European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0050OB00160.13K.0920.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos behoben.
Das Verfahren wird gemäß § 122 Abs 1 AußStrG eingestellt.
Begründung
Die nunmehr 54‑jährige Betroffene leidet an einer seit 1989 dokumentierten paranoiden Schizophrenie.
Sie ist Hälfteeigentümerin einer Liegenschaft. In getrennten Wohneinheiten des darauf errichteten Hauses wohnen sie und ihr Ehegatte, der ebenfalls Hälfteeigentümer der Liegenschaft ist.
Die Betroffene verfügt über eine geringe Eigenpension, eine Ausgleichszulage und Pflegegeld im Gesamtausmaß von rund 1.300 EUR monatlich. Sie hat keine Ersparnisse, jedoch Schulden in der Größenordnung von rund 3.000 EUR, die sie mit monatlichen Raten von 200 EUR bedient.
Der Ehegatte der Betroffenen regte am 22. 8. 2012 beim Erstgericht die Bestellung eines Sachwalters für die Betroffene mit der Begründung an, dass ihr Geisteszustand starken Schwankungen unterworfen sei, sie sei in bestimmten Phasen uneinsichtig und nehme die offensichtlich erforderlichen Medikamente nicht. Ihr Krankheitsbild sei inzwischen so weit fortgeschritten, dass sie nicht mehr in der Lage sei, „die Sache in den Griff zu bekommen“. So habe sie im Juli Heizöl bestellt, obwohl momentan gar keines unbedingt benötigt werde.
Nach Anhörung der Betroffenen und Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie bestellte das Erstgericht auch im zweiten Rechtsgang den nunmehr auch im Revisionsrekursverfahren einschreitenden Rechtsanwalt zum Sachwalter für die Betroffene für die Vertretung vor Ämtern, Gerichten und Behörden (§ 268 Abs 3 Z 2 ABGB).
Das Erstgericht nahm die Schlussfolgerungen des bestellten Gerichtssachverständigen wörtlich in seine Begründung auf.
Diese lassen sich dahin zusammenfassen, dass die Betroffene im Bewusstsein klar ist. Die Orientierung ist persönlich, situativ, örtlich und zeitlich gegeben. Ihre Konzentration lässt jedoch im Gesprächsverlauf nach. In der Vergangenheit kamen akute Suizidhandlungen und Fremdgefährdungen vor. Es besteht ein Eifersuchtswahn. Krankheitseinsicht fehlt.
Sie wurde mehrfach, zuletzt im April 2013, nach dem Unterbringungsgesetz untergebracht. Die Verhandlungsfähigkeit und die medizinische Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit sind gegeben. Aus psychiatrischer Sicht benötigt sie die Besachwalterung für finanzielle Angelegenheiten und die Vertretung vor Ämtern, Gerichten und Behörden.
Die Sachwalterbestellung begründete das Erstgericht damit, dass die Betroffene die Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts zur Einbringung einer Scheidungsklage gegen ihren Ehegatten beabsichtige. Sie habe völlig unrealistische Vorstellungen vom Ablauf und der Behauptungs‑ und Beweislast in einem Zivilverfahren. Sie sei nicht in der Lage, komplexe rechtliche Zusammenhänge, insbesondere in Ansehung der Scheidungsproblematik, zu verstehen und zur Kenntnis zu nehmen. Sie könne weder konkrete Ereignisse darlegen, die einen Verschuldenstatbestand zumindest dem Vorbringen nach rechtfertigen würden, noch konkrete Beweismittel zur Untermauerung der von ihr erhobenen Behauptungen anführen. Sie selbst sei der Ansicht, dass sie die Scheidung gewinnen werde, „koste es was es wolle“.
Die Betroffene könne ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen. Es sei daher ein Sachwalter zu bestellen. Ohne Bestellung eines Sachwalters insbesondere für die Prozessführung vor Gerichten sei zu befürchten, dass die Betroffene aufgrund ihrer unrealistischen Einschätzung und Negierung der rechtlichen Situation sich selbst in ihrer finanziellen Existenz gefährde. Sie sei auch nicht in der Lage, die rechtlichen Konsequenzen einer allfälligen Scheidung abzusehen. Die Tragung der Verfahrenskosten könnte ihren notwendigen Unterhalt gefährden.
Ein geeigneter Sachwalter aus dem Familienverband habe angesichts der problematischen familiären Situation nicht gefunden werden können.
Das Rekursgericht gab dem dagegen von der Betroffenen erhobenen Rekurs nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.
Es ging zusammengefasst davon aus, dass aus dem Protokoll über die Tagsatzung vor dem Erstgericht am 19. 6. 2013 ganz offen zutage trete, dass die Betroffene zur Führung eines Scheidungsverfahrens eines besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge bedürfe.
In dem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Betroffene erkennbar die Behebung der Beschlüsse der Vorinstanzen und die Verfahrenseinstellung. Hilfsweise stellt sei einen Aufhebungsantrag.
Die Betroffene verweist in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs darauf, dass die Entscheidung des Rekursgerichts deshalb korrekturbedürftig sei, weil aus dem gesamten Akteninhalt ableitbar sei, dass die Betroffene durchaus mit ihrem Vermögen und ihrem Geld umgehen könne. Die Befürchtungen hinsichtlich der Gefährdung der finanziellen Existenz im Fall einer Ehescheidungsklage seien unberechtigt. Allein der Umstand, dass die Betroffene an einer psychischen Erkrankung leide, sei kein ausreichender Grund für die Bestellung eines Sachwalters. Dass sie nicht in der Lage wäre, komplexe rechtliche Zusammenhänge insbesondere im Zusammenhang mit der von ihr gewünschten Einbringung einer Scheidungsklage zu verstehen, treffe im Gerichtsalltag auf eine Vielzahl scheidungswilliger Personen zu, ohne dass für diese ein Sachwalter bestellt würde. Es stehe fest, dass die Betroffene verhandlungsfähig sei. Ihre bloße Absicht, eine Scheidungsklage einzubringen, rechtfertige eine Sachwalterbestellung nicht. Es bestehe daher kein Regelungsbedarf im Sinne einer Sachwalterschaft für die Vertretung vor Ämtern, Gerichten und Behörden. Erkennbar gehe es nach der Intention des angefochtenen Beschlusses nicht darum, dass die Betroffene in einem Scheidungsverfahren von einem Sachwalter vertreten werde, sondern dass ein solches Scheidungsverfahren von vornherein „abgeblockt“ werden solle.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Bestellung eines Sachwalters hat subsidiären Charakter und darf nur dann erfolgen, wenn der Betroffene nicht anders, nämlich durch die in § 268 Abs 2 ABGB erwähnten Möglichkeiten, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen ( Hopf in KBB³ § 268 Rz 4; RIS‑Justiz RS0049088; 3 Ob 209/10x EvBl 2011/40).
2. Die Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters für eine behinderte Person müssen konkret und begründet sein. Sie müssen sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Schutzbedürftigkeit beziehen. Die Sachwalterbestellung setzt voraus, dass überhaupt Angelegenheiten zu besorgen sind (3 Ob 208/06v EF‑Z 2007/40 mwN; 3 Ob 209/10x; Barth/Ganner , Handbuch des Sachwalterrechts² [2010] 49).
3. Die Bestellung eines Sachwalters ist dann unzulässig, wenn der Betroffene sich der Hilfe anderer in rechtlich einwandfreier Weise bedienen kann, beispielsweise durch Vollmachtserteilung oder durch Genehmigung einer Geschäftsführung (RIS‑Justiz RS0048997).
4. Die Hilfe durch einen Vertreter ist nur dann möglich, wenn die behinderte Person noch zu eigenem Handeln fähig ist, also noch über ein bestimmtes Maß an Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt (RIS‑Justiz RS0049004). Ein Sachwalter ist aber nicht schon dann zu bestellen, wenn durch die geminderte Einsichtsfähigkeit des Betroffenen rein abstrakt die Gefahr besteht, dass er sich durch die autonome Auswahl eines ungeeigneten Bevollmächtigten selbst schädigt. Für den zu fordernden Grad der Geschäfts- bzw Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist die Frage von Bedeutung, für welche Geschäfte und Rechtshandlungen Vollmacht erteilt werden soll, weil davon das Risikopotential für den Betroffenen abhängt ( Barth/Ganner , Sachwalterrecht² 51; 3 Ob 286/08t iFamZ 2009/193).
5. Gemäß § 268 Abs 2 letzter Satz ABGB darf ein Sachwalter nicht nur deshalb bestellt werden, um einen Dritten vor der Verfolgung eines, wenn auch bloß vermeintlichen, Anspruchs zu schützen.
6. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist der Betroffenen dahin Recht zu geben, dass kein Grund für eine Sachwalterbestellung vorliegt:
6.1 Es trifft zwar zu, dass die Betroffene seit längerem an einer psychischen Erkrankung leidet. Eine psychische Erkrankung allein reicht allerdings zur Rechtfertigung der Besorgnis einer Selbstschädigung iSd § 268 Abs 1 ABGB nicht aus: Voraussetzung dafür wäre, dass die psychische Erkrankung mit einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zur selbstbestimmten Verhaltenssteuerung verbunden ist (3 Ob 55/13d mwN).
6.2 Im Anlassfall fehlt es schon an Feststellungen, die die Annahme eines Zusammenhangs zwischen der psychischen Krankheit, an der die Betroffene leidet, mit ihrer vom Erstgericht unterstellten Uneinsichtigkeit in Ansehung der „Scheidungsproblematik“ rechtfertigen könnte.
6.3 Aus dem Protokoll, das die Vorinstanzen für ihre Beurteilung, die von der Betroffenen beabsichtigte Einbringung einer Ehescheidungsklage könne mit einer Selbstschädigung verbunden sein, heranziehen, geht deutlich hervor (vgl S 4 in ON 21) dass der Betroffenen durchaus bewusst ist, dass sie zur Unterstützung eines von ihr allenfalls in Zukunft gegen ihren Ehegatten einzuleitenden Scheidungsverfahrens eines Anwalts bedarf.
Anhaltspunkte dafür, dass die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Betroffenen so gemindert ist, dass sie einen ungeeigneten Bevollmächtigten bestellen könnte, bestehen nicht. Ihre Verhandlungsfähigkeit steht ebenfalls fest.
6.4 Dass die Betroffene die Details des österreichischen Scheidungsrechts und damit zusammenhängende Fragen der Behauptungs‑ und Beweislast ebenso wenig kennt wie die von der Erstrichterin thematisierte „Prozessproblematik zwischen § 49 EheG und der Notwendigkeit der Nachweisbarkeit und ein allfälliger entsprechender Einwand nach § 50 bzw § 51 EheG und das diesbezügliche Prozessrisiko“ (vgl Protokoll der Einvernahme der Betroffenen S 4 f in ON 21), rechtfertigt die Sachwalterbestellung ‑ die eine gerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit einer Scheidungsklage zur Folge hätte ( Barth/Ganner , Sachwalterrecht² 591 f; 5 Ob 94/05t JBl 2005, 781; RIS-Justiz RS0103634) ‑ nicht. Die Betroffene verweist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf, dass eine mangelnde Kenntnis des österreichischen Scheidungsrechts auf viele scheidungswillige Personen zutrifft, ohne dass für diese ein Sachwalter bestellt werden müsste.
6.5 Im Übrigen trifft es nach dem Akteninhalt auch nicht zu, dass die Einschätzung der Betroffenen über die Erfolgsaussichten eines Scheidungsverfahrens „gänzlich unrealistisch“ wäre: Immerhin gibt die Betroffene klar an, dass sie ihr Mann betrüge und er seelisch grausam sei. Befragt, ob sie dazu Beweismittel liefern könne, verwies sie auf die Nachbarn (Protokoll ihrer Einvernahme vor dem Erstgericht S 3 in ON 21, vgl auch die im Akt erliegenden Arztbriefe, zB jenen vom 12. 9. 2011 (bei ON 7), die die Angaben der Betroffenen über behauptete grobe Beschimpfungen des Ehegatten dokumentieren).
6.6 Die auf den Schlussfolgerungen des Sachverständigen beruhende, nicht näher begründete Annahme des Erstgerichts, die Betroffene „benötige die Besachwalterung für finanzielle Angelegenheiten“, ist durch den Akteninhalt nicht gedeckt und fand im Übrigen auch ‑ anders als noch im ersten Rechtsgang (ON 12) ‑ keinen Niederschlag in der erstgerichtlichen Entscheidung, die eine Sachwalterbestellung nur für die Vertretung vor Ämtern, Gerichten und Behörden anordnete. Nach dem Akteninhalt besteht vielmehr kein Anhaltspunkt dafür, dass überhaupt finanzielle Angelegenheiten von der Betroffenen zu besorgen sind, deren Tragweite sie nicht einschätzen kann.
7. Daraus folgt zusammengefasst, dass der von den Vorinstanzen einzig herangezogene Umstand für die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung, dass nämlich die Betroffene beabsichtigt, eine Ehescheidungsklage gegen ihren Gatten einzubringen, der sie nach ihren Behauptungen betrügt und „seelisch grausam“ ist, die Sachwalterbestellung nicht rechtfertigt. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher ersatzlos zu beheben. Das Sachwalterschaftsverfahren ist einzustellen (§ 122 Abs 2 Z 1 AußstrG). Die Voraussetzungen für einen Ausspruch nach § 122 Abs 3 AußStrG (vgl dazu Zankl/Mondel in Rechberger , AußStrG² § 122 Rz 6) liegen nicht vor.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)