OGH 1Ob32/13g

OGH1Ob32/13g7.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des F***** I*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Sachwalters Dr. M***** G*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 17. Oktober 2012, GZ 21 R 147/12k‑83, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 12. April 2012, GZ 1 P 31/12p‑75, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0010OB00032.13G.0307.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel des zum Sachwalter bestellten Rechtsanwalts, der seine Bestellung bekämpft, zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Erfordert die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person besondere Fachkenntnisse, ist von vornherein ‑ je nach der notwendigen Expertise ‑ ein Rechtsanwalt oder Notar bzw der Sachwalterverein zum Sachwalter zu bestellten (§ 279 Abs 4 ABGB). In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1420 BlgNR 22. GP 18) wird beispielhaft auf rechtliche Angelegenheiten, etwa die Geltendmachung eines Anspruchs, aber auch auf den Umgang mit sehr schwierigen Klienten hingewiesen: Für den erstgenannten Bereich seien in erster Linie Rechtsanwälte und Notare (bzw Berufsanwärter) zu bestellen (§ 279 Abs 4 erster Fall ABGB), die zweitgenannte Aufgabe könne am ehesten von Vereinssachwaltern bewältigt werden (§ 279 Abs 4 zweiter Fall ABGB).

Beim Kreis jener Personen, welche zum Sachwalter bestellt werden können, ist dem Gericht ein auf das Wohl der behinderten Person zugeschnittener Ermessensspielraum eingeräumt (RIS‑Justiz RS0087131). Im vorliegenden Fall leidet der Behinderte an einer organisch bedingten Persönlichkeits‑ und Wesensveränderung, ausgelöst durch einen erlittenen Schlaganfall. Er attackierte seine ehemalige Lebensgefährtin körperlich, was auf das zwischen ihnen bestehende Spannungsverhältnis zurückzuführen ist, weil diese seinen Auszug aus ihrer Wohnung anstrebt. Die ehemalige Lebensgefährtin des Betroffenen beabsichtigt konkret, gegen ihn eine Räumungsklage einzubringen. Im hier vorliegenden Fall, in dem die Vertretung eines schwierigen Klienten mit einem besonderen Bedarf an Rechtskenntnissen zusammenfällt, kommen nach § 279 Abs 4 ABGB sowohl die Bestellung eines Rechtsanwalts als auch die eines Sachwalterschaftsvereins in Betracht ( Parapatits , iFamZ 2008/128, 257 [Glosse zu 7 Ob 105/08d]). Der örtlich zuständige Sachwalterverein hatte aber über zweimalige Anfrage des Erstgerichts ausdrücklich mitgeteilt, über keine freien Vertretungskapazitäten zu verfügen. Die Bestellung des Vereins kann nur mit dessen Zustimmung erfolgen (§ 279 Abs 3 erster Satz ABGB). Wenn die Vorinstanzen in diesem Fall daher einen erfahrenen Rechtsanwalt bestellten, ist dies rechtsrichtig, weil § 279 Abs 4 ABGB im Gegensatz zu Abs 3 nicht die Bestellung einer anderen geeigneten Person vorsieht.

2. Im Hinblick auf die bevorstehende Räumungsklage der ehemaligen Lebensgefährtin des Betroffenen, wofür dessen rechtliche Vertretung erforderlich ist, ist die erstmals im Revisionsrekurs gerügte unterlassene Anhörung der Kinder des Betroffenen nicht von Relevanz. Im Übrigen hat der Sachwalter diesen Einwand nicht bereits im Rekurs erhoben. Eine im Rekursverfahren nicht vorgebrachte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens kann im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr nachgeholt werden (RIS‑Justiz RS0043111 [T22, T26]; jüngst 3 Ob 125/12x).

Selbst wenn die Beurteilung des Rekursgerichts nicht zutreffen sollte, dass ausgehend vom länger zurückliegenden Aufteilungsverfahren des Behinderten mit seiner geschiedenen Ehefrau zwischen ihm und den Kindern eine näher dargelegte Interessenkollision vorliegt, besteht nach der Aktenlage zu seinen beiden Kindern, die auch in anderen Bundesländern leben, kein Kontakt.

3. Fragen der Beweiswürdigung sind der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, der auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz ist (RIS‑Justiz RS0006737), grundsätzlich entzogen.

4. Die österreichische Rechtsordnung sieht ‑ anders als offenbar dem Revisionsrekurswerber vorschwebt ‑ lediglich die Bestellung eines Sachwalters für die behinderte Person vor. Die Bestellung mehrerer Sachwalter ist ‑ sofern keine Ausnahme besteht (zB besonderer Sachwalter nach § 131 AußStrG) ‑ weder zulässig, noch sachgerecht (§ 268 ABGB; § 123 Abs 1 Z 1 und 4 AußStrG; RIS‑Justiz RS0112424).

5. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 274 Abs 2 ABGB müssen Rechtsanwälte Sachwalterschaften grundsätzlich übernehmen. Ablehnungsgründe sind in erster Instanz konkret geltend zu machen (RIS‑Justiz RS0123440). Eine fehlende Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und die dadurch erschwerte Kommunikation im Verhältnis zum Sachwalter stellen ein nahezu klassisches Problem bei der Übernahme von Sachwalterschaften für psychisch kranke Personen dar. Derartige Umstände bewirken ‑ ebenso wie lediglich verbalaggressives Verhalten der behinderten Person ‑ für sich alleine nicht die Unzumutbarkeit der Übernahme der Sachwalterschaft für einen Rechtsanwalt (7 Ob 105/08d = iFamZ 2008/128, 256 [ Parapatits ] = RIS‑Justiz RS0123572). Auch unter Berücksichtigung des Inhalts seines Anrufs in der Rechtsanwaltskanzlei am 11. 9. 2012 ist bisher gegenüber dem Sachwalter oder dessen Angestellten weder eine körperliche Aggression noch ein verbalaggressives Verhalten des Behinderten erfolgt. Zwar hält es das Rekursgericht für möglich, dass der Betroffene im Hinblick auf den befürchteten Auszug aus der Wohnung der ehemaligen Lebensgefährtin körperlich aggressiv wird. Der Sachwalter wurde aber gerade bestellt, um die rechtlichen Interessen des Betroffenen im bevorstehenden Räumungsverfahren zu vertreten. Ein Bedrohungspotenzial ihm gegenüber ist derzeit nicht erkennbar, deckt sich doch die Interessenlage des Betroffenen mit der vom Sachwalter wahrzunehmenden Rechtsvertretung. Nach der aktuellen Sachlage besteht speziell ein kommunikativ schwieriges Verhalten des Behinderten, das den Umgang mit ihm für einen zum Sachwalter bestellten Rechtsanwalt aber noch nicht unzumutbar (iSd § 274 Abs 2 ABGB) macht.

Sollte sich in Zukunft die Situation ändern und der Behinderte den Sachwalter oder dessen Mitarbeiter körperlich bedrohen oder gar insultieren, bestünde die Möglichkeit des Enthebungsantrags nach § 278 Abs 1 ABGB wegen Unzumutbarkeit der Ausübung der Funktion als Sachwalter (dazu jüngst 6 Ob 227/12v).

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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