OGH 6Ob162/12k

OGH6Ob162/12k15.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Parteien 1. Dr. H***** B*****, 2. K***** Gesellschaft mbH, beide *****, vertreten durch Ruggenthaler, Rest & Borsky Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Parteien 1. W***** F*****, 2. „Ö*****“ Wochenzeitungs GmbH, beide *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, über den Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 24. April 2012, GZ 5 R 299/11v-12, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 16. November 2011, GZ 18 Cg 98/11t-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben wie folgt:

„Der Antrag, zur Sicherung des Anspruchs der klagenden und gefährdeten Parteien gegen die beklagten Parteien und Gegnerinnen der gefährdeten Parteien auf Unterlassung der Aufstellung und/oder Verbreitung ehrenrühriger und/oder unwahrer kreditschädigender Äußerungen werde den beklagen Parteien und Gegnerinnen der gefährdeten Parteien geboten, es ab sofort zu unterlassen,

1. den Erstkläger als „journalistischen Bettnässer“, der „offenbar verzweifelt ist“ und der „die eigene Branche anpinkelt“ und/oder sinngleich zu bezeichnen und/oder zu verbreiten;

2. die unwahre Behauptung, dass die Tageszeitung „K*****“ nicht journalistisch unabhängig sei, insbesondere weil diese seit Jahren nur das schreibe, was Raiffeisen diktiere und/oder ein mit vielen Millionen versteckt subventioniertes VP-Organ sei und/oder sinngleiche Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten,

wird abgewiesen.“

Die klagenden und gefährdeten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 858,73 EUR (darin 143,12 EUR USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 2.264,37 EUR (darin 178,83 EUR USt und 1.191,40 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 2.777,21 EUR (darin 214,47 EUR USt und 1.490,40 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Erstkläger ist Chefredakteur der Tageszeitung „K*****“, die Zweitklägerin ist Medieninhaberin dieser Zeitung.

Der Erstbeklagte ist Herausgeber der Sonntagsausgabe der Tageszeitung „Ö*****“, die Zweitbeklagte ist deren Medieninhaberin. Der Erstbeklagte war für einen Zeitraum von 1 1/2 Jahren (in den Jahren 1990/1991) Redaktionsdirektor des „K*****“.

In der Sonntagsausgabe der Tageszeitung „Ö*****“ vom 31. 7. 2011 wurde auf S 4 in der Rubrik „Das sagt Österreich“ der vom Erstbeklagten verfasste Artikel „Journalistische Bettnässer“ veröffentlicht. Unter anderem finden sich darin folgende Sätze: „[...] In Österreichs Medien-Szene sind derzeit die journalistischen Bettnässer unterwegs. [...]“ „[...] pinkeln die offenbar verzweifelten Chefredakteure von K***** und einigen Bundesländerblättern die eigene Branche an. [...]“; „[...] Der K***** gehört Raiffeisen und schreibt seit Jahren nur das, was Raiffeisen diktiert. Da Raiffeisen die ÖVP finanziert und mit ihr eng verbunden ist, ist der K***** ein mit vielen Millionen versteckt subventioniertes VP-Parteiorgan. [...]“

Nach dem Redakteursstatut des „K*****“ gilt insbesondere Folgendes:

„[...] 1. Der K***** ist eine unabhängige österreichische Tageszeitung. 2. Die Redaktion hält sich daher von allen direkten und indirekten Einflüssen politischer Parteien und Interessengruppen frei. [...]“

Der „K*****“ veröffentlicht Artikel, die sowohl Raiffeisen als auch die ÖVP in einem kritischen Licht beleuchten. Seit der Erstkläger Chefredakteur des „K*****“ ist, hat es keine Interventionen der ÖVP oder von Raiffeisen bei ihm gegeben.

Die Kläger begehren zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Hauptbegehrens die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wonach die Beklagten es zu unterlassen hätten, den Erstkläger als journalistischen Bettnässer, der offenbar verzweifelt ist und der die eigene Branche anpinkelt und/oder sinngleich zu bezeichnen und/oder derartige und/oder sinngleiche Bezeichnungen aufzustellen und/oder zu verbreiten; sowie die unwahre Behauptung, dass die Tageszeitung „K*****“ nicht journalistisch unabhängig sei, insbesondere weil diese seit Jahren nur das schreibe, was Raiffeisen diktiere und/oder ein mit vielen Millionen versteckt subventioniertes VP-Parteiorgan sei und/oder sinngleiche Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten.

Zur Begründung ihres Begehrens brachten die Kläger vor, in dem inkriminierten Artikel sei der Erstkläger ohne substanziierten Grund mit Schimpfwörtern bedacht und ihm unter anderem, wenn auch im übertragenen Sinn, ein Gebrechen (Bettnässen) unterstellt worden, das landläufig als besonders peinlich wahrgenommen werde. Damit werde in die Ehre des Erstklägers iSd § 1330 Abs 1 ABGB eingegriffen und auch der Straftatbestand der Beschimpfung nach § 115 StGB verwirklicht. Das Verhalten finde auch keine Rechtfertigung in Art 10 EMRK, weil das Recht der freien Meinungsäußerung nicht das substanzlose Beschimpfen des Gegenübers rechtfertige. Dem Artikelverfasser sei es offensichtlich ausschließlich oder zumindest überwiegend darauf angekommen, die betroffenen Personen zu beschimpfen und zu beleidigen.

Zur Zweitklägerin sei behauptet worden, dass diese seit Jahren nur das schreibe, was Raiffeisen diktiere und dass sie ein versteckt subventioniertes VP-Parteiorgan sei. Beides stelle eine überprüfbare Tatsachenbehauptung dar, die geeignet sei, den wirtschaftlichen Ruf und das Fortkommen einer unabhängigen Tageszeitung zu beeinträchtigen. Wesentliches Gut einer solchen sei schließlich gerade die Unabhängigkeit von politischen oder wirtschaftlichen „Einflüsterungen“. Dies mache auch ein wesentliches Verkaufsargument aus, weil es das Publikum schätze und darauf vertraue, dass in unabhängiger und kritischer Weise berichtet werde.

Der erhobene Vorwurf sei unwahr. Das Redakteursstatut des „K*****“ laute unter anderem darauf, dass er eine unabhängige österreichische Tageszeitung sei, die sich von allen direkten und indirekten Einflüssen politischer Parteien und Interessengruppen freihalte. Die Tageszeitung stehe in keiner Verbindung zur ÖVP und erhalte von dieser auch keine Finanzierung. Sie schreibe daher auch nicht als deren Parteiorgan. Da der inkriminierte Vorwurf auch eine Ehrenbeleidigung sei, obliege es den Beklagten, den Wahrheitsbeweis anzutreten.

Die von den Beklagten behauptete „pointierte Kritik“ liege nicht vor. Sie würde voraussetzen, dass sie verhältnismäßig sei und auf einer wahren Tatsachenbasis beruhe. An beiden Voraussetzungen scheitere die Kritik aber. Darüber hinaus seien exzessive Wertungen nicht von Art 10 EMRK geschützt. Die Kritik müsse zur Erreichung des erlaubten Zieles unerlässlich sein. Ordinäre oder besonders beschämende Beschimpfungen oder Verspottungen seien keine zulässige Kritik. Dem Erstkläger werde, im übertragenen Sinn, nicht nur ein peinlicher körperlicher Defekt unterstellt, er werde auch in eine gedankliche Verbindung mit absolut ungustiösen Bildern gebracht. Es hätte auch eine zivilisierte Art gegeben, gegen das von den Beklagten behauptete beleidigende Video des Erstklägers vorzugehen. Wäre man der Ansicht gewesen, dass darin untragbare Vorwürfe erhoben würden, hätte man gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen können.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Die inkriminierten Aussagen, wonach der Erstkläger als „journalistischer Bettnässer“, der „offenbar verzweifelt ist“ und „die eigene Branche“ ebenso wie „die Konkurrenz anpinkelt“, als herabsetzende Beschimpfung zu werten. Der weitere Vorwurf, der „K*****“ schreibe seit Jahren nur das, was Raiffeisen diktiere und sei ein mit vielen Millionen versteckt subventioniertes VP-Parteiorgan stelle eine überprüfbare Tatsachenbehauptung dar, die geeignet sei, den wirtschaftlichen Ruf und das Fortkommen einer unabhängigen Tageszeitung zu beeinträchtigen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Bei der Beurteilung, ob durch eine Äußerung Tatsachen verbreitet würden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliege, sei wesentlich, ob sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lasse, der einem Beweis zugänglich sei, sodass sie nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden könne. Auch im politischen Meinungsstreit werde geprüft, ob die notwendige Tatsachenbasis für einen wertenden Vorwurf vorliege, weil auch ein Werturteil ohne unterstützende Tatsachengrundlage exzessiv sein könne. Selbst überspitzte Formulierungen und massive Kritik seien hinzunehmen, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliege. Bei unwahren Tatsachenbehauptungen oder bei Werturteilen, basierend auf unwahren Tatsachenbehauptungen, gebe es kein Recht auf freie Meinungsäußerung. Schimpfwörter und Schmähungen könnten weder aus dem Recht auf Freiheit der Wissenschaft noch aus jenem auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt werden.

In der Entscheidung 4 Ob 103/10s seien Formulierungen wie „Dreckstory eines wild gewordenen Schmiranski“, „Unterste-Schubladen-Reaktion eines Zynikers, für den der Terminus skrupellos ein unzureichendes Hilfsadjektiv ist“, als unzulässig beurteilt worden. Ein öffentliches Interesse an gegenseitigen Beleidigungen in einer Pressefehde, das für die nach Art 10 EMRK erforderliche und vom Berufungsgericht nachvollziehbar vorgenommene Interessenabwägung Bedeutung haben könnte, sei nicht zu erkennen.

Die inkriminierte Wortwahl bedeute eine pauschale Herabsetzung des Erstklägers, der mit ungustiösen, peinlichen Bildern in Verbindung gebracht werde, was mit sachlicher Kritik nichts zu tun habe. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die inkriminierte Aussage bzw der dazugehörige Artikel die Reaktion auf einen Artikel im „K*****“ gewesen sei, in dem der Zeitung der beklagten Partei zu Unrecht vorgeworfen sei, dass deren Berichterstattung von der Politik mittels Inseraten gekauft worden sei.

Die Behauptung einer Verbindung zwischen der Zweitklägerin, Raiffeisen und der ÖVP sei eine Tatsachenbehauptung. Der Einschätzung des Oberlandesgerichts Wien (17 Bs 312/11y), wonach es sich dabei nur um eine bewertende Einschätzung der „K*****“-Blattlinie handle, die gegenüber den wertenden Elementen völlig in den Hintergrund trete, könne nicht gefolgt werden.

Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, vor dem Hintergrund der im Verfahren nach dem Mediengesetz zu 17 Bs 312/11y und 18 Bs 60/12y des Oberlandesgerichts Wien vertretenen Rechtsansicht könne der vorliegende Sachverhalt auch anders beurteilt werden. Möglich sei nämlich eine Würdigung des Sicherungsbegehrens im ersten Punkt dahin, dass die darin enthaltenen Formulierungen als - wenn auch unhöfliche und grobe, so doch noch zulässige, die Grenzen des Tolerablen nicht überschreitende Aussagen angesehen werden, die vom Recht auf freie Meinungsäußerung (noch) gedeckt sind.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

1.1. Ob durch eine Äußerung Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck für den unbefangenen Durchschnittsadressaten. Wesentlich ist, ob sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist, sodass er nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann (RIS-Justiz RS0031883). Dabei ist der Begriff der Tatsachenbehauptung weit auszulegen (RIS-Justiz RS0031810; vgl jedoch 6 Ob 265/03v).

1.2. Bei unwahren Tatsachenbehauptungen oder bei Werturteilen, basierend auf unwahren Tatsachenbehauptungen, gibt es kein Recht auf freie Meinungsäußerung. Werturteile, die konkludente Tatsachenbehauptungen sind, dürfen daher nicht schrankenlos geäußert werden (RIS-Justiz RS0107915 [T9]). Bei der gebotenen Interessenabwägung im Konflikt des Rechts auf freie Meinungsäußerung mit dem absolut geschützten Gut der Ehre ist die Gewichtigkeit des Themas für die Allgemeinheit, in dessen Rahmen die ehrverletzende, im Tatsachenkern richtige Äußerung fiel, eines von mehreren Beurteilungskriterien, das den Ausschlag für die Bejahung eines Rechtfertigungsgrundes geben kann (RIS-Justiz RS0110046).

2. Auch die Anwendung der Unklarheitenregel ist am Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu messen. Liegt die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr ist und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertigt, so muss die entfernte Möglichkeit einer den Kläger noch stärker belastenden Deutung unbeachtlich bleiben (RIS-Justiz RS0121107).

3.1. Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (RIS-Justiz RS0054817). Dabei sind die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihres öffentlichen Amts im Allgemeinen weiter gesteckt als bei Privatpersonen, weil sich Politiker unweigerlich und wissentlich der eingehenden Beurteilung ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aussetzen. Politiker müssen daher einen höheren Grad an Toleranz zeigen, besonders wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen.

3.2. Dieser Grundsatz gilt im Sinne der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aber auch für Privatpersonen und private Vereinigungen, sobald sie die politische Bühne, also die Arena der politischen Auseinandersetzung, betreten (Susanne Jerusalem gegen Österreich, MR 2001, 89; RIS-Justiz RS0115541; vgl RS0082182, RS0075552). Dieser Grundsatz wurde vom erkennenden Senat auch bereits auf eine im Wege von Artikeln von Branchenzeitungen ausgetragene Auseinandersetzung zwischen zwei Medieninhabern angewendet (6 Ob 79/07x).

4.1. Im Sinne der angeführten Grundsätze müssen auch Medieninhaber, Herausgeber und Chefredakteure des die Kritik provozierenden Mediums sich einen höheren Grad an Toleranz gegenüber der Kritik des angegriffenen politischen Gegners zurechnen lassen (6 Ob 168/01a; 6 Ob 123/08v). Angesichts der heutigen Reizüberflutung sind selbst überspitzte Formulierungen unter Umständen hinzunehmen, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt (RIS-Justiz RS0107915 [T9]).

4.2. Im Rahmen des Art 10 EMRK sind auch scharf kritisierende Werturteile zulässig, sofern sie auf einer ausreichenden faktischen Grundlage beruhen. Diesfalls sind auch beleidigende, schockierende und störende Werturteile hinzunehmen (vgl Windhager/Lattacher, Meinungsfreiheit - Pressefreiheit - Rundfunkfreiheit - Kunstfreiheit, in Heissl, Handbuch Menschenrechte Rz 14/28 ff). In diesem Sinne hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte etwa die Bezeichnung als „Trottel“ (EGMR Oberschlick gegen Österreich II, MR 1997, 196 = ÖJZ 1997, 956), als „Kellernazi“ (EGMR Scharsach und News Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich, MR 2003, 365 = ÖJZ 2004, 512) und als „Psychosekte mit totalitärem Charakter“ (EGMR Susanne Jerusalem gegen Österreich, MR 2001, 89) als zulässig angesehen.

4.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass vor dem Hintergrund der Medienfreiheit die Interessenabwägung regelmäßig schon dann zugunsten der Berichterstattung ausfallen muss, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegen sprechen, sei doch die Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit andernfalls nicht iSd Art 10 Abs 2 EMRK ausreichend konkretisiert (6 Ob 266/06w; 6 Ob 248/08a). Es muss aber dem Handelnden ex ante erkennbar sein, ob seine Berichterstattung zulässig ist oder nicht. Die Furcht vor Inanspruchnahme aufgrund nicht ausreichend klar konturierter Persönlichkeitsrechte der Gegenstand der Berichterstattung bildenden Personen könnte - im Sinne eines „chilling effect - die unverzichtbare Rolle der Presse als „öffentlicher Wachhund“ und ihre Fähigkeit, präzise und zuverlässige Informationen zu liefern, beeinträchtigen.

5.1. Die Vorinstanzen haben den Gesamtzusammenhang des inkriminierten Artikels nicht ausreichend gewürdigt. Gegenstand dieses Artikels ist, dass die periodischen Druckwerke „K*****“ und „Kl***** Zeitung“ unter anderem der Tageszeitung „Ö*****“ (aber auch der „Kr***** Zeitung“ und „H*****“) vorwerfen würden, dass deren Berichterstattung von der Politik mittels Inseraten gekauft worden wäre, was jedoch - so der inkriminierte Artikel - tatsachenwidrig wäre, zumal „Ö*****“ völlig unabhängig sei und zudem - im Gegensatz zu anderen Zeitungen - mit privatem Geld aufgebaut worden wäre. Daher würden die das Gegenteil behauptenden Chefredakteure des „K*****“ und der „Kl***** Zeitung“ die eigene Branche bzw die Konkurrenz „anpinkeln“, was in der Überschrift „Journalistische Bettnässer“ pointiert zusammengefasst wird.

5.2. Schon nach dem Wortsinn versteht der Leser im vorliegenden Zusammenhang die Formulierungen „anpinkeln“ und „Bettnässen“ als polemische Kritik, nicht aber als tatsächliche Bezugnahme auf die Verrichtung der Notdurft und der Enuresis im medizinischen Sinn. Daher ist auch auf die Argumentation in der Revisionsrekursbeantwortung, der Vorwurf des „Bettnässens“ sei mit jenem des „Anpinkelns“ logisch unvereinbar, nicht weiter einzugehen.

5.3. Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs stellen sich die inkriminierten Formulierungen daher als - wenn auch plakativ, unhöflich und grob formulierte - Wertung dar, die von Art 10 EMRK gedeckt ist, zumal diese Bestimmung nicht nur stilistisch hochwertige, sachlich vorgebrachte und niveauvoll ausgeführte Bewertungen schützt, sondern jedwedes Unwerturteil, das nicht in einem Wertungsexzess gipfelt (vgl OLG Wien 18 Bs 60/12y). Die Medienkonsumenten können selbst beurteilen, ob sie aufgrund der mitübermittelten Tatsachen der Wertung des Artikelverfassers beitreten oder sich eine abweichende Meinung bilden.

5.4. Zusammenfassend schließt sich der Oberste Gerichtshof daher der im Medienverfahren zu 18 Bs 60/12y vertretenen Auffassung des Oberlandesgerichts Wien an, dass durch die Formulierung „journalistischer Bettnässer“ und „anpinkeln“ nicht die Grenze des Tolerablen überschritten und jenes Maß an Sachlichkeit außer Acht gelassen wird, das Voraussetzung für die Zulässigkeit der Kritik ist.

6. Aber auch beim Vorwurf eines Naheverhältnisses zwischen „K*****“ einerseits und Raiffeisen und ÖVP andererseits stehen die wertenden Elemente im Vordergrund (vgl OLG Wien 17 Bs 312/11y). Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die beanstandete Berichterstattung die Reaktion der Beklagten auf einen Bericht der Kläger zur Vorgangsweise der Beklagten in deren Druckwerk „Ö*****“ war, ist eine Auslegung dieser Aussage dahin möglich, dass der Erstbeklagte unter kritischer Hinterfragung der Eigentumsverhältnisse beim „K*****“ in überwiegend wertender Einschätzung zur Schlussfolgerung gelangte, dass Raiffeisen und die ÖVP auf die Gestaltung und die Blattlinie offenbar Einfluss ausüben würden und daher nicht von einer gänzlichen Unabhängigkeit dieses Mediums auszugehen sei, zumal die Einschätzung der Blattlinie stets zwangsläufig subjektiv ist.

7. Damit erweisen sich die inkriminierten Äußerungen aber als zulässig, sodass die Entscheidungen der Vorinstanzen im antragsabweisenden Sinn abzuändern waren.

8. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 393 EO.

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