OGH 7Ob99/12b

OGH7Ob99/12b14.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** regGenmbH, *****, vertreten durch Mag. Michael Rudnigger Rechtsanwalts-GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. T***** S*****, vertreten durch Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 17. April 2012, GZ 40 R 434/11m-34, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 1118 zweiter Fall ABGB kann der Bestandgeber die vorzeitige Aufhebung des Bestandvertrags und Räumung fordern, wenn ein sogenannter qualifizierter Mietzinsrückstand besteht, also der Bestandnehmer nach geschehener Einmahnung mit der Zahlung des (fälligen) Bestandzinses dergestalt in Verzug gerät, dass er mit Ablauf des nächsten Zinstermins den rückständigen Bestandzins nicht vollständig entrichtet, was hier unstrittig der Fall war. Die Vorinstanzen haben daher zutreffend erkannt, dass nicht nur die Voraussetzungen für eine wirksame Auflösungserklärung iSd § 1118 ABGB zunächst vorlagen, sondern auch das Räumungsbegehren jedenfalls bis zum Zeitpunkt der vollständigen Zahlung zu Recht bestand.

Den auch in der Zulassungsbeschwerde aufrecht erhaltenen Ausführungen zur Gegenforderung fehlt schon deshalb die Grundlage, weil das diesbezügliche Vorbringen bereits mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom 13. 8. 2010 (ON 19), den es gemeinsam mit dem Teilurteil ausgefertigt hat, zurückgewiesen wurde und der Beklagte in der Revision selbst festhält, dass eine außergerichtliche Aufrechnung nicht erfolgt sei (Seite 8 der Revision).

Entgegen der Ansicht des Rechtsmittelwerbers können nach ständiger Rechtsprechung auch erst im Zuge des Prozesses aufgelaufene Rückstände ein auf § 1118 ABGB gestütztes Räumungsbegehren rechtfertigen (RIS-Justiz RS0020952; 3 Ob 71/12f). Da die Aufhebung des Bestandvertrags die erfolglose Mahnung voraussetzt, kann dabei - wenn die Klage die Mahnung ersetzt - nicht die Klage selbst, sondern nur die Weiterführung des Verfahrens als konkludente Vertragsaufhebungserklärung angesehen werden (3 Ob 71/12f; 3 Ob 179/11m; RIS-Justiz RS0020978 [T5]). Das Räumungsbegehren ist dann berechtigt, wenn der qualifizierte Mietzinsrückstand - wie hier - zum Zeitpunkt der Abgabe der Auflösungserklärung (oder der diese ersetzenden Fortführung des Räumungsprozesses) noch bestand (3 Ob 71/12f; 6 Ob 2/12f; 3 Ob 25/11i; RIS-Justiz RS0020952 [T13] = RS0021072 [T7] = RS0020978 [T8]).

Eine Kündigung nach § 30 Abs 2 Z 1 MRG ist gemäß § 33 Abs 2 MRG aufzuheben, wenn den Mieter an dem Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden trifft und er den geschuldeten Betrag vor Schluss der der Entscheidung des Gerichts erster Instanz unmittelbar vorangehenden Verhandlung entrichtet. Diese Regelung gilt sinngemäß bei Rechtsstreitigkeiten nach § 1118 zweiter Fall ABGB (§ 33 Abs 3 MRG). Hier hat der Beklagte die rückständigen Mietzinse vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz beglichen und damit den gesamten geschuldeten Betrag iSd § 33 Abs 2 und Abs 3 MRG entrichtet. Da die Erklärung des Vermieters, den Vertrag aufzuheben, rückwirkend unwirksam wird, wenn der Mieter einen nicht durch grobes Verschulden entstandenen qualifizierten Mietzinsrückstand bis zu dem in § 33 Abs 2 MRG angeführten Zeitpunkt entrichtet (RIS-Justiz RS0107946; 5 Ob 29/09i), ist auch auf das Verschulden des Beklagten weiter einzugehen.

Für die Beurteilung der Frage, ob den Mieter an der verspäteten Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden trifft, ist seine Willensrichtung, die zur Zahlungssäumnis führte, entscheidend (RIS-Justiz RS0069316 [T2]). Grobes Verschulden setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (RIS-Justiz RS0069304; 6 Ob 50/10m; 8 Ob 82/10g).

Ob den Mieter an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden iSd § 33 Abs 2 MRG trifft, stellt eine Frage des Einzelfalls dar. Zufolge dieser Einzelfallbezogenheit kann insoweit die Zulässigkeit der Revision nur dann begründet werden, wenn das Berufungsgericht den ihm bei der Beurteilung des groben Verschuldens an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hat (RIS-Justiz RS0042773 [T1, T3]). Im Allgemeinen kann nur eine Verspätung von wenigen Tagen oder wegen vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten toleriert werden; häufige Rückstände trotz Mahnung können nur ausnahmsweise nach den Besonderheiten des Einzelfalls eine sonst naheliegende grobe Fahrlässigkeit ausschließen (RIS-Justiz RS0070310).

Dass die 19-monatige Zahlungsverweigerung des Beklagten, der das Ergebnis des MSch-Verfahrens „einfach nicht akzeptierte“, grobe Fahrlässigkeit im dargelegten Sinn indiziert, bedarf keiner weiteren Begründung. Davon ausgehend stellt diese Qualifikation aber auch keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung iSd § 502 Abs 1 ZPO (Überschreitung des Ermessensspielraums) dar, dass es ihm nicht gelang, als Mieter den ihm obliegenden Nachweis zu erbringen, es treffe ihn im konkreten Einzelfall (dennoch) kein grobes Verschulden an der Nichtzahlung des Mietzinses (RIS-Justiz RS0069316); und zwar deshalb, weil er insoweit auf eine (unrichtige) Auskunft seines Rechtsanwalts vertraut habe (und vertrauen durfte).

In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 5 Ob 528/93 wurde dazu die Auffassung vertreten, dass sich der mit der Mietzinszahlung säumige Mieter bei der Beurteilung groben Verschuldens (§ 33 Abs 2 MRG) einen rechtlich verfehlten Rat seines Rechtsanwalts zurechnen lassen müsse. Diese Ansicht widersprach der zu 1 Ob 531/91 vertretenen und wurde schließlich zu 6 Ob 257/03t ausdrücklich abgelehnt. In der Entscheidung 5 Ob 29/09i schloss sich der Senat 5 diesen Argumenten ausdrücklich an und stellte Folgendes klar:

Es kommt für die Zurechnung des schuldhaften Verhaltens des Erfüllungsgehilfen darauf an, ob die Ersatzpflicht auch zu verneinen ist, wenn dasselbe Verhalten vom Schuldner selbst gesetzt worden wäre. Der Beurteilungsmaßstab ist dabei dem Verkehrskreis und der Stellung des Schuldners zu entnehmen (RIS-Justiz RS0022747). Selbst wenn man also den anwaltlichen Vertreter des Mieters als Erfüllungsgehilfen bei der Erfüllung der Mieterpflichten ansehen wollte, kommt es nur darauf an, ob das Verhalten des Gehilfen den Schuldner ersatzpflichtig gemacht hätte, wäre es von diesem selbst gesetzt worden (RIS-Justiz RS0022747 [T1]).

Letzteres ist hier - wie bereits die Vorinstanzen zutreffend aufgezeigt haben - ebenfalls zu bejahen, weil eine derart grobe (unvertretbare) Verkennung der Rechtslage durch den Beklagten selbst (als Mieter) den Vorwurf grob schuldhafter Zahlungsverzögerung jedenfalls rechtfertigt (vgl 5 Ob 29/09i): Muss doch auch jedem „juristischen Laien“ klar sein, dass er in Zahlungsverzug gerät, wenn er durch mehr als eineinhalb Jahre nach Abschluss des Außerstreitverfahrens weiterhin nicht den vorgeschriebenen Mietzins bezahlt, weil er - wie der Beklagte - nicht bereit ist, dieses Ergebnis zu akzeptieren; wobei das Erstgericht - zu Recht - darauf hinweist, dass hier insoweit ein „Sonderfall“ vorliegt, als die vom Beklagten aufgeworfenen Fragen bereits im außerstreitigen Verfahren rechtskräftig geklärt waren bzw verspätet vorgebracht wurden, sodass eine inhaltliche Prüfung der rechtlichen Argumente des Beklagten gar nicht mehr vorgenommen, sondern nur (noch) auf die bereits rechtskräftige Klärung verwiesen werden konnte.

Für den Standpunkt des Beklagten ist daher aus der Rechtsprechung nichts zu gewinnen, dass dem Mieter auch dann kein Verschulden, jedenfalls aber keine grobe Fahrlässigkeit am Zahlungsverzug zur Last liegt, wenn er auf rechtskundigen Rat angewiesen war, ihn auch in Anspruch nahm und nur wegen der (gemessen an § 1299 ABGB) unvertretbaren Rechtsansicht des Rechtsfreundes in Teilverzug gerät (RIS-Justiz RS0070373), sowie, dass Zweifel über die wahre Rechtslage ebenso wie auch ein Irrtum über das Vorliegen eines Zahlungsrückstands in der Regel nur leichte Fahrlässigkeit begründen können; sodass erst das Beharren auf einem bei nüchterner Überlegung als unrichtig erkennbaren Standpunkt deutlich machen kann, dass es kein fehlerhaftes Vorstellungsbild, sondern Rechthaberei gewesen sein muss, die den qualifizierten Zahlungsrückstand herbeigeführt hat (RIS-Justiz RS0070327). Der Beklagte war weder auf den rechtskundigen Rat seines Rechtsanwalts angewiesen noch konnten Zweifel über die (bereits in den MSch-Verfahren geklärte) „wahre“ Rechtslage bestehen.

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