OGH 10ObS128/12i

OGH10ObS128/12i2.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Horst Nurschinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Mag. Andreas Wimmer, Rechtsanwalt in Hallein, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 30. Mai 2012, GZ 11 Rs 47/12d‑18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 2. August 2011, GZ 18 Cgs 293/10m‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, zurückgewiesen.

Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 186,84 EUR (darin enthalten 31,14 EUR USt) an anteiligen Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 20. 2. 1951 geborene Kläger bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt seit 1. 4. 2002 eine zunächst jeweils befristete und seit 1. 8. 2010 unbefristete Berufsunfähigkeitspension. Mit Schreiben der beklagten Partei vom 6. 12. 2002 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass zur Pension eine Ausgleichszulage gebühre. Der Vorschuss auf die Ausgleichszulage betrage ab 1. 12. 2002 277,52 EUR monatlich. Über den Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage werde sobald wie möglich mit einem klagbaren Bescheid entschieden werden. Der Kläger gab erstmals im Ausgleichszulage‑Fragebogen vom 10. 2. 2006 an, dass seine mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegattin Einkommen aus einer selbstständigen Erwerbstätigkeit beziehe. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 19. 12. 2007 wurde die Höhe der Berufsunfähigkeitspension des Klägers für die Zeit vom 1. 4. 2002 bis 31. 7. 2009 endgültig berechnet und ausgesprochen, dass über die Höhe der Ausgleichszulage ab 1. 4. 2002 nach Abschluss der Erhebungen abgesprochen werde. Mit Schreiben der beklagten Partei vom 9. 4. 2008 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die (dem Kläger bisher vorschussweise gewährte) Ausgleichszulage aufgrund eingelangter Unterlagen voraussichtlich nicht oder nicht mehr in der bisherigen Höhe gebühre. Bis zum Abschluss der für die endgültige Feststellung des Anspruchs noch erforderlichen Erhebungen werde daher die Ausgleichszulage ab 1. 4. 2008 auf 150 EUR monatlich vorläufig herabgesetzt. Entstehe gegenüber der gebührenden Ausgleichszulage eine Überzahlung an Vorschussbeträgen, so behalte sich die beklagte Partei die Verrechnung eines allfälligen Überbezugs im Wege der Aufrechnung auf die gebührende Ausgleichszulage iSd § 103 ASVG vor. Der Kläger werde nach Abschluss der Erhebungen gesondert einen Bescheid erhalten. Mit einer weiteren Verständigung vom 31. 10. 2008 teilte die beklagte Partei dem Kläger mit, dass die als Vorschuss gewährte Ausgleichszulage ab 1. 9. 2008 neu festgestellt werde. Die durchgeführten Erhebungen hätten ergeben, dass die Ausgleichszulage in der neu festgestellten Höhe von monatlich 150 EUR ab 1. 9. 2008 und von monatlich 300 EUR ab 1. 11. 2008 weiterhin als Vorschuss gebühre. Entstehe gegenüber der gebührenden Ausgleichszulage eine Überzahlung an Vorschussbeträgen, so behalte sich die beklagte Partei die Verrechnung eines allfälligen Überbezugs im Wege einer Aufrechnung auf die gebührende Ausgleichszulage iSd § 103 ASVG vor. Der Kläger werde nach Abschluss der Erhebungen gesondert einen Bescheid erhalten.

Mit dem nunmehr verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 14. 10. 2010 stellte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage für den Zeitraum ab 1. 4. 2002 in nach Zeiträumen gestaffelt unterschiedlicher Höhe fest und stellte weiters fest, dass vom 1. 7. 2002 bis 31. 7. 2002 und vom 1. 2. 2003 bis 31. 12. 2006 kein Anspruch auf Ausgleichszulage bestehe, weil die Summe aus Pension und dem übrigen Nettoeinkommen die Höhe des jeweils geltenden Richtsatzes überschreite. Weiters stellte die beklagte Partei fest, dass der vom 1. 4. 2002 bis 30. 9. 2010 entstandene Überbezug an Ausgleichszulage von 26.351,43 EUR ab 1. 10. 2010 in monatlichen Raten von 236 EUR von der gebührenden Pension in Abzug gebracht werde.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei ab 1. 4. 2002 zur Gewährung einer Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß, für die Vergangenheit in dem bisher tatsächlich gewährten und ausbezahlten Ausmaß, zu verpflichten. Die Ausgleichszulage sei von der beklagten Partei teilweise zu gering bemessen worden. Bei richtiger Berechnung wäre die Ausgleichszulage in dem in der Vergangenheit tatsächlich ausbezahlten Ausmaß festgestellt worden und es hätte sich kein Überbezug ergeben. Der Rückforderungsanspruch der beklagten Partei sei außerdem verjährt.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und stellte ihrerseits den Antrag, den Kläger zur Rückzahlung des Überbezugs an Ausgleichszulage in Höhe von 26.351,43 EUR und zur Duldung der Aufrechnung mittels monatlicher Raten in Höhe von zunächst 236 EUR und ab 1. 1. 2011 in Höhe von 239 EUR zu verpflichten. Die Ausgleichszulage sei ihm als vorläufige Leistung bzw Vorschuss erbracht worden und sei daher jederzeit rückforderbar. Die Verjährungsproblematik stelle sich somit nicht. Im Übrigen habe der Kläger seine Meldepflicht nach § 40 ASVG verletzt, weil er im Ausgleichszulage‑Fragebogen vom 10. 2. 2006 erstmals angegeben habe, dass seine Ehegattin ein Einkommen aus einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erzielt habe.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung der Ausgleichszulage ab 1. 4. 2002 in der bereits bescheidmäßig jeweils festgestellten Höhe und stellte weiters fest, dass vom 1. 7. 2002 bis 31. 7. 2002 sowie vom 1. 2. 2003 bis 31. 12. 2006 kein Anspruch auf Ausgleichszulage bestehe. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren des Klägers auf Zahlung einer weiteren bzw höheren Ausgleichszulage wies es ab. Es stellte weiters fest, dass der vom 1. 4. 2002 bis 30. 9. 2010 entstandene Überbezug an Ausgleichszulage 26.351,43 EUR betrage und verpflichtete den Kläger, zur Rückzahlung dieses Überbezugs die Aufrechnung einer monatlichen Rate in Höhe von 236 EUR ab 1. 10. 2010 auf die zu erbringende monatliche Pensionsleistung zu dulden. Es beurteilte den ‑ im Wesentlichen bereits eingangs wiedergegebenen ‑ Sachverhalt im Ergebnis dahin, dass es sich bei den von der beklagten Partei erbrachten Leistungen an Ausgleichszulage um Vorschüsse iSd § 368 Abs 2 ASVG gehandelt habe. Die Aufrechenbarkeit von vom Versicherungsträger gewährten Vorschüssen auf die von ihm zu erbringenden Geldleistungen nach § 103 Abs 1 Z 3 ASVG erfordere keinen Rückforderungstatbestand nach § 107 ASVG, weil es dem Wesen eines Vorschusses entspreche, dass mangels genügender Klärung des Sachverhalts von Anfang an unklar und unbestimmt sei, ob die Leistung in dieser Höhe auch tatsächlich und endgültig gebühre. Im Übrigen wäre eine Verjährung des Rückforderungsanspruchs sowie ein Ausschluss des Rückforderungsrechts nach § 107 ASVG nicht eingetreten.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Klägers wegen Nichtigkeit und gab ihr im Übrigen keine Folge. Es ging bei seiner Entscheidung zunächst davon aus, dass auch der Ausspruch der beklagten Partei über die Höhe des festgestellten Überbezugs und die Verpflichtung zur Rückzahlung des Überbezugs durch Duldung der Aufrechnung einer monatlichen Rate von 236 EUR ab 1. 10. 2010 Teil des angefochtenen Bescheids und damit auch des sozialgerichtlichen Verfahrens sei. Das Erstgericht habe daher durch seine diesbezügliche Entscheidung nicht gegen die Bestimmung des § 405 ZPO verstoßen. Eine angebliche Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des Verfahrens liege daher nicht vor. In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht ‑ zusammengefasst ‑ die Ansicht, dass es sich bei den von der beklagten Partei an den Kläger erbrachten Leistungen an Ausgleichszulage um Vorschüsse iSd § 368 Abs 2 ASVG gehandelt habe, bei einer Aufrechnung von Vorschüssen nach § 103 Abs 1 Z 3 ASVG keine Verjährung nach § 107 ASVG eintreten könne und die Höhe der monatlichen Abzugsrate vom Gericht nicht überprüft werden könne. Es bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die herrschende Ansicht, dass es sich beim § 103 ASVG um eine gegenüber dem Exekutionsrecht vorrangige speziellere Norm handle und eine Aufrechnung somit auch gegen den pfändungsfreien Teil einer Forderung zulässig sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage vorliege, ob eine vorschussweise gewährte Ausgleichszulage unter § 103 Abs 1 Z 3 ASVG iVm § 368 Abs 2 ASVG zu subsumieren sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision wegen Nichtigkeit ist unzulässig. Der Revisionswerber macht dazu neuerlich geltend, das Erstgericht habe seine Entscheidungsbefugnis insoweit überschritten (§ 405 ZPO), als es einen entstandenen Überbezug an Ausgleichszulage von 26.351,43 EUR festgestellt und den Kläger zur Rückzahlung dieses Überbezugs durch Duldung der Aufrechnung verpflichtet habe, obwohl diese beiden Punkte im Tenor des angefochtenen Bescheids nicht enthalten gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Dem ist Folgendes zu entgegnen:

Verneint das Berufungsgericht eine angebliche Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz, so kann der Nichtigkeitsgrund nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden, liegt doch insoweit ein Beschluss des Berufungsgerichts vor, der gemäß § 519 ZPO unanfechtbar ist (Kodek in Rechberger, ZPO3 § 503 Rz 2 mwN ua). Dies gilt auch in Sozialrechtsverfahren (vgl 10 ObS 422/02k; 10 ObS 220/02d, SSV‑NF 16/84 mwN ua). Im vorliegenden Fall verneinte bereits das Berufungsgericht das Vorliegen des vom Revisionswerber in der Revision neuerlich geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes. Die Revision wegen Nichtigkeit war daher zurückzuweisen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung ein angeblicher Verstoß gegen die Bestimmung des § 405 ZPO keinen Nichtigkeitsgrund, sondern lediglich einen wesentlichen Verfahrensmangel bildet (Rechberger in Rechberger, ZPO3 § 405 Rz 6 mwN).

Im Übrigen ist die Revision zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Soweit der Kläger seine Ausführungen zur angeblichen Verletzung der Vorschrift des § 405 ZPO durch das Erstgericht unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wiederholt, ist auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen, wonach der ‑ bereits in der Berufung geltend gemachte ‑ Verstoß gegen § 405 ZPO lediglich einen Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens darstellt, der nur in der nächsthöheren Instanz überprüft werden kann. Der Kläger hat den behaupteten Verstoß gegen § 405 ZPO ausdrücklich bereits in seiner Berufung ‑ erfolglos ‑ gerügt. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen der geltend gemachten Mangelhaftigkeit verneint. Ein Verfahrensmangel, der dem Erstgericht unterlaufen sein soll, dessen Vorliegen aber bereits das Berufungsgericht verneinte, kann in dritter Instanz nicht mehr mit Erfolg ins Treffen geführt werden (vgl 9 Ob 71/09w; 7 Ob 133/08x; 10 ObS 344/02i mwN).

2. Soweit der Revisionswerber im Rahmen seiner Ausführungen zur Rechtsrüge inhaltlich neuerlich eine Verletzung des § 405 ZPO behauptet, kann auf die bisherigen Ausführungen verwiesen werden. Weiters macht der Kläger geltend, auch bei einer Aufrechnung nach § 103 Abs 1 Z 3 ASVG seien die Bestimmungen über die Verjährung bzw den Ausschluss des Rückforderungsrechts nach § 107 Abs 2 ASVG analog anzuwenden. Er habe keine Meldepflicht verletzt. Er habe auch nicht erkennen können, dass ihm die von der beklagten Partei an Ausgleichszulage geleisteten Vorschusszahlungen (teilweise) nicht zustehen, und habe daher diese Leistungen der beklagten Partei gutgläubig verbraucht. Weiters macht der Revisionswerber geltend, die Höhe der Abzugsrate sei vom Gericht überprüfbar. Der von der beklagen Partei vorgenommene monatliche Abzug sei unzulässig, sittenwidrig und rechtswidrig.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

3. Im Rechtsmittelverfahren ist nicht mehr strittig, dass beim Kläger im Hinblick auf die von ihm im Zeitraum vom 1. 4. 2002 bis 30. 9. 2010 erhaltenen Vorschusszahlungen an Ausgleichszulage ein tatsächlicher Überbezug an Ausgleichszulage in Höhe von 26.351,43 EUR entstanden ist. Strittig ist lediglich die Frage, ob die beklagte Partei für die Rückzahlung dieses Überbezugs gemäß § 103 Abs 1 Z 3 ASVG zur Aufrechnung einer monatlichen Rate in Höhe von 236 EUR ab 1. 10. 2010 auf die von ihr an den Kläger zu erbringende monatliche Pensionsleistung berechtigt ist.

3.1 Es hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass zwischen der Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach § 107 ASVG und der Aufrechnung nach § 103 ASVG streng zu unterscheiden ist. Während § 107 ASVG dem Versicherungsträger unter den dort normierten Voraussetzungen das Recht einräumt, mit dem Rückforderungsbescheid eine Rückzahlungsverpflichtung zu schaffen, wird dem Versicherungsträger im § 103 ASVG nur die Möglichkeit der Aufrechnung auf die von ihm zu erbringende Geldleistung eingeräumt (RIS‑Justiz RS0112063). Im vorliegenden Fall geht es um die Frage der Zulässigkeit einer Aufrechnung nach § 103 Abs 1 ASVG.

3.2 § 103 Abs 1 ASVG lautet auszugsweise wie folgt:

„Die Versicherungsträger dürfen auf die von ihnen zu erbringenden Geldleistungen aufrechnen:

1. vom Anspruchsberechtigten einem Versicherungsträger nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz geschuldete fällige Beiträge (§ 58 Abs. 6), soweit das Recht auf Einforderung nicht verjährt ist;

2. von Versicherungsträgern zu Unrecht erbrachte, vom Anspruchsberechtigten rückzuerstattende Leistungen, soweit das Recht auf Rückforderung nicht verjährt ist;

3. von Versicherungsträgern gewährte Vorschüsse (§ 104 Abs. 1 letzter Satz, § 368 Abs. 2);

4. ... “

Nach § 103 Abs 2 ASVG ist die Aufrechnung nach Abs 1 Z 1 und 2 nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig, wobei jedoch der anspruchsberechtigten Person ein Gesamteinkommen in der Höhe von 90 % des jeweils in Betracht kommenden Richtsatzes nach § 293 verbleiben muss.

3.3 Während somit eine Aufrechnung nach § 103 Abs 1 Z 2 ASVG das Vorliegen eines Rückforderungstatbestands nach § 107 Abs 1 ASVG voraussetzt, das Recht auf Rückforderung nicht verjährt sein darf (§ 107 Abs 2 ASVG) und eine Aufrechnung überdies nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig ist, ist die Möglichkeit einer Aufrechnung von gewährten Vorschüssen iSd § 103 Abs 1 Z 3 ASVG nicht an das Vorliegen weiterer Voraussetzungen geknüpft. Dieses Recht des Versicherungsträgers, auf die von ihm zu erbringende Geldleistung von ihm gewährte Vorschüsse aufzurechnen, ohne dass es etwa eines Rückforderungstatbestands nach § 107 Abs 1 ASVG bedarf, entspricht dem Wesen eines Vorschusses als einer Leistung, von der mangels genügender Klärung des Sachverhalts von Anfang an unklar und unbestimmt ist, ob sie in dieser Höhe tatsächlich und endgültig gebührt (10 ObS 243/99d, SSV‑NF 13/119 mwN zu der vergleichbaren Bestimmung des § 71 GSVG).

3.4 Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass es sich bei den von der beklagten Partei bevorschussten Zahlungen an Ausgleichszulage um einen Vorschuss nach § 368 Abs 2 ASVG gehandelt hat (vgl auch 10 ObS 69/99s, SSV‑NF 13/39; 10 ObS 143/93, SSV‑NF 7/93 ua). Danach hat der Versicherungsträger, wenn er einen Bescheid zu erlassen hat, dies aber innerhalb der dafür vorgesehenen Frist nicht kann, weil der Sachverhalt noch nicht genügend geklärt ist, und eine Leistungspflicht dem Grunde nach feststeht, die Leistung zu bevorschussen.

3.5 Im vorliegenden Fall hat die beklagte Partei die Zahlung der Ausgleichszulage an den Kläger zunächst bevorschusst, weil insbesondere im Hinblick auf die internationale Versicherungskarriere des Klägers und den für den Anspruch auf Ausgleichszulage ebenfalls maßgebenden Einkünften seiner Ehegattin ein aufwendiges Erhebungsverfahren durchzuführen war. Dem Kläger wurde bereits mit Schreiben der beklagten Partei vom 6. 12. 2002 zur Kenntnis gebracht, dass es sich bloß um einen Ausgleichszulagenvorschuss handle und über seinen Antrag auf Gewährung der Ausgleichszulage erst später endgültig entschieden werde. Auch in den weiteren Mitteilungen der beklagten Partei wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass über die endgültige Höhe der Ausgleichszulage erst nach Abschluss der Erhebungen abgesprochen werden könne und die Verrechnung eines allfälligen Überbezugs im Wege einer Aufrechnung iSd § 103 ASVG vorbehalten werde. Damit musste aber auch der Kläger aus der hier vorliegenden Vorschussgewährung erkennen, dass ihm diese Leistung (je nach dem Ergebnis der Erhebungen) möglicherweise nicht gebühren werde. Ein gutgläubiger Verbrauch der Vorschusszahlungen durch den Kläger kommt daher nicht in Betracht.

3.6 Während nun der Gesetzgeber in § 103 Abs 1 Z 1 und 2 ASVG eine Aufrechnung für den Fall, dass das Recht auf Einforderung bzw das Recht auf Rückforderung verjährt ist, ausdrücklich ausgeschlossen hat, hat er eine solche Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit hinsichtlich der gemäß § 368 Abs 2 ASVG gewährten Vorschusszahlungen (§ 103 Abs 1 Z 3 ASVG) nicht vorgesehen. Diese Differenzierung entspricht den Unterschieden in der Aufrechnung von Vorschüssen und von zu Unrecht erbrachten Geldleistungen. Während nämlich der Gewährung von Vorschussleistungen iSd § 368 Abs 2 ASVG im Allgemeinen kein Bescheid zugrunde liegt, insoweit auch kein durchsetzbarer Rechtsanspruch des Versicherten besteht und der Leistungsempfänger aus der Vorschussgewährung erkennen muss, dass ihm diese Leistung (je nach dem Ergebnis der Erhebungen) möglicherweise nicht gebühren wird, liegt den iSd § 107 Abs 1 ASVG zu Unrecht erbrachten Geldleistungen in der Regel ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch zugrunde, weshalb daher für den Versicherungsträger eine Rückforderung bzw eine Aufrechnung dieser Leistung nur bei Vorliegen der in § 107 Abs 1 ASVG näher umschriebenen Voraussetzungen möglich sein soll und das Recht auf Rückforderung nach § 107 Abs 2 ASVG auch nicht verjährt sein darf (vgl 10 ObS 243/99d, SSV‑NF 13/119 zur vergleichbaren Bestimmung des § 71 GSVG).

3.7 Die in der Regel im Interesse des Anspruchswerbers gelegene Bevorschussung einer Leistung gemäß § 368 Abs 2 ASVG bedingt somit im Gegenzug, dass weder die in § 107 ASVG normierten Verjährungsfristen noch die im § 103 Abs 2 ASVG geregelten Aufrechnungsbeschränkungen Anwendung finden. Es liegt daher entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers insoweit keine planwidrige Gesetzeslücke vor, welche durch Analogie zu schließen wäre. Der vom Revisionswerber geäußerten Befürchtung, dem Versicherungsträger werde damit eine „gleichsam unendlich perpetuierte“ Rückforderungsmöglichkeit eingeräumt, ist entgegenzuhalten, dass, wie bereits erwähnt, eine Vorschussgewährung grundsätzlich im Interesse des Anspruchswerbers erfolgt und die Versicherungsträger in ihrer gesamten Gebarung an die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit gebunden sind, sodass sie auch aus diesem Grunde um eine möglichst rasche Hereinbringung zu Unrecht oder überhöht ausbezahlter Vorschussleistungen bemüht sein werden (vgl 10 ObS 243/99d, SSV‑NF 13/119 mwN). Die beklagte Partei ist daher im vorliegenden Fall zur Hereinbringung des entstandenen Überbezugs gemäß § 103 Abs 1 Z 3 ASVG zur Aufrechnung berechtigt.

4. Soweit der Revisionswerber unter Hinweis auf seine Einkommensverhältnisse die Höhe der von der beklagten Partei festgesetzten monatlichen Abzugsrate bekämpft, ist ebenfalls mit den Ausführungen des Berufungsgerichts darauf hinzuweisen, dass sich die Aufrechnungsbeschränkung des § 103 Abs 2 ASVG nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur auf die Aufrechnung mit Beitragsschulden und rückzuerstattenden Leistungen (§ 103 Abs 1 Z 1 und 2 ASVG), nicht jedoch auf die Aufrechnung mit Vorschüssen oder Unterschiedsbeträgen bei Teilpensionen (§ 103 Abs 1 Z 3 und 4 ASVG) bezieht. Kommt aber ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ die Aufrechnungsbeschränkung des § 103 Abs 2 ASVG nicht zur Anwendung, könnte grundsätzlich eine Aufrechnung auch in voller Höhe der zu erbringenden Leistung vorgenommen werden (vgl Atria in Sonntag, ASVG3 § 103 Rz 26). Die Festlegung der Höhe der monatlichen Abzugsrate liegt daher im (pflichtgebundenen) Ermessen des Versicherungsträgers und kann nicht vom Gericht abweichend festgesetzt werden. Die vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang ebenfalls gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens (Unterbleiben der Parteienvernehmung zu seinen Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen) liegt daher nicht vor.

5. Es entspricht ebenfalls der ständigen Rechtsprechung, dass die Aufrechnungsbestimmungen der Sozialversicherungsgesetze, hier also § 103 ASVG, als dem eigentlichen Exekutionsrecht vorrangige spezielle Normen zu betrachten sind und daher eine Aufrechnung in den pfändungsfreien Teil rechtlich zulässig ist. Es bleibt somit dem Ermessen des Sozialversicherungsträgers überlassen, die Höhe der Abzugsrate auf relativ niedrigem Niveau festzulegen (RIS‑Justiz RS0110621, RS0110624). Vom Revisionswerber werden keine inhaltlichen Argumente vorgetragen, welche den erkennenden Senat zu einem Abgehen von dieser ständigen Rechtsprechung oder zu der vom Revisionswerber auch angeregten Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof veranlassen könnten. Es ist daher von den Versicherungsträgern im Rahmen der Ermessensübung jeweils im konkreten Fall zu prüfen, ob die Aufrechnung (in einem bestimmten Umfang) für den Versicherten eine soziale Härte darstellt. In diesem Sinne hat die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung angekündigt, die Ausführungen in der Revision zur gesundheitlichen und sozialen Situation des Klägers zum Anlass zu nehmen, die Höhe der Abzugsrate einer neuerlichen Überprüfung zu unterziehen.

Aus den dargelegten Erwägungen musste der Revision insgesamt ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Der Kläger hat aufgrund seiner aus der Aktenlage ersichtlichen angespannten finanziellen Verhältnisse und des Umstands, dass die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt, Anspruch auf Ersatz der Hälfte seiner Revisionskosten nach Billigkeit. Diesem Kostenzuspruch steht der Umstand, dass der Kläger Verfahrenshilfe genießt, nicht entgegen. Im Fall einer Aufrechnung mit laufenden Leistungen nach § 103 ASVG liegt ein Streit um wiederkehrende Leistungen iSd § 77 Abs 2 ASGG vor, sodass bei der Festsetzung des Kostenersatzanspruchs des Klägers von einer Bemessungsgrundlage von 3.600 EUR auszugehen war (vgl Neumayr in ZellKomm2 § 77 ASGG Rz 14 ff mwN).

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