OGH 7Ob507/95

OGH7Ob507/958.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Tanja Cornelia W*****, in Obsorge der mütterlichen Großmutter Imtraud B*****, infolge Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft U***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 17. November 1994, GZ 18 R 821/94-22, womit infolge Rekurses der Bezirkshauptmannschaft W*****, der Beschluß des Bezirksgerichtes Urfahr-Umgebung vom 30.September 1994, GZ P 141/93-19, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die mj. Tanja ist das uneheliche Kind der Marion B*****, der zunächst auch die Obsorge zukam. Marion B***** wohnte zuletzt mit ihrem Kind im Sprengel der Bezirkshauptmannschaft W*****. Am 14.2.1992 stellte diese Behörde als Jugendwohlfahrtsträger den Antrag, die Obsorge hinsichtlich Tanja deren mütterlichen Großmutter Irmtraud B***** zu übertragen, weil die Mutter und deren Lebensgefährte im Drogenmilieu verkehrten, der Verdacht bestehe, daß die Mutter der Prostitution nachgehe, und Tanja vor dem ihre Mutter mißhandelnden Lebensgefährten Angst habe. Tanja sei bereits am 7.2.1992 wegen Gefahr im Verzug zur mütterlichen Großmutter nach K***** gebracht worden, die mit der Übernahme der Obsorge einverstanden sei.

Marion B***** stimmte nach anfänglicher Weigerung schließlich der Übertragung der Obsorge an ihre Mutter zu. Auch der uneheliche Vater befürwortete diese Regelung.

Mit Beschluß vom 12.8.1993 genehmigte das Bezirksgericht Lambach die seitens der Bezirkshauptmannschaft W***** als Jugendwohlfahrtsträger getroffene Maßnahme der Pflege und Erziehung durch Unterbringung der minderjährigen Tanja bei deren Großmutter und übertrug dieser die Obsorge. Mit Beschluß vom 13.10.1993 übertrug das Bezirksgericht Lambach die Zuständigkeit gemäß § 111 JN dem Bezirksgericht Urfahr-Umgebung, in dessen Sprengel das Kind nunmehr wohnt.

Am 3.5.1994 stellte die Bezirkshauptmannschaft W***** den Antrag, sie von der Verpflichtung zur Durchführung der vollen Erziehung betreffend die mj. Tanja zu entheben und die Bezirkshauptmannschaft U***** mit dieser Aufgabe zu betrauen, die die Übernahme der Durchführung der vollen Erziehung verweigere, obwohl die Minderjährige nunmehr im Sprengel der Bezirkshauptmannschaft U***** ihren gewöhnlichen Aufenthalt habe. Die Bezirkshauptmannschaft U***** sprach sich gegen diesen Antrag aus, weil eine Weiterführung der Erziehungshilfe nicht angezeigt erscheine, nachdem der mütterlichen Großmutter die Obsorge übertragen worden sei.

Das Erstgericht wies den Antrag zurück. Es liege ein Fall der vollen Erziehung gegen den Willen der Erziehungsberechtigten vor. Die Maßnahme der vollen Erziehung sowie deren Durchführung sei eine Angelegenheit der Verwaltung, sodaß das Gericht zur begehrten Entscheidung nicht zuständig sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Bezirkshauptmannschaft W***** Folge und änderte den Beschluß im Sinne einer Antragsstattgebung ab. § 215a ABGB sehe eine Übertragung der Aufgaben des Jugendwohlfahrtsträgers an einen anderen Jugendwohlfahrtsträger nur mit dessen Zustimmmung vor. Wie sich aus dem allgemeinen Aufsichtsrecht des Pflegschaftsgerichtes über Vormünder und Sachwalter ergebe, habe mangels Zustimmung das Gericht zu entscheiden. Die Unterbringung der Minderjährigen bei der mütterlichen Großmutter stelle sich nach § 215 Abs.1 2.Satz ABGB als Maßnahme der vollen Erziehung dar, die der Jugendwohlfahrtsträger kraft Gesetzes durchführe. Der Jugendwohlfahrtsträger schreite als Träger von Privatrechten ein, was im Ergebnis die Zuständigkeit des Gerichtes zur Übertragung begründe. Die Übertragung sei auch zweckmäßig. Die Minderjährige befinde sich zwar derzeit in Obsorge ihrer Großmutter. Dies sei aber keine Garantie dafür, daß das Einschreiten des Jugendwohlfahrtsträger in Zukunft nicht mehr notwendig sein werde. Derzeit sei allein die Frage des Pflegegeldes, das die Großmutter für das Kind beantragen könne, noch offen.

Das Gericht zweiter Instanz sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil es zu den hier anstehenden Rechtsfragen noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gebe.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Bezirkshauptmannschaft U***** ist zulässig und im Ergebnis berechtigt.

Gemäß § 215 Abs.1 ABGB hat der Jugendwohlfahrtsträger die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei Gefahr im Verzug kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung als Sachwalter vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen, wenn er unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb von 8 Tagen, die erforderlichen gerichtlichen Verfügungen beantragt.

Die Bezirkshauptmannschaft W***** schritt im vorliegenden Fall im Sinne dieser Bestimmung als gemäß § 215a ABGB zuständiger Jugendwohlfahrtsträger ein, indem sie wegen Gefahr im Verzug für das Kindeswohl vorläufig selbst die Maßnahme der vollen Erziehung im Sinn der §§ 28, 30 JWG (§§ 37, 39 oö.JWG) setzte. Der Jugendwohlfahrtsträger konnte hiebei nur hinsichtlich der Pflege und Erziehung, nicht aber im übrigen Bereich der Obsorge (Vermögensverwaltung und gesetzliche Vertretung) tätig werden (vgl. Pichler in Rummel2 I, Rz 3 zu § 215 ABGB). Die Durchführung der Hilfe zur Erziehung ist aber nunmehr abgeschlossen. Für ein weiteres Agieren des ursprünglich einschreitenden Jugendwohlfahrtsträgers verbleibt kein Raum, seit die Maßnahme durchgeführt und gerichtlich genehmigt wurde. Nachdem die gesamte Obsorge, also insbesondere auch die gesetzliche Vertretung, der mütterlichen Großmutter übertragen wurde, ist auch die Stellung des Jugendwohlfahrtsträgers als Sachwalter im Sinne des § 215 Abs.1 Satz 2 ABGB erloschen.

Eine neuerliche Maßnahme der Erziehungshilfe, sei es in Form der Unterstützung der Erziehung oder der vollen Erziehung, wäre nur zu setzen, wenn durch die Pflege und Erziehung bei der (nunmehr) erziehungsberechtigten mütterlichen Großmutter das Wohl der Minderjährigen nicht ausreichend gewährleistet wäre (§ 39 oö. JWG). Ein dadurch allenfalls notwendiges Einschreiten des Jugendwohlfahrtsträgers hätte aber mit der Durchführung der Maßnahme der vollen Erziehung, die seitens der Bezirkshauptmannschaft W***** am 7.2.1992 gesetzt wurde und abgeschlossen ist, nichts zu tun. Sollten sich bei der mütterlichen Großmutter Erziehungsprobleme ergeben, die ein Einschreiten des Jugendwohlfahrtsträgers erforderlich machten, wäre hiefür kraft Gesetzes ohnehin die Bezirkshauptmannschaft U***** zuständig, solange die Minderjährige in deren Sprengel ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (§§ 215a ABGB, § 5 JWG, § 40 oö.JWG).

Da der Bezirkshauptmannschaft W***** im Zeitpunkt der Stellung ihres gegenständlichen Antrages nach Übertragung der Obsorge an die mütterliche Großmutter keinerlei den privatrechtlichen Bereich betreffende Funktion mehr zukam und sie weder Amtsvormund noch Sachwalter kraft Gesetzes noch bestellter Vormund war, war sie auch nicht legitimiert, einen Antrag bei Gericht auf Übertragung ihrer Aufgaben (die sie nun nicht mehr hatte) an einen anderen Jugendwohlfahrtsträger zu stellen. Auch wenn man der Meinung Pichlers (aaO Rz 4 zu § 215a ABGB) und Gameriths (in ÖAV 1992, 157) beitritt, daß mangels Zustimmung des anderen Jugendwohlfahrtsträgers zur Übernahme der Aufgaben an ihn das Gericht zu entscheiden habe, fehlt es hier daher an der Grundlage für eine solche gerichtliche Entscheidung. Deshalb war der den Antrag zurückweisende erstgerichtliche Beschluß wiederherzustellen.

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