OGH 9ObA94/13h

OGH9ObA94/13h29.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Mag. Andreas Hach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch Dr. Reinhold Gsöllpointner und Dr. Robert Pirker, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei R***** C*****, vertreten durch Dr. Josef Dengg, Dr. Milan Vavrousek und Mag. Thomas Hölber, Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, wegen Feststellung (7.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. April 2013, GZ 12 Ra 24/13f‑21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit stellt eine Frage des Einzelfalls dar, die nur im Falle grober Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden kann (RIS‑Justiz RS0026555 [T5], RS0030644 [T47] ua). Eine solche Fehlbeurteilung zeigt die Revision des Beklagten, dessen Verschulden am Unfall mit seinem Arbeitskollegen vom Berufungsgericht als grob fahrlässig beurteilt wurde, nicht auf.

Grobe Fahrlässigkeit ist eine Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, die sich über die alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich heraushebt, wobei der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar ist. Sie erfordert, dass der Verstoß gegen das normale Handeln auffallend und der Vorwurf im höheren Maß gerechtfertigt ist. Sie ist dann gegeben, wenn ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RIS‑Justiz RS0031127; RS0030272; RS0030644; vgl auch RS0085332 und RS0085373).

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der Beklagte als Staplerfahrer für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Staplers verantwortlich war. Er bestreitet auch nicht, dass er verpflichtet gewesen wäre, sich vor dem Hochheben der Staplergabel zu vergewissern, dass sein Arbeitskollege die ‑ stehend auf der Staplergabel vorgenommenen ‑ Etikettierarbeiten bereits beendet hatte. Obwohl dies etwa durch Absteigen vom Stapler und entsprechender Nachschau oder sonstiger Kontaktaufnahme mit seinem Arbeitskollegen ohne unverhältnismäßigen Aufwand leicht möglich gewesen wäre und auch nur eine im gesamten Arbeitsablauf vernachlässigbare Zeitspanne in Anspruch genommen hätte, begnügte sich der Beklagte damit, eine seines Erachtens ausreichende Zeitspanne abzuwarten und dann die Staplergabel wieder hochzuheben.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das Verstreichenlassen einer subjektiv als genügend lang empfundenen Zeitspanne als einziges Mittel zur Gefahren‑ bzw Unfallverhütung sei in diesem Zusammenhang als untauglich anzusehen, ist nicht zu beanstanden. Es ist zwar richtig ‑ so der Beklagte ‑, dass sich ein eingespieltes Team aufeinander verlassen können muss. Dies enthebt ein Teammitglied aber nicht davon, gerade bei außergewöhnlichen Arbeitsabläufen und darüber hinaus besonders gefahrengeneigten Tätigkeiten, wie die hier vorliegende, besondere Vorsicht walten zu lassen. Zudem hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es jederzeit zu einer Verzögerung im Arbeitsablauf kommen kann. Auch der Beklagte geht davon aus, dass eine Situation, wie die vorliegende, im Arbeitsalltag immer wieder auftreten kann.

Soweit der Beklagte auf die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitsabläufe zu organisieren, rekurriert und daraus abgeleitet haben will, dass er keine Möglichkeit der Einflussnahme gehabt habe, so übersieht er, dass er als Staplerfahrer aufgrund seiner Ausbildung und Prüfung über den Gebrauch des Staplers entscheiden konnte (10 ObS 321/98y).

Wenn in 10 ObS 321/98y aufgrund der dort vorliegenden Umstände des Einzelfalls ausgesprochen wurde, dass der dortige (grob fahrlässig verursachte) Schadenseintritt geradezu „vorprogrammiert“ war, so unterstrich dies nur die hohe Schadenswahrscheinlichkeit.

Zusammengefasst ist die eine grobe Fahrlässigkeit des Verschuldens des Beklagten bejahende Rechtsansicht des Berufungsgerichts vertretbar.

2. Es liegt auch weder ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz noch gegen das Verbot der Überraschungsentscheidung vor, weil Fragen des „Einweisers“ für die rechtliche Beurteilung nicht von Relevanz sind.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Beklagten zurückzuweisen. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

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