OGH 2Ob200/11t

OGH2Ob200/11t25.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Land Oberösterreich, vertreten durch Mag. Heimo Lindner, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei W***** AG *****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 33.195,14 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 3.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 1. August 2011, GZ 16 R 79/11x-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. März 2011, GZ 6 Cg 105/10w-13, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.961,64 EUR (darin 326,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 29. 7. 1991 verschuldete der Lenker eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws einen Verkehrsunfall, bei dem die damals achtjährige M***** H***** schwerste Verletzungen mit Dauerfolgen erlitt. Mit Bescheid vom 3. 1. 2008 gewährte die klagende Partei der Geschädigten ab 1. 11. 2007 Hilfe nach dem Oberösterreichischen Behindertengesetz 1991 (Oö BhG) durch geschützte Arbeit im Rahmen von Jobimpuls in Verbindung mit einer externen Unterbringung beim Magistrat der Stadt Linz. M***** H***** arbeitet seit 1. 11. 2007 25 Stunden pro Woche in der Abteilung „Mikroverfilmung“ des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Linz. Am 8. 1. 2008 unterfertigte die Sachwalterin der Geschädigten eine Zessionserklärung folgenden Wortlauts:

Zur Deckung der für […] durch das Land Oberösterreich vorfinanzierten Hilfe durch Geschützte Arbeit nach dem Oö. BhG 1991 idgF. trete ich bis zur Höhe der aufgewendeten Mittel die Schadenersatzforderungen aus dem Unfall vom 29. 7. 1991 gegen alle Schadenersatzpflichtigen an das Land Oberösterreich ab.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 11. 4. 2008 wurde der Zessionserklärung die sachwalterschaftsbehördliche Genehmigung erteilt.

Die klagende Partei begehrte mit der am 22. 10. 2010 beim Erstgericht eingebrachten Klage 33.195,14 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Leistungen, welche die klagende Partei nach dem Verkehrsunfall vom 29. 7. 1991 an die Geschädigte zu erbringen habe.

Sie brachte vor, die Vermittlung einer Arbeitsstelle am allgemeinen Arbeitsmarkt sei für die Geschädigte aufgrund ihrer Beeinträchtigungen nicht möglich. Die klagende Partei leiste den Mehraufwand an Verwaltungs-, Betriebs- und Lohnkosten im Rahmen von Jobimpuls an die Stadt Linz. Damit werde die erforderliche (psychosoziale) Betreuung und Beaufsichtigung der Geschädigten an ihrem Arbeitsplatz finanziert. Die Wertschöpfung aus der Arbeitsleistung der Geschädigten falle gegenüber dem Betreuungsaufwand nicht ins Gewicht. Dieser Aufwand, der ohne das Unfallereignis nicht erforderlich geworden wäre, errechne sich durch Multiplikation der verrichteten Arbeitstage mit „Tagsätzen“ und belaufe sich im Zeitraum vom 4. Quartal 2007 bis zum 2. Quartal 2010 insgesamt auf den geltend gemachten (näher aufgeschlüsselten) Betrag.

Der Anspruch betreffe Heilungskosten im weiteren Sinn sowie die erhöhten Bedürfnisse der Geschädigten. Diese habe ihre Schadenersatzansprüche gegen alle Schadenersatzpflichtigen zur Deckung und bis zur Höhe der von der klagenden Partei erbrachten Leistungen an diese abgetreten. Die Zessionserklärung umfasse auch die Verdienstentgangsansprüche der Geschädigten, die ohne den Unfall - etwa als Bürokauffrau - einen Bruttoverdienst von ca 2.500 EUR erzielen hätte können. Die Aktivlegitimation der klagenden Partei ergebe sich auch aus der in § 43 des am 1. 9. 2008 in Kraft getretenen Oberösterreichischen Chancengleichheitsgesetzes (Oö ChG) normierten Legalzession.

Die beklagte Partei bestritt, dass die Leistungen der klagenden Partei als Heilungskosten oder als Aufwand für vermehrte Bedürfnisse der Geschädigten zu qualifizieren seien. Diese verfüge über keinen derartigen Ersatzanspruch gegen die beklagte Partei. Die klagende Partei begehre vielmehr einen nicht ersatzfähigen Drittschaden. Eine Legalzession nach § 43 Oö ChG scheitere an der fehlenden Kongruenz. Die rechtsgeschäftliche Zession sei sittenwidrig. Möglicherweise berechtigte Verdienstentgangsansprüche der Geschädigten würden in das Sozialbudget der klagenden Partei umgeleitet werden, ohne dass die Geschädigte davon einen Vorteil hätte. Ein Verdienstentgang werde aber ohnedies - jedenfalls nicht ausdrücklich - geltend gemacht. Auch der Höhe nach sei das Klagebegehren unschlüssig.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, ohne einen weiteren Sachverhalt festzustellen. Die klagende Partei stütze sich auf einen rechtsgeschäftlich oder im Wege der Legalzession nach § 43 Oö ChG erworbenen Ersatzanspruch der Geschädigten. Voraussetzung eines solchen Anspruchs sei jedoch, dass der Geschädigten ein konkreter Aufwand oder zumindest eine konkrete Verbindlichkeit entstanden sei. Dies ergebe sich aber weder aus dem Vorbringen der klagenden Partei noch aus dem Oö ChG. Eine Ersatzpflicht der Geschädigten, der geschützte Arbeit iSd § 11 Abs 2 Z 2 Oö ChG gewährt worden sei, sei zwar grundsätzlich denkbar. Die klagende Partei habe aber nicht behauptet, von der Geschädigten Ersatz verlangt zu haben.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht auf und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Es führte aus, nur der unmittelbar Geschädigte könne den Ersatz seines Schadens verlangen, es sei denn, es läge eine bloße Schadensverlagerung vor. Die Aufwendungen der klagenden Partei seien kein Schaden, der unmittelbar durch das Unfallereignis verursacht worden sei. Ein solcher läge nur vor, wenn die Geschädigte selbst Kosten für einen solchen Aufwand getragen hätte und den Ersatz dieser Kosten begehren würde. Auf die Frage, ob der Aufwand für eine besondere, an den speziellen Fähigkeiten eines Geschädigten ausgerichtete Beschäftigung zu den Heilungskosten oder zu vermehrten Bedürfnissen iSd § 1325 ABGB zu rechnen sei, sei daher nicht weiter einzugehen.

Die klagende Partei stütze ihr Begehren aber auch auf die rechtsgeschäftliche Zessionserklärung vom 8. 1. 2008. Die Behauptung eines fiktiven Einkommens der Geschädigten beziehe sich erkennbar auf den klagsgegenständlichen Zeitraum von Oktober 2007 bis Juni 2010. Die Geschädigte könne ihre Verdienstentgangsansprüche grundsätzlich jedem Dritten wirksam zedieren. Die beklagte Partei habe zwar die Wirksamkeit der Zession bestritten, allerdings sei die behauptete Sittenwidrigkeit „bisher nicht recht nachvollziehbar“. Zu prüfen sei weiters die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen, die zwischen den Streitteilen strittig sei. Aus den einschlägigen Bestimmungen des Oö BhG und des Oö ChG ergebe sich eine persönliche Verpflichtung der Geschädigten zur Leistung von Kostenbeiträgen bzw zum Kostenersatz für bestimmte Aufwendungen der klagenden Partei.

Im fortgesetzten Verfahren werde die klagende Partei den Verdienstentgang der Geschädigten konkret zu behaupten und zu beweisen sowie darzulegen haben, in welcher Höhe von der Geschädigten Kostenbeiträge bzw Kostenersatz hätte eingefordert werden können. Ab seinem Inkrafttreten werde auch § 43 Oö ChG zu berücksichtigen sein.

Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht mit der Begründung für zulässig, dass die in der Berufungsentscheidung vertretene Rechtsansicht zu der Entscheidung 2 Ob 190/09y im Widerspruch zu stehen scheine.

Rechtliche Beurteilung

Der von der beklagten Partei erhobene Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

I. In der zweitinstanzlichen Zulassungsbe-gründung wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht dargetan:

In dem der Entscheidung 2 Ob 190/09v zugrunde gelegenen Fall hatte die klagende Partei ebenfalls den Ersatz von Aufwendungen für die einem Unfallgeschädigten nach dem Oö BhG gewährte Hilfe durch geschützte Arbeit begehrt. Der Oberste Gerichtshof billigte damals die dieses Begehren abweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen mit der Begründung, dass die klagende Partei, obwohl sie sich auch dort auf eine rechtsgeschäftliche Zession der - allerdings nicht näher konkretisierten - Ansprüche des Verletzten berufen hatte, nur einen eigenen, daher bloß mittelbaren und somit nicht ersatzfähigen Schaden geltend mache. Die Revision der klagenden Partei wurde mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen.

Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall insofern, als die klagende Partei ihr Klagebegehren einerseits zwar abermals - wie im früheren Verfahren - mit dem Bestehen eines (eigenen) Anspruchs auf Aufwandersatz, andererseits aber mit dem auf sie übergegangenen Anspruch der Geschädigten auf Ersatz deren Verdienstentgangs begründet und dazu auch Tatsachenvorbringen erstattet hat (zur Zulässigkeit solch alternativen Vorbringens vgl Fasching in Fasching/Konecny² III § 226 Rz 92). Den Vorinstanzen lag somit eine andere Beurteilungsgrundlage als jenen des früheren Verfahrens vor.

Indem das Berufungsgericht die Aufwendungen der klagenden Partei als mittelbaren Schaden erkannte, folgte es der zitierten Vorentscheidung. Soweit es sich aber zu dem von der Geschädigten abgeleiteten Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs äußerte, konnte es von der Vorentscheidung nicht abweichen, weil diese dazu keine Aussage enthält. Die vermeintliche Abweichung von der Entscheidung 2 Ob 190/09v liegt somit nicht vor.

II. Aber auch die beklagte Partei zeigt in ihrem Rechtsmittel keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Eine Person, die durch einen Unfall am Körper verletzt wurde, hat auch dann Anspruch auf Ersatz eines Verdienstentgangs, wenn sie zum Zeitpunkt des Unfalls (noch) nicht im Erwerbsleben stand. Es trifft sie (hier: die klagende Partei) die Beweislast dafür, dass sie einen künftigen Beruf gesucht und gefunden hätte. Welches Einkommen sie bei Ausnützung ihrer Erwerbsfähigkeit ohne die Unfallsfolgen erzielt hätte, kann nur aufgrund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf beurteilt werden (2 Ob 16/01v mwN; 1 Ob 256/01f; RIS-Justiz RS0030440, RS0030484; Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2b § 1325 Rz 23).

Die beklagte Partei bestreitet nicht, dass ein Verdienstentgang der Geschädigten möglich sei. Sie ist aber der Ansicht, die klagende Partei habe ausdrücklich vorgebracht, einen Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs nicht geltend zu machen. Tatsächlich lautete das strittige Vorbringen dahin, dass ein der Geschädigten zustehender Verdienstentgang für den klagsgegenständlichen Zeitraum nicht geltend gemacht worden sei, die Geschädigte habe diesen Anspruch zur Abdeckung der Kosten der Förderungsmaßnahme an die klagende Partei abgetreten (AS 28). Wie dieses Vorbringen im hier zu beurteilenden Einzelfall zu verstehen war, begründet keine erhebliche Rechtsfrage, es sei denn, es läge eine unvertretbare Auslegung des Berufungsgerichts vor (RIS-Justiz RS0042828 [T27]).

Das Vorbringen der klagenden Partei lässt sich durchaus dahin verstehen, dass die Geschädigte ihren Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs gegenüber der beklagten Partei noch nicht selbst geltend gemacht, ihn aber an die klagende Partei abgetreten habe, sodass diese nun zur Geltendmachung rechtszuständig sei. Diese jedenfalls vertretbare Auslegung der Prozessbehauptungen der klagenden Partei liegt erkennbar auch den Ausführungen des Berufungsgerichts zugrunde. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt nicht vor.

2. Laut Zessionserklärung vom 8. 1. 2008 trat die Geschädigte zur Deckung der „vorfinanzierten Hilfe“ ihre Schadenersatzansprüche „bis zur Höhe der aufgewendeten Mittel“ an die klagende Partei ab. Auch die Auslegung einer solchen Willenserklärung ist stets auf den Einzelfall bezogen und wirft daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RIS-Justiz RS0042555).

Die Erwägungen des Berufungsgerichts lassen sich in ihrem Zusammenhalt dahin deuten, dass es nicht nur in der Höhe der Aufwendungen der klagenden Partei, sondern auch in der persönlichen Verpflichtung der Geschädigten zur Leistung von Kostenbeiträgen bzw Kostenersatz eine umfängliche Begrenzung des Forderungsübergangs erblickt. Danach hätte die Geschädigte ihren Schadenersatzanspruch nur in jenem Umfang an die klagende Partei übertragen, in welchem sie von dieser mittels Bescheids zu einer Eigenleistung verpflichtet werden konnte. Dieser durchaus einleuchtenden Auslegung (arg „vorfinanziert“) hält die beklagte Partei nichts Substantielles entgegen. Die Klärung der von ihr aufgeworfenen Tatfrage, ob eine konkrete Verpflichtung der Geschädigten angesichts ihrer Einkommens- und Vermögenslage überhaupt bestehen konnte, bleibt gemäß dem Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichts dem fortgesetzten Verfahren vorbehalten.

Zu bemerken ist allerdings aus rechtlicher Sicht, dass das Oö BhG für die der Geschädigten gewährte Hilfe durch geschützte Arbeit (§ 6 Z 5 iVm § 11 leg cit) einen Kostenbeitrag des „behinderten Menschen“ nicht vorsah (§ 43 Abs 1 leg cit) - das Berufungsgericht ging hingegen von einer Hilfe durch Beschäftigung (§ 6 Z 6 iVm § 12 leg cit) aus -, während das am 1. 9. 2008 in Kraft getretene Oö ChG für eine in geschützter Arbeit bestehende „Hauptleistung“ (§ 8 Abs 1 Z 3 iVm § 11 Abs 2 Z 2 leg cit) eine Ersatzverpflichtung der leistungsempfangenden Person in den Grenzen der §§ 39 ff leg cit normiert.

3. Gegen die Wirksamkeit der rechtsgeschäftlichen Zession führt die beklagte Partei ins Treffen, dass die Geschädigte von der „Umleitung ihrer Mittel“ keinen Vorteil hätte. Sie kommt damit im Ergebnis auf den schon in erster Instanz erhobenen Einwand der Sittenwidrigkeit der Zessionsvereinbarung zurück.

Diese Argumentation begründet aber schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, weil der beklagten Partei ein entsprechender Einwand gar nicht offen steht. Nach herrschender Auffassung sind einem Schuldner Einwände aus dem Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar verwehrt, soweit er damit - wie hier die beklagte Partei mit ihrem Einwand der Sittenwidrigkeit - ein dem Zedenten vorbehaltenes Recht ausübt. Umstände, die dem Zedenten gegenüber eine bloß relative Nichtigkeit der Zession begründen könnten, können vom Schuldner nicht eingewendet werden (vgl 1 Ob 406/97f mwN; RIS-Justiz RS0032816; Ertl in Rummel, ABGB³ II/3 § 1396 Rz 1).

4. Da es der Klärung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedurfte, ist der Rekurs als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO (vgl RIS-Justiz RS0123222). Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen. Es gebührt ein Einheitssatz von 50 %.

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