OGH 1Ob585/93

OGH1Ob585/9321.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eva S*****, vertreten durch Dr. Götz Schattenberg und Dr. Ernst Moser, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Udo S*****, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterhalt (Revisionsinteresse 25.400 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 15. April 1993, GZ 18 R 190/93-21, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 14. Jänner 1993, GZ 1 C 82/92-13, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil, das in Ansehung seines klagsstattgebenden abändernden Teiles als unangefochten unberührt bleibt, wird im übrigen dahin abgeändert, daß es insgesamt wie folgt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zusätzlich zu dem mit Vergleich des Landesgerichtes Linz vom 7. Mai 1985, GZ 9 Cg 20/85-4, zur Zahlung übernommenen monatlichen Unterhaltsbetrages von 7.100 S sowie zusätzlich zu dem mit Teilanerkenntnisurteil des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 28. Juli 1992, GZ 1 C 82/92-4, für die Zeit ab 1. März 1992 zuerkannten monatlichen Unterhaltsbetrag von weiteren 1.000 S folgende weitere Unterhaltsbeträge zu bezahlen:

a) vom 18. Mai 1991 bis 31. Dezember 1991 monatlich 2.000 S,

b) vom 1. Jänner 1992 bis 29. Februar 1992 monatlich 3.400 S,

c) vom 1. März 1992 bis 30. Juni 1992 monatlich 2.400 S,

d) vom 1. Juli 1992 bis 30. September 1992 monatlich 1.000 S,

und

e) ab 1. Oktober 1992 monatlich 3.200 S.

Die bis zur Rechtskraft des Urteiles fällig werdenden Beträge sind binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden jeweils am Ersten eines jeden Monats im vorhinein zu bezahlen.

2. Das Mehrbegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, folgende weiteren Unterhaltsbeträge an die klagende Partei zu bezahlen:

a) vom 7. April 1991 bis einschließlich 17. Mai 1991 monatlich 2.740 S,

b) vom 18. Mai 1991 bis 31. Dezember 1991 monatlich 740 S,

c) vom 1. Jänner 1992 bis 30. Juni 1992 monatlich 1.785 S,

d) vom 1. Juli 1992 bis 30. September 1992 monatlich 3.185 S und

e) ab 1. Oktober 1992 monatlich 3.380 S,

wird abgewiesen.

3. Die Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.423,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 603,84 S Umsatzsteuer und 1.800 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 7. Mai 1985, GZ 9 Cg 20/85-5, gemäß § 55 Abs 1 EheG rechtskräftig mit dem Ausspruch geschieden, daß den Mann das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Der (hier beklagte) Mann verpflichtete sich im Scheidungsfolgenvergleich vom 7. Mai 1985 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 7.100 S ab 1. April 1985, zahlbar jeweils am 15. eines jeden Monats mit fünftägigem Respiro. Vereinbart war, daß die „clausula rebus sic stantibus“ mit der Einschränkung gelte, daß in Abänderung des § 69 Abs 2 EheG eine künftige Sorgepflicht des Beklagten für eine zweite Frau nicht Berücksichtigung finden solle. Der Beklagte erhielt spätestens Mitte April 1992 ein Schreiben der Klägerin, worin eine Unterhaltserhöhung gefordert wird. Die Klägerin brachte am 18. Mai 1992 ihre Klage auf Unterhaltserhöhung auch für die Vergangenheit ein.

Nach Teilanerkenntnisurteil vom 28. Juli 1992 (ON 4), worin sich der Beklagte zur Leistung eines weiteren Unterhalts von monatlich 1.000 S ab 1. März 1992 an die Klägerin verpflichtete, stellte die Klägerin zuletzt das Begehren auf Zahlung folgender weiterer Unterhaltszahlungen (zusätzlich zu dem ihr laut Vergleich zustehenden monatlichen Unterhaltsbetrag von 7.100 S): 2.740 S vom 7. April bis 31. Dezember 1991, 5.185 S vom 1. Jänner bis 29. Februar 1992, 4.185 S vom 1. März bis 30. September 1992 sowie 6.500 S ab 1. Oktober 1992. Begründet wurde dies mit gestiegener Leistungsfähigkeit des Beklagten und dem Wegfall der Sorgepflicht für den gemeinsamen Sohn.

Der Beklagte sprach sich gegen die rückwirkende Festsetzung eines erhöhten Unterhalts aus, weil die Voraussetzungen des § 72 EheG nicht vorlägen. Die Klägerin habe erstmals mit Schreiben vom 7. April 1992 konkret eine Erhöhung des Unterhalts gefordert.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt und sprach der Klägerin folgende weitere monatliche Unterhaltsbeträge zu: 2.000 S vom 18. Mai bis 31. Dezember 1991, 3.400 S vom 1. Jänner bis 29. Februar 1992, 2.400 S vom 1. März bis 30. Juni 1992, 400 S vom 1. Juli bis 30. September 1992 sowie 2.500 S ab 1. Oktober 1992. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Das Berufungsgericht änderte über Berufungen beider Parteien das Ersturteil teilweise dahingehend ab, daß es der Klägerin folgende monatlichen Unterhaltsbeträge zusprach: 2.400 S vom 15. April bis 30. Juni 1992, 1.000 S vom 1. Juli bis 30. September 1992 sowie 3.200 S ab 1. Oktober 1992; das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Die zweite Instanz ließ die ordentliche Revision zu und vertrat rechtlich, soweit hier relevant, die Auffassung, gemäß § 72 EheG könne Unterhalt für die Vergangenheit - abgesehen vom Fall der absichtlichen Entziehung von der Unterhaltspflicht - bei Verzug für ein Jahr und sonst nur ab dem Tag der Gerichtsanhängigkeit der Klage (somit nicht für die Vergangenheit) verlangt werden. Die Klägerin habe Unterhalt für die Vergangenheit begehrt, es sei aber bloß erwiesen, daß sie spätestens Mitte April 1992 durch ein konkretes Unterhaltsbegehren den Beklagten in Verzug gesetzt habe; der davor liegende Unterhalt sei daher verjährt. Einjährige Unterhaltsrückstände könnten ohne Verzug nicht begehrt werden. Es wäre sonst nicht erforderlich, daß der Berechtigte den Verpflichteten in Verzug setzt, wenn er ohnedies immer ein Jahr rückwirkend Unterhalt verlangen könne. Für das Tatbestandsmerkmal des In-Verzug-Setzens bleibe nur dann ein sinnvoller normativer Inhalt, wenn der Zeitpunkt „Rechtshängigkeit“ nichts anderes bedeute als den Zeitpunkt, an dem die Klage erhoben werde, ohne daß daraus eine weitere Rückwirkung auf ein Jahr abgeleitet werde. Damit bleibe die Frage, welchen sinnvollen normativen Inhalt der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit wohl habe, wenn das Bestehen und die Fälligkeit grundsätzlich Voraussetzung jedes gerichtlich geltendgemachten Anspruches sei. Doch werde dieses normative Element vor dem Hintergrund des alten Rechtssatzes „pro praeterito non alitur“ verständlich, wenn damit klargestellt werden sollte, daß Unterhalt nicht erst ab dem Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung oder ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Klage, sondern bereits mit gerichtlicher Geltendmachung verlangt werden könne. Auch die Entwicklung dieser Gesetzesbestimmung scheine diese Auslegung zu unterstützen. § 72 EheG sei deutschen Ursprungs. Im BGB habe ihm § 1580 III iVm § 1613 entsprochen. Von dieser Bestimmung weiche § 72 EheG durch die zusätzliche Einschränkung des Unterhaltsanspruchs für die länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegenden Zeit ab. Wenn ursprünglich also nur Verzug oder Rechtshängigkeit Anspruchsvoraussetzung gewesen sei und man dies durch das Einfügen einer Jahresfrist weiter habe einschränken wollen, könne sich die Jahresfrist nur auf den Verzugsfall beziehen. Diese Auslegung finde letztlich auch eine gewisse Stütze im Wortlaut des § 72 EheG, weil doch „von der Zeit der Rechtshängigkeit“ und nicht schlicht „ein Jahr vor Rechtshängigkeit“ Unterhalt verlangt werden könne.

Die Revision der Klägerin, die sich nur gegen die Teilabweisung von monatlichen Unterhaltsbeträgen von 2.000 S vom 18. Mai bis 31. Dezember 1991, von 3.400 S vom 1. Jänner bis 29. Februar 1992 und von 2.400 S vom 1. März bis 15. April 1992 wendet, ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Scheidungsfolgenvergleich der Streitteile enthält unter anderem die Konkretisierung des nach § 69 Abs 2 EheG geschuldeten Unterhalts und änderte nichts am Charakter eines gesetzlichen Unterhalts. Für einen derartigen Unterhaltsanspruch gelten die besonderen zeitlichen Beschränkungen des § 72 EheG (JBl 1992, 705; 6 Ob 545/91; Pichler in Rummel 2, Rz 2 zu § 72 EheG), die Bestimmung gilt auch für ein auf die Umstandsklausel gestütztes Begehren auf Unterhaltserhöhung (Zankl in Schwimann, Rz 1 zu § 72 EheG). Die Geltendmachung von Unterhaltsraten für vergangene Zeiträume ist im allgemeinen, seit der Entscheidung des verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes, wonach Unterhalt auch für die Vergangenheit begehrt werden kann (SZ 61/143 = JBl 1988, 586 = EvBl 1988/123 = EFSlg XXV/3 und ihm folgend weitere Entscheidungen), nur durch die Verjährung beschränkt. Die davon nicht berührte (JBl 1990, 800; EFSlg 57.280 ua) Sondervorschrift des § 72 EheG für den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten ist dem gegenüber insofern enger, weil sie dem geschiedenen Ehegatten für die Vergangenheit uneingeschränkt grundsätzlich nur solche Unterhaltsbeträge zugesteht, in Ansehung derer der Unterhaltspflichtige seine Unterhaltspflicht absichtlich hintertrieben hat (Pichler aaO Rz 3 zu § 72 EheG). Von einer absichtlichen Entziehung des unterhaltspflichtigen Beklagten iS des § 72 letzter Halbsatz EheG und der sodann gegebenen zeitlichen Beschränkung (nur) durch die Verjährungsbestimmung des § 1480 ABGB ist hier nicht auszugehen.

Nach § 72 EheG kann der Berechtigte für die Vergangenheit Erfüllung .... erst von der Zeit an fordern, in der der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig - das heißt bei Gericht anhängig (§ 41 JN) - geworden ist, für eine längere als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegende Zeit jedoch nur, soweit anzunehmen ist, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat. Die Frage, ob die Geltendmachung von einjährigen Unterhaltsrückständen bei Rechtshängigkeit Verzug des Schuldners voraussetzt (so die zweite Instanz), wurde vom Obersten Gerichtshof bereits in der Entscheidung JBl 1990, 800 = EFSlg 63.521 im verneinenden Sinn entschieden. Ausgeführt wurde, die Rechtshängigkeit für den dort (mit Eventualbegehren) geltend gemachten Anspruch sei am 20. April 1989 eingetreten. Bei dieser Sachlage sei es unverständlich, wie die Vorinstanzen grundsätzlich einen Anspruch der Klägerin auf zusätzlichen Unterhalt für das Jahr 1988 schlechthin verneinen könnten; die Jahresfrist von der Rechtshängigkeit zurückgerechnet reiche nämlich weit in das Jahr 1988 hinein. Das Berufungsgericht könne kaum die Rechtsansicht vertreten haben, daß zwar bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 72 letzter Halbsatz EheG Unterhalt für einen Zeitraum, der länger als ein Jahr vor Rechtshängigkeit liege, begehrt werden könne, nicht jedoch für einen Zeitraum von einem Jahr vor der Rechtshängigkeit. Eine derartige Auslegung wäre unsinnig. Sollte das Berufungsgericht aber die Rechtsansicht vertreten haben, daß sich die Frist des § 72 EheG nur auf Unterhaltsbeträge richte, mit denen der Unterhaltspflichtige in Verzug geraten sei, so könne für diese Rechtsansicht im Wortlaut des § 72 EheG keine Deckung gefunden werden. Eine solche Auslegung würde nämlich der Statuierung eines Anspruches ab Rechtshängigkeit jeden Sinn nehmen, weil der ab Rechtshängigkeit begehrte Unterhalt kein Unterhalt für die Vergangenheit wäre. Bei richtiger Auslegung des § 72 EheG könne demnach auch ohne Verzug Unterhalt für die Zeit von einem Jahr vor Rechtshängigkeit gefordert werden. In der Entscheidung JBl 1992, 705 = ÖA 1992, 86 wurde diese Auffassung bekräftigt: Der unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatte könne seinen früheren Ehepartner nur durch ein konkretes Unterhaltsbegehren in Schuldnerverzug setzen. Im Hinblick darauf, daß die Klage am 26. Jänner 1990 beim Erstgericht eingebracht worden sei, stehe der Klägerin (nur) für Jänner 1989 kein Unterhaltsanspruch zu; da in diesem Rechtsfall die Klägerin rückständigen Unterhalt ab Jänner 1989 begehrte, wurde Unterhalt für die Vergangenheit bei Rechtshängigkeit - auch ohne In-Verzug-Setzung - zugesprochen. In der Entscheidung JBl 1991, 589 wurde demgegenüber unter Berufung auf Pichler (aaO Rz 1 zu § 72 EheG) die Auffassung vertreten, nach § 72 EheG könne die Beklagte als geschiedene Ehegattin, wenn keine absichtliche Unterhaltsentziehung vorliege, Unterhalt für die Vergangenheit erst von der Zeit an fordern, in der der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen sei, längstens aber ein Jahr vor Rechtshängigkeit. Zur Frage, ob Rechtshängigkeit ohne Verzug zur Forderung einjähriger Unterhaltsrückstände berechtige, wird nicht weiter Stellung genommen. Dagegen wurde in der nicht veröffentlichten Entscheidung 8 Ob 626/87 erkennbar davon ausgegangen, daß die Klagseinbringung allein nicht zur Geltendmachung einjähriger Unterhaltsrückstände berechtige, weil den Tatsacheninstanzen Feststellungen darüber aufgetragen wurden, wann die (dortige) Klägerin den ihr ihrer Ansicht nach in höherem Ausmaß zustehenden Unterhalt betragsmäßig bestimmt eingemahnt habe. Auch in der Entscheidung 6 Ob 545/91 wurde die Ansicht vertreten, angesichts des Entfalls einer beiderseitigen Interessenwahrung von Eheleuten nach Aufhebung der umfassenden familienrechtlichen Beziehungen durch die Ehescheidung obliege es dem unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten, seinen früheren Ehepartner durch ein konkretes Unterhalts(erhöhungs)begehren in Verzug zu setzen, falls er einen Unterhaltsanspruch für Zeiten vor einer prozessualen Geltendmachung nicht verlieren wolle. Auch bei Wahrung dieser positiv aufgestellten Anspruchsvoraussetzung gebühre für mehr als ein Jahr vor der prozessualen Geltendmachung des Unterhaltsbegehrens liegende Zeiträume Unterhalt nur unter der weiteren Voraussetzung, daß sich der Unterhaltspflichtige seiner Leistung absichtlich entzogen habe.

In der Lehre stellt Pichler (aaO Rz 1 zu § 72 EheG) für die Berechtigung des geschiedenen Ehegatten, Unterhalt für die Vergangenheit zu fordern, Verzug und Rechtshängigkeit (der Klage) gleich, ohne bei der Rechtshängigkeit zusätzlich Verzug zu fordern. Sei Verzug vor Rechtshängigkeit eingetreten, so könne ab Verzug, nicht aber länger als ein Jahr vor Rechtshängigkeit Unterhalt begehrt werden. Schwind (in Klang2 I/1 893 f) bejaht, daß in den beiden zur Erörterung stehenden Fällen des Verzuges und der Rechtshängigkeit grundsätzlich Unterhalt ..., für längstens ein Jahr vor Rechtshängigkeit verlangt werden kann, und verlangt bei Rechtshängigkeit nicht überdies das Tatbestandsmerkmal Verzug. Zankl (aaO Rz 1 zu § 72 EheG) vertritt dagegen die Auffassung, dem geschiedenen Ehegatten stünden für die Vergangenheit nur solche Unterhaltsbeträge zu, die auf die Zeit nach Eintritt der Rechtshängigkeit entfallen oder mit denen der Unterhaltspflichtige (bis zu einem Jahr vor Eintritt der Rechtshängigkeit) in Verzug geraten sei; dies gelte auch für ein auf die Umstandsklausel gestütztes Begehren auf Unterhaltserhöhung. Die Bestimmung sei, weil deutscher Herkunft, im Sinne des BGB auszulegen (aaO Rz 5). Koziol (Unterhaltsansprüche für die Vergangenheit und Regreßansprüche eines Drittzahlers in JBl 1978, 626 ff, 629) führt aus, daß (nur) dann, wenn der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen sei, für ein Jahr vor der Rechtshängigkeit Unterhalt begehrt werden könne.

In der deutschen Lehre vertreten Scanzoni (Das großdeutsche Ehegesetz vom 6. Juli 19383, Rz 1 zu § 72 dEheG), Volkmar-Ficker (Kommentar zum Ehegesetz vom 6. Juli 1938, Anm 2 zu § 72 dEheG), Godin (Ehegesetz vom 20. Februar 19462, 314) und Hoffmann-Stephan (Kommentar zum Ehegesetz 19682, Rz 8 zu § 64 dEheG, der wörtlich § 72 dEheG 1938 entspricht), erkennbar davon ausgehend, daß bei der Natur des Unterhaltsanspruchs eine Befriedigung von Bedürfnissen in der Vergangenheit nicht möglich sei und daher § 72 EheG die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für die Vergangenheit weitgehend ausschließe, die Ansicht, für die Vergangenheit könnten - abgesehen vom hier nicht zu beurteilenden Fall des § 72 letzter Halbsatz EheG - nur die nach Eintritt der Rechtshängigkeit fällig gewordenen Unterhaltsraten und die bis zu einem Jahr vor Eintritt der Rechtshängigkeit fällig gewordenen Unterhaltsraten, mit denen der Unterhaltspflichtige im Verzug sei, begehrt werden.

Nach Auffassung des erkennenden Senates ist an der Rechtsansicht festzuhalten, daß der geschiedene Ehegatte nach § 72 EheG einjährige Unterhaltsrückstände ab Rechtshängigkeit fordern kann, ohne daß es dabei auch der In-Verzug-Setzung bedürfte. Dies allein entspricht der Wortinterpretation. Es ist schon begrifflich unmöglich, einen ab Rechtshängigkeit zugesprochenen Unterhalt als solchen für die Vergangenheit - was § 72 EheG allein regelt - zu bezeichnen. Darüber hinaus spricht aber noch folgendes Argument für diese Ansicht: Die Auffassung, daß die Forderung von Unterhalt für die Vergangenheit voraussetzt, daß der Schuldner in Verzug gesetzt wurde, ist sichtlich von der Rechtsansicht geprägt, daß Unterhalt für die Vergangenheit grundsätzlich nicht begehrt werden kann. Von diesem Grundsatz geht § 1585 b BGB aus, dessen Abs 2 und 3 inhaltlich der Bestimmung des § 72 EheG entsprechen. Dieckmann (in Erman, BGB Handkommentar Rz 1 zu § 1585 b) verweist zu dieser Gesetzesstelle darauf, daß Wortlaut und Aufbau der Bestimmung den Regelungsgegenstand nicht ohne weiteres erkennen lassen. Nach Richter (in Münchener Kommentar2 Rz 1 zu § 1585 b BGB) liegt der Gesetzesbestimmung (wie auch der Regelung des § 1613 BGB im Recht des Verwandtenunterhalts) der Gedanke zugrunde, daß die Befriedigung von Bedürfnissen einer zurückliegenden Zeit nicht möglich sei und deshalb grundsätzlich keine Notwendigkeit bestehe, darauf beruhende Ansprüche fortdauern zu lassen (in praeterium non vivitur; in diesem Sinn auch Dölle, Familienrecht I, § 41 III 4 c). Darüber hinaus solle der Unterhaltsschuldner auch vor Härten geschützt werden, die sich aus einer Inanspruchnahme für eine Zeit ergeben können, in der er mit dem Unterhaltsanspruch noch nicht rechnen mußte. Auch der Entscheidung des Plenarsenates des Obersten Gerichtshofes vom 24. Oktober 1860, GlU 1.214, lag der Gedanke zugrunde, daß der Verpflichtete die Verpflegung nicht noch einmal in Anspruch nehmen könne. Zur weiteren Fundierung dieses Grundsatzes wurde in gleicher Weise geltend gemacht, daß der Unterhaltspflichtige mit der Einforderung erheblicher rückständiger Unterhaltsforderungen überrascht werden könnte. Von dieser Auffassung ist aber der verstärkte Senat in seiner Entscheidung vom 9. Juni 1988, SZ 61/143, abgegangen. Im Lichte dieser Entscheidung und nicht unter Heranziehung der zu den § 72 EheG vergleichbaren Bestimmungen des deutschen BGB, deren Grundgedanken für den österr. Rechtsbereich als überholt angesehen werden müssen, ist auch die Bestimmung des § 72 EheG auszulegen (ähnlich schon SZ 61/143, S 720). Demnach ist die Einforderung von Unterhaltsrückständen grundsätzlich - soweit nicht wie dies in § 72 EheG der Fall ist - eine Sonderregelung besteht, nur durch die Verjährung beschränkt. Der gesetzliche Unterhaltsanspruch verliert oder ändert seine Eigenschaften mit Ablauf der Unterhaltsperiode, für die er geschuldet wird, nicht; vor allem ist eine Mahnung nicht erforderlich, um den Unterhaltsanspruch seiner Höhe nach zur Entstehung zu bringen. Eine einschränkende Auslegung unter dem Gesichtspunkt, daß Unterhalt für die Vergangenheit nicht gefordert werden kann, ist nicht geboten.

Demnach ist aber nach § 72 EheG die Einforderung eines einjährigen Unterhaltsrückstandes ab Klagseinbringung unabhängig davon zulässig, ob und wann der Schuldner (durch Mahnung) in Verzug gesetzt wurde.

Daraus ergibt sich für den vorliegenden Rechtsfall folgendes Ergebnis: Unangefochten blieb die erstgerichtliche Abweisung des Klagebegehrens für den Zeitraum 7. April 1991 bis 17. Mai 1991. Für den Zeitraum 18. Mai 1991 bis 31. Dezember 1991 ist entgegen der Auffassung der zweiten Instanz in Übereinstimmung mit dem Erstgericht Unterhalt zuzusprechen. Für den Zeitraum 1. Jänner bis 14. April 1992 ließ die Klägerin die Teilabweisung von monatlich 1.785 S unbekämpft, die Anfechtung des Zuspruchs von Unterhaltsbeträgen in der Berufung des Beklagten war nur auf „Verjährung“ nach § 72 EheG gestützt und richtete sich nicht gegen die Höhe der Unterhaltsbeträge, sodaß insoweit ein weiteres Verfahren in zweiter Instanz entbehrlich ist. Für den Zeitraum ab 15. April 1992 ist der Zuspruch und die Teilabweisung von Unterhaltsbeträgen durch die Vorinstanzen nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens. Auch die Klägerin strebt jetzt, anders als in der Berufung, eine Erhöhung ihres Unterhaltes für 1991 nicht mehr an. Zur besseren Übersicht werden die Verfahrensergebnisse, ausgehend vom Klagebegehren und der Klagsstattgebung in allen drei Instanzen (jeweils monatlich) zusammengefaßt:

Zeitraum Klagebegehren Zuspruch

1. Instanz

7.4.-17.5.1991 2.740 S 0

18.5.-31.12.1991 2.740 S 2.000 S

1.1.-29.2.1992 5.185 S 3.400 S

1.3.-14.4.1992 4.185 S 2.400 S

15.4.-30.6.1992 4.185 S 2.400 S

1.7.-30.9.1992 4.185 S 400 S

ab 1.10.1992 6.580 S 2.500 S

Zuspruch Zuspruch

2. Instanz 3. Instanz

0 0

0 2.000 S

0 3.400 S

0 2.400 S

2.400 S 2.400 S

1.000 S 1.000 S

3.200 S 3.200 S

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, für das Berufungsverfahren iVm § 50 ZPO, für das Revisionsverfahren auf §§ 41, 50 ZPO.

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