OGH 8Ob26/12z

OGH8Ob26/12z5.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien ***** GmbH KG I, *****, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Atzl, Dillersberger und Bronauer in Kufstein, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch Dr. Klaus Nuener, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. November 2011, GZ 1 R 77/11x‑32, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 4. Dezember 2010, GZ 4 C 793/02t‑27, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 2.648,95 EUR (darin enthalten 441,49 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die klagende Leasinggeberin schloss mit der Rechtsvorgängerin der beklagten Leasingnehmerin am 12. Oktober 1998 einen Leasingvertrag zur Nutzung zweier Grundstücke und der Errichtung einer Tankstelle mit diversen Gebäuden ab. Der Vertrag wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, er enthält jedoch einen Kündigungsverzicht der Leasingnehmerin für 20 Jahre. Der von der Leasinggeberin zur Verfügung zu stellende Finanzierungsbetrag wurde mit 24 Mio ATS vereinbart. Baukosten, die den Finanzierungsbetrag überschreiten, sind nach dem Vertrag in Form einer „Mietvorauszahlung“ von der Leasingnehmerin zu tragen. Dass die Baukosten den Finanzierungsbetrag übersteigen werden, war den Vertragsparteien schon bei Vertragsabschluss bewusst. Ferner wurde dem Geschäftsführer der Leasingnehmerin für die Zeit nach Ablauf von 20 Jahren eine Kaufoption zu einem festgelegten Preis (Restwert) eingeräumt. Als ein Grund für eine vorzeitige Vertragsauflösung durch die Leasinggeberin wurde ua der qualifizierte Verzug mit Leasingraten oder sonstigen Zahlungsverpflichtungen aus dem Leasingvertrag vereinbart. Bei vorzeitiger Vertragsauflösung durch die Leasinggeberin erhält die Leasingnehmerin den Verwertungserlös. Als sich Anfang 1999 ergeben hatte, dass die Baukosten 24 Mio ATS übersteigen, vereinbarten die Vertragsparteien eine monatliche Sonderzahlung der Leasingnehmerin, die bis Frühjahr/Sommer 2001 geleistet werden sollte, weil dann nach Fertigstellung die endgültigen Baukosten und damit auch der Differenzbetrag zu den 24 Mio ATS feststehen und gezahlt werden sollte.

Den Planungsauftrag für die Tankstelle erteilte die Leasingnehmerin. Die Klägerin zahlte die Errichtungskosten.

Mit Schreiben vom 10. 8. 2001 teilte die Klägerin der Beklagten die entstandenen Gesamtkosten mit 33.855.825,04 ATS netto mit. Nachdem die Beklagte bemängelte, dass sie sich „nicht auskenne“ übermittelte die Klägerin mit Schreiben vom 12. 11. 2001 eine Neuabrechnung unter Anschluss sämtlicher bezahlter Rechnungen. Die Klägerin teilte der Beklagten nun mit, dass sich nach Abrechnung aller Kosten ein Finanzierungsbetrag von 37.656.810,02 ATS netto ergeben habe. Mit Schreiben vom 11. 1. 2002 übermittelte die Klägerin der Beklagten unter Anschluss aller Rechnungen eine (weitere) neuerliche Abrechnung, in der der Finanzierungsbetrag mit 2.220.730,74 EUR netto bekanntgegeben wurde.

Am 15. 3. 2002 klagte die Klägerin die Beklagte zu 4 C 322/02b des Erstgerichts auf Zahlung von 647.176,24 EUR an, über die vereinbarten Investitionskosten von 24 Mio ATS und bereits geleisteten Zahlungen hinausgehenden Investitionskosten. Das Klagebegehren wurde von der Beklagten mit der Behauptung, die Abrechnung sei unrichtig, der Klagebetrag nicht fällig, bestritten.

Mit Urteil vom 9. 8. 2010 wurden der Klägerin im Verfahren 4 C 322/02b 609.571,60 EUR an, über das Investitionsvolumen von 24 Mio ATS und sonstige Zahlungen hinausgehenden Baukosten zugesprochen. Die Beklagte wurde überdies verpflichtet, 18 % Zinsen aus 561.317,66 EUR seit 29. 3. 2002 zu leisten.

Bereits am 25. 6. 2002 hatte die Klägerin die Beklagte aufgefordert, den detailliert abgerechneten Betrag von 666.975,31 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen, anderenfalls sie die vorzeitige Auflösung nach dem Leasingvertrag erkläre.

Da die Beklagte nicht zahlte, brachte die Klägerin am 14. 8. 2002 die vorliegende Räumungsklage ein.

Das Erstgericht gab der Räumungsklage statt. Beim Vertragsverhältnis der Parteien handle es sich um einen Immobilien‑Leasingvertrag, bei dem kauf- und kreditvertragliche Elemente die Elemente der Gebrauchsüberlassung überwiegen. Die Klägerin habe sich daher auf die im Vertrag vereinbarte Auflösungsbestimmung berufen können. Auch wenn man die Anwendbarkeit des § 33 MRG bejahe, sei das Räumungsbegehren berechtigt, weil die Beklagte am Zahlungsverzug ein grobes Verschulden treffe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die rechtliche Qualifikation des Vertragsverhältnisses durch das Erstgericht und erachtete das MRG ebenfalls als nicht anwendbar. Hier gehe es nicht um die vorübergehende Beschaffung der Gebrauchsmöglichkeit, sondern um den dauernden Einsatz des Wirtschaftsgutes und die Vorfinanzierung. Die Klägerin sei daher zur Vertragsauflösung berechtigt gewesen, zumal die Fälligkeit ihrer Forderung mittlerweile gerichtlich festgestellt worden sei. Selbst wenn man das MRG anwende, sei das Räumungsbegehren berechtigt. Zum einen könne sich ein Mieter, der ‑ wie hier ‑ mit Geldleistungen in Verzug sei, die kein Entgelt für die Gebrauchsüberlassung darstellten, nicht auf § 33 Abs 2 MRG berufen; zum anderen sei das Erstgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagten grobes Verschulden am Zahlungsverzug zur Last falle. Dass die Klägerin den Vertrag verspätet aufgelöst habe, habe die Beklagte in erster Instanz nicht geltend gemacht. Außerdem sie dieser Einwand unberechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht mit der Begründung zugelassen, dass es an Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Anwendbarkeit der Bestimmungen des MRG auf Leasingverträge fehle.

I. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dabei hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass eine Begründung, die für die Entscheidung des Falls nicht erforderlich ist, auch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage, von der die Entscheidung iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt, nachzuweisen vermag (RIS‑Justiz RS0042736; Zechner in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 502 ZPO Rz 60).

Dies ist hier der Fall.

II. Das Finanzierungsleasing ist eine Form der Investitionsfinanzierung, bei der an die Stelle des Eigentumserwerbs an den Anlagegütern die bloße Gebrauchsüberlassung tritt (3 Ob 12/09z; Würth in Rummel, ABGB³ § 1090 Rz 27). Der Leasinggeber erwirbt bzw errichtet eine den Wünschen des Leasingnehmers, der das Leasinggut seinerseits bei einem Dritten (Lieferanten, Hersteller, Händler) ausgesucht hat, entsprechende Sache, um sie dem Leasingnehmer für bestimmte Zeit zum Gebrauch zu überlassen (3 Ob 12/09z mwN). Im Übrigen übernimmt der Leasinggeber nur die Finanzierungsaufgabe und trägt das Kreditrisiko, also das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Leasingnehmers. Er ist durch sein Eigentum an der Sache gesichert (RIS‑Justiz RS0019456). Typischerweise ist die Vertragsgestaltung im Interesse des Leasinggebers auf eine Amortisation des eingesetzten Kapitals zuzüglich Finanzierungskosten und angemessenen Gewinns gerichtet (3 Ob 12/09z). Dabei wird dieses Ziel beim Vollamortisationsleasing dadurch erreicht, dass der Vertrag bis zu einem Zeitpunkt unkündbar ist („Grundlaufzeit“) und die Summe der bis dahin zu entrichtenden Raten alle Aufwendungen für die Anschaffung und Refinanzierung sowie einen Gewinn abdeckt. Beim „Teilamortisationsleasing“ wird die angestrebte volle Amortisation dadurch gewährleistet, dass neben der Summe der Leasingraten auch der erwartete oder kalkulierte Restwert des Leasingguts eine maßgebende Rolle spielt und der Leasingnehmer entweder das Leasinggut zum vereinbarten Restwert zu übernehmen oder unabhängig davon dem Leasinggeber den kalkulierten Restwert zu garantieren hat (3 Ob 12/09z mwN). Der Leasingnehmer trägt das Risiko der Wertminderung; ihm kommt aber auch eine allfällige Wertsteigerung zugute (RIS‑Justiz RS0120830). Je nach der Ausgestaltung ist die Frage zu beantworten, ob die Elemente des Kaufs oder der Miete überwiegen oder ob ein Vertrag „sui generis“ vorliegt (3 Ob 12/09z). Der Oberste Gerichtshof hat auch bei Immobilien‑Leasingverträgen jeweils auf die konkrete Ausgestaltung der Verträge abgestellt (allgemein RIS‑Justiz RS0020007), ist aber ‑ zur Vermeidung der Umgehung von zwingenden Schutznormen des MRG ‑ meist zu einem Überwiegen der mietvertraglichen Elemente gelangt (RIS‑Justiz RS0020782; 3 Ob 28/99k; 3 Ob 36/07a; ähnlich etwa Würth in Rummel², § 1090 Rz 35 mwN; Iro in KBB², § 1090, Rz 6 mwN). Gegenläufig fällt hier wohl ins Gewicht, dass die Ausgestaltung des Leasingobjekts nach den Vorstellungen der Leasingnehmerin erfolgte und diese für einen offenbar der Lebensdauer angenäherten Zeitraum einen Kündigungsverzicht abgab, sich die Leasinggeberin auf die Finanzierung eines bestimmten Betrags beschränkte und die Verwertung des Leasingobjekts bei vorzeitiger Vertragsauflösung auch der Leasingnehmerin zukommen sollte. Einer umfassenden Aufarbeitung der vertraglichen Vereinbarungen im Einzelfall, die notwendig wäre, um abschließend beurteilen zu können, ob noch von einem Überwiegen der mietvertraglichen Elemente auszugehen ist, bedarf es aber hier nicht, weil es darauf ‑ wie auch schon die Vorinstanzen richtig erkannt haben ‑ letztlich gar nicht ankommt.

III. Selbst im Fall der von der Beklagten geforderten Anwendbarkeit des MRG ist nämlich die Vertragsaufhebung wegen Zahlungsrückständen der Beklagten nach § 1118 ABGB iVm § 29 Abs 1 Z 5 MRG berechtigt. Zwar ist die vertragliche Erweiterung der Auflösungsgründe des § 1118 ABGB um andere Tatbestände im Anwendungsbereich des MRG unzulässig (RIS‑Justiz RS0020872; RIS‑Justiz RS0020998). Unter

§ 1118 ABGB fallen aber neben dem Mietzins etwa auch Betriebskosten, Wertsicherungsbeträge und Heizungszuschläge oder auch Erhaltungs‑ und Verbesserungsbeiträge (RIS‑Justiz RS0021135, RS0026252, RS0021034, RS0021128), ja selbst Dienstleistungen (1 Ob 265/98x). Ausgehend von den Besonderheiten des Finanzierungsleasings ist ‑ auch unter Beachtung der Bezeichnung durch die Parteien ‑ eine Qualifikation der offenen Beträge als Mietzins iSd § 1118 ABGB jedenfalls in dem sonst den Leasingraten entsprechenden Umfang nicht unvertretbar. Nähere Ausführungen dazu, warum dies nicht zutreffen sollte, finden sich in der Revision auch gar nicht. Der Ansatz der Revision, dass es sich beim Leasingvertrag und bei der Begründung der Zahlungsverpflichtung betreffend die über den Finanzierungsbetrag hinausgehenden Baukosten überhaupt um zwei verschiedene Verträge gehandelt habe, wurde vom Berufungsgericht in keineswegs unvertretbarer Weise verneint, haben die Parteien doch von Anfang an die Frage der von ihnen erwarteten, über das Finanzierungsvolumen von 24 Mio ATS hinausgehenden Baukosten im Leasingvertrag grundsätzlich mitgeregelt.

Der qualifizierte Rückstand und die Auflösungserklärung wurden hier auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Vorprozesses zutreffend bejaht.

IV. Damit bleibt zu prüfen, inwieweit die Beklagte § 33 MRG für sich in Anspruch nehmen kann, weil sie den Rückstand ja vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung im vorliegenden Räumungsprozess beglichen hat.

Schon die Vorinstanzen haben mit eingehender und jedenfalls vertretbarer Begründung das Vorliegen groben Verschuldens iSd § 33 Abs 2 MRG bejaht. Grobes Verschulden im Sinne dieser Gesetzesstelle setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (RIS‑Justiz RS0069304). Von dem gesamten Rückstand von 609.571,60 EUR an, über das Investitionsvolumen von 24 Mio ATS und sonstige Zahlungen, hinausgehenden Baukosten waren 561.317,66 EUR bereits seit 29. 3. 2002 zu leisten und wurden samt reduzierter Verzugszinsen erst am 22. 9. 2010 aufgrund des Urteils im Vorprozess bezahlt. Das Berufungsgericht hat den Vorwurf des groben Verschuldens auch noch dadurch untermauert, dass selbst nach dem Vorbringen der Beklagten im Vorprozess im Jahr 2006 jedenfalls ein Betrag von 6.682.324,13 ATS als berechtigt zugestanden wurden. Allein die Zahlungsverzögerung mit diesem als berechtigt zugestandenen Betrag um fast vier Jahre rechtfertigt den Vorwurf des groben Verschuldens (RIS‑Justiz RS0070310; vgl im Übrigen dazu, dass auch im Zuge des Prozesses aufgelaufene Rückstände das auf § 1118 ABGB gestützte Räumungsbegehren rechtfertigen können: RIS‑Justiz RS0020952). Von einer die Zulässigkeit der Revision rechtfertigenden Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz kann daher keine Rede sein.

V. Auch die Verfristung des Auflösungsanspruchs wurde vom Berufungsgericht mit vertretbarer Begründung verneint. Schließlich wird der Auflösungsgrund des qualifizierten Zahlungsverzugs mit jedem Zinstermin erneuert (RIS‑Justiz RS0110433). Hier hat die Beklagte erst nach Vorliegen des Urteils im Vorprozess gezahlt, nachdem zahllose Zinstermine verstrichen sind.

VI. Insgesamt vermögen die Ausführungen der Beklagten daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.

VII. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50 und 41 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979).

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