OGH 7Ob113/12m

OGH7Ob113/12m29.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen D***** ***** R*****, geboren am *****, Mutter: S***** ***** C*****, vertreten durch Mag. Lothar Korn, Rechtsanwalt in Linz, Vater: A***** R*****, Antragsteller: Land Oberösterreich (Magistrat der Landeshauptstadt Linz, Amt für Soziales, Jugend und Familie, 4040 Linz, Hauptstraße 1‑5) als Jugendwohlfahrtsträger, wegen Regelung der Obsorge und des Besuchsrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 25. April 2012, GZ 15 R 151/12z‑130, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Ob den Eltern (hier der außerehelichen Mutter) nach § 176 Abs 1 ABGB die Obsorge zu entziehen und gemäß § 213 ABGB dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dieser Entscheidung kommt daher keine Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu, wenn dabei ‑ wie hier ‑ auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wird und leitende Grundsätze der Rechtsprechung nicht verletzt werden (7 Ob 25/11v mwN).

2. Der von der Mutter gerügte Verfahrensmangel, der in der Unterlassung der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens („Obergutachten“) ‑ neben den bereits eingeholten psychiatrischen und familienpsychologischen Gutachten ‑ liegen soll, wurde bereits vom Rekursgericht verneint und kann daher auch nach der zum neuen Außerstreitgesetz ergangenen Judikatur keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS‑Justiz RS0050037 [T7]). Dies gilt auch für die angebliche Überschreitung der Fachkompetenz durch die Familienpsychologin. Eine Beeinträchtigung der Interessen des Kindeswohls durch die Entscheidungen der Vorinstanzen, die das Kindeswohl umfassend berücksichtigten, ist nicht erkennbar (vgl RIS‑Justiz RS0030748 [T2, T5 und T6]; RS0050037 [T1, T4, T8 und T11]).

3. Der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz. Fragen der Beweiswürdigung, wie sie die Mutter hinsichtlich der vom Erstgericht beigezogenen familienpsychologischen Sachverständigen und nicht näher genannter Zeugen anschneidet, können vom Obersten Gerichtshof daher nicht mehr überprüft werden (RIS‑Justiz RS0007236 [T2, T3 und T4]).

4. Zwar hat die Mutter beim Erstgericht beantragt, dem Magistrat der Landeshauptstadt Linz die Vorlage eines Rückscheins über die Ladung der Mutter zu einem Termin vor dem Jugendamt am 11. 5. 2011 aufzutragen. Ob die Mutter diesen Termin unverschuldet versäumte, ist aber nicht von Relevanz. Dazu traf das Erstgericht auch keine Feststellungen. Auf die maßgeblichen, von den Vorinstanzen herangezogenen Mängel in der Erziehungsfähigkeit der Mutter geht sie im außerordentlichen Revisionsrekurs nicht näher ein.

5. Für die Frage der Übertragung der Obsorge des Kindes von der Mutter auf den Jugendwohlfahrtsträger ist nicht bedeutsam, dass über den Antrag der Mutter auf „Bestellung eines Kollisionskurators“ für ihr Kind „zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen bzw Amtshaftungsansprüchen gegenüber dem Schädiger bzw dem Land Oberösterreich“ vom Erstgericht noch nicht entschieden wurde. Die interimistische Notkompetenz des Jugendwohlfahrtsträgers gemäß § 215 Abs 1 zweiter Satz ABGB umfasst die Pflege und Erziehung sowie die gesetzliche Vertretung in diesem Bereich, nicht jedoch die Vermögensverwaltung (Tschugguel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.00 § 215 Rz 2; Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 215 Rz 2; Stabentheiner in Rummel³ 1. ErgBd Komm zu § 215; vgl 7 Ob 507/95). In der Lehre wird auch vertreten, dass mit der vorläufigen Obsorge des Jugendwohlfahrtsträgers die Vertretungsbefugnis des sonstigen gesetzlichen Vertreters nicht eingeschränkt wird (Hopf in KBB3 § 215 ABGB Rz 2; Kathrein in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 215 Rz 18; aA Weitzenböck aaO § 215 Rz 3; [offenlassend] 3 Ob 108/08s). Ob die Beurteilung des Rekursgerichts zutrifft, dass der Mutter infolge der vom Jugendwohlfahrtsträger getroffenen Maßnahmen nach § 215 Abs 1 (zweiter Satz) ABGB für diesen Antrag kein Antragsrecht zustehe, braucht mangels Entscheidungsrelevanz hier nicht geklärt zu werden.

6. Gemäß § 215a erster Satz (iVm § 213) ABGB fallen, sofern nicht anderes angeordnet ist, die Aufgaben dem Bundesland als Jugendwohlfahrtsträger zu, in dem das minderjährige Kind seinen (gewöhnlichen) Aufenthalt hat. Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt ist das Land (§ 4 Abs 1 JWG; § 4 Abs 1 oö JWG 1991: Land Oberösterreich). Die Landesgesetzgebung bestimmt, welche Organisationseinheiten die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben (§ 4 Abs 2 JWG). Damit wird klar zwischen der juristischen Person Land als Rechtsträger (Jugendwohlfahrtsträger) und den für den Rechtsträger Land handelnden Organen oder Organisationseinheiten unterschieden (7 Ob 25/11v mwN). Gemäß § 4 Abs 2 oö JWG 1991 sind die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt von der Landesregierung und den Bezirksverwaltungsbehörden nach Maßgabe dieses Landesgesetzes zu besorgen. Hier hat die Stadt Linz am 1. 3. 2011 als Bezirksverwaltungsbehörde gemäß § 215 Abs 1 ABGB die zur Wahrung des Wohls der Minderjährigen erforderliche gerichtliche Verfügung beantragt (§ 39 iVm § 51 oö JWG 1991; vgl § 1 Abs 2 Statut für die Landeshauptstadt Linz 1992, LGBl 1992/7).

Gemäß § 109 Abs 1 JN ist zur Besorgung der Geschäfte, die nach den Bestimmungen über die Rechte zwischen Eltern und minderjährigen Kindern, die Obsorge einer anderen Person, die Sachwalterschaft und die Kuratel dem Gericht (Pflegschaftsgericht) obliegen, das Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Minderjährige oder sonstige Pflegebefohlene seinen gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines solchen im Inland seinen Aufenthalt hat. Das Kind hatte bis zu seiner Unterbringung am 24. 2. 2011 seinen gewöhnlichen Aufenthalt immer bei der Mutter in Linz, was von ihr im außerordentlichen Revisionsrekurs auch zugestanden wird. Nach der vom Rekursgericht aufgrund der Aktenlage ergänzend getroffenen Feststellung befand sich das Kind seit 24. 2. 2011 bei einer „Krisenpflegefamilie“ in Linz. Wenn die Mutter im außerordentlichen Revisionsrekurs unbelegt behauptet, ihre Tochter habe sich bei einer Pflegemutter „im Bereich außerhalb des Sprengels“ des Erstgerichts befunden, geht sie nicht von dieser Feststellung aus. Da zum maßgeblichen Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in Linz war, ist das Erstgericht örtlich zuständig. § 29 JN gilt auch für das Außerstreitverfahren. Die einmal begründete Zuständigkeit des Pflegschaftsgerichts bleibt daher auch bei nachträglichen Sachverhaltsänderungen bestehen (RIS‑Justiz RS0046068 [T7]). Die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht ist nur auf dem in § 111 JN vorgezeichneten Weg möglich (4 Nc 15/06b mwN; 8 Ob 74/08b).

7. Die Besuchsrechtsregelung wird von der Mutter in dritter Instanz nicht mehr bekämpft.

8. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG wird im außerordentlichen Revisionsrekurs nicht aufgezeigt, weshalb er zurückzuweisen ist. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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