OGH 3Ob139/13g

OGH3Ob139/13g21.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar und Dr. Norbert Marschall, Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. R*****, vertreten durch Dr. Monika Morscher‑Spießberger, Rechtsanwältin in Vöcklabruck, wegen Unterhalts, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. April 2013, GZ 45 R 339/12d‑102, womit infolge Berufungen der klagenden und beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 30. April 2012, GZ 2 C 132/06f‑93, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0030OB00139.13G.0821.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Im zwischen den früheren Ehegatten wegen Erhöhung des verglichenen Unterhaltsbeitrags geführten Prozess ist in dritter Instanz nur mehr strittig, ob die Klägerin auch rückwirkend die Erhöhung für drei Jahre vor Zustellung der Klage begehren kann, ob eine Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann bestanden hat, die zum zwischenzeitlichen Ruhen ihres Unterhaltsanspruchs führte, und ob sie während dieses Zeitraums durch die Unterhaltsleistungen des Beklagten eine ungerechtfertigte Bereicherung erlangte. Das Berufungsgericht beantwortete alle drei Fragen zu Ungunsten der Klägerin.

Dieser gelingt es in ihrer außerordentlichen Revision nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

1.1. Der Sinn und Zweck der Regelung des § 72 EheG besteht zweifellos darin, den Unterhaltspflichtigen vor Unterhaltsrückständen zu schützen, mit denen er nicht rechnen musste (10 Ob 47/07w). Der Verzug des Unterhaltspflichtigen ist Anspruchsvoraussetzung des Unterhalts für die Vergangenheit (RIS‑Justiz RS0033341 [T4]; RS0114142).

Der Klägerin gelang der Nachweis ihrer Behauptung, sie habe den Beklagten immer wieder aufgefordert, seiner Unterhaltsverpflichtung in der gesetzlichen Höhe nachzukommen, nicht, weil das Erstgericht ‑ unbekämpft ‑ feststellte, dass die Klägerin vom Beklagten vor Einbringung der vorliegenden Klage keine Steigerung der Unterhaltszahlungen und vor allem keinen konkreten Erhöhungsbetrag forderte. Ein Vorbringen, sie habe den Beklagten zur Offenlegung seines aktuellen Einkommens aufgefordert, wurde von der Klägerin in erster Instanz nicht erstattet.

Die Vorinstanzen haben daher beim vorliegenden Sachverhalt einen Verzug des Beklagten mit der Leistung von erhöhtem Unterhalt vor Erhebung der vorliegenden Klage jedenfalls vertretbar verneint.

1.2. Ebenso zutreffend stellten sie nicht auf das Einlangen der Unterhaltserhöhungsklage bei Gericht, sondern auf deren Zustellung an den Beklagten ab. Zwar legen frühere Entscheidungen (8 Ob 626/87; 1 Ob 585/93; 8 Ob 584/93) und ein Teil der Lehre (Schwimann in Schwimann ABGB‑TaKo² § 72 EheG Rz 2; Schwimann/Kolmasch Unterhaltsrecht 232; Zankl/Mondel in Schwimann/Kodek ABGB4 § 72 EheG Rz 7; Gischthaler § 72 EheG Rz 4) den Begriff der Rechtshängigkeit iSv Gerichtsanhängigkeit nach § 41 JN aus, dies allerdings ohne nähere Begründung. Zuletzt vertrat der Oberste Gerichtshof jedoch in der E 6 Ob 2190/96v mit überzeugenden Gründen die Auffassung, bei der „Rechtshängigkeit“ handle es sich um einen Begriff der dZPO, die durch die „Erhebung“ der Klage begründet werde, die durch Zustellung eines Schriftsatzes erfolge. Dem ist zu folgen, weil nach § 261 Abs 1 dZPO durch die Erhebung der Klage die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet wird; die Erhebung der Klage erfolgt entsprechend § 253 Abs 1 dZPO durch Zustellung eines Schriftsatzes (der Klageschrift), der beim Gericht einzureichen ist (§ 253 Abs 5 dZPO). Somit führt erst die Zustellung der Klage zur Rechtshängigkeit, die Einreichung der Klage hingegen nur zur sog „Anhängigkeit“ (vgl Foerste in Musielak ZPO10 [2013] § 253 Rz 3; Saenger ZPO5 [2013] § 261 Rz 2; Becker-Eberhard in MünchKomm zur ZPO4 [2013] § 261 Rz 3). Auch § 232 Abs 1 öZPO spricht davon, dass die Rechtshängigkeit der Streitsache (Streitanhängigkeit) durch die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten begründet wird.

Es ist daher (mit Koch in KBB³ § 72 EheG Rz 1) der in § 72 EheG verwendete Begriff der Rechtshängigkeit dahin zu verstehen, dass ihr Eintritt auch die Zustellung der Klage erfordert, sodass kein inhaltlicher Unterschied zur Streitanhängigkeit iSd § 232 ZPO besteht.

2. Für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft spielt neben der Eheähnlichkeit auch eine gewisse Dauer, auf die sie eingerichtet ist und das Zusammenspiel der Elemente Wohn‑, Wirtschafts‑ und Geschlechtsgemeinschaft eine Rolle, wobei anerkannt ist, dass im Sinn eines beweglichen Systems nicht stets alle drei Merkmale vorhanden sein müssen, sondern der Wegfall eines Kriteriums durch das Vorliegen der anderen oder die Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt sein kann (RIS‑Justiz RS0047000; Linder in Gitschthaler/Höllwerth EuPR LebG‑Allgem Rz 13). Wie die maßgeblichen Kriterien für die Annahme einer Lebensgemeinschaft im konkreten Fall zu gewichten sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (3 Ob 186/09p mwN).

Die Klägerin, die ins Zentrum ihrer Argumentation stellt, dass ein Lebensmittelpunkt des Mannes in Wien nicht festgestellt werden konnte, übergeht damit die angesprochene Judikatur und andere positive Feststellungen. So war der Mann (vorerst) an der Wohnanschrift der Klägerin behördlich gemeldet und wohnte im Zeitraum Frühjahr 2006 bis Juni 2007 tatsächlich stets bei der Klägerin, wenn er sich nicht beruflich in Deutschland aufhielt; die beiden verbrachten die Zeiten seiner zahlreichen Aufenthalte in Wien gemeinsam und lebten eine enge, auch intime Beziehung in der sie zärtliche Zuwendung in der Öffentlichkeit zeigten. Das äußere Erscheinungsbild entsprach daher jenem einer Ehe, in der ein Ehegatte berufs- oder arbeitsplatzbedingt phasenweise nicht jeden Tag in die Ehewohnung zurückkehrt (zB Wochenpendler), sodass der Umstand der Berufstätigkeit des Mannes in Deutschland nicht mit dem Fehlen einer Wohngemeinschaft gleichzusetzen ist. Die Klägerin hebt weiters den Umstand hervor, dass der Mann sich nicht an den Wohnungskosten beteiligte; allerdings wurden diese ohnehin vom Vater der Klägerin getragen, weshalb es einer (Mit‑)Finanzierung durch den Mann gar nicht bedurfte und auch daraus keine gesicherten Rückschlüsse auf das Fehlen jeglicher Wirtschaftsgemeinschaft gezogen werden können, zumal ein Mindestmaß an gemeinsamen Wirtschaften ohnehin feststeht. Es hat auch keine Beschränkung auf die rein materielle Seite stattzufinden, weil es sich bei der Lebensgemeinschaft um eine aus einer seelischen Gemeinschaft und dem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus entstandene Bindung handelt (RIS‑Justiz RS0047064).

Wenn die Vorinstanzen bei der vorzunehmenden Gesamtschau eine Lebensgemeinschaft im vorliegenden Einzelfall bejahten, kann darin keine unvertretbare Fehlbeurteilung erblickt werden.

3. Die Redlichkeit des Empfängers von Unterhalt fehlt nicht erst bei auffallender Sorglosigkeit oder gar bei Vorsatz, sondern schon dann, wenn der Empfänger der Leistung zwar nicht nach seinem subjektiven Wissen, wohl aber bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit der ihm rechtsgrundlos ausgezahlten Beträge auch nur zweifeln hätte müssen (RIS‑Justiz RS0103057 [T4]). Unredlichkeit wird ua bei Entgegennahme von Unterhaltsleistungen trotz Ruhens des Anspruchs infolge Eingehens einer Lebensgemeinschaft durch den geschiedenen Ehegatten angenommen (3 Ob 209/99b; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth EuPR § 94 ABGB Rz 28).

Der Vorwurf der Revision, es fehle an Feststellungen zu unredlichem Verbrauch von Unterhaltsleistungen, ist unzutreffend. Es steht nämlich fest, dass der Mann vom 26. Juni bis 30. Oktober 2006 an der Wohnanschrift der Klägerin behördlich gemeldet war und von dort schon vor Einbringung der Unterhaltserhöhungsklage im Bemühen abgemeldet wurde, um den Eindruck einer Lebensgemeinschaft der Klägerin mit dem Mann zu verhindern. Die (auch) daran anknüpfende Beurteilung des Berufungsgerichts, der Klägerin könne (gemeint: vom Beginn der Lebensgemeinschaft an) ein gutgläubiger Verbrauch der Unterhaltsleistungen nicht zugebilligt werden, bedarf angesichts des erschließbaren Bewusstseins der Klägerin von den negativen Auswirkungen einer Lebensgemeinschaft auf ihren Unterhaltsanspruch keiner Korrektur.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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