionswerberin aber keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung auf.

Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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