OGH 12Os82/12v

OGH12Os82/12v15.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Babatunde S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15 Abs 1, 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15. März 2012, GZ 32 Hv 142/11a-16, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Babatunde S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15 Abs 1, 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 8. Juni 2011 in Wien Dr. Heidemarie-Si***** G***** mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, indem er die Genannte, nachdem er sie unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt, die Eingangstüre verschlossen und den Schlüssel abgezogen hatte, fest an ihren Handgelenken packte, trotz ihrer Gegenwehr wiederholt in die Ecke seines Vorzimmers drückte und ihr, während er seinen erigierten Penis an ihrem Körper rieb, zwischen die Beine und auf die Brüste fasste sowie sie im Gesicht ableckte.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten aus Z 4, 5, 5a und Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Den Antrag des Beschwerdeführers auf Vernehmung seiner Gattin „zum Beweisthema, hat der Angeklagte Verletzungen aufgewiesen am Abend des 8. 6. 2011“ (ON 15 S 35), durfte das Erstgericht der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten schon deshalb abweisen (ON 15 S 37), weil er auf einen im Hauptverfahren unzulässigen Erkundungsbeweis hinauslief und keine Bedeutung für die Schuld- oder Subsumtionsfrage aufwies (§ 55 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0118444; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330). Die in der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragenen Argumente als Versuch einer Fundierung des Antrags unterliegen dem Neuerungsverbot und sind somit unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) behauptet die Mängelrüge angesichts der in der erstatteten Strafanzeige (ON 2) zur vermeintlichen, mit ihren sonstigen Angaben im Widerspruch stehenden Dauer der sexuellen Übergriffe, problematisiert jedoch - ohne auf deren tatsächlichen Inhalt Bedacht zu nehmen - die Frage, warum sie sich freiwillig so lange, nämlich 20 bis 25 Minuten beim völlig entkleideten, sexuell stimulierten Angeklagten aufgehalten habe, ohne bereits wesentlich früher das Bedürfnis gehabt zu haben, die Wohnung wieder zu verlassen, und leitet daraus ab, dass die Schlussfolgerungen des Beschwerdeführers, sie habe zunächst ihrerseits ein sexuelles Interesse an ihm bekundet, nachvollziehbar seien und damit auch verständlich sei, dass er die Wohnungstür zum Schutz vor ungebetenem Besuch abgesperrt habe. Damit kritisiert sie jedoch im Ergebnis lediglich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Eben dies gilt auch für den Versuch, aus den vom Schöffengericht ohnedies gewürdigten (US 5) Aussagen der Zeugen Andreas P***** und Ursula V***** für den Nichtigkeitswerber - zum Teil im Wege eigenständiger Beweiswerterwägungen - günstigere Schlüsse zu ziehen. Dass die Genannten in der Hauptverhandlung lediglich bekundeten, anlässlich ihrer Rückkehr ein Streitgespräch wahrgenommen zu haben, im Zuge dessen sich das Tatopfer nicht mehr hinter der verschlossenen Wohnungstür des Angeklagten befunden habe, und auch keine Hilferufe gehört zu haben (ON 15 S 31 bis 35), schließt - trotz der Bekundung der Zeugin Dr. G*****, sie hätten ihr mitgeteilt, sie schreien gehört zu haben „Sperrns auf und lassens mich aussi!“ (ON 2 in ON 5 S 21) - keineswegs aus, dass die sexuellen Übergriffe nicht bereits zuvor stattgefunden hätten. Das Erstgericht war daher entgegen dem Vorwurf der Unvollständigkeit zu einer näheren Erörterung ihrer Depositionen nicht verpflichtet.

Mit dem - angesichts der Annahme auch des Nötigungsmittels der Entziehung der persönlichen Freiheit ohnedies keine entscheidende Tatsache betreffenden - Hinweis, dass der Privatbeteiligtenvertreter in seiner Strafanzeige „lediglich von einer befürchteten, also bevorstehenden, nicht aber bereits angewendeten Gewalt ausging“, wird die auch hier behauptete Unvollständigkeit schon deshalb nicht zur Darstellung gebracht, weil das Erstgericht die Annahme nicht unerheblicher physischer Krafteinwirkung auf das Tatopfer (vgl US 2 f) aus dessen Angaben vor der Polizei und in der Hauptverhandlung ableitete, sodass es einer darüber hinausgehenden Erörterung des Inhalts des bloß mittelbar auf der Information der Zeugin Dr. G***** basierenden Schriftsatzes nicht bedurfte.

Der insoweit erhobene Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zur Intensität der Gewaltausübung unternimmt im Wege spekulativer Erwägungen zu einzelnen aus dem Kontext gelösten Aussageteilen des Tatopfers neuerlich den Versuch einer Beweiswürdigungskritik nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung. Demgegenüber haben die Tatrichter die angenommene physische Einwirkung zwecks Überwindung des von Dr. G***** geleisteten Widerstands logisch und empirisch einwandfrei aus deren eingehender Schilderung des Tatgeschehens abgeleitet (US 3 f iVm ON 2 in ON 5 S 20, ON 15 S 17 ff).

Welcher „klarer Feststellungen zur Intensität dieser Kraftanwendung“ über die vom Erstgericht ohnedies getroffenen hinaus es bedurft hätte, lässt sich der Beschwerde (dSn Z 9 lit a) nicht entnehmen.

Indem der Nichtigkeitswerber eine weitere Fragestellung an diese Zeugin im Rahmen der Hauptverhandlung vermisst, verkennt er den Anfechtungsrahmen einer Mängelrüge.

Ob der Angeklagte das Opfer tatsächlich unter dem Vorwand, sein Türschloss sei beschädigt, in seine Wohnung lockte, ist für die Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage irrelevant und daher einer Anfechtung aus Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO entzogen (RIS-Justiz RS0117499).

Die gesetzmäßige Ausführung materiell-rechtlicher Nichtigkeitsgründe hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen methodengerechten Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen sei, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584).

Mit der bloßen Behauptung, „der Rechtsmittelwerber sehe es bei der unter Z 5 geschilderten Sach- und Beweislage als unmissverständlich indiziert an, dass die für den Tatbestand nach § 201 Abs 1 StGB erforderliche Erheblichkeitsschwelle bei der Gewalt nicht erreicht worden sei und in Ansehung des Entzugs der persönlichen Freiheit die subjektive Tatseite nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit bejaht werden könne“, wird die Rechtsrüge (Z 9 lit a) diesem Erfordernis ebenso wenig gerecht wie mit der auch im Rahmen der Mängelrüge im Wege eigenständiger Beweiswürdigung aufgestellten Behauptung mangelnder Tatbestandsverwirklichung.

Welcher weiterer „ausreichender Feststellungen zu diesen beiden Tatbestandskomponenten“ es bedurft hätte, sagt die Rüge nicht und verfehlt daher auch insoweit den gesetzlichen Bezugspunkt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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