OGH 10ObS168/13y

OGH10ObS168/13y19.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Mag. Christoph Arnold und Mag. Fiona Arnold, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 19. September 2013, GZ 25 Rs 85/13f‑30, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung bildet die Lage des Wohnorts im Einzelfall ein persönliches Moment, das bei der Prüfung der Invalidität außer Betracht zu bleiben hat, weil es andernfalls einem Versicherten möglich wäre, durch die Wahl seines Wohnorts die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pensionsleistung zu beeinflussen. Von einem Versicherten ist daher grundsätzlich zu verlangen, dass er ‑ sofern nicht medizinische Gründe dem entgegenstehen ‑ durch entsprechende Wahl seines Wohnorts, allenfalls Wochenpendeln, die Bedingungen für die Erreichung des Arbeitsplatzes herstellt, die für Arbeitnehmer im Allgemeinen gegeben sind (RIS‑Justiz RS0084939; RS0085017; RS0084871). Diese Grundsätze gelten in der Regel auch für die Verweisung auf Teilzeitarbeitsplätze (10 ObS 56/93, SSV‑NF 7/126).

2. Für die „gesetzliche Lohnhälfte“ iSd § 255 Abs 3 ASVG kommt es nur auf die gesetzliche Mindesteinkommensgrenze an, die je nach Verweisungsberuf schwanken kann, ohne dass Bedürftigkeitskriterien eine Rolle spielen. Dies schließt aber nicht aus, dass mit Rücksicht auf den durch die mögliche Teilzeitbeschäftigung erzielbaren geringeren Lohn eine Wohnsitzverlegung oder ein Wochenpendeln nicht zumutbar sein kann (RIS‑Justiz RS0085027). Dieses Zumutbarkeitskriterium findet sich in § 255 Abs 3 ASVG, der auf eine Verweisungstätigkeit abstellt, die dem Versicherten „unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeit zugemutet werden kann“. Die ‑ von der rein abstrakten Prüfung abweichende ‑ Zumutbarkeitsprüfung im Einzelfall stellt somit ein Korrektiv dar, das eine Berücksichtigung eines vom gesundheitlichen Befinden unabhängigen Umstand erlaubt und einen unzumutbaren Einkommensverlust verhindern soll (10 ObS 72/10a, SSV‑NF 24/41).

3. Ob einem ursprünglich vollzeitig Beschäftigten, der nur mehr Teilzeitarbeit verrichten kann, zur Erreichung eines entsprechenden Arbeitsplatzes eine Wohnsitzverlegung oder ein Wochenpendeln zumutbar ist, ist nach den Besonderheiten des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0085027). Maßgeblich ist die Höhe desjenigen Erwerbseinkommens, das der Versicherte mit seinem eingeschränkten Leistungskalkül durch eine Halbtagsbeschäftigung in den Verweisungsberufen -einschließlich Sonderzahlungen und anderen regelmäßigen Gehaltsbestandteilen ‑ konkret erreichen kann (10 ObS 29/08z, SSV‑NF 22/38). Liegt etwa das zu erwartende Einkommen weit unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG und in etwa in der Höhe des landesgesetzlichen Sozialhilferichtsatzes, wurde eine Verlegung des Wohnsitzes und ein Wochenpendeln als nicht zumutbar erachtet (10 ObS 72/10a, SSV‑NF 24/41).

Das Berufungsgericht ging davon aus, dass die Klägerin als halbzeitig beschäftigte Eintrittskassierin bezogen auf den Stichtag 1. 4. 2011 ein Durchschnittseinkommen von monatlich brutto 722,38 EUR (14 x jährlich ‑ siehe AS 259) erzielen kann, was 91 Prozent des im Jahr 2011 geltenden Ausgleichszulagenrichtsatzes entspricht. Ausgehend von diesem erzielbaren Durchschnittseinkommen bejahte das Berufungsgericht die Zumutbarkeit eines Wohnsitzwechsels oder Wochenpendelns. Allein mit dem Revisionsvorbringen, „im Geiste sozialer Rechtsanwendung“ hätte die Unzumutbarkeit des Wohnsitzwechsels doch angenommen werden müssen, wird keine auffallende Fehlbeurteilung aufgezeigt. Nur unter dieser Voraussetzung bildeten aber Fragen der Zumutbarkeit eine erhebliche Rechtsfrage, die ein Einschreiten des Obersten Gerichtshofs erforderlich machen würde (RIS‑Justiz RS0021095).

4. Konnten die Vorinstanzen davon ausgehen, dass der Klägerin ein Wohnsitzwechsel oder das Wochenpendeln zumutbar sind, kommt den Feststellungen und Rechtsausführungen zum regionalen Arbeitsmarkt keine rechtliche Bedeutung mehr zu. Diesbezügliche ‑ in der Revision gerügte ‑ rechtliche Feststellungsmängel liegen nicht vor. Es steht fest, dass in den vom Erstgericht genannten Verweisungsberufen österreichweit jeweils mehr als 100 Arbeitsstellen vorhanden sind (S 5 des Ersturteils), also auch in jenem einer halbzeitig beschäftigten Eintrittskassierin.

Mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen.

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