OGH 7Ob8/13x

OGH7Ob8/13x18.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. T***** S*****, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei M***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Edwin A. Payr, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. Oktober 2012, GZ 4 R 178/12a‑40, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 13. August 2012, GZ 6 Cg 183/09m‑35, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.961,64 EUR (darin 326,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Fachärztin für Gynäkologie. Sie betreibt seit 1996 eine gynäkologische Praxis und schloss in diesem Jahr mit der Beklagten eine Bündelversicherung ab, die auch eine Betriebshaftpflichtversicherung enthielt. Der Höchstbetrag von 100.000 ATS war jener Deckungsumfang, den die Beklagte damals (1996) ihren Versicherungsnehmern für reine Vermögensschäden anbot. Wäre die Klägerin vom Mitarbeiter der Beklagten darüber aufgeklärt worden, dass die Haftpflichtversicherung im Hinblick auf die „wrongful-birth“-Problematik nur bis 100.000 ATS versichert sei, so hätte sie für die entsprechende Eindeckung dieser Schäden bis zum Eintritt des Versicherungsfalls Vorsorge getroffen, etwa durch Abschluss mit einem anderen Versicherer, bei dem diese Schäden im entsprechenden Umfang mitversichert worden wären.

Im Verfahren 40 Cg 51/09z des Landesgerichts I***** wegen 357.280,48 EUR sA begehrte der dortige Kläger P***** S*****, die Klägerin zur Zahlung von Ersatzbeträgen von 14.112 EUR an Unterhalt, 162.000 EUR an Pflegemehraufwand, 26.168,48 EUR an Therapiekosten und 130.000 EUR an psychischem Schmerzengeld zu verpflichten und ihre Haftung für zukünftige Schäden festzustellen, weil sie bei den Ultraschalluntersuchungen seiner Frau in der Zeit vom 28. 11. 2005 bis 28. 4. 2006 übersehen habe, dass sein Kind am Down‑Syndrom leide, weshalb dieses Kind, die am 5. 5. 2006 geborene S***** S*****, nicht abgetrieben worden sei. Diese Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass kein Aufklärungs- bzw Beratungsfehler der (dort beklagten) Klägerin vorliege. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und die außerordentliche Revision wurde zu 10 Ob 84/11t vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen.

Im Verfahren 59 Cg 76/09s des Landesgerichts I***** wegen 152.000 EUR sA begehrt K***** S***** als Mutter von S***** von der Klägerin mit der Begründung, die Klägerin hafte auf Grund ihres Diagnosefehlers für Geburtsschmerzen von 5.000 EUR, für den Schockschaden wegen der Diagnose „Down‑Syndrom“ von 10.000 EUR und für psychisches Schmerzengeld von 125.000 EUR. Dieses Verfahren wurde mit Beschluss vom 10. 12. 2009 „bis zur rechtskräftigen Erledigung im Verfahren 40 Cg 51/09z des Landesgerichts I*****“ unterbrochen und festgehalten, dass „eine Fortsetzung nur über Antrag der Parteien“ stattfinde.

In beiden Verfahren gewährte die Beklagte Deckung hinsichtlich der Forderungspositionen für „reine Personenschäden“ (Schmerzengeld). In Bezug auf die übrigen Klageforderungen für reine Vermögensschäden wurde eine über den Betrag von 7.267,29 EUR hinausgehende Deckung abgelehnt.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr die Beklagte aus der zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Ärztehaftpflichtversicherung hinsichtlich des Schadensfalls S***** S***** Versicherungsschutz zu gewähren habe. Außerdem erhebt sie vier Eventualbegehren.

Im ersten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt, das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen beider Parteien nicht Folge (7 Ob 72/11f).

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Haupt- und die Eventualbegehren ab, weil zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz das erforderliche rechtliche Interesse der Klägerin an den begehrten Feststellungen nicht (mehr) gegeben sei. Das Verfahren 40 Cg 51/09z (des Vaters) sei rechtskräftig zugunsten der Klägerin beendet worden und das Verfahren 59 Cg 76/09s (der Mutter) sei seit 10. 12. 2009 unterbrochen, ohne dass ein Fortsetzungsantrag gestellt worden sei. Das begehrte Feststellungsurteil sei für die Klägerin daher nicht mehr von rechtlich-praktischer Bedeutung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge, hob das angefochtene Urteil zur Gänze auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die rechtskräftig abgewiesenen Ansprüche des Vaters begründeten (zwar) kein rechtliches Interesse an der Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten. Mangels Parteienidentität erstrecke sich die Rechtskraft dieses Urteils aber nicht auf das von der Mutter geführte Verfahren. Dass der Klägerin im Fall einer Fortsetzung dieses Verfahrens Abwehrkosten entstehen könnten, deren Einbringlichkeit nicht mit Sicherheit angenommen werden und deren Höhe die erteilte Deckungszusage übersteigen könne, sei nicht auszuschließen. Da ein weiterer Prozessaufwand der Klägerin somit nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, sei ein Feststellungsinteresse zu bejahen und die Frage der bereits entstandenen und allenfalls noch entstehenden Abwehrkosten der Klägerin zu erörtern.

Der Rekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Fragen fehle, ob „allenfalls noch anfallende Abwehrkosten aus dem unterbrochenen Passivprozess“ ein Feststellungsinteresse begründeten und ob die drohende Verjährung der Schadenersatzforderung ein solches beseitigen könne.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Beklagten erhobene Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

In der Haftpflichtversicherung kann der Versicherungsnehmer auch vor rechtskräftiger Entscheidung über den Anspruch des Dritten auf Feststellung klagen, dass der Versicherer verpflichtet ist, ihn zu entschädigen, wenn dieser ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ bestreitet, zur Gewährung des Versicherungsschutzes verpflichtet zu sein (RIS-Justiz RS0038928). Ab der Inanspruchnahme durch den Dritten steht dem Versicherungsnehmer (vorerst nur) ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Versicherungsschutzes (der Deckungspflicht) zu, wenn der Versicherer die Deckung ablehnt (RIS-Justiz RS0038928 [T5]). Mit der bloßen Ablehnung der Deckung geht allerdings der primär nicht auf eine Geldleistung gerichtete Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers nicht (gleichsam automatisch) in einen Zahlungsanspruch über (RIS-Justiz RS0038928 [T6]).

Nach ständiger Rechtsprechung kann der Versicherungsnehmer auch dann, wenn ‑ wie hier ‑ nicht auszuschließen ist, dass gegen ihn Ersatzansprüche erhoben werden können, auf Feststellung klagen, dass der Versicherer verpflichtet ist, ihn zu entschädigen, wobei ein rechtliches Interesse gegeben ist, wenn der Versicherer die Deckung ablehnt (RIS-Justiz RS0038923 [T3 und T5]). Schon daraus, dass die Beklagte es teilweise ablehnte, der Klägerin Deckung zuzusagen, ergibt sich daher hinsichtlich der nicht von der Deckungszusage umfassten Ansprüche ein rechtliches Interesse der Klägerin.

Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 24. 6. 2009 betreffend diesen Schadensfall Deckung (nur) für die „Schmerzengeldansprüche beider Elternteile“ der Minderjährigen gewährte, während „hinsichtlich der anderen Klagepositionen in den beiden Verfahren“ ausdrücklich die Deckung über den Betrag von 7.267,29 EUR hinaus mit der Begründung abgelehnt wurde, dass „alle Positionen außer Schmerzengeld“ reine Vermögensschäden darstellten, für die „nur Deckung im eingeschränkten Umfang“ bestehe. Obwohl die Mutter ‑ wie festgehalten ‑ nur Ersatzansprüche für Geburtsschmerzen, einen Schockschaden und psychisches Schmerzengeld, also gar keine „reinen Vermögensschäden“ geltend machte, hat die Beklagte weiterhin auch ihre diesbezügliche Deckungspflicht mit folgender Begründung bestritten:

In beiden Verfahren sei von der Beklagten Deckung nur „für reine Personenschäden (Schmerzengeld)“ gewährt und die Deckungszusage für reine Vermögensschäden nur bis zu einem Betrag von 7.267,29 EUR abgegeben worden; hinsichtlich reiner Vermögensschäden, die diesen Betrag übersteigen, sei eine weitere Deckung für Vermögensschäden hingegen verweigert worden. Was sie unter „reinen Personenschäden (Schmerzengeld)“ versteht, blieb unklar. Die Mutter macht zwar ausschließlich Personenschäden geltend, dennoch bestritt die Beklagte ihre Deckungspflicht zumindest teilweise, wobei aus ihren Äußerungen nicht hervorgeht, welche der drei von der Mutter geltend gemachte Forderungspositionen sie nun zu decken bereit ist und welche nicht.

Davon ausgehend ist das Feststellungsinteresse der Klägerin im Zusammenhang mit dem Verfahren der Mutter schon deshalb zu bejahen, weil die Beklagte nicht klargestellt hat, dass sie die Deckungspflicht für die in diesem Verfahren allein geltend gemachten Personenschäden ‑ in Wahrheit ‑ gar nicht bestreitet. Die vom Berufungsgericht angeführten Rechtsfragen stellen sich daher nicht.

Aber auch der zu 7 Ob 72/11f aufgezeigten, vom Berufungsgericht und auch vom Obersten Gerichtshof für erforderlich erachteten Verfahrensergänzung bedarf es nur (noch) dann, wenn sich herausstellen sollte, dass die Verteidigungskosten der Klägerin (schon allein) hinsichtlich der vom Vater geltend gemachten reinen Vermögensschäden den Betrag von 7.267,29 EUR übersteigen und daher ungedeckt bleiben; sollte dies nicht der Fall sein, fehlt es der Klägerin ‑ nach rechtskräftiger Beendigung dieses Verfahrens ‑ nämlich am erforderlichen rechtlichen Interesse an der dazu begehrten Feststellung.

Da das Berufungsgericht das Ersturteil somit im Ergebnis zu Recht aufgehoben hat, ist dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 52 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS-Justiz RS0123222; RS0117737 [T4, T5, T6]; RS0035976 [T2, T3]). Die Rekursbeantwortung war zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig. Der mit 3,60 EUR verzeichnete ERV-Zuschlag gemäß § 23a RATG ist jedoch lediglich mit 1,80 EUR (RIS-Justiz RS0126594; Obermaier , Kostenhandbuch² Rz 646 mwN) zuzuerkennen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte