OGH 9ObA104/13d

OGH9ObA104/13d27.9.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. A***** T*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei ***** Gebietskrankenkasse, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Fink ua, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen 3.293,24 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Mai 2013, GZ 7 Ra 9/13t-14, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. November 2012, GZ 35 Cga 131/12s-10, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 373,32 EUR (darin 61,92 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu erstatten.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt. Die Begründung dieser Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Der Kläger war vom 3. 10. 1988 bis 31. 8. 2004 bei der Beklagten als Kontrollarzt beschäftigt. Sein Dienstverhältnis unterliegt den Bestimmungen der Dienstordnung B für die Ärzte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs 2005 (DO.B). Anlässlich seiner Versetzung in den Ruhestand zum 1. 9. 2004 entrichtete er für anrechenbare Versicherungszeiten im Höchstausmaß von fünf Jahren einen Pensionsbeitrag in Höhe von 26.410,55 EUR nach und erhielt unter Zugrundelegung von 251 Beitragsmonaten von der Beklagten eine Dienstordnungspension in Höhe von 3.784,25 EUR monatlich. Seit 1. 3. 2012 bezieht er von der Pensionsversicherungsanstalt eine Alterspension. Unter Anrechnung der fiktiven gesetzlichen Pension zahlt die Beklagte dem Kläger seither eine Dienstordnungspension in Höhe von 2.983,69 EUR aus.

Entgegen dem Klagsstandpunkt waren die Vorinstanzen der Ansicht, dass bei der Berechnung der fiktiven gesetzlichen Pension des Klägers gemäß § 89 Abs 3 DO.B die von ihm „nachgekauften“ Versicherungsmonate zu berücksichtigen seien und dass bei der Berechnung seines Pensionsanspruchs nach der Übergangsbestimmung des § 159 Abs 8 DO.B anstelle der in § 79 Abs 1 Z 3 DO.B vorgesehenen Beitragsmonate vierundzwanzig Beitragsmonate für ihn in Betracht kommen. Dazu zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

3. Die Dienstordnung B für die Ärzte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs 2005 ist ein Kollektivvertrag (RIS-Justiz RS0054394 [T8]). Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist nicht nach den §§ 914, 915 ABGB, sondern gemäß den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen. Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS-Justiz RS0010088 ua). Dabei darf den Kollektivvertragsparteien zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RIS-Justiz RS0008897).

4. Für die Anrechnung der Leistungen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung enthält § 89 DO.B folgende Regelung:

§ 89 (1) Leistungen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung sind auf die entsprechenden, nach den Bestimmungen dieses Pensionsrechtes zustehenden Leistungen nach den folgenden Vorschriften anzurechnen:

(2) …

(3) Anrechenbar gemäß Abs 1 ist nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen jene gesetzliche Pension, die sich unter Berücksichtigung der für die Pensionsbemessung nach § 17 Abs 1 bis 3 herangezogenen Zeiten ergibt (fiktive gesetzliche Pension):

1. Die Bemessungsgrundlage ist nach den Bestimmungen der §§ 238 bzw 241 iVm § 607 Abs 4 und Abs 23 ASVG zu bilden, wobei jedoch nur Zeiten gemäß § 17 Abs 1 heranzuziehen sind; sie darf die vom Pensionsversicherungsträger gemäß § 238 ASVG ermittelte Bemessungsgrundlage nicht übersteigen.

2. …

Dass nach § 17 Abs 1 DO.B für die Bemessung der Dienstordnungspension des Klägers die von ihm bei der Beklagten als österreichischem Sozialversicherungsträger zurückgelegten Dienstzeiten (3. 10. 1988 bis 31. 8. 2004) anzurechnen sind, weil es sich um Versicherungszeiten im Sinne des § 224 ASVG handelt und er für diese Zeiten Beiträge gemäß § 93 entrichtet hat, ist nicht weiter strittig.

Die Berücksichtigung jener 60 Monate, für die er Pensionsbeiträge nachentrichtet hat, ist an § 17 Abs 2 DO.B bzw an der Übergangsbestimmung des § 122 Abs 2 DO.B zu messen, die lauten:

§ 17 (2) Für die Pensionsbemessung sind darüber hinaus über Antrag des unter erhöhtem Kündigungsschutz stehenden Arztes bis zum Höchstausmaß von zehn Jahren sonstige Versicherungszeiten im Sinne des § 224 ASVG … anzurechnen, wenn und insoweit

1. diese Zeiten nach dem Sozialversicherungsrecht anspruchs- sowie leistungswirksam sind (…);

2. der Arzt für diese Zeiten Beiträge gemäß § 93 nachentrichtet hat.

Gemäß der Übergangsbestimmung des § 122 Abs 1 DO.B ist § 17 Abs 2 DO.B in der ab dem 1. 10. 2000 geltenden Fassung auf Ärzte, die zuletzt vor dem Jänner 1996 in den Dienst eines österreichischen Sozialversicherungs-trägers getreten sind, nicht anzuwenden. Für diese Ärzte gilt nach dem 30. 9. 2000:

§ 122 (2) Für die Pensionsbemessung sind darüber hinaus über Antrag des unkündbaren Arztes bis zum Höchstausmaß von fünf Jahren sonstige Versicherungszeiten im Sinne des § 224 ASVG, … anzurechnen, wenn und insoweit

1. diese Zeiten nach Vollendung des 20. Lebensjahres zurückgelegt wurden und in den Fällen, in denen der Antrag nach dem 31. August 1996 gestellt worden ist, nach dem Sozialversicherungsrecht anspruchs- sowie leistungswirksam sind (…);

2. der Arzt für diese Zeiten Beiträge gemäß § 93 nachentrichtet hat.

Sowohl nach § 17 Abs 2 DO.B als auch nach der Übergangsbestimmung des § 122 Abs 2 DO.B können daher neben jenen Dienstzeiten, die ein Pensionsberechtigter bei einem österreichischen Sozialversicherungsträger zurückgelegt hat (§ 17 Abs 1 DO.B), auch nach dem allgemeinen Sozialversicherungsrecht anspruchs- und leistungswirksame Versicherungszeiten iSd § 224 ASVG unter den genannten Voraussetzungen anrechenbar sein.

5. Der Kläger richtet sich bei der Berechnung der fiktiven gesetzlichen Pension gegen die Berücksichtigung der von ihm „nachgekauften“ Zeiten, weil es sich um keine Versicherungszeiten iSd § 224 ASVG handle. Sie seien auf Basis eines Vergleichs „nachgekauft“ worden und seien weder Ersatzzeiten iSd § 224 ASVG noch bei der Beklagten verbrachte Dienstzeiten.

5.1. Nach den Feststellungen wurde der Kläger formell in den Ruhestand versetzt (§ 32 Abs 3 Z 2 DO.B), was Voraussetzung für seinen Anspruch auf die Dienstordnungspension ist (vgl § 73 DO.B). Dass er sich im Zuge der Beendigung seines Dienstverhältnisses vergleichsweise zur Nachentrichtung von Pensionsbeiträgen verpflichtete, ist darauf ohne Einfluss.

5.2. Warum die fraglichen Zeiten keine Versicherungszeiten iSd § 224 ASVG sein sollten, ist nicht ersichtlich: Dass der Kläger mit der Nachentrichtung von Pensionsbeiträgen Ersatzzeiten nach dem ASVG wie Schul- oder Studienjahre „nachgekauft“ hätte, hat er nicht behauptet. Demgegenüber hat die Beklagte bereits im erstinstanzlichen Verfahren darauf hingewiesen, dass es sich bei jenen Zeiten um Zeiten des „Nachkaufs“ für Vordienstzeiten des Klägers gehandelt habe. Dem ist der Kläger nicht entgegen getreten. Davon ausgehend bedeutet dies aber, dass der Kläger in Hinblick auf die Dienstordnungspension der Beklagten Pensionsbeiträge für solche Zeiten nachentrichtete, in denen er in einem Dienstverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber stand und auch (ASVG-)sozialversichert war (s auch den Versicherungsdatenauszug Beil ./G mit den vor dem 3. 10. 1988 liegenden Versicherungszeiten des Klägers als Angestellter). Mit der Nachentrichtung der Pensionsbeiträge für fünf Jahre solcher Zeiten sollten demnach die in einem anderen Dienstverhältnis erworbenen Beitragszeiten nach dem ASVG auch für die Bemessung der Dienstordnungspension der Beklagten pensionswirksam werden. Dass seine Vordienstzeiten auch sozialversicherungsrechtlich anspruchs- und leistungswirksam sind, stellt der Kläger nicht in Frage. Danach kann aber kein Zweifel bestehen, dass es sich bei jenen Zeiten, für die er Pensionsbeiträge nachentrichtete, um Versicherungszeiten iSd § 224 ASVG, konkret um frühere Beitragszeiten, handelt.

5.3. Das Vorbringen des Klägers, dass die Berücksichtigung jener Zeiten, für die er Pensionsbeiträge nachentrichtet habe, seiner Antragstellung bedurft hätte, ist nicht nachvollziehbar, hätte die Beklagte ohne Antrag des Klägers (§ 17 Abs 2 bzw § 122 Abs 2 DO.B) doch keinen Anlass gehabt, bei der Bemessung der Dienstordnungspension die „nachgekauften“ Zeiten mit Beginn seines Ruhestandes pensionserhöhend zu berücksichtigen. Da der Kläger durch die Nachentrichtung von Pensionsbeiträgen von Beginn an Anspruch auf eine höhere Dienstordnungspension hatte, trifft es auch nicht zu, dass er aus dem Nachkauf keinen Vorteil gehabt hätte.

6. Schließlich richtet sich der Kläger „wegen des Vertrauensschutzes“ gegen die Anwendung der Übergangsbestimmung des § 159 Abs 8 DO.B idF der seit 1. 10. 2005 geltenden 67. Änderung der DO.B.

Damit übersieht er, dass der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass keine Verfassungsvorschrift den Schutz wohlerworbener Rechte gewährleistet, sodass es im Prinzip in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers fällt, eine einmal geschaffene Rechtsposition auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern. In dieser Rechtsprechung kommt auch zum Ausdruck, dass die Aufhebung oder Abänderung von Rechten, die der Gesetzgeber zunächst eingeräumt hat, sachlich begründbar sein muss, weil ohne solche Rechtfertigung der Eingriff dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz widerspräche (RIS-Justiz RS0008687). Auch verschlechternde Regelungen sind daher unangreifbar, wenn sie den Grundsätzen der Sachlichkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen (RIS-Justiz RS0008687 [T36]).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt auch den Vertragspartnern von Betriebsvereinbarungen und Kollektivverträgen eine derartige Gestaltungsbefugnis zu, sofern sie dabei verschiedene Grenzen der Verhältnismäßigkeit und der Begründbarkeit beachten. Dies fußt nach ständiger Judikatur auf der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte (Eigentumsschutz und Gleichheitssatz), die im Wege der Konkretisierung der Generalklausel des § 879 ABGB auch auf den normativen Teil von Betriebsvereinbarungen und Kollektivverträgen durchschlagen und einwirken (RIS-Justiz RS0038552). Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist bei kollektivrechtlichen Änderungen grundsätzlich anzunehmen (RIS-Justiz RS0038552 [T19, 20, 22]).

Der Kläger bringt keine Argumente dafür vor, warum die Bestimmung des § 159 Abs 8 DO.B im Sinne dieser Rechtsprechung dem Sachlichkeits- und dem Verhältnismäßigkeitsgebot nicht gerecht würde. Es besteht daher keine Grundlage für eine Auseinandersetzung mit dieser Bestimmung.

7. Da die Revision damit insgesamt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, die einer Klärung durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, ist sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979, zuletzt 9 ObA 55/13y).

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