OGH 7Ob145/12t

OGH7Ob145/12t19.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach der am 28. Februar 2011 verstorbenen N***** G*****, vertreten durch Wetzl & Partner Rechtsanwälte GmbH in Steyr, gegen die beklagte Partei Dr. G***** S*****, vertreten durch Dr. Klaus Fürlinger und Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwälte in Linz, und die Nebenintervenientin G***** AG, *****, vertreten durch Pitzl & Huber Anwaltspartnerschaft in Linz, wegen 35.000 EUR sA, über die Anträge gemäß § 508 Abs 1 ZPO samt „ordentlicher“ Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. Juni 2012, GZ 3 R 101/12m-58, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die als außerordentliche Revisionen zu behandelnden Rechtsmittel werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die als „I. Antrag gemäß § 508 ZPO II. Revision“ bezeichneten und aufgebauten, jedoch - nach dem Wert des Entscheidungsgegenstands, über den das Berufungsgericht entschieden hat - als außerordentliche Revisionen zu behandelnden Schriftsätze beider Parteien (3 Ob 53/12h; RIS-Justiz RS0036258), mit den Anträgen auf Abänderung im Sinn der gänzlichen Stattgebung bzw Abweisung der Klage (hilfsweise wird jeweils die Aufhebung im angefochtenen Umfang begehrt), richten sich gegen den klagestattgebenden bzw klagsabweisenden Teil der Berufungsentscheidung. Die Rechtsmittelwerber vertreten den Standpunkt, dass das Begehren der am 28. 2. 2011 an Krebs verstorbenen Klägerin zur Gänze berechtigt bzw nicht berechtigt sei und machen beide Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend.

Rechtliche Beurteilung

Die an das Berufungsgericht gerichteten Anträge der Parteien, den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gemäß § 508 Abs 3 ZPO in eine Zulassung der ordentlichen Revision abzuändern, sind jedoch verfehlt:

Nach dem Wert des Entscheidungsgegenstands, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ist hier die (außerordentliche) Revision (nur) zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukommt.

Die vermeintliche Unrichtigkeit des Ausspruchs des Berufungsgerichts über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision kann nur in einer außerordentlichen Revision geltend gemacht werden, wobei sich die Begründung des Antrags auf nachträgliche Zulassung der ordentlichen Revision gemäß § 508 Abs 1 ZPO inhaltlich mit der Zulassungsbeschwerde gemäß § 506 Abs 1 Z 5 ZPO zu decken hat.

Die Abänderungsanträge der Parteien gemäß § 508 Abs 1 ZPO samt ordentlicher Revision sind daher in außerordentliche Revisionen umzudeuten (10 Ob 46/11d mwN; RIS-Justiz RS0110049), die jedoch unzulässig sind, weil die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorliegen.

I. Zur Zulassungsbeschwerde der Klägerin:

Bestehen und Ausmaß des Mitverschuldens eines Geschädigten im Sinn der Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten sind nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und können deshalb regelmäßig nicht als erhebliche Rechtsfragen nach § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RIS-Justiz RS0087606). Die Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Verschuldensteilung durch die Vorinstanzen angemessen ist, stellt eine Ermessensentscheidung dar, bei der nach ständiger Rechtsprechung keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn der genannten Bestimmung zu lösen ist, wenn - wie hier - eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung nicht erblickt werden kann (RIS-Justiz RS0021095 [T19]; RS0042405 [T5, T14, T15, T17]; RS0044088; RS0044262 [T2, T6, T9, T19, T23, T33, T34, T37, T45, T53]; 7 Ob 221/11t mwN).

Wirkt sich sorgloses Verhalten gegenüber eigenen Rechtsgütern nicht kausal auf den Eintritt oder die Höhe des Schadens aus, führt dies (zwar) nicht zur Entlastung des Schädigers; es trifft also zu, dass das Mitverschulden des Geschädigten (nur) dann zu berücksichtigen ist, wenn es für den Schaden kausal war (RIS-Justiz RS0027284 [T2]; RS0022831; 4 Ob 151/10z): Dem Geschädigten kann ein Teil des Schadens überhaupt nur dann zur Last gelegt werden, wenn die von ihm unterlassene Handlung geeignet gewesen wäre, den Schaden geringer zu halten; eine für die Entwicklung des Schadens nicht kausal gewordene spätere Pflichtverletzung des Geschädigten kann einen Mitverschuldenseinwand nicht begründen (RIS-Justiz RS0027321 [T2]).

Aus diesen Grundsätzen ist für den Standpunkt der Rechtsmittelwerberin jedoch nichts zu gewinnen. Soweit die Klägerin geltend macht, ihr allfälliges Fehlverhalten sei deshalb nicht für den Krankheitsverlauf „mitkausal“ gewesen, weil bereits beim Abstrich vom 8. 2. 2007 (gemeint: 9. 2. 2007) „ein PAP der Stufe V (sohin Krebs)“ vorgelegen sei, dieser also ein „vergleichbares Bild“ zum Abstrich vom 18. 3. 2010 der PAP V aufgewiesen habe, legt sie nämlich nicht die getroffenen Feststellungen zugrunde.

Danach ergab der erstgenannte Abstrich - in seiner ursprünglichen Bewertung - tatsächlich (wie schon der PAP-Test im Februar 2002) „PAP IIID“, das bedeutet das Auffinden von Zellen einer vermutlich leichten bis mittelschweren („mäßiggradigen“) Dysplasie (also den Verdacht auf ein Krebsvorstadium); während der (erst) drei Jahre später entnommene und untersuchte Abstrich vom 18. 3. 2010 tatsächlich (erstmals) die Stufe PAP V aufwies, also ein „Plattenepitelkarzinom“. Dass eine solche Verschlechterung des Testergebnisses sicherlich nicht unbemerkt geblieben wäre, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung.

Die außerordentliche Revision gibt mit den dazu erstatteten Ausführungen - irreführend - offenbar Ergebnisse der „Nachbefundung“ der genannten zytologischen Abstrichbefunde, wie sie auf Seite 5 des Ersturteils (bzw im Ergänzungsgutachten ON 38 = AS 259) festgehalten sind, wieder und weicht damit von den im Revisionsverfahren unanfechtbaren Feststellungen der Tatsacheninstanzen ab. Sie ist daher insoweit nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt.

Die außerordentliche Revision der Klägerin vermag somit auch keinen Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien bei der Aufteilung des Verschuldens (nach der Schwere der beiderseitigen Zurechnungsgründe des Verschuldens und der Sorglosigkeit [Karner in KBB³ § 1304 ABGB Rz 4 mwN]) aufzuzeigen und ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

II. Die Zulassungsbeschwerde des Beklagten beruft sich darauf, die Vorinstanzen hätten - den Gutachten des beigezogenen Sachverständigen folgend - einen falschen Maßstab bei der Beurteilung seiner Pflichtverletzung herangezogen, indem sie von einer im konkreten Fall untauglichen „Leitlinie“ ausgegangen seien, nicht jedoch vom (noch festzustellenden) Verhalten eines pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation.

Dem ist entgegenzuhalten, dass das Erstgericht das Verhalten des Beklagten zwar zunächst anhand näher bezeichneter Leitlinien prüfte, die zur Qualitätssicherung herausgegeben wurden, aber in der Folge - gestützt auf das als schlüssig und nachvollziehbar erachtete Sachverständigengut-achten - auch feststellte, welche Entscheidungen für den Arzt in der konkreten Situation vertretbar gewesen wären.

Die Frage, ob ein Sachverständigengutachten schlüssig und nachvollziehbar ist, gehört zur Beweiswürdigung und kann daher im Revisionsverfahren nicht überprüft werden (RIS-Justiz RS0043320 [T12]). Eine Anfechtung der Ergebnisse von Sachverständigengutachten, welche die Tatsacheninstanzen ihren Entscheidungen zugrunde legten, kann unter dem Gesichtspunkt eines Verfahrensmangels somit nicht erfolgen (RIS-Justiz RS0043168), und mittels Rechtsrüge wären die Gutachtensergebnisse nur bekämpfbar, wenn dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze, (sonstige) Erfahrungssätze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen wäre (RIS-Justiz RS0043168; RS0043404; 7 Ob 85/12v mwN).

Einen solchen Verstoß zeigt die außerordentliche Revision des Beklagten aber nicht auf: Auch die hier allein angesprochene Frage, ob dem Sachverständigengutachten gefolgt werden kann oder ob ein weiteres eingeholt werden soll, ist nämlich eine solche der nicht revisiblen Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0043163; RS0043320; RS0043414). Von den Tatsacheninstanzen wurde diese Frage - unanfechtbar - dahin beantwortet, dass es dem Rechtsmittelwerber nicht gelungen ist, stichhaltige Bedenken gegen die Richtigkeit des eingeholten Gutachtens zu erwecken.

Soweit der Beklagte meint, das Berufungsgericht habe Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht als solche erkannt, insofern liege ein Mangel des Berufungsverfahrens vor, wird verkannt, dass angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht verneint wurden, nach ständiger Rechtsprechung im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden können (RIS-Justiz RS0042963; RS0106371; 7 Ob 191/12g). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren sei mangelhaft geblieben, weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei (RIS-Justiz RS0042963 [T58]; 7 Ob 85/12v).

Im Übrigen macht der Rechtsmittelwerber nur noch die unrichtige Anwendung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Globalbemessung von Schmerzengeld geltend. Er wendet sich gegen die Zulässigkeit der Ausdehnung des Leistungsbegehrens, zeigt aber auch damit keine erhebliche Rechtsfrage auf: Der Beklagte beruft sich nämlich weiterhin darauf, der Umfang des Schmerzengeldes habe bereits „endgültig“ festgestanden; trotzdem sei in der Klage ein „relativ niedriger“ Betrag geltend gemacht und diese Klage auch vorgetragen worden. Werde ohne sachliche Rechtfertigung eine Teileinklagung vorgenommen, sei „die Klagssumme als global bemessene Summe“ zu behandeln.

Hiezu weist die Berufungsentscheidung zutreffend darauf hin, dass die Klägerin das Schmerzengeld in der am 17. 2. 2011 erhobenen Klage (noch selbst) mangels Quantifizierbarkeit mit einem „symbolischen Teilbetrag“ von 10.000 EUR sowie ausdrücklich unter Vorbehalt der Ausdehnung geltend machte und der Beklagte einen Verzicht der Klägerin auf die Geltendmachung eines höheren Betrags nicht einmal behauptet hat.

Der Umfang des der Klägerin gebührenden Schmerzengeldes stand somit erst mit ihrem Tod fest. Es ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb das geringere Ausmaß des noch von ihr selbst erhobenen Leistungsbegehrens nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung - als maßgeblichem Entscheidungszeitpunkt (Rechberger in Rechberger ZPO³ § 406 Rz 1 f mwN) - hätte ausgedehnt werden dürfen: Wurde doch die zum Zeitpunkt der Klageerhebung begehrte Zahlung (noch) neben einem Feststellungsbegehren bezüglich aller (aus der Behandlung) „zukünftig resultierender Schäden“, das die Klägerin mit 40.000 EUR bewertet hat (sowie mit ausdrücklich erklärtem Ausdehnungsvorbehalt) geltend gemacht.

Die außerordentliche Revision des Beklagten ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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