OGH 4Ob122/13i

OGH4Ob122/13i27.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** Inc., *****, vertreten durch Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S***** GesmbH, *****, 2. J***** K*****, beide vertreten durch Zöchbauer Frauenberger Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung, Zahlung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 35.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 29. Mai 2013, GZ 5 R 35/13y‑12, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die weltweit tätige Klägerin nimmt die Beklagten wegen des Vertriebs von außerhalb des EWR in Verkehr gebrachter Markenware in Anspruch. Die Beklagten gestehen zu, dass das Markenrecht nicht erschöpft ist. Sie sind jedoch der Auffassung, dass die Klägerin dieses Recht missbräuchlich geltend mache. Auf den Waren sei vermerkt, dass sie für eine Zone „EMEA“ ‑ dh Europa, Naher Osten (Middle East) und Afrika ‑ bestimmt seien. Die Klägerin könne aufgrund der Seriennummern feststellen, wo ein konkretes Produkt innerhalb dieser Vermarktungszone erstmals in Verkehr gebracht worden sei. Andere Marktteilnehmer könnten diesen Ort aber weder aus den Angaben auf der Verpackung noch aus der Seriennummer ableiten. Die Klägerin gewähre keinen Zugriff auf ihr Datensystem, das aufgrund der Seriennummern eine Zuordnung ermögliche. Für einen Käufer sei daher „in keiner Weise vorhersehbar“, ob er (gemeint: bei einer Weiterveräußerung) rechtmäßig handle. Selbst wenn er das Produkt innerhalb des EWR erwerbe, könne er wegen der fehlenden „Detailkennzeichnung“ und der „Unzugänglichkeit des Datensystems“ nicht sicher sein, dass die Ware mit Zustimmung des Markeninhabers im EWR in Verkehr gebracht worden sei. Weiters habe die Klägerin den Beklagten eine erlaubtes Verhalten betreffende Schutzrechtsverwarnung zukommen lassen. Unter diesen Umständen sei das Geltendmachen des Markenrechts ein Rechtsmissbrauch.

Die Vorinstanzen erließen die von der Klägerin beantragte einstweilige Verfügung.

Das Rekursgericht führte aus, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zwar unter Umständen nicht nur der Erwerb, sondern auch das Geltendmachen eines Markenrechts sittenwidrig sein könne. Eine überschießende Schutzrechtsverwarnung führe aber nicht dazu, dass der Markeninhaber berechtigte Ansprüche nicht mehr durchsetzen könnte. Das übrige der Klägerin vorgeworfene Verhalten sei weder als Ausübung noch als Durchsetzung ihres Markenrechts anzusehen, weswegen in diesem Zusammenhang auch kein missbräuchliches Geltendmachen dieses Rechts „denkbar“ sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist nicht zulässig.

1. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt die Behauptungs- und Beweislast für die Erschöpfung des Markenrechts grundsätzlich beim Beklagten (17 Ob 16/09s = SZ 2009/126 = ÖBl 2010, 189 - Diesel III mwN). Anderes gilt nur dann, wenn der Beklagte nachweisen kann, dass - etwa aufgrund eines ausschließlichen Vertriebssystems - eine Marktabschottung drohte, wenn er seine Bezugsquellen offenlegen müsste; in diesem Fall muss der Markeninhaber das Inverkehrbringen außerhalb des EWR behaupten und beweisen (EuGH C-244/00 , van Doren, Slg 2003 I 3051 = ÖBl 2003, 296 [Gamerith]; 17 Ob 16/09s - Diesel III).

2. Auf eine drohende Marktabschottung haben sich die Beklagten nicht berufen. Daher mussten sie behaupten und beweisen, dass die Ware mit Zustimmung des Markeninhabers im EWR in Verkehr gebracht wurde. Diesen Beweis haben sie nicht angetreten, sondern sich ausschließlich auf ein angeblich rechtsmissbräuchliches Geltendmachen des Markenrechts berufen. Diesem Einwand sind die Vorinstanzen zutreffend nicht gefolgt.

2.1. Das Rekursgericht hat zutreffend ausgeführt, dass nicht nur der Erwerb einer Marke, sondern auch das Geltendmachen von darauf beruhenden Ansprüchen sittenwidrig (rechtsmissbräuchlich) sein kann (4 Ob 89/06a = ÖBl 2006, 27 [Gamerith] ‑ grüngeflammt; 4 Ob 125/06w = RdW 2007, 160; RIS-Justiz RS0121116). Rechtsmissbrauch liegt nach allgemeinen Grundsätzen nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht (RIS-Justiz RS0026265; RS0026271 [insb T18, T19, T22, T23, T24]). Die Behauptungs- und Beweislast trifft denjenigen, der sich auf den Rechtsmissbrauch beruft (4 Ob 233/02x = JBl 2003, 375). Schon geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch müssen den Ausschlag zugunsten des Rechtsausübenden geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden muss, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (4 Ob 125/06w = RdW 2007, 160 mwN).

2.2. Schädigungsabsicht als alleiniger Grund für die Rechtsverfolgung ist im vorliegenden Fall nicht einmal ansatzweise erkennbar. Es mag zwar zutreffen, dass die Klägerin die Beklagten im konkreten Fall durch eine zu weit reichende Schutzrechtsverwarnung behindern wollte. Das kann aber nur Unterlassungsansprüche in Bezug auf den überschießenden Teil der Verwarnung begründen (4 Ob 184/06x = SZ 2006/170 ‑ Ophtalmoskop mwN), nicht aber dazu führen, dass das Geltendmachen berechtigter Ansprüche deswegen rechtsmissbräuchlich wäre. Auch ein (selbst bewusst) zu weit gefasstes Klagebegehren hindert (jedenfalls im Regelfall) nicht den Zuspruch eines berechtigten Minus.

2.3. Die Beklagten könnten mit dem Rechtsmissbraucheinwand daher nur Erfolg haben, wenn ein krasses Missverhältnis zwischen ihren und den Interessen der Klägerin bestünde. Davon kann aber keine Rede sein: Eine generelle Pflicht des Markeninhabers, seine Vertriebswege offen zu legen, lässt sich aus dem Markenrecht nicht ableiten; eine solche - allerdings nur prozessuale - Obliegenheit besteht nach der dargestellten Rechtsprechung nur dann, wenn dem Beklagten wegen einer sonst drohenden Marktabschottung nicht zugemutet werden kann, ihre Bezugsquellen offen zu legen. Umgekehrt trifft die Prämisse der Beklagten, dass sie mangels entsprechender Kennzeichnung durch den Markeninhaber nie wissen könnten, ob das Markenrecht erschöpft sei, schlicht nicht zu. Denn sie können von ihren Lieferanten verlangen, die Bezugsquelle der Ware zu nennen und dafür Nachweise vorzulegen. Auf diese Weise können sie den Vertriebsweg zurückverfolgen, ohne auf die Mitwirkung des Markeninhabers angewiesen zu sein. Tun sie das nicht oder bleibt der Vertriebsweg unklar, so handeln sie beim Weiterverkauf auf eigenes Risiko. Unter diesen Umständen ist nicht erkennbar, weswegen ein (noch dazu krasses) Missverhältnis zwischen dem Interesse der Klägerin an der Durchsetzung ihres Markenrechts und jenem der Beklagten an der Weiterveräußerung von Waren ungeklärter Herkunft bestehen soll.

2.4. Dass die Klägerin auf eine konkrete Anfrage der Beklagten eine ihr leicht mögliche Auskunft zum erstmaligen Inverkehrbringen einer bestimmten Ware verweigert hätte, haben die Beklagten in erster Instanz nicht behauptet. Ob das Geltendmachen von markenrechtlichen Ansprüchen in einem solchen Fall rechtsmissbräuchlich wäre, ist daher nicht zu prüfen.

3. Die Entscheidung des Rekursgerichts ist eine im Einzelfall zwingende Folge der richtig dargestellten Rechtsprechung zum Einwand des Rechtsmissbrauchs. Eine erhebliche Rechtsfrage iSv § 528 Abs 1 ZPO liegt aus diesem Grund nicht vor.

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