OGH 2Ob211/12m

OGH2Ob211/12m19.9.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** P*****, vertreten durch Dr. Anton Tschann, Rechtsanwalt in Bludenz, gegen die beklagte Partei C***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Andreas Oberbichler und Dr. Michael Kramer, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Feststellung (Streitinteresse: 6.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 26. Juli 2012, GZ 4 R 98/12m‑48, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 30. März 2012, GZ 5 Cg 208/07d‑42, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche künftigen Schäden aus dem Vorfall vom 13. 10. 2004 auf der Baustelle Hauptschule T*****, bei dem die klagende Partei aufgrund einer ungesicherten Leiter zu Sturz kam, zu haften habe, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 10.041,98 EUR (darin 1.479,33 EUR USt und 1.166 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Gemeinde T***** beabsichtigte in der örtlichen Hauptschule eine Biomasse- Nahwärmeversorgungsanlage zu errichten. Am 18. 3. 2002 richtete die beklagte Partei ein Anbot über die „Planungs- und Überwachungsleistungen“ an die Gemeinde, welches in A) Architektenleistungen (Planungsleistung und Bauaufsicht) und B) Leistungen betreffend Biomasseheizung, Wärmeleitungen und Übergabestation (Planungsleistung und Bauaufsicht) gegliedert war. Mit Schreiben vom 11. 3. 2003 beauftragte die Gemeinde die beklagte Partei unter Bezugnahme auf deren Anbot mit der „Planungs- und Überwachungsleistung für die Errichtung der gegenständlichen Biomasse‑Nahwärmeversorgung“. Mit der Planung und Bauaufsicht betreffend die notwendigen Elektroarbeiten beauftragte die Gemeinde die „Firma W*****“. Hinsichtlich der Planungs- und Bauaufsichtsleistungen, soweit sie Bau- und Architektenleistungen im engeren Sinn betrafen, bediente sich die beklagte Partei des Architekten DI G***** P***** als Subunternehmer. Die Planung der Biomasseheizanlage nahm sie selbst vor.

Mit Gesellschaftsvertrag vom 18. 12. 2003 wurde die B***** GmbH gegründet, deren Gesellschafter die Gemeinde T***** und die Agrargemeinschaft T***** sind. Diese GmbH übernahm die vertraglichen Rechte und Pflichten betreffend das Projekt Biomasseheizwerk. Die Auftragserteilung an die einzelnen ausführenden Professionisten erfolgte durch die GmbH.

Seitens der Bauherrin wurde weder ein Baustellenkoordinator noch ein Projektleiter im Sinn des Baukoordinationsgesetzes (BauKG) bestellt. Dem Geschäftsführer der B***** GmbH war die gesetzliche Verpflichtung zur Bestellung eines Baustellenkoordinators nicht bekannt. Eine Vorankündigung für die Baustelle im Sinn des § 6 BauKG erfolgte nicht. Auch ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (SiGe-Plan) wurde nicht erstellt.

Der Geschäftsführer der beklagten Partei wusste, unter welchen Voraussetzen ein Baustellenkoordinator zu bestellen ist und dass diese bei dem gegenständlichen Bauprojekt vorlagen. Er besprach dieses Thema aber weder mit der Bauherrin noch mit dem Architekten oder mit den an der Baustelle tätigen Unternehmern bzw deren Arbeitnehmern. Auf der Baustelle war es niemandem bewusst, dass kein Baustellenkoordinator bestellt war. Die Koordinierung von Sicherheitsmaßnahmen fand nicht statt.

Im Juli 2004 wurde mit dem Bau begonnen. Die Bauarbeiten nahmen einen Zeitraum von mehr als vier Monaten in Anspruch. Neben dem Bauunternehmen und einem Installationsunternehmen war auch die „Firma Elektro *****“ auf der Baustelle tätig, bei welcher der Kläger beschäftigt war. Der Geschäftsführer der beklagten Partei war schon während der Baumeisterarbeiten regelmäßig vor Ort, obwohl er in dieser Phase die Ausübung der Bauaufsicht dem Architekten überließ. Als dann die Heizungsanlage gebaut wurde, war er ständig und regelmäßig auf der Baustelle präsent und übte für diesen Arbeitsabschnitt auch selbst die Bauaufsicht aus. Er koordinierte auch die Arbeiten des Elektro- und des Installationsunternehmens, erteilte deren Mitarbeitern, so auch dem Kläger, dabei aber keine Weisungen. Mit dem Kläger besprach der Geschäftsführer der beklagten Partei lediglich die Elektroinstallationen. Ansonsten fungierte er als Ansprechpartner für alle die Heizungsanlage betreffenden technischen Fragen.

Der Heizraum der Biomasseheizanlage wurde anschließend an die bisherige im Keller befindliche Heizanlage der Hauptschule in einem ein Kellergeschoss tiefer gelegenen Raum errichtet. Der Heizkeller besteht somit aus einem aus dem Altbestand stammenden Kellerraum, an welchem ein neu errichteter, tiefer liegender Heizraum anschließt. Vom alten Heizraum führt ein Stiegenabgang zum neuen Teil, im Absatzbereich wurde ein Geländer angebracht.

Über dem neuen, tiefer gelegenen Heizraum befindet sich eine zur Einbringung des Heizkessels und sonstiger Gerätschaft erforderliche Öffnung in der Kellerdecke. Die Oberkante der Öffnung der Kellerdecke liegt etwa 4,9 m über dem Betonboden des unteren neuen Teils des Heizraums. Vom aus dem Altbestand stammenden Teil des Heizraums führte eine Anlegeleiter zu der Öffnung in der Kellerdecke, die sich im Bereich des oberen Auflagepunkts der Leiter über dem neuen Heizraum befand. Das untere Ende der Anlegeleiter war bei der im Kellerraum vorhandenen Beleuchtung von der Kellerdeckenöffnung aus sichtbar. Diese Öffnung war zwar nicht als Zugang für die Bauarbeiter gedacht, wurde von diesen aber regelmäßig zu diesem Zweck benützt. Der Zugang zum Heizraum wäre auch über das Schulgebäude möglich gewesen, allenfalls (außerhalb der Schulöffnungszeiten) nach telefonischer Verständigung des Schulwarts.

Die Anlegeleiter war vom Bauunternehmen auf die Baustelle gebracht worden. Nachdem die Baumeisterarbeiten abgeschlossen waren, wurde sie auf Ersuchen des Architekten dort belassen. Ursprünglich und bis zum Ende dieser Arbeiten am 28. 9. 2004 stellte sich die Situation hinsichtlich der vom alten Heizraum durch die Öffnung nach oben führenden Aluleiter anders dar als zum Unfallszeitpunkt. Im alten Heizraum bestand nämlich im Bereich des Stiegenabgangs zum neuen Heizraum ein ca 25 cm tiefer Betonabsatz im Boden, in den die Leiter eingestellt und dadurch vor einem Verrutschen gesichert war. In dieser Position war der Fußpunkt der Leiter auch weiter gegen die Öffnung hin und der Auflagepunkt in der Öffnung so versetzt, dass die Leiter eine steilere Stellung einnahm. Diese (sichere) Leiterposition stand schließlich nicht mehr zur Verfügung, als durch das Bauunternehmen der Betonabsatz beseitigt und im alten Heizraum ein neuer Estrich verlegt wurde. Wegen der Verlegung des Estrichs musste die Leiter entfernt werden. Sie wurde bis zum Verlassen der Baustelle durch das Bauunternehmen nicht mehr aufgestellt. Wer die Leiter schließlich wieder in den Bereich der Unfallstelle gebracht und dort aufgestellt hat, steht nicht fest.

Zum Unfallszeitpunkt war die Leiter am oberen Anlegepunkt jedenfalls nicht fixiert. Der Überstand über die oberste Austrittstelle betrug etwa 50 cm. Die Anlegeleiter war in einem Winkel von höchstens 58 Grad zur Bodenfläche aufgestellt. Am unteren Aufstandspunkt war die Leiter im Unfallszeitpunkt an ein auf einer Schaltafel aufgenageltes bzw aufgeschraubtes Querbrett anliegend. Diese Schaltafel lag lose auf dem Estrich des Heizraums auf und war im Unfallszeitpunkt nach jeder Richtung hin verrückbar. Die Schaltafel war nicht mit dem Boden verbunden. Vor dem Unfallereignis war die Schaltafel mit einer weiteren Schaltafel gegen zwei in diesem Bereich befindliche Betonpfeiler abgespreizt. Die Schaltafeln waren dabei nicht miteinander verbunden. Es kann nicht festgestellt werden, wer die Leiter solcherart abgesichert aufgestellt hat. Im Unfallszeitpunkt war die zweite Schaltafel nicht mehr vorhanden. Wann und von wem sie entfernt worden war, steht nicht fest. Sie muss aber im Lauf des Vormittags des Unfalltags entfernt worden sein.

Am 13. 10. 2004 verließ der Kläger gemeinsam mit anderen Mitarbeitern die Baustelle über die Anlegeleiter. Als er sich in die Mittagspause begeben wollte, kam gerade sein Dienstgeber an der Baustelle an. Dieser ersuchte den Kläger zur Durchführung von Messarbeiten nochmals mit ihm in den Kellerraum zu steigen. Beide beabsichtigten über die Leiter in den Kellerraum zu gelangen. Als der Kläger zwei Sprossen abwärts gestiegen war, rutschte die Leiter unter ihm weg. Er stürzte auf den Betonboden des neuen Heizraums und erlitt dabei eine schwere Beinverletzung mit Dauerfolgen. Spätfolgen sind mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

Sowohl der Geschäftsführer der beklagten Partei als auch der Architekt hatten die Leiter auf der Baustelle wahrgenommen, ebenso die Tatsache, dass sie von den Arbeitern regelmäßig benützt wurde. Der Geschäftsführer hatte die Leiter vor dem Verlegen des Estrichs auch selbst benützt, danach allerdings nicht mehr. Der Architekt war zum Unfallszeitpunkt nicht mehr regelmäßig auf der Baustelle. Während der Baumeisterarbeiten hatte er darauf geachtet, dass gewisse Sicherheitsmaßnahmen eingehalten wurden. So hatte er etwa zur Absicherung der Einbringungsöffnung Bauzäune organisiert und darauf hingewiesen, dass die Öfnung am Abend immer abgedeckt sein sollte. Davon abgesehen kümmerte er sich nicht darum, wer für die Sicherheitsangelegenheiten auf der Baustelle zuständig war. Der Leiter schenkte er nach Abschluss der Baumeisterarbeiten keine Beachtung mehr.

Der Geschäftsführer der beklagten Partei hatte die Absicherung der Leiter mit Hilfe der Schaltafeln nicht als Gefahr erkannt. Einige der vor Ort tätigen Arbeiter und Unternehmer sahen darin jedoch sehr wohl eine Gefahr und machten den Architekten darauf aufmerksam. Dieser antwortete, dass es sich um keinen Personenzugang handle und dass die Arbeiter den anderen Zugang benützen sollten. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Arbeitgeber des Klägers diesen auf die Gefährlichkeit der Leiter hingewiesen oder irgend jemand anderem gegenüber diesbezügliche Bedenken geäußert hatte.

Der Kläger machte bereits zu AZ 38 Cg 63/05w des Landesgerichts Feldkirch gegen die Bauherrin Schadenersatzansprüche geltend, die ihm nach einer Teilzahlung mit Urteil vom 26. 1. 2009 in einer restlichen Höhe von 12.788,96 EUR sA zuerkannt wurden. Die Haftung der Bauherrin wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sie weder einen Baustellenkoordinator bestellt noch die Bauherrnpflichten auf einen Projektleiter übertragen habe und diesen Pflichten nicht selbst nachgekommen sei. Die hier beklagte Partei war dem Rechtsstreit nach Streitverkündigung als Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei beigetreten. Mit dem in einem weiteren Verfahren ergangenen Anerkenntnisurteil vom 28. 8. 2007 wurde die Haftung der Bauherrin für alle künftigen Schäden des Klägers aus dem Unfall vom 13. 10. 2004 festgestellt.

Der Kläger begehrte zuletzt die Feststellung der Haftung (auch) der beklagten Partei für sämtliche künftige Schäden aus dem Unfall vom 13. 10. 2004. Die beklagte Partei sei mit den Planungs- und Überwachungsleistungen hinsichtlich der Heizanlage beauftragt gewesen. Sie hätte die Bauherrin auf die Notwendigkeit der Bestellung eines Baustellenkoordinators oder eines Projektleiters im Sinn des BauKG und überdies auf die vorschriftswidrige Anbringung der Leiter hinweisen müssen. Sie habe es auch unterlassen, von sich aus die Grundsätze der Gefahrenverhütung und -koordination umzusetzen und gegen die einschlägigen Schutznormen, insbesondere die §§ 3, 7, 8 und 10 ASchG verstoßen. Schließlich hafte sie aus ihrem Werkvertrag mit der Bauherrin, aus dem sich Schutz- und Sorgfaltspflichten zugunsten des Klägers ergeben hätten. Betraue der Werkbesteller mehrere Unternehmer mit der Herstellung des Werks, so werde in ständiger Rechtsprechung eine wechselseitige Aufnahme dieser Unternehmer und ihrer Leute in den von den Interessen und Rechtspflichten des Bestellers umfassten Kreis geschützter Personen bejaht. Die ursprünglich auch gegen den Architekten gerichtete Klage wurde unter Anspruchsverzicht zurückgezogen.

Die beklagte Partei wandte ein, vom Schutzzweck einer allfälligen Aufklärungspflicht gegenüber der Bauherrin wäre nur diese umfasst gewesen. Verstöße gegen Schutznormen lägen nicht vor. Als Aufseherin im Betrieb komme ihr überdies das Haftungsprivileg nach § 333 ASVG zugute.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Ausgehend vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt vertrat es die Ansicht, der Kläger habe kein schutzwürdiges Interesse an der Heranziehung der beklagten Partei aus dessen von ihr mit der Bauherrin geschlossenen Werkvertrag. Da dem Kläger in den beiden Prozessen gegen die Bauherrin sämtliche Ansprüche rechtskräftig zuerkannt worden seien, bestehe für die Haftung der beklagten Partei im Rahmen des Instituts des Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter kein Anlass. Aus der Entscheidung 7 Ob 17/09i, die in einem weiteren, gegen das Bauunternehmen geführten Rechtsstreit des Klägers ergangen sei, ergebe sich ferner, dass der Kläger keine Direktansprüche aus einer Verletzung von Hinweispflichten der beklagten Partei gegenüber der Bauherrin ableiten könne. Nach den Feststellungen sei aber davon auszugehen, dass die beklagte Partei den Schutznormen der §§ 3, 7, 8, und 10 ASchG nicht entsprochen habe. Die Art und Weise der Aufstellung der Leiter habe den §§ 34 und 36 Arbeitsmittel-Verordnung (AM‑VO) widersprochen. Die beklagte Partei hafte für die Folgen der unsachgemäßen Aufstellung der Leiter schon dann, wenn die Gefahrenquelle für sie (ihren Geschäftsführer) während ihrer Tätigkeit auf der Baustelle im Rahmen der Bauaufsicht erkennbar war und sie keine Maßnahmen zu ihrer Beseitigung getroffen hat. Dies sei hier der Fall gewesen. Den ihr obliegenden Beweis mangelnden Verschuldens habe die beklagte Partei nicht erbracht. Auf das Haftungsprivileg des § 333 ASVG könne sie sich nicht mit Erfolg berufen. Der Geschäftsführer der beklagten Partei habe dem Kläger keine Weisungen erteilt. Der Kläger sei auch nicht in den Betrieb der beklagten Partei eingegliedert gewesen. Diese sei auch nicht als Aufseher im Betrieb anzusehen. Das Feststellungsinteresse des Klägers sei zu bejahen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung in der Hauptsache. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, aber nicht 30.000 EUR übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei. Außerdem gab es einem Kostenrekurs des Klägers teilweise Folge.

Das Berufungsgericht erörterte, aus § 8 Abs 1 Z 2 und § 8 Abs 3 ASchG könne abgeleitet werden, dass in einer aktuellen Gefahrensituation auch eine direkte Warnpflicht der Arbeitgeber zum Schutz „fremder“ Arbeitnehmer zu bejahen sei. Da Arbeitgeber grundsätzlich dafür zu sorgen hätten, dass Arbeitsmittel entsprechend den Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzrechts beschaffen seien, aufgestellt, erhalten und benützt werden würden, hafte die beklagte Partei für das unsachgemäße, § 7 ASchG und den §§ 34 und 36 AM‑VO widersprechende Aufstellen der Leiter, stehe doch fest, dass sowohl ihr Geschäftsführer wie auch der Architekt die Leiter und deren regelmäßige Benützung durch die Arbeiter wahrgenommen hätten. Der Geschäftsführer habe die Leiter sogar selbst benützt. Die beklagte Partei, die im Sinne der Repräsentantenhaftung für das Fehlverhalten ihres Geschäftsführers einzustehen habe, treffe somit die deliktische Haftung auch gegenüber dem Kläger als fremdem Arbeitnehmer.

Die von der Rechtsprechung für die Beurteilung als „Aufseher im Betrieb“ kumulativ geforderten Eigenschaften wie Verantwortlichkeit für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte, Überwachung anderer Betriebsangehöriger in eigener Verantwortung und Leitung des gesamten Arbeitsgangs einer bestimmten Arbeitspartie zur Zeit des Unfalls lägen nicht vor. Es könne auch nicht von einer umfassenden Bevollmächtigung im Sinn der Übertragung von Anordnungs- und Leitungsbefugnissen die Rede sein. Ebenso wenig sei der Kläger in den Betrieb der beklagten Partei eingegliedert gewesen. Dieser komme daher das Haftungsprivileg des § 333 ASVG nicht zu.

Mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit § 8 ASchG auch Arbeitnehmer eines anderen Arbeitgebers schütze, sei die Zulässigkeit der ordentlichen Revision auszusprechen.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, sie sei nicht „Arbeitgeber“ iSd § 8 ASchG. Die Bestimmung richte sich nicht an einen auf der Baustelle tätigen Planer und Bauleiter, der keine eigenen Arbeitnehmer auf der Baustelle beschäftige. Mangelnde Koordination der Gefahrenverhütung oder der Arbeiten sei auch gar nicht Ursache für den Unfall gewesen. Im Übrigen käme der beklagten Partei das Haftungsprivileg des § 333 ASVG zu.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

1. Adressat der öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften ist grundsätzlich der Arbeitgeber (2 Ob 174/05k mwN; 10 ObS 145/07g; 2 Ob 89/08g; 2 Ob 92/08f; 2 Ob 174/11v). Sie geben die Rahmenbedingungen und die Mindestanforderungen für die zu treffenden Schutzmaßnahmen vor und dienen in erster Linie dem Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung (2 Ob 92/08f mwN; RIS-Justiz RS0084412). Umfasst wird davon vor allem der „technische Arbeitnehmerschutz“ (Gefahren- oder Betriebsschutz; RIS-Justiz RS0050631), dessen Vorschriften sich ua auf die Arbeitsvorgänge und die in der Arbeitsstätte verwendeten technischen Geräte und sonstigen Arbeitsmittel beziehen (2 Ob 174/05k; 2 Ob 92/08f).

1.1 Derartige Regelungen enthält auch die Arbeitsmittelverordnung (AM-VO), BGBl II 2000/164, die nach deren § 1 Abs 1 auch für unter das ASchG fallende Baustellen gilt (vgl Heider/Hutterer/Piller, Arbeitsmittelverordnung³ § 1 Anm 1). Nach § 34 Abs 1 AM‑VO dürfen Arbeitgeber nur Leitern zur Verfügung stellen, die den im Einzelnen angeführten Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen entsprechen. § 34 Abs 2 AM-VO regelt die Verwendung von Leitern. Gemäß Abs 2 Z 3 dieser Bestimmung sind Leitern derart aufzustellen, dass sie gegen Wegrutschen und Umfallen gesichert sind. § 36 Abs 1 AM-VO enthält ergänzend zu § 34 Abs 2 AM-VO weitere Regeln für die Verwendung von Anlegeleitern, etwa, dass ihre Schrägstellung nicht flacher als 3:1 und nicht steiler als 4:1 sein darf (Z 1). Während sich also § 34 Abs 1 AM-VO explizit an den Arbeitgeber richtet, treffen die in § 34 Abs 2 und § 36 Abs 1 AM-VO normierten Pflichten auch einen mit dem Arbeitgeber des Verwenders nicht identen Aufsteller einer Leiter und den Verwender selbst.

Bei diesen Bestimmungen handelt es sich um Schutznormen iSd § 1311 ABGB (vgl RIS-Justiz RS0029542), deren Einhaltung genau jener Gefahr für die Gesundheit der Arbeitnehmer vorbeugen soll, die sich im vorliegenden Fall durch Wegrutschen der Leiter verwirklicht hat.

1.2 § 8 ASchG legt ‑ wie auch § 4 Abs 6 der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) ‑ die Koordinierungs-pflicht der Arbeitgeber fest. Mit dieser Bestimmung wurden europarechtliche Vorgaben (Art 6 Abs 4 der Rahmen-RL 89/391/EWG des Rates vom 12. 6. 1989; Baustellen-RL 92/57/EWG des Rates vom 26. 6. 1992) umgesetzt (Näheres bei Lukas/Resch, Haftung für Arbeitsunfälle am Bau [2001] 4 ff; Szymanski/Oberhauser/Marx, ArbeitnehmerInnen-schutzgesetz [2004] § 8 Anm 5). In den Gesetzesmaterialien wurde auf die aus der mangelnden Koordinierung der Arbeiten resultierenden besonderen Gefahren sowie darauf verwiesen, dass sich die einzelnen Arbeitgeber in keiner Weise für die Sicherheit der Arbeitnehmer anderer Arbeitgeber, beispielsweise auf Baustellen, verantwortlich fühlen (vgl Heider/Schneeberger, ArbeitnehmerInnenschutzgesetz6 [2013] § 8 Anm 1; Lukas/Resch aaO 4; Janka/Wallisch, Arbeitnehmerschutz und Koordination, ZAS 2002, 161; je mit Hinweis auf ErläutRV 1590 BlgNR XVIII. GP 75).

Die Koordinierungspflicht des Arbeitgebers greift nach § 8 Abs 1 ASchG immer dann ein, wenn (ua) auf einer Baustelle gleichzeitig oder aufeinanderfolgend Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber beschäftigt werden. Diesfalls haben die betroffenen Arbeitgeber bei der Durchführung der Sicherheits- und Gesundheitsschutzbestimmungen zusammenzuarbeiten. Sie müssen also insbesondere ihre Tätigkeiten auf dem Gebiet der Gefahrenverhütung koordinieren (Z 1) und einander sowie ihre Arbeitnehmer und die zuständigen Belegschaftsorgane informieren (Z 2). Die gesetzlichen Informationspflichten gegenüber den anderen Arbeitgebern sind dahin zu verstehen, dass jeder Arbeitgeber die anderen über die aus seiner Sphäre stammenden Gefahren zu informieren und seinerseits die von den anderen Arbeitgebern erhaltenen Informationen an seine Mitarbeiter und Belegschaftsorgane weiterzugeben hat (Janka/Wallisch aaO162).

Schließlich haben die Arbeitgeber durch eine Koordination der Bauarbeiten dafür zu sorgen, dass Gefahren für Sicherheit oder Gesundheit der auf der Baustelle beschäftigten Arbeitnehmer vermieden werden (§ 8 Abs 3 ASchG). § 8 Abs 5 ASchG stellt klar, dass dadurch die Verantwortlichkeit der einzelnen Arbeitgeber für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften für ihre Arbeitgeber nicht eingeschränkt und deren Verantwortung für betriebsfremde Arbeitnehmer nur insoweit ausgeweitet wird, als sich dies ausdrücklich (ua) aus Abs 3 ergibt.

Auch die Bestimmungen über die Koordinierungspflicht des Arbeitgebers sind Schutznormen iSd § 1311 ABGB (Lukas/Resch aaO 20; Egglmeier-Schmolke, Haftung für Unfälle auf Baustellen, bbl 2007, 37 [39]).

2. Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, ob die beklagte Partei Arbeitgeber im Sinn des ASchG und damit Adressat der erörterten Schutznormen ist. Dies ist aus folgenden Gründen zu verneinen:

2.1 Wortlaut und Zielsetzung des § 8 ASchG lassen deutlich erkennen, dass damit, soweit Arbeiten auf Baustellen zu koordinieren sind, nur die Arbeitgeber bauausführender Arbeitnehmer angesprochen sind. Die beklagte Partei hatte demgegenüber in der Ausführungsphase des Bauvorhabens die (örtliche) Bauaufsicht inne, die sie teilweise an ihren Subunternehmer (den Architekten) weitergab. Sie bekleidete im Auftrag der Bauherrin eine den Baufortschritt kontrollierende und überwachende Funktion (RIS-Justiz RS0021552, RS0058803), ohne mit eigenen Arbeitnehmern in die Ausführung des Bauvorhabens eingebunden zu sein. Ihre Rechtsstellung war daher nicht die eines Arbeitgebers im Sinn des ASchG.

2.2 Dieser erstmals in der Berufung erhobene Einwand der beklagten Partei verstößt entgegen der Meinung des Klägers nicht gegen das Neuerungsverbot. Die beklagte Partei hat einen Verstoß gegen die Schutznormen des ASchG bestritten. Es lag daher am Kläger zu beweisen, dass die beklagte Partei eine dieser Schutznormen objektiv übertreten hat (RIS-Justiz RS0112234). Von dieser Beweislast war insbesondere der Beweis der Arbeitgebereigenschaft der beklagten Partei umfasst, den der Kläger nicht erbringen konnte.

3. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass das Feststellungsbegehren des Klägers nicht auf eine Verletzung der in § 8 ASchG normierten Koordinierungspflichten des Arbeitgebers gestützt werden kann. Dies gilt ebenso für die weiteren behaupteten Verstöße gegen Pflichten des Arbeitgebers nach dem ASchG. Es steht auch nicht fest, dass der Geschäftsführer der beklagten Partei oder der von dieser beauftragte Architekt die Leiter in der nur durch lose aufliegende Schaltafeln gesicherten Position wieder aufgestellt hat. Ein der beklagten Partei zurechenbarer Verstoß gegen die Schutznormen der §§ 34 und 36 AM‑VO kommt daher ebenfalls nicht in Betracht.

4. Aber auch die weiteren vom Kläger geltend gemachten Anspruchsgrundlagen können seinem Begehren nicht zum Erfolg verhelfen:

4.1 In der Entscheidung 7 Ob 17/09i (= AnwBl 2011/8270, 33 [Battlogg]), die in dem vom Kläger gegen das Bauunternehmen geführten Rechtsstreit erging, hat der Oberste Gerichtshof klargestellt, dass der Kläger aus einer den Werkunternehmer gegenüber dem Bauherrn treffenden vertraglichen Verpflichtung, diesen auf seine Pflichten nach dem BauKG, insbesondere jene zur Bestellung eines Baustellenkoordinators, hinzuweisen, keine Direktansprüche gegen den Werkunternehmer ableiten kann.

Diese Auffassung kommt, wie schon das Erstgericht richtig erkannte, auch hier zum Tragen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Bauaufsicht ausschließlich im Interesse des (dafür zahlenden) Bauherrn erfolgt und diesen vor Fehlern schützen soll, die in den Verantwortungsbereich der einzelnen bauausführenden Unternehmer fallen (vgl 6 Ob 136/99i; 5 Ob 8/04v; 8 Ob 58/04v; 8 Ob 40/10f; 2 Ob 128/09a; RIS‑Justiz RS0108535).

4.2 Der Kläger stützte die geltend gemachte Vertragshaftung erkennbar auf jene Rechtsprechung, nach der bei mehreren auf einer Baustelle tätigen Unternehmen jeweils auch die bei den anderen Unternehmen tätigen Arbeitnehmer in den Schutzkreis der einzelnen Werkverträge mit dem Bauherrn einbezogen sind (6 Ob 2208/96s; 8 Ob 84/02i; RIS‑Justiz RS0105669; vgl Lukas/Resch aaO 49). Dabei unterstellte er, dass auch die beklagte Partei zu den mit der Herstellung des Werks beauftragten Unternehmen zählt. Diese Prämisse trifft jedoch nicht zu (siehe schon Punkt 2.1).

4.3 Auf sonstige Aspekte einer möglichen Haftung, insbesondere solche, die sich allenfalls aus der Rechtsstellung der beklagten Partei als Bauleiterin iSd Art 2 lit c) der Baustellen-RL 92/57/EWG bzw einer Projektleiterin nach § 2 Abs 2 BauKG (die gegenteilige „Feststellung“ des Erstgerichts wäre als rechtliche Beurteilung nicht bindend), der die Bauherrnpflichten nicht nach § 9 Abs 1 BauKG übertragen wurden, ergeben könnten, hat sich der Kläger im gesamten Verfahren nicht berufen. Er ging in seinem Prozessvorbringen vielmehr selbst davon aus, dass überhaupt kein Projektleiter bestellt worden sei. Erwägungen zu diesem Themenkreis können deshalb auf sich beruhen. Auch zu einer allfälligen Besorgungsgehilfenhaftung der beklagten Partei für den Architekten wurden keine Behauptungen aufgestellt.

5. In Stattgebung der berechtigten Revision ist das Klagebegehren somit im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Der Kläger ist auf seine ihm bereits gerichtlich zuerkannten Ansprüche gegen die Bauherrin zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Kosten für die Kostenrekursbeantwortung sind der in der Hauptsache obsiegenden Partei nicht zuzusprechen (RIS-Justiz RS0087844 [T5]).

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