OGH 7Ob6/13b

OGH7Ob6/13b18.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch die Vizepräsidentin Dr.

Huber als Vorsitzende und die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Univ.‑Prof. Dr. A***** Y*****, vertreten durch hba Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen den Gegner der gefährdeten Partei A***** G***** S***** Y*****, vertreten durch Stenitzer & Stenitzer Rechtsanwälte OG in Leibnitz, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO, über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 9. November 2012, GZ 2 R 302/12i‑13, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 1. Oktober 2012, GZ 260 C 31/12w‑7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00006.13B.0218.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Streitteile haben am 6. 2. 1998 vor dem Standesamt der Stadt K***** in S***** die Ehe geschlossen. Der Ehe entstammen der am 21. 5. 1998 geborene M***** Y*****, und die am 28. 8. 2002 geborene K***** A***** Y*****. Die Streitteile sind gemeinsam Miteigentümer der Wohnungen W 1 und W 2 (Ehewohnung) im Haus S*****. Darüber hinaus sind sie Miteigentümer der Wohnung W 10 im Haus N*****. Die Ehewohnung (W 2) befindet sich im Erdgeschoss und weist eine Nutzfläche von 140,68 m², eine Terrasse von 8,23 m², einen Balkon von 35,96 m², einen Kellerraum von 13,8 m², ein Kellerabteil von 10,25 m² und einen Gartenanteil von 261,37 m² auf. Sie besteht aus Diele, Abstellraum, Bad, WC, Küche, Wohnzimmer und vier Zimmer. Die im selben Haus wie die Ehewohnung gelegene Wohnung W 1 befindet sich im Kellergeschoss/Erdgeschoss und weist eine Nutzfläche von 45,33 m² auf. Sie besteht aus Diele, WC, Bad, Küche und einem Zimmer.

Die Wohnung W 10 im Haus N***** befindet sich im Dachgeschoss und verfügt über 94,66 m². Sie besteht aus drei Zimmern, Küche, Vorraum, Gang, WC und Bad sowie einem Kellerabteil.

Die Antragstellerin begehrt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382b EO. Der Antragsgegner habe sich aggressiv verhalten, die Antragstellerin heftigst beschimpft und diese auch mehrmals tätlich angegriffen. In den letzten Wochen habe sich der Antragsgegner immer unberechenbarer gegenüber der Antragstellerin und den gemeinsamen Kindern verhalten. Am 13. 9. 2012 habe es einen Zwischenfall gegeben, bei dem der Antragsgegner die Antragstellerin mit einem Glas Rotwein angeschüttet habe und derart auf sie losgegangen sei, dass ihr T‑Shirt zerrissen sei. Er habe die Antragstellerin zu Boden geworfen und angeschrien. Auch die einschreitenden Polizeibeamten habe er beschimpft und sei letztlich weggewiesen worden. Für die Antragstellerin sei ein weiteres Zusammenleben mit ihm unzumutbar. Sie habe ein dringendes Wohnbedürfnis an der ehelichen Wohnung, da sie und ihre Kinder über keine andere gleichwertige Wohnmöglichkeit verfügten.

Der Antragsgegner sprach sich gegen die Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung aus. Es habe tatsächlich verbale Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen gegeben, er sei allerdings niemals gegen die Antragstellerin und die gemeinsamen Kinder tätlich geworden. Eine Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens bestehe nicht, vielmehr sei zwischen den Streitteilen nach dem Polizeieinsatz vom 13. 9. 2012 vereinbart worden, dass der Antragsgegner in der Zeit der beruflichen Abwesenheit der Antragstellerin in der Ehewohnung sein könne und er sich dabei um die Kinder zu kümmern habe, bei der Rückkehr der Antragstellerin habe er „zu verschwinden“. Auch nach dem Vorfall vom 13. 9. 2012 seien dem Antragsgegner die gemeinsamen Kinder ohne jegliche Einschränkung überlassen worden. Zudem liege auf Seiten der Antragstellerin kein dringendes Wohnbedürfnis vor, weil die Streitteile über zwei weitere Eigentumswohnungen im selben Haus bzw in unmittelbarer Umgebung der Ehewohnung verfügen würden.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab. Der Antragstellerin sei ein weiteres Zusammenleben mit dem Antragsgegner zwar unzumutbar, die weitere Anspruchsvoraussetzung, nämlich das Bestehen eines dringenden Wohnbedürfnisses an der Ehewohnung sei allerdings zu verneinen, da der Antragstellerin mit der im Haus N***** gelegenen weiteren Wohnung der Streitteile eine adäquate Ersatzwohnung zur Verfügung stehe.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Zutreffend sei die Ansicht des Erstgerichts, dass für die Antragstellerin ein weiteres Zusammenleben mit dem Antragsgegner unzumutbar sei. Das Erstgericht habe festgestellt, dass der Antragstellerin daran liege, dass die Kinderbetreuung weiterhin und insbesondere zu jenen Zeiten durch den Antragsgegner vorgenommen werde, während der sie durch (Nacht‑)Dienste verhindert sei. Auch nach dem 13. 9. 2012 habe die Antragstellerin dem Antragsgegner wiederholt die Kinder nach Bedarf zur Kinderbetreuung in der Ehewohnung überlassen. Die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens mit dem Antragsgegner beziehe sich tatsächlich nur auf die Antragstellerin selbst, nicht jedoch auf die gemeinsamen Kinder. Daher sei auch die Beurteilung des Vorliegens eines dringenden Wohnbedürfnisses auf die Antragstellerin zu beschränken. Halte man sich die Beschaffenheit der in Frage kommenden Wohnungen vor Augen, so sei die ebenfalls im beiderseitigen Miteigentum der Streitteile stehende Wohnung in der N***** hinsichtlich der Antragstellerin als ausreichende und gleichwertige Unterkunft anzusehen. Ihr dringendes Wohnbedürfnis an der Ehewohnung sei zu verneinen. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei der Prüfung des Vorliegens einer ausreichenden und gleichwertigen Unterkunft auch die Kinder, die überwiegend vom Gegner der gefährdeten Partei betreut würden, miteinzubeziehen seien.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Antragsgegner beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.

1. Die von den Vorinstanzen angenommene Unzumutbarkeit des Zusammenlebens der Antragstellerin mit dem Antragsgegner wird im Revisionsverfahren nicht in Zweifel gezogen.

2. Allgemeine (weitere) Voraussetzung für die einstweilige Verfügung blieb auch nach dem Gewaltschutzgesetz das dringende Wohnbedürfnis des Antragstellers. Eine Abwägung, ob das Wohnbedürfnis des Antragstellers oder des Antragsgegners „dringend“ ist, hat nicht stattzufinden (RV 252 BlgNR XX. GP 5).

Bei der Stellung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung hat die gefährdete Partei unter anderem die den Antrag begründenden Tatsachen im Einzelnen wahrheitsgemäß darzulegen und zu bescheinigen (§ 389 Abs 1 EO). Dazu gehört bei einer einstweiligen Verfügung nach § 382b Abs 1 EO auch die Tatsache, dass die Wohnung der Befriedigung des Wohnbedürfnisses dient. Der diesbezüglichen Behauptungslast kam die Antragstellerin nach. Zudem ist ohnehin unstrittig, dass die Antragstellerin seit Jahren mit den minderjährigen Kindern in der Ehewohnung lebt und diese Wohnung der Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses (und jenes der Kinder) dient.

Ob das Wohnbedürfnis ein „dringendes“ ist, ist eine Rechtsfrage, sodass es sich bei den Ausführungen des Erstgerichts, dass die Wohnung N***** dem Wohnbedürfnis sowohl der Antragstellerin als auch der gemeinsamen ehelichen Kinder entspreche, um keine den Obersten Gerichtshof bindende Tatsachenfeststellung handelt. Die Lösung der genannten Rechtsfrage hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0042789). Grundsätzlich kann ‑ wie bei § 97 ABGB ‑ auch hier der Gedanke gelten, dass dem betroffenen Ehegatten, dem das Zusammenleben vom anderen unzumutbar gemacht wird, die ihm schon bisher zur Deckung des Wohnbedürfnisses dienende Wohnmöglichkeit erhalten bleiben soll (RIS‑Justiz RS0009570, RS0009663).

Das Wohnbedürfnis ist grundsätzlich solange „dringend“, solange nicht der Antragsgegner das Gegenteil darlegt. Die Rechtsprechung geht daher davon aus, dass die Behauptungs‑ und Bescheinigungslast dafür, dass die Ehewohnung nicht der Befriedigung eines „dringenden“ Wohnbedürfnisses eines Ehegatten dient, den Antragsgegner trifft, er hat den Ausnahmefall der anderwertigen Deckung des Wohnbedürfnisses seines Ehegatten zu beweisen (9 Ob 286/01a mwN).

Ein dringendes Wohnbedürfnis ist im Allgemeinen nur dann nicht gegeben, wenn eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht ( König , Einstweilige Verfügungen 4 Rz 4/56; RIS‑Justiz RS0006012). Der Antragsteller müsste in eine Ersatzwohnung kraft eigenen Rechts ausweichen können; im Tatsächlichen darf aber die Qualität einer dem Antragsteller zumutbaren Ersatzwohnung sein angemessenes Wohnbedürfnis nicht erheblich unterschreiten. Dabei ist auch auf das Wohl und das Wohnbedürfnis von Kindern, die im gemeinsamen Haushalt leben, Bedacht zu nehmen (RIS‑Justiz RS0108840) und selbst das Wohnbedürfnis volljähriger Kinder zu berücksichtigen (4 Ob 568/80).

Es geht daher um die Frage, ob dem Gefährdeten samt den Kindern ein anderwertiges Wohnen zuzumuten ist (1 Ob 156/10p), und zwar ‑ entgegen der Ansicht des Rekursgerichts ‑ unabhängig von der Frage, ob nur der Antragstellerin oder auch den Kindern das Zusammenleben mit dem sie auch weiterhin (mit‑)betreuenden Antragsgegner unzumutbar ist.

Die Antragstellerin ist Miteigentümerin der Wohnung N***** und könnte daher zwar auf eine Ersatzwohnung kraft eigenen Rechts ausweichen. Zur Beurteilung, ob die Qualität dieser Ersatzwohnung ihr angemessenes Wohnbedürfnis und das ihrer Kinder erheblich unterschreitet, reichen die vom Rekursgericht nachgeholten Feststellungen, die sich auf eine Gegenüberstellung von Größe und Anordnung der Ehewohnung und der genannten Ersatzwohnung beschränken, jedoch nicht aus. Vielmehr ist es erforderlich, die bisherigen ‑ unstrittig gehobenen ‑ Wohnverhältnisse der Antragstellerin, aber auch der Kinder näher darzustellen. In diesem Zusammenhang sind vor allem Feststellungen zur bisherigen Nutzung der Räume der Ehewohnung zu treffen wie beispielsweise, ob den Kindern jeweils ein eigenes Zimmer zur Verfügung steht und ob die Antragstellerin über ein eigenes Arbeitszimmer verfügt. Nur so kann letztlich beurteilt werden, ob die Ersatzwohnung, auf die das Rekursgericht die Antragstellerin verweist, dem bisherigen ‑ gehobenen Standard ‑ auch bei einem Mehrpersonenhaushalt entspricht.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO iVm § 392 Abs 2 EO.

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