OGH 12Os141/12w

OGH12Os141/12w4.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Juli 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bandarra als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard H***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 10. Mai 2012, GZ 13 Hv 145/10t-70, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das einen unbekämpft gebliebenen Freispruch enthält, wurde Gerhard H***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./1./), des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (I./2./) sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er

I./ in der Zeit vom 9. Juli 2010 bis 12. Juli 2010 in B*****

1./ mit der am 26. Dezember 1998 geborenen, daher unmündigen Caroline W***** durch Massieren im Genitalbereich eine geschlechtliche Handlung vorgenommen und dadurch, dass er sie mindestens zweimal aufforderte, seinen Penis in die Hand zu nehmen, wobei es einmal zum Samenerguss kam, von einer unmündigen Person geschlechtliche Handlungen an sich vornehmen lassen;

2./ dadurch, dass er in Gegenwart der am 26. Dezember 1998 geborenen, daher unmündigen Caroline W***** seinen Geschlechtsteil entblößte und onanierte, eine Handlung, die geeignet war, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen Person vorgenommen, um dadurch sich geschlechtlich zu erregen;

II./ am 8. Februar 2009 in K***** dadurch, dass er Mag. Alexander Z***** mit der linken Hand in das Gesicht schlug, diesen in Form einer Zerrung der Halswirbelsäule, vorsätzlich am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Schuldsprüche I./1./ und I./2./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Der Beschwerde zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Einholung eines neuerlichen vollständigen aussagepsychologischen Gutachtens unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Standards zum Beweis dafür, dass auch bei angenommener grundsätzlicher Aussagetüchtigkeit und -fähigkeit die Aussage der Zeugin Caroline W***** auch ohne reale Erlebnisgrundlage in der vorliegenden Form zustande gekommen sein kann und dies auch dann, wenn die Zeugin keine Motivation hat, eine 'bewusste' Falschbeschuldigung zu tätigen“ (ON 68 S 20 iVm ON 52 S 14), Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht beeinträchtigt.

Gemäß § 127 Abs 3 Satz 1 StPO ist bei Unbestimmtheit des Befundes oder bei Widersprüchlichkeiten oder sonstigen Mängeln im Gutachten zunächst zu versuchen, diese durch Befragung des Sachverständigen zu beseitigen (Verbesserungsversuch). Ist auf diese Weise zwar nach Ansicht der Staatsanwaltschaft bzw des Gerichts, nicht aber nach Auffassung des Angeklagten eine Mängelbehebung geglückt, kann der Betreffende einen auf § 55 Abs 1 StPO gestützten Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellen. Mit Blick auf § 127 Abs 3 erster Satz StPO hätte der Beschwerdeführer darlegen müssen, weshalb die Sachverständige Mag. Dr. Sabine V***** die behaupteten Bedenken in der Hauptverhandlung nicht aufklären konnte und weshalb das Gutachten trotz mehrfach erfolgter Erörterung und Ergänzung (ON 43, 52 und 62) weiterhin Mängel iSd § 127 Abs 3 StPO aufweisen würde (vgl Hinterhofer in WK-StPO zu § 127 Rz 16 mwN; RIS-Justiz RS0102833). Der Rechtsmittelwerber setzt sich demgegenüber mit den ergänzenden Ausführungen der Sachverständigen, die zur Kritik an der Methodik ihres Gutachtens explizit Stellung nahm und die ihr die dazu (auch vom Verteidiger) gestellten Fragen ausführlich beantwortete (ON 52 S 3 ff; ON 43 S 3 ff) nicht auseinander und übergeht auch deren Ausführungen zu den Bereichen Aussagegenese und Aussagemotivation (ON 62 S 16 f) sowie Hypothesenbildung (ON 52 S 3 ff, S 9 ff). Abgesehen davon vermag er nicht aufzuzeigen, worin die Unvollständigkeit des Gutachtens gegründet sein soll. Mit dem Antragsvorbringen, wonach trotz der vorgenommenen Erörterung massive Bedenken gegen die Vollständigkeit des aussagepsychologischen Teils des Gutachtens bestehen und eine Verbesserung hinsichtlich der nachträglichen Hypothesenbildung zu erwarten sei (ON 52 S 14), wurden hingegen keine Mängel iSd § 127 Abs 3 erster Satz StPO aufgezeigt.

Der Sache nach zielt der Antrag nur auf eine abermalige Überprüfung der gerichtlich eingeholten Expertise ab, obwohl die Überzeugungskraft eines iSd § 127 Abs 3 erster Satz StPO mängelfreien Gutachtens der freien Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts unterliegt (RIS-Justiz RS0098347; RS0097433; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351).

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet Undeutlichkeit, Unvollständigkeit und Widersprüchlichkeit des Ausspruchs über die entscheidenden Tatsachen. Weiters seien keine oder nur offenbar unzureichende Gründe für den Ausspruch angegeben.

Unvollständig im Sinn der Z 5 ist ein Urteil, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421 mwN). Offenbar unzureichend ist eine Begründung, welche den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444 mwN). Der Einwand, das Schöffengericht habe die Beweiswürdigung faktisch an die Gutachterin ausgelagert, ohne sich im Detail mit dem Gutachten und der Kritik der Verteidigung daran auseinanderzusetzen, übergeht einerseits die beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter, weshalb diese das Gutachten für stichhältig erachteten (US 6) und andererseits deren Auseinandersetzung mit sämtlichen anderen vorliegenden Beweisergebnissen (US 5 ff). Der Beschwerde zuwider befasst sich das Erstgericht unter Einbeziehung des Sachverständigengutachtens mit der Entstehung und Entwicklung der Aussage der Zeugin Caroline W***** (US 6 f). Dass diese Überlegungen gegen Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze verstoßen (RIS-Justiz RS0118317), vermag der Rechtsmittelwerber nicht aufzuzeigen.

Die Kritik einer fehlenden Auseinandersetzung mit der Konstanzanalyse und dem (angeblichen) Detailreichtum der Aussage des Opfers sowie mit der Tatsache, dass der Zeuge Mag. Robert W***** vom tatsächlichen Geschehen eines sexuellen Übergriffs überzeugt gewesen und die Voreinstellung eines Befragers ein wichtiges Kriterium für das Zustandekommen einer Aussage sei, geht ins Leere, weil die erkennenden Richter - den diesbezüglichen Aussagen der Sachverständigen (ON 47 S 53; ON 52 S 6 f) folgend - diese Punkte in ihre Abwägungen miteinbezogen (US 6 und 7). Das Gebot zur gedrängten Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) verlangt - entgegen dem Beschwerdestandpunkt - keineswegs, den Inhalt von Verfahrensergebnissen in extenso zu erörtern (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428 mwN).

Die Behauptung des Beschwerdeführers, das Schöffengericht habe sich nur mit drei von neunzehn Realkennzeichen befasst, übergeht die in der Hauptverhandlung erfolgte Auseinandersetzung der Sachverständigen mit allen neunzehn Realkennzeichen (ON 47 S 63 ff iVm ON 52 S 5 f) und die nachfolgende Berücksichtigung dieses Gutachtens durch die Tatrichter (US 6).

Ein Begründungsmangel ist überdies nicht schon deshalb gegeben, weil nicht der vollständige Inhalt sämtlicher Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtert wird (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428), sodass auch der Einwand, die Chat-Protokolle seien im Urteil übergangen worden, verfehlt ist, haben die Tatrichter doch auch diese einer zusammenfassenden Würdigung unterzogen (US 9).

Gleichfalls als unberechtigt erweist sich die Rüge, der erkennende Senat hätte die Annahme einer suggerierten Aussage der Zeugin Caroline W***** vernachlässigt, zumal die Sachverständige diese Möglichkeit mehrfach ausführlich erörtert hatte (ON 35 S 29, S 31; ON 47 S 59 f; ON 52 S 6, S 8, S 11) und das Schöffengericht diese Verfahrensergebnisse in seine Erwägungen miteinbezog (US 6 f).

Eine vom Nichtigkeitswerber bloß spekulativ behauptete Suggestivwirkung einer therapeutischen Behandlung des Tatopfers bedurfte hingegen keiner Erörterung durch die Sachverständige.

Auch im Betreff des urologischen Sachverständigengutachtens zeigt der Nichtigkeitswerber keine Mängel (§ 127 Abs 3 erster Satz StPO) auf, sodass der Einwand einer unterbliebenen näheren Auseinandersetzung des Erstgerichts mit dem Inhalt des als mängelfrei beurteilten Sachverständigengutachtens (US 9) verfehlt ist. Spekulative Erwägungen des Beschwerdeführers zum Wahrscheinlichkeitsgrad der angelasteten Masturbation trotz gutachterlich konstatierter Harnröhrenentzündung bedurften keiner Erörterung durch das Schöffengericht, zumal die Beschwerde nicht aufzuzeigen vermochte, dass die Überlegungen der Tatrichter bezüglich des urologischen Gutachtens gegen Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze verstoßen (RIS-Justiz RS0118317).

Der im Zusammenhang mit der Verfahrens- und der Mängelrüge gestellte Antrag im Nichtigkeitsverfahren ein Gutachten darüber einzuholen, dass das Gutachten der Sachverständigen V***** nicht den Kriterien eines sach- und fachgerechten aussagepsychologischen Gutachtens entspreche, verkennt das im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde geltende Neuerungsverbot (Ratz, WK-StPO Vor § 280 Rz 14).

Inwieweit das Urteil undeutlich oder mit sich selbst im Widerspruch stehen sollte, wird vom Beschwerdeführer nicht ausgeführt, sodass dieser Einwand keiner inhaltlichen Erledigung zugänglich ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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